51

»Ich wäre gerne dabeigewesen«, sagte Roslynn zu ihrem Mann, als sie ihm Judith in die Arme drückte.

»Hier, jetzt bist du an der Reihe, mit ihr herum-zugehen.«

«Hallo, meine Süße.« Tony gab seiner Tochter einen lauten Schmatz auf die Wange. »Dir geht’s gut, was?«

Dann meinte er zu seiner Frau: »Ich bin froh, daß du nicht dabei warst. Es war verdammt peinlich.«

»Peinlich? Innerhalb der Familie?« Sie schnaubte.

Er blickte sie verweisend an. »Und was hättest du dazu beitragen können?«

Er hatte ihr bereits die ganze Diskussion erzählt, aber sie konnte es immer noch nicht glauben, daß Kelsey Langton keine Lady sein sollte.

»Ich hätte deinem Bruder gesagt, wie altmodisch sein Verbot war.«

Anthony grinste. »Ich erwähne es ungern, Ros, aber Jason ist altmodisch.«

»Dann erwähn es auch nicht«, gab sie zurück. »Was ist denn hier nun wichtiger, Liebe oder die öffentliche Meinung?«

»Ist das eine Fangfrage?«

»Das ist nicht lustig, Tony«, wies sie ihn zurecht. »Die Liebe ist wichtiger, und das weißt du auch. Oder willst du mir erzählen, daß du mich nicht geheiratet hättest, wenn nicht ein paar Earls und Gutsbesitzer in meinem Stammbaum vorzuweisen wären?«

»Muß ich darauf antworten?«

»Ich verprügle dich, Mann, wenn du nicht ernst sein kannst«, sagte sie und verfiel in ihren schottischen Akzent.

Er kicherte. »Das wagst du nicht, während ich Judith im Arm halte — na, na«, fügte er hinzu, weil sie auf ihn losging. Dann gab er murrend zu: »Ja, natürlich, ich hätte dich auf jeden Fall geheiratet, aber glücklicherweise brauchte ich nicht darüber nachzudenken, ob du eine passende Partie warst. Außerdem vergißt du, daß er das Mädchen bei eine Bordellversteigerung gekauft hat. Das, meine Liebe, geht ein bißchen über den üblichen Maßstab der öffentlichen Meinung hinaus.«

»Das wissen doch nur ein paar Leute«, erwiderte sie.

»Du machst wohl Witze«, entgegnete er. »Eine so saf-tige Klatschgeschichte? Das hat wahrscheinlich mittlerweile überall die Runde gemacht.«

Ein paar Zimmer weiter diskutierten James und seine Frau das gleiche Thema, während sie eng aneinanderge-schmiegt im Bett lagen. Zumindest versuchte Georgina, darüber zu reden. James hatte andere Dinge im Sinn, und seine auf und ab wandernde Hand ließ wenig Zweifel daran, welcher Art sie waren.

»Ich verstehe nicht, was die Herkunft mit dem Ganzen zu tun hat. Du hast mich ja auch geheiratet, oder?« erinnerte Georgina ihn. »Und ich habe ganz sicher keinen albernen Titel vor meinem Namen – nun ja, zumindest nicht, bevor ich dich heiratete.«

»Du bist Amerikanerin, George. Das ist etwas ganz anderes, du kommst aus einem anderen Land, was bei ihr nicht der Fall ist. Sie redet wie eine Herzogin, und man merkt bei jedem Wort, das aus ihrem Mund kommt, daß sie aus England stammt. Außerdem muß ich nicht die nächsten beiden Generationen hervorbringen, die den Fortbestand

des

alten

Adelsgeschlechts

sichern.

Das

lastet auf Dereks Schultern. Ich hätte überhaupt nicht heiraten brauchen, und du weißt auch, daß ich es gar nicht vorhatte – bis du in mein Bett gekrabbelt bist.«

»Das habe ich nicht getan«, wies sie ihn zurecht. »Ich kann mich erinnern, daß du mich in dein Bett gezerrt hast.«

Er kicherte und nuckelte an ihrem Ohr. »Habe ich das wirklich getan? Ganz schön clever von mir, was?«

»Hmmm, ja – hör jetzt damit auf! Ich möchte ein ernstes Gespräch mit dir führen.«

Er seufzte. »Ja, das habe ich schon gemerkt. Schade!«

»Nun, ich möchte, daß du in dieser Angelegenheit etwas unternimmst«, erklärte sie ihm.

»Hervorragende

Idee,

George«,

erwiderte

er

und

drehte ihren Kopf so, daß er sie leidenschaftlich küssen konnte.

Prustend befreite sie sich. »Nicht in dieser Angelegenheit — zumindest nicht jetzt«, korrigierte sie ihn. »Ich rede von Jasons Haltung. Es könnte nicht schaden, wenn du mit ihm redest und ihm klarmachst, wie un-vernünftig er sich benimmt.«

»Ich? ich soll meinem großen Bruder Ratschläge erteilen?« Er brach in Lachen aus.

»Das ist nicht lustig.«

»Natürlich ist es das. Ältere Leute sind so festgefahren in ihren Verhaltensweisen. Sie nehmen keine Ratschläge entgegen, sie geben welche. Und Jason weiß, daß in diesem Fall das Recht der Konvention auf seiner Seite steht. Was auch dem Mädchen klar ist. Sie wird den Jungen nicht heiraten, George, also ist die ganze Diskussion überflüssig;«

»Und wenn sie es nur deshalb ablehnt, weil sie weiß, wie sein Vater darüber denkt?«

»Dann ist sie auch klug genug, um zu erkennen, daß sie gegen Jasons Willen keine glückliche Ehe führen würden. Es gibt einfach keine Lösung für sie. Also hör jetzt auf damit. Wir können überhaupt nichts für die beiden tun, außer dem Mädchen eine neue Identität zu verpassen, und selbst das geht nicht. Dazu hat die Versteigerung zu öffentlich stattgefunden. Wenn es anders gelaufen wäre, könnte man sich vielleicht noch etwas überlegen, aber das war eben nicht so.«

Georgina murmelte leise etwas vor sich hin. James grinste.

»Du kannst nicht die Probleme der ganzen Welt lösen, mein Liebes. Manche sind einfach nicht lösbar.«

»Warum gibst du dir nicht einfach Mühe, mich das vergessen zu lassen?« schlug sie vor.

»Nun, das kann ich tun«, sagte er und begann wieder, sie leidenschaftlich zu küssen.

In einem anderen Flügel des Hauses sagte Nicholas Eden zu seiner Frau: »Du weißt mehr darüber, als du zugibst, nicht wahr?«

»Ein bißchen«, gab Reggie zu.

»Aber du wirst es mir nicht sagen, oder?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Ich habe es versprochen.«

»Ich hoffe, du weißt, wie schlimm das ist, Reggie«, beklagte er sich.

Sie nickte zustimmend. »Es ist mehr als das, es ist tragisch. Sie sollten wirklich heiraten dürfen. Sie lieben sich.

Und es macht mich verrückt, daß ich nichts tun kann.«

Er legte die Arme um sie. »Das ist nicht dein Problem, Liebling.«

»Derek ist für mich mehr ein Bruder als ein Cousin.

Wir sind zusammen aufgewachsen, Nicholas.«

»Ich weiß, aber du kannst ihnen wirklich nicht helfen.«

»Nun, du glaubst doch nicht, daß mich das davon abhalten könnte, es zumindest zu versuchen, oder?«