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Später in dieser Woche kam Derek vorbei, um Kelsey zum

Pferderennen

abzuholen.

Er

hatte

ursprünglich

mit Percy und Jeremy dorthin gehen wollen, hatte den beiden jedoch im letzten Moment gesagt, daß er sie dort treffen würde.

Tatsächlich war ihm dieser Einfall nicht deshalb gekommen, weil er gedacht hatte, Kelsey würde es dort gefallen. Was wahrscheinlich der Fall wäre, aber das war nicht sein Motiv. Er hatte versucht, ihre Beziehung im richtigen Maß zu halten, sie nur abends zu besuchen, wie es sich bei einer Mätresse gehörte. Aber nachdem er dies einige Abende lang getan hatte, war ihm klargeworden, daß es ihm nicht gefiel, sich in Bezug auf sie korrekt zu verhalten. Im Gegenteil. Je mehr er versucht hatte, weiter ein ganz normales Leben zu führen, als wenn sich nichts geändert hätte, desto mehr mußte er sich morgens zwingen, sie zu verlassen, und den ganzen Tag über das Bedürfnis unterdrücken, sich von ihr bis zum Abend fernzuhalten.

Am Tag des Rennens hatte er schließlich seinem Verlangen nachgegeben, indem er sich sagte, daß dieses eine Mal sicher keinen Schaden anrichten würde. Anscheinend lag das Problem darin, daß auch er ihre Gesellschaft viel zu sehr genoß. Sie brachte ihn zum Lachen; sie

langweilte

ihn

nicht

mit

endlosem

Geschwätz;

sie war intelligent. An einem Abend hatten sie sich während des Essens über Literatur unterhalten, und er war erstaunt gewesen, als er sich auf einmal mit ihr in einer hitzigen Debatte über Philosophie und alles mögliche andere befand – und er hatte jede Minute genossen.

Er wußte nicht genau, ob daraus ein ernsthaftes Problem entstehen würde. Eigentlich vertrat er tief im In-neren die Auffassung, daß eine Mätresse einem bestimmten Zweck, und nur diesem Zweck diente. Seine letzte Mätresse hatte ihn dazu überredet, sie überallhin zu begleiten, und es war ihm nicht recht gewesen, daß sie so über seine Zeit verfügte. Auch hatte ihm an Marjories Gesellschaft außerhalb des Schlafzimmers nichts gelegen. Aber bei Kelsey war es anders. Sie stellte keine Forderungen. Eigentlich hatte sie ihn nie um etwas gebeten, außer bei dem einen Mal, wo sie ihn gebeten hatte, sie zu küssen.

Er dachte sehr gern daran; die Erinnerung brachte ihn jedesmal zum Lächeln. Eigentlich hatte er in der letzten Zeit sehr häufig gelächelt, ohne einen besonderen Anlaß, selbst seinem Kammerdiener war das aufgefallen.

Aber das kam davon, daß er ständig an Kelsey dachte.

Sie war eben in jeder Hinsicht eine Freude für ihn.

Kelsey zog sich rasch für die Ausfahrt um. Das mochte er auch an ihr, daß sie sich nicht endlos mit ihrer Toi-lette aufhielt, sich nicht ständig aufputzte und von jeder Locke erwartete, daß sie am richtigen Platz lag, und doch sah sie am Ende immer vollkommen aus. Sie war eine Freude für alle seine Sinne, und der heutige Tag bildete da keine Ausnahme.

Sie war noch einmal bei der Schneiderin gewesen und hatte

einige

fertiggestellte

Kleider

mitgebracht,

ein-

schließlich eines hellblauen Samtkleides mit passendem Jäckchen. So bezaubernd sah sie darin aus, daß er wünschte, es wäre wärmer, damit er sich mit ihr in einer offenen Kutsche im Hyde Park zeigen könnte, ein skandalöser Gedanke, der ihn, kaum daß er ihm gekommen war, entsetzte. Es war in Ordnung, mit einer Lady, der man ernsthaft den Hof machte, durch den Park spazieren zu fahren, aber das ging mit einer Mätresse natürlich nicht. Vielleicht hätten seine jüngeren Onkel das fertig-gebracht, aber sie machten sich auch nichts daraus, was die Leute über sie reden könnten. Schließlich waren sie nicht umsonst die bekanntesten Schwerenöter Londons gewesen.

Das Rennen fand außerhalb von London statt. Als sie ankamen, stellten sie die Kutsche zwischen einem Lan-dauer und einem Phaeton ab, direkt neben der Bahn, so daß sie die beste Sicht hatten, obwohl das Volk bereits zusammenströmte.

Für

gewöhnlich

standen

diejenigen,

die hohe Wetteinsätze gemacht hatten, direkt an der Bahn; sie stellten ihre Kutschen weiter weg und ließen den Kreis um die Bahn frei für diejenigen, die es vorzogen, das Rennen mit ihren Damen aus ihren bequemen Kutschen zu verfolgen.

Manche Ladies kamen mit ihren Männern oder ihrer Familie zum Rennen, allerdings waren es jetzt im Winter nicht allzu viele. Deshalb machte sich Derek keine großen Sorgen, daß er jemanden mit Kelseys Anwesenheit irritieren könnte. Außer Percy und Jeremy würde kaum einer wissen, daß sie da war, solange sie in der Kutsche blieb, worum er sie gebeten hatte.

Sie hatten einen kleinen Heizofen in der Kutsche, aber das Wetter war gar nicht so schlecht. Es war zwar eiskalt, aber es ging kein Wind, und ab und zu kam sogar die Sonne hervor.

Man konnte ringsum Erfrischungen kaufen, aber der Adel brachte meistens seine Verpflegung selbst mit, so auch Derek. Er hatte Mrs. Hershal aufgetragen, ihnen einen

so

reichhaltigen

Picknickkorb

zusammenzustel-

len, daß auch seine Freunde satt würden, und noch einige Flaschen Wein hineinzutun. Die Rennen dauer-ten manchmal einen halben Tag oder sogar länger, je nachdem, wie viele Wettbewerbe es noch gab, wenn die offiziellen Rennen vorüber waren.

Nach dem ersten Rennen gesellten sich Percy und Jeremy zu ihnen. Percy war wie immer bester Laune. Er schien einen sechsten Sinn in bezug auf Rennen zu haben, fand nicht nur immer wieder hervorragende Pferde, und das an den seltsamsten Orten, er irrte sich auch selten, was den Sieger anging, ganz gleich wie die Umstände waren. Allerdings nahm er Wetten niemals ernst. Ihm machte es einfach nur Spaß, sein Urteil be-stätigt zu finden.

»Ich nehme an, du hast schon ein paar Wetteinsätze ein-gestrichen?«, fragte Derek, als Percy kam und nach einem knappen »Wie geht’s?« zielstrebig in den Picknickkorb griff.

Jeremy erwiderte überheblich: »Mußt du da überhaupt fragen?«

Derek grinste. »Percy hat nicht immer recht. Ich kann mich erinnern, daß er einmal ein paar tausend Pfund verloren hat, deshalb verlasse ich mich auch nicht mehr blind auf seine Tips.«

Percy zog eine Leidensmiene. »Das wirft er mir bis an mein Lebensende vor«, sagte er zu Jeremy.

Der Junge schmunzelte. »Ich glaube, es hat dir mehr Spaß gemacht, Nicks Geld entgegenzunehmen, als den Gewinn vom ersten Rennen einzustreichen.«

Percy strahlte. »Ja, in der Tat. Nicholas schafft es immer wieder, mir jedes gute Vollblut abzuluchsen, das mir unterkommt. Ich weiß nicht, wie er es macht, verdammt noch mal, wirklich nicht!«

»Nicholas ist hier?«

Percy nickte. »Er hat den Hengst angemeldet, den er mir gerade abgekauft hat. Wahrscheinlich läuft er im vierten Rennen.«

»Du hättest ihn mitbringen sollen«, sagte Derek.

Jeremy hustete. »Nein, das wäre sicher keine gute .. «

Er kam nicht mehr dazu, den Satz zu Ende zu sprechen, denn genau in diesem Moment ging die Tür auf, und Regina Eden, Nicholas’ Frau – und Dereks und Jeremys Cousine – kletterte in die Kutsche. Offenbar war sie der Grund gewesen, warum Jeremy es für keine so gute Idee gehalten hatte, Nick zu ihnen einzuladen, und Derek konnte sich dieser Auffassung nur aus ganzem Herzen anschließen. Er überlegte fieberhaft, wie er es vermeiden könnte, seine unbezähmbare Cousine seiner Mätresse vorzustellen.

»Ich habe mir doch gleich gedacht, daß ich deine Kutsche erkannt habe, Derek«, sagte Reggie und beugte sich vor, um ihn auf die Wange zu küssen. Dann ließ sie sich auf den Platz neben ihn fallen. »Jeremy, warum hast du mir nicht gesagt, daß er hier ist?«

Jeremy schob die Hände in die Taschen und sank auf den Sitz ihnen gegenüber. »Hab’ nicht dran gedacht«, murmelte er lahm.

»Reggie, was in aller Welt tust du hier?« fragte Derek.

»Du kannst doch Rennen nicht ausstehen.«

»Ich weiß.« Sie zuckte vergnügt mit den Schultern.

»Aber irgendwie habe ich mit Nicholas gewettet, daß sein neuer Hengst heute nicht gewinnt, deshalb muß ich hier sein, um mich selbst davon zu überzeugen. Du glaubst doch nicht etwa, daß ich mich auf sein Wort verlasse, oder? Er haßt es, gegen mich zu verlieren.«

Derek hatte sich ihr zugewandt, um ihr die Sicht auf Kelsey zu versperren, die auf der anderen Seite neben ihm saß, ein aussichtsloses Unterfangen, wenn man bedachte, wie leuchtend blau ihr Kleid war.

»Du hättest mich fragen können«, verwies er sie.

Sie zog die Augenbrauen hoch. »So selten, wie ich dich sehe?« entgegnete sie vorwurfsvoll. »Außerdem, woher sollte ich denn wissen, daß du hier bist?« Mit diesen Worten schob sie Derek beiseite und sagte an ihm vorbei: »Wie nett, Sie wiederzusehen, Kelsey. Ich wußte gar nicht, daß Sie meinen Cousin kennen.«

Kelsey war schrecklich verlegen geworden, als sie Regina Eden erkannt hatte. Es war etwas anderes, sich mit einer Fremden zu unterhalten, die annehmen konnte, was sie wollte; schließlich dachte man ja nicht, daß man sie wieder treffen würde. Ihr jedoch unter solchen Um-ständen erneut zu begegnen ...

Sie hatte sich sofort zum Fenster gedreht, in der Hoffnung, daß die Dame sie gar nicht bemerken würde.

Aber die Hoffnung war vergeblich gewesen.

»Derek ist Ihr Cousin, Lady Eden?«

»Aber ja, wir sind zusammen aufgewachsen, wußten Sie das nicht? Und bitte, nennen Sie mich einfach nur Reggie, wie meine Familie es tut.« Sie schwieg und warf einen Blick auf Jeremy. »Nun ja, beinahe die ganze Familie tut es.«

Derek war zutiefst bestürzt. »Reggie, woher kennst du Kelsey?«

»Wir sind uns bei der Schneiderin begegnet – und haben uns großartig die Zeit vertrieben. Aber du meine Güte, Derek, was macht sie hier allein mit dir? Du weißt doch, wie bösartig die Klatschmäuler sein können.«

»Sie ist ... sie ist ...«

Derek fiel absolut nichts ein, doch Gottlob sprang Jeremy hilfreich ein und ergänzte: »Percys Cousine.«

Percy blinzelte. »Sie ist ...« Jeremy zwickte ihn, so daß er hinzufügte, » ...meine Cousine. Ja, eine entfernte Cousine mütterlicherseits, weißt du.«

»Wie entzückend«, sagte Reggie. »Schon als wir uns kennengelernt haben, wußte ich instinktiv, daß wir gute Freundinnen werden könnten, und jetzt weiß ich auch warum. Wenn sie mit Percy verwandt ist, dann gehört sie ja eigentlich schon zur Familie, schließlich ist das bei ihm ja auch so. Du mußt sie heute abend zum Essen mitbringen, Percy. Und natürlich seid ihr beiden auch eingeladen.«

Die drei Männer gerieten in Panik.

»Das würde nicht ...«

»Könnte nicht vielleicht ...«

»Ich habe schon eine andere ...«

Aber Reggie unterbrach sie stirnrunzelnd. »Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß ihr ablehnen könnt, wo ich nur noch ein paar Tage in der Stadt bin? Dein Vater und Tante George haben schon zugesagt, Jeremy. Onkel Tony und Tante Roslynn auch, es wird also ein richtig nettes Familientreffen. Die Pläne, die ihr für heute abend habt, können auf gar keinen Fall so wichtig sein wie ein Familientreffen, oder?«

Jeremy verdrehte die Augen. Derek sank auf seinen Sitz zurück und stöhnte. Reggie hatte es schon immer verstanden, sie zu manipulieren. Und wirkte so unschuldig, die kleine Hexe.

»Heißt das, wir gehen alle hin?« wandte sich Percy ganz unschuldig an Derek.

In diesem Moment hätte Derek seinen Freund mit Freuden umbringen können. Jeremy und er konnten nicht mehr gut absagen, aber Percy hätte wenigstens noch eine Entschuldigung finden können, da er nicht wirklich zur Familie gehörte. Aber dieser Schwachkopf merkte das nicht. Nein, nicht der gute alte Percy.