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Kelsey wurde es wirklich übel. Sie wußte nicht, wie sie erklären solle, was sie gerade getan hatte. Außerdem konnte sie nicht klar denken, wenn Derek sie so finster ansah. Klar war ihr lediglich, daß er sie gekauft hatte.

Er. Der einzige, der sie verwirrte. Der einzige von den dreien, von dem sie gehofft hatte, daß er es nicht sein würde.

Und jetzt wußte sie auch, warum sie das gehofft hatte.

Er brachte sie so sehr durcheinander, daß sie nicht klar denken konnte.

»Ich warte, Miss Langton.«

Auf was? Auf was? Ach ja, warum sie ihn geschlagen hatte. Denk nach, Dummkopf.

»Sie haben mich überrascht«, sagte sie.

»Überrascht?«

»Ja, überrascht. Ich habe nicht erwartet, daß sie mich so angreifen.«

»Sie angreifen? «

Sie zuckte zusammen bei der Lautstärke seiner Frage.

Was für eine blödsinnige Erklärung. Wie sollte sie es ihm bloß verständlich machen, ohne sich als Idiotin hinzustellen? Warum hatte sie nicht sofort gefragt, wer von den dreien sie gekauft hatte? Sie hätte einfach fragen sollen. Eigentlich hätten sie es ihr sagen müssen.

Auf jeden Fall hätte sie nicht einfach ihre Schlußfolge-rungen ziehen dürfen.

»Das war unglücklich ausgedrückt«, gab sie zu. »Aber ich bin nicht daran gewöhnt, von Männern auf den Schoß gezogen zu werden, und .. nun ja, wie ich bereits sagte, es überraschte mich und .. und ich habe reagiert, ohne nachzudenken ...«

Sie brachte den Satz nicht zu Ende. Er blickte immer noch finster, und ihr fiel keine Entschuldigung mehr ein. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen.

»Na gut, wenn Sie es unbedingt wissen wollen – ich konnte nicht sehen, wer von Ihnen auf mich geboten hatte. Ich hörte nur, wie der Name Lord Malory fiel, und als Jeremy mit Lord Malory angeredet wurde ...«

»Du lieber Himmel!« rief er aus. »Sie haben gedacht, mein Cousin Jeremy hätte Sie gekauft?«

Seine Verblüffung war ihm deutlich anzusehen. Kelsey nickte errötend.

»Auch noch, als ich Sie in mein Haus brachte?« wollte er wissen.

Sie nickte wieder, fügte jedoch hinzu: »Sie sagten, es sei nur für eine Zeitlang. Ich nahm an, daß Jeremy, da er noch so jung ist, bei seinen Eltern wohnt, und daß er Sie deshalb gebeten hatte, mich für die Nacht unterzubringen. Warum, glauben Sie, habe ich sonst gefragt, ob wir ihn heute morgen abholen?«

Er verwirrte sie mit seinem Lächeln. »Mein liebes Kind, ich habe mir schon Sorgen gemacht, daß Sie sich in den Burschen verguckt hätten. Das wäre nichts so Besonderes. Trotz seines zarten Alters hat er diese Wirkung auf das schwache Geschlecht.«

»Ja, er sieht ungewöhnlich gut aus«, gab sie zu, wünschte jedoch sofort, sie hätte es nicht gesagt. Sein Lächeln erlosch.

»Vermutlich sind Sie jetzt enttäuscht, daß Sie statt dessen bei mir sind.«

Es war wirklich unglücklich, daß er diese Frage stellte.

Die Wahrheit stand ihr im Gesicht geschrieben, obwohl sie zu einer Lüge griff, um ihn zu beruhigen. »Nein, natürlich nicht.«

Sie

sah

sofort

an

seinem

skeptischen

Gesichtsaus-

druck, daß er ihr nicht glaubte, aber sie wollte die Dinge nicht noch schlimmer machen, indem sie versuchte, es ihm zu erklären. Sie war einfach von Jeremys gutem Aussehen überwältigt gewesen, aber dieser Malory wühlte etwas in ihr auf, das sie nicht verstehen konnte. Sie hatte angenommen, daß es mit Jeremy ganz einfach sein könnte, aber mit diesem Mann würde es ganz und gar nicht einfach sein. Jeremy hätte sie bei weitem vorgezogen, denn mit ihm wäre bestimmt eine

vollkommen

unkomplizierte

Beziehung

möglich

gewesen.

Als er schwieg und sie einfach nur weiterhin zweifelnd ansah, sagte sie steif: »Ich kann Ihnen versichern, Lord Malory, daß ich Sie den beiden anderen Herren, die Sie überboten haben, in jeder Hinsicht vorziehe.

Es war mir jedoch keineswegs bewußt, daß meine Vorlieben in Ihrer Transaktion überhaupt eine Rolle spielen. Ich wurde nicht gefragt, ob Sie mir recht sind. Das war nicht Bestandteil des Handels, auf den ich mich eingelassen habe. Oder wäre Ihnen das lieber gewesen?«

Ihre Aufrichtigkeit brachte ihn wieder zum Lächeln, wenn es auch nicht seine Augen erreichte. Auch sein Tonfall war eher nüchtern, als er entgegnete: »Gut pariert, meine Liebe. Vielleicht sollten wir noch einmal von vorne anfangen. Kommen Sie her, und ich werde mich bemühen, Sie vergessen zu lassen, daß nicht Jeremy hier sitzt. Und Sie können sich bemühen, mich glauben zu lassen, daß Sie es vergessen haben.«

Sie starrte auf seine Hand, die er ihr entgegenstreckte und die sie nicht gut ablehnen konnte. In ihrem Magen jedoch regten sich bereits wieder diese seltsamen Ge-fühle, und als sie schließlich ihre Hand in seine legte, keuchte sie beinahe auf, so stark wurde das Gefühl.

»Viel besser«, sagte Derek und zog sie wieder auf seinen Schoß.

Kelsey hatte das Gefühl, daß ihre Wange in Erwartung seines Kusses brannte. Doch er küßte sie nicht. Er schaukelte sie nur sachte hin und her, legte dann die Arme um sie, und sie hörte ihn seufzen.

»Sie können sich entspannen, meine Liebe«, meinte er leicht amüsiert. »Wenden Sie Ihren Kopf hin, wo immer Sie wollen. Ich glaube, ich gewöhne mich gerade daran, Sie einfach nur eine Zeitlang festzuhalten.«

Das hatte sie nicht erwartet, aber bei seinen Worten entspannte sie sich tatsächlich ein wenig. »Bin ich nicht zu schwer?«

Er schmunzelte. »Überhaupt nicht.«

Die Kutsche rumpelte durch die Straßen der Stadt, auf denen zu dieser Morgenstunde reger Betrieb herrschte mit Lieferwagen, Pferdegespannen aller Art und zahlreichen Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit waren.

Als sie die Außenbezirke erreichten, hatte sich Kelsey so weit beruhigt, daß sie endlich ihren Kopf auf seine Schulter legte. Er streichelte mit dem Daumen ihre Wange, was sie überhaupt nicht schlimm fand, da er so angenehm und sauber roch.

»Wie weit ist es nach Bridgewater?« fiel es ihr nach einer Weile ein.

»Da wir irgendwo auf der Strecke eine Mittagsrast machen, werden wir wahrscheinlich den ganzen Tag brauchen.«

»Und

warum

fahren

wir

nach

Bridgewater?«

»Ich habe dort ein Landhaus, das ich sowieso hätte auf-suchen müssen. Ganz in der Nähe ist ein Cottage, das wahrscheinlich leer steht. Dort können Sie ganz bequem ein oder zwei Wochen wohnen, bis ich etwas für Sie in London gefunden habe.«

»Es wird mir ganz bestimmt gefallen.«

Die nächste Stunde schwiegen sie wieder. Kelsey fühlte sich warm und behaglich, und war beinahe eingeschlafen, als er auf einmal sagte . .

»Kelsey?«

»Hm?«

»Warum haben Sie sich zum Verkauf angeboten?«

»Es war die einzige ...«, begann sie, brach dann aber abrupt ab, als sie merkte, daß sie so entspannt und unvorsichtig war, daß sie beinahe die Wahrheit hervorgesprudelt hätte. Sie korrigierte sich sofort und erwiderte:

»Ich meine, ich würde lieber nicht darüber sprechen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

Er hob ihr Kinn, um ihr in die Augen sehen zu können.

Seine Augen waren tatsächlich grün, und es lag noch etwas in seinem neugierigen Blick, das sie nicht definieren konnte.

»Für dieses Mal akzeptiere ich Ihre Antwort, meine Liebe, aber beim nächstenmal kann ich dafür nicht garantieren«, sagte er sanft.

Und dann beugte er den Kopf, und streifte leicht mit seinen Lippen ihren Mund, nichts Bedrohliches, nichts Beunruhigendes, nur eine leichte Berührung. Sie seufzte erleichtert. So schlimm war es gar nicht, auf jeden Fall nichts, wovor sie Angst haben mußte.

In Kettering hatten ihr einige junge Männer den Hof gemacht, aber nie hatte jemand versucht, sie zu küssen.

Ihre Mutter hatte mit Argusaugen über sie gewacht, wie es sich gehörte. Und für einen ersten Kuß war das hier wirklich nett. Sie konnte überhaupt nichts Schlimmes daran finden. Warum mißbilligten Eltern nur, wenn ihre Töchter so etwas taten?

Sein Daumen rieb immer noch sanft über ihre Wange.

Nach einer Weile jedoch bewegte er sich in Richtung ihres Mundwinkels und schob dort ihre Lippen ganz leicht auseinander. Dann fühlte sie, wie seine Zunge über ihre Lippen glitt, sie noch weiter öffnete, dann über ihre Zähne strich und sich dahinterschob.

Das war nicht mehr entspannend. Ihr Innerstes geriet in Aufruhr, aber als er weitermachte, merkte sie, daß es keine unangenehmen Empfindungen waren, ganz im Gegenteil. Sie hatte so etwas nur noch nie vorher empfunden.

Panisch versuchte sie, sich einen von Mays Ratschlägen ins Gedächtnis zu rufen. Lieg nie da wie ein nasses Handtuch. Streichle ihn bei jeder Gelegenheit, wenn ihr alleine seid. Gib ihm das Gefühl, du wolltest ihn ständig, ob das nun der Fall ist oder nicht.

Kelsey hatte keine Ahnung, wie sie Derek das Gefühl vermitteln sollte, sie begehre ihn. Streicheln jedoch war ganz einfach – wenn sie es schaffte, ihre Empfindungen abzuschalten und sich auf das zu konzentrieren, was sie jetzt tun sollte.

Sie fuhr mit der Hand über seine Wange und strich mit gespreizten Fingern leicht durch seine Haare. Verglichen mit der Hitze seiner Lippen waren sie weich und kühl.

Sein Mund ... Er verzauberte sie, und sie wußte nicht mehr, was sie tat. Ohne es zu merken, griff sie fest in seine Haare. Die andere Hand preßte sie auf seinen Rücken und zog ihn an sich, als ob sie sich noch näher an ihn drücken wollte. Ihr wurde so heiß, daß sie fast verging.

Und dann löste er plötzlich seine Lippen von ihren.

Kelsey meinte, ein Stöhnen zu hören, wußte jedoch nicht, ob es von ihr oder von ihm kam.

Noch bevor sie aus ihrer Betäubung erwachte und die Augen

aufmachte,

sagte

er

mit

gepreßter

Stimme:

»Nun, ich glaube, das war doch keine so gute Idee.«

Sie hatte die Bedeutung seiner Worte noch gar nicht richtig erfaßt, da hatte er sie bereits wieder auf ihren Platz gesetzt und seine Hände von ihr gelöst, so daß sie annahm, es hätte etwas damit zu tun, daß sie auf seinem Schoß gesessen hatte. Sie traute sich nicht, ihn anzusehen, sondern versuchte, wieder Haltung zu gewinnen und gegen das tiefe Rot anzukämpfen, das auf ihren Wangen glühte.

Als sie schließlich aufblickte, sah er selbst nicht viel besser

aus.

Er

löste

gerade

sein

Halstuch

und

rutschte auf den Polstern hin und her, als ob er auf Nadeln säße.

Er sah die Verwirrung in ihren grauen Augen und versuchte zu erklären: »Wenn ich dich lieben will, Kelsey, dann in einem anständigen Bett, und nicht in einer unbequemen Kutsche, in der wir durchgeschüttelt werden.«

»Waren wir gerade dabei, uns zu lieben?«

»Ja, absolut.«

»Ich verstehe.«

Aber sie verstand keineswegs. Sie waren beide noch vollständig angezogen, und May hatte ihr doch ganz spöttisch erzählt, daß manche Männer ihre Frauen immer nur im Dunkeln und ohne sich das Nachtge-wand auszuziehen liebten, die meisten jedoch ihre Mätressen auf jeden Fall nackt sehen wollten.

Kelsey beschloß, daß es wohl stimmen müsse, was Derek gesagt hatte – sie waren gerade kurz davor gewesen, sich zu lieben, was immer man darunter verstand.

Sie hoffte allerdings, eines Tages, wenn sie sich wirklich liebten, alle Ratschläge und Warnungen, die May ihr mitgegeben hatte, zu verstehen. Im Moment jedoch fand sie alles nur verwirrend.