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Derek hätte wissen müssen, daß seine Busenfreunde das nicht so einfach auf sich beruhen lassen würden.
Er saß kaum wieder in der Kutsche, als Jeremy begann: »Ich glaube es einfach nicht. Willst du etwa immer noch auf diesen Ball gehen? Verdammt noch mal, das täte ich nicht.«
»Und warum sollte ich es nicht tun?« fragte Derek und zog eine Augenbraue hoch. »Das Mädchen läuft mir nicht weg, und unsere Cousine Diana hat uns persönlich heute abend bei dem Debut ihrer Freundin um unsere Anwesenheit gebeten. Und da wir beide zugesagt haben, was ist dann deiner Ansicht nach wichtiger, Jeremy?«
»Genau«, schnaubte Jeremy. »Zumindest ich weiß, was wichtiger ist, und meiner Ansicht nach fällt es auf dem Ball der Saison gar nicht auf, wenn wir fehlen. Diana wird uns in der Menge wahrscheinlich nicht mal bemerken.«
»Ob sie uns bemerkt oder nicht – wir haben zugesagt, also müssen wir auch hingehen. Percy, würdest du bitte diesem
verantwortungslosen
jungen
Spund
erklären,
was Verpflichtung bedeutet?«
»Ich?« schmunzelte Percy. »Tut mir leid, aber ich ver-trete eher seinen Standpunkt, alter Knabe. Ich wäre nicht so charakterstark, eine neue Geliebte wegen eines Balls zu verlassen, der sich wahrscheinlich von den anderen Festlichkeiten, an denen wir teilgenommen haben, nicht so besonders unterscheidet. Wenn einer deiner Onkels da wäre, oder deine reizende Cousine Amy, dann wäre es etwas anderes. Deine Onkels verstehen es, ein bißchen Leben in diese trübsinnigen Veranstaltungen zu bringen, und da Amy ihren Yankee nicht heiraten wird, heißt das für mich, daß sie immer noch zu haben ist.«
Diese
langatmigen
Ausführungen
ihres
sonst
eher
wortkargen Freundes verschlugen Derek und Jeremy die Sprache. Derek fand sie als erster wieder: »Amy ist vielleicht jetzt noch nicht verheiratet, aber die Hochzeit findet nächste Woche statt, also streich sie bitte von deiner Liste, Percy.«
Jeremy fügte hinzu: »Du solltest meinen Vater nicht als gar so unterhaltsam darstellen. Er ist mittlerweile zu häuslich geworden, um noch zu der Gerüchteküche beizutragen. Onkel Tony im übrigen auch.«
»Da muß ich dir leider widersprechen, mein Junge.
Diese beiden Malorys werden nie so häuslich werden, daß sie nicht noch Aufsehen erregen. Mein Gott, ich war selbst dabei, wie dein Vater und dein Onkel nicht lange nach der Geburt deiner Schwester Jack den Amerikaner in einen Billardsaal gezogen haben, und der Yankee ist auf allen vieren wieder rausgekrochen.«
»Das war, als sie gerade herausgefunden hatten, daß Anderson an Amy interessiert ist. Mit dieser Reaktion hatten wir alle rechnen können. Aber wir haben dir das doch schon erklärt, Percy, als du selbst daran gedacht hast, um sie anzuhalten. Das kommt davon, weil sie beide sozusagen unsere Cousine Regan großgezogen haben, nachdem ihre Schwester gestorben ist, und die Tatsache, daß Amy Regan so ähnlich sieht . .«
»Reggie«, unterbrach Derek, so wie es sein Vater getan hätte, wenn er dagewesen wäre, wenn auch viel weniger hitzig, »Ich kann ja verstehen, warum dein Vater darauf besteht, sie anders zu nennen, um seine Brüder zu irritieren, aber du brauchst dir kein Beispiel daran zu nehmen.«
»Ich mag das aber«, grinste Jeremy verstockt. »Und er macht es nicht, um sie zu irritieren – na ja, ein bißchen vielleicht, aber das ist nicht der eigentliche Grund, warum er angefangen hat, sie Regan zu nennen. Der Grund liegt viel weiter zurück, noch bevor ich auf der Welt war. Bei drei Brüdern, von denen zwei älter waren als er, hatte er einfach das Bedürfnis, sich in allem von ihnen zu unterscheiden.«
»Nun ja, das ist ihm sicherlich gelungen«, erwiderte Derek mit einem wissenden Augenzwinkern.
»Allerdings.«
Die Vettern bezogen sich auf James Malorys Freibeutertage. Er war damals als der Falke bekannt gewesen, und die Familie hatte ihn enterbt. Während seiner zwei-felhaften Laufbahn als Falke hatte James entdeckt, daß er einen fast erwachsenen Sohn hatte, und er hatte Jeremy nicht nur anerkannt, sondern ihn auch auf seine Streifzüge mitgenommen. Deshalb hatte der Junge eine so unorthodoxe Erziehung genossen und von James’
wilder Piratenmannschaft viel zu viel über Frauen, Kämpfen und Trinken gelernt.
Percy jedoch wußte das nicht, und er würde es auch nie erfahren. Er war zwar ein lieber Freund, konnte jedoch überhaupt kein Geheimnis für sich behalten; und James Malorys ruchlose Vergangenheit war ein gut gehütetes Geheimnis, von dem nur die Familie wußte.
»Außerdem, Percy«, sagte Jeremy und kam wieder zum Thema zurück, »haßt mein Vater Bälle und läßt sich nur widerstrebend von seiner Frau dorthin schleppen. Das gleiche gilt für Onkel Tony. Ich kann es den beiden nachfühlen. Ich komme mir heute abend auch so vor, als würde ich zu dem Ball geschleppt, verdammt noch mal.«
Derek runzelte die Stirn. »Ich schleppe dich nicht, mein lieber Junge, ich weise dich nur auf deine Verpflichtungen hin. Du hättest Diana ja nicht zusagen müssen.«
»Hätte ich nicht?« protestierte Jeremy. »Wo ich absolut keiner Frau etwas abschlagen kann? Absolut gar keiner Frau. Ich kann es einfach nicht ertragen, sie zu enttäuschen. Und die, die du gerade weggebracht hast, hätte ich auf keinen Fall enttäuscht.«
»Da sie einfach nur in Ruhe gelassen werden wollte, kann hier wohl von Enttäuschung keine Rede sein, Jeremy.«
»In Ruhe gelassen?«
»Kannst du dir das so schwer vorstellen?«
»Frauen verstellen sich und kämpfen darum, in dein Bett zu kommen, und nicht, es zu verlassen. Das habe ich selbst schon erlebt . .«
Derek unterbrach ihn. »Und manchmal wollen Frauen aus dem einen oder anderen Grund einfach nicht belä-
stigt werden, und genau diesen Eindruck hat das Mädchen auf mich gemacht. Sie sah erschöpft aus. Normalerweise wäre mir das egal gewesen, aber da ich sowieso schon andere Pläne hatte ... Außerdem, Jeremy, habe ich diesen ganzen Quatsch nicht veranstaltet, um das Mädchen ins Bett zu bekommen, deshalb bin ich auch nicht so ungeduldig. Eigentlich wollte ich gar keine Mätresse, aber da ich jetzt eine habe, werde ich mich nach meinen Vorstellungen um sie kümmern, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Unanständig viel Geld für etwas, das du gar nicht haben wolltest«, warf Percy ein.
Jeremy kicherte. »Allerdings.«
Derek lehnte sich in seinen Sitz zurück und murrte:
»Ihr wißt ja schließlich, warum ich es getan habe.«
»Natürlich
wissen
wir es,
alter
Knabe«,
erwiderte
Percy. »Und das rechnen wir dir auch hoch an. Ich hätte nicht den Schneid gehabt, so nobel zu reagieren, aber wenigstens einer von uns hat’s getan.«
»Genau«, stimmte Jeremy zu. »Er hat Ashfords Pläne durchkreuzt und eine hübsche Belohnung dafür bekommen. Gute Arbeit, würde ich sagen.«
Derek errötete vor Freude über das unerwartete Lob und sagte: »Würdet ihr beide dann bitte damit aufhören, mich damit aufzuziehen, daß ich das Mädchen weggebracht habe?«
Jeremy grinste. »Sollen wir?«
Ein Aufheulen Dereks veranlaßte ihn, aus dem Fenster zu schauen und fröhlich vor sich hin zu pfeifen. Unverbesserlicher
Spitzbube,
dieser
Jeremy!
Onkel
James
hatte wirklich alle Hände voll zu tun, diesen Kerl zu einem
verantwortungsbewußten
Mann
zu
erziehen.
Natürlich hatte seinerzeit Dereks Vater genau die gleichen Klagen geäußert. Aber Derek mußte sich als einziger mit dem Oberhaupt der Familie auseinandersetzen, und Jason Malory, Marquis of Haverston, war der strengste von den vier Brüdern, und es war am schwie-rigsten, es ihm recht zu machen.