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Jason konnte sich nicht erinnern, jemals etwas so Schwieriges vor sich gehabt zu haben, wie seiner Familie zu sagen, daß er und Frances sich scheiden lassen würden. Die Tatsache, daß er selbst ganz bewußt einen Skandal heraufbeschwor, wo er ihnen so oft Vorträge darüber
gehalten
hatte,
den
Namen
der
Familie
sauberzuhalten . . Nun ja, er war sicher, daß sie ihm das noch lange vorhalten würden, zumindest James und Tony.
Zwar fand er es erstaunlich, aber die beiden schienen jetzt wirklich in ihren Ehen zur Ruhe gekommen zu sein und benahmen sich anständig. Andererseits waren sie beide Spitzbuben, und er hatte sie sein Mißfallen immer deutlich spüren lassen. Deshalb zweifelte er keinen Augenblick daran, daß sie sich darüber freuen würden, wenn sich das Blatt einmal wendete.
Er hatte nicht die ganze Familie zu dem Treffen eingeladen, sondern lediglich seine Brüder um ihre Anwesenheit gebeten – und Derek. Ihren Frauen und Kindern konnten sie es dann ja selbst erzählen. Edward würde es wahrscheinlich verstehen. James und Tony würden wahrscheinlich äußerst erheitert sein. Ernsthafte Sorgen machte er sich jedoch darüber, wie Derek die Nachricht aufnehmen würde. Frances war schließlich die einzige Mutter, die Derek jemals gekannt hatte.
Er hätte es Derek zuerst erzählen sollen, und vor allem unter vier Augen. Es war feige von ihm, statt dessen diesen Weg zu wählen. Aber er hoffte auf ein klein wenig Unterstützung, zumindest von Edward. Und er hoffte, daß Derek ihn in Anwesenheit der anderen nicht zu eingehend nach den Gründen fragen würde.
Außer James waren alle da. Anthony hatte bereits zweimal wissen wollen, warum sie alle hierherzitiert worden waren, aber er hatte ihm keinen Hinweis gegeben, sondern lediglich erklärt, das würde er sagen, wenn die ganze Familie versammelt sei.
Er stand wartend am Kamin. Edward und Anthony waren in einen freundschaftlichen Streit über irgendeine Bergwerksinvestition
verwickelt.
Natürlich
würde
Ed-
ward recht behalten. Was Investitionen anging, war er ein Genie. Derek sah aus, als fühle er sich etwas unbehaglich, fast ein wenig schuldbewußt, aber der Junge war, soweit Jason wußte, in nichts Schlimmes verwickelt. Aber vielleicht sollte er vor seiner Abreise nach Haverston noch ein paar Freunde besuchen, um den neuesten Klatsch zu erfahren.
Endlich tauchte James an der Schwelle zum Salon auf, in dem sie sich alle versammelt hatten. Anthony be-schwerte sich sofort: »Du kommst spät, Bruder.«
»Ach ja?«
»Er wollte uns nicht sagen, was hier los ist, bevor du auftauchst, und deshalb kommst du verdammt noch mal viel zu spät.«
James schnaubte. »Paß auf, was du sagst, Junge. Ich bin nicht zu spät dran. Du bist offenbar viel zu früh gekommen.«
»Überflüssig zu streiten, wo wir jetzt alle hier sind«, verwies Edward ihn friedlich.
»Setz dich, James«, schlug Jason vor.
James zog die Augenbrauen hoch. »Verlangt die Angelegenheit, daß wir sitzen? Ist es so schlimm?«
»Zum Teufel, ich sitze auf glühenden Kohlen, James, also setz dich endlich hin!« rief Anthony.
Jason seufzte innerlich. Es war unmöglich, sich zu einem solchen Thema langsam vorzuarbeiten, deshalb sagte er, sobald James sich neben Anthony auf das Sofa gesetzt hatte: »Ich habe euch heute hergebeten, weil ihr die ersten sein sollt, die erfahren, daß Frances und ich uns scheiden lassen wollen.«
Mehr sagte er nicht. Er wartete darauf, daß die Fragen auf ihn einprasselten, aber er erntete nur Schweigen und verständnislose
Blicke.
Eigentlich
brauchte
ihn
das
nicht zu wundern. Er hatte schließlich Zeit gehabt, den Gedanken zu verdauen, sie aber nicht.
Schließlich fragte Anthony: »Du willst uns doch nicht auf den Arm nehmen, Jason?«
»Nein.«
»Bist du sicher?«
»Habe ich jemals über etwas so Ernstes Scherze gemacht?« erwiderte Jason.
»Ich wollte nur sichergehen«, meinte Anthony und brach in Lachen aus.
Das hatte einen mißbilligenden Blick von Edward und die Bemerkung zur Folge: »Daran ist überhaupt nichts lustig, Tony.«
»Aber ja – natürlich«, brachte Anthony unter Lachen hervor.
»Ich sehe nicht . .«
»Das könntest du auch gar nicht, Eddie«, warf James trocken ein. »Vielleicht liegt es daran, daß unser ältester Bruder dir nie eine Strafpredigt gehalten hat.«
»Das ist wohl von Bedeutung, was?« fragte Edward steif.
»Natürlich. Tony findet es lustig, daß jetzt einmal Jason zur Abwechslung den Skandal verursacht. Ich finde es selber recht erfrischend – und schon längst überfällig.«
»Das ist dir zuzutrauen«, erklärte Edward voller Abscheu.
»Ich habe von der Scheidung geredet, nicht von dem Skandal. Es war von Anfang an eine absurde Ehe, und sie hätte schon vor langer Zeit beendet werden sollen.
Daß Jason jetzt endlich zur Vernunft gekommen ist ...«
Jason unterbrach ihn und erklärte: »Frances möchte die Scheidung.«
» Sie?«, fragte Edward. »Nun ja, das wirft ein anderes Licht auf die Sache. Verhindere es einfach.«
»Ich habe mich schon dafür entschieden, das nicht zu tun.«
»Und warum?« fragte Edward.
Jason seufzte. Er hatte von Edward Unterstützung erwartet und nicht Widerstand. Und er hatte erwartet, daß James vor Lachen von der Couch fallen würde, wie Anthony es gerade tat. Statt dessen stimmte James mit ihm überein. Unglaublich. Und Derek hatte überhaupt noch nichts gesagt. Er runzelte zwar leicht die Stirn, wirkte aber eher besorgt als aufgebracht.
»Sie möchte jemand anderen heiraten, Eddie«, erwiderte Jason. »Es wäre egoistisch von mir, ihr das zu ver-wehren, schließlich haben wir nie eine normale Ehe ge-führt, wie du weißt.«
Edward schüttelte den Kopf. »Du wußtest von Anfang an, daß das keine normale Ehe sein könnte. Ich habe dich damals gewarnt, daß es dir noch leid tun würde, daß es keinen Weg zurück gibt. Aber nein, du hast gesagt, es spielte keine Rolle, du hättest sowieso nie die Absicht gehabt zu heiraten.«
»Ja, du hast mich gewarnt«, gab Jason zu. »Und damals spielte es auch wirklich keine Rolle. Aber kann man mich
ewig
für
eine
Entscheidung
verantwortlich
machen, die ich in meiner Jugend getroffen habe, als ich mir Sorgen um die Erziehung der beiden Kinder machte?«
»Sie wünscht die Scheidung, nicht du, und sie sollte es wirklich besser wissen«, beharrte Edward.
Anthony saß grinsend da und verfolgte das Wortgefecht der beiden älteren entzückt. James hatte die Arme verschränkt und sah so unbeteiligt aus wie immer. Edward war die Röte ins Gesicht gestiegen, so sehr erregte ihn das Thema. Er konnte ihn wohl nur noch beruhigen, indem er ihm noch etwas mehr vom wahren Sach-verhalt erzählte.
»Sie hat einen Liebhaber, Eddie. Das hat sie zugegeben.
Und sie will ihn heiraten.«
Anthony blinzelte. »Frances hat was? O mein Gott, das ist stark«, und wieder brach er in lautes Gelächter aus.
»Halt dich bitte zurück, mein Lieber«, sagte James zu Anthony. »So lustig ist das Ganze nun auch wieder nicht.«
»Aber Frances? Seine Frances? Ich kann es mir einfach nicht vorstellen«, erwiderte Anthony. »Sie ist so ein schüchternes Mäuschen. Wer hätte gedacht, daß sie jemals den Mumm dazu hat ... Na, bei Jasons Temperament war es verdammt mutig von ihr, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und es ihm vor allem auch noch zu gestehen. Ich kann es wirklich nicht glauben, wirklich nicht.«
Da es in der Tat schwer zu glauben war, blickte James wieder Jason an, damit dieser es bestätigte. Jason nickte und sagte: »Doch, es stimmt. Ich war selber schockiert, wie ihr euch vorstellen könnt. Aber nachdem ich es verdaut hatte, konnte ich ihr eigentlich keinen Vorwurf machen, daß sie mir untreu war, schließlich habe ich nie ... Nun ja, sie hat nie wirklich eine Ehe mit mir ge-führt.«
»Jason, das leuchtet mir nicht ein«, erwiderte Edward immer noch stirnrunzelnd. »Der Bund der Ehe wird oft von beiden ignoriert, aber deswegen läßt man sich doch nicht scheiden, zumindest nicht in unseren Kreisen.«
»Ganz stimmt das nicht«, erwiderte Jason. »Es hat durchaus schon Scheidungen in der Gesellschaft gegeben, sie sind nur selten.«
»Mein Vater weiß durchaus, daß man nach einer Scheidung
häufig
gesellschaftlich
geächtet
wird«,
meldete
sich Derek endlich zu Wort. »Ich halte es für ziemlich anständig von ihm, daß er seiner Frau gibt, was sie will.«
Jason lächelte seinem Sohn zu, er war unendlich erleichtert. Er hatte sich schließlich einzig und allein um Dereks Meinung ziemliche Sorgen gemacht.
»Jetzt komm, Eddy«, sagte James. »Selbst der Junge sieht, daß das alte Pferd genug geprügelt worden ist.«
Zu Jason gewandt, meinte er: »Du hättest von Anfang an klarmachen sollen, daß es hier nicht um eine Ab-stimmung geht, sondern daß du deine Entscheidung getroffen hast. Dein Problem ist, daß du immer zuviel Gewicht auf die öffentliche Meinung gelegt hast. Aber solange du richtig findest, was du tust, geht es doch eigentlich niemanden etwas an, oder?«
»Diesen Luxus kann sich nicht jeder von uns erlauben«, verwies ihn Jason. »Schließlich müssen wir in und mit der Gesellschaft leben. Aber wie du bereits gesagt hast, ich habe meine Entscheidung getroffen, und sie wird heute gültig. Ich danke dir, James, daß du mir zur Seite stehst.«
»Du meine Güte, habe ich das wirklich getan?« rief James mit gespielter Überraschung aus. »Komm, Tony, laß uns zu Knighton’s gehen, dann kannst du mir wieder ein bißchen Verstand einprügeln, anscheinend habe ich ihn heute früh verlegt.«
Anthony
grinste.
»Wahrscheinlich
ist
es
Jason
so
schwergefallen, uns diese Neuigkeit mitzuteilen, wie sie für dich zu verdauen war, aber ich bin immer gerne bereit, dir etwas Verstand einzuprügeln.«
»Das bezweifle ich nicht«, schnaubte James.
Jason lächelte seinen beiden jüngeren Brüdern liebevoll nach, als sie das Zimmer verließen. Dann fing er Edwards mißbilligenden Blick auf und seufzte.
»Du machst einen Fehler, Jason.«
»Es ist hinreichend bekannt, daß du so denkst. Ich sehe es lieber als Korrektur eines Fehlers, den ich vor langer Zeit gemacht habe.«