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Am Weihnachtsabend bat Derek noch einmal, daß Kelsey ihn heiraten solle. Er hatte die Familie früh verlassen, um zu ihr zu gehen. Er schenkte ihr Wein ein. Er heiterte sie mit Dutzenden von kleinen Geschenken auf, albernen Sachen, die sie zum Lachen brachten, wie ein übergroßer Fingerhut, ein Hut mit drei Fuß langen Federn, Glöckchen für ihre Zehen. Den Verlobungsring hob er sich bis zuletzt auf.
Die Gelegenheit hätte nicht vollkommener sein können. Und die Frage – »Kelsey, willst du mich heiraten?«
– rief keinen Wutanfall hervor. Sie wandte sich ihm zu und umarmte ihn. Sie küßte ihn lange. Doch dann nahm sie sein Gesicht in beide Hände und sagte: »Nein.«
Dieses Mal hatte er diese Antwort wirklich nicht erwartet, deshalb hatte er auch keine Gegenargumente parat.
Er brachte lediglich hervor: »Warum? Wenn du wieder von einem Skandal redest, schüttele ich dich durch.«
Sie lächelte ihn an. »Du weißt doch, daß es einen Skandal geben würde, und zwar einen sehr großen.«
»Ist dir immer noch nicht klar, daß mir das verdammt gleichgültig ist?«
»Das sagst du jetzt, Derek, aber was wird später sein, wenn es wirklich soweit ist? Und was ist mit deiner Familie, die doch auch betroffen wäre? Sie hätten doch bestimmt auch einiges dazu zu sagen, wenn sie in einen solchen Skandal hineingezogen würden.«
Das brachte ihn auf die Idee, seine Familie ganz einfach vor der Zeit einzuweihen. Sein Vater hatte gerade seine Scheidung verkündet. Derek konnte seine Heiratspläne bekanntgeben – und herausfinden, woher der Wind wehte.
Er beschloß, daß das Weihnachtsessen der perfekte Zeitpunkt dafür wäre, da sich dann alle im gleichen Raum versammelt hätten. Die Stimmung war festlich. Es wurde viel gelacht. Aber Derek brachte es nicht über sich, weil er das Gefühl hatte, daß zumindest einigen von ihnen der Tag dadurch verdorben würde.
Am nächsten Tag zögerte er jedoch nicht mehr. Es war wieder beim Abendessen. Dieses Mal waren nicht alle anwesend. Diana und Clare waren am Morgen mit ihren Männern nach Hause gefahren. Ihr Bruder Marshall besuchte einen Freund in der nächsten Grafschaft und war noch nicht zurückgekommen. Und Tante Roslynn war oben und kümmerte sich um Judith, die sich eine Erkältung eingefangen hatte. Aber das war in Ordnung. Es machte nicht soviel aus, wenn ein paar Familienmitglieder fehlten.
Der Rest der Familie war jedenfalls versammelt, und wieder war die Stimmung hervorragend. Die Frauen un-terhielten sich über Festtagsrezepte, Babys und Mode.
James hatte ein paar Pfeile auf Warren abgeschossen, aber sein Schwager hatte nur gelacht, und auch James schien darüber nicht allzu verärgert zu sein. Nicholas und Jeremy stritten sich gutmütig wegen Nicks Hengst, der an diesem Tag alle Rennen verloren hatte.
Edward und Jason diskutierten über eine von Edwards neuen Investitionen. Sie hatten offenbar den Streit über die Scheidung beigelegt – was Derek als gutes Zeichen ansah. Das Nette an seiner Familie war, daß sich niemand nachtragend gab, zumindest nicht bei Familien-mitgliedern. Es hatte eine einzige Ausnahme gegeben, als man James zehn Jahre lang enterbt hatte, aber selbst das war friedlich beigelegt worden.
Bevor der Nachtisch aufgetragen wurde, stand Derek auf und sagte: »Darf ich für einen Augenblick um eure Aufmerksamkeit bitten? Ich möchte euch eine gute Nachricht mitteilen, oder zumindest halte ich es für eine gute Nachricht. Einige von euch denken vielleicht anders dar-
über, aber ...« Er zuckte mit den Schultern und blickte ans Tischende, wo sein Vater saß, bevor er hinzufügte:
»Ich habe beschlossen, Kelsey Langton zu heiraten.«
Jason starrte ihn ungläubig an, ihm fehlten die Worte.
Anthony hustete. James verdrehte die Augen. Jeremy hielt sie sich zu.
In das Schweigen, das auf seine Erklärung folgte, sagte Georgina: »Das ist ja wundervoll, Derek. Sie scheint ein äußerst nettes Mädchen zu sein.«
Und Tante Charlotte fragte: »Wann lernen wir sie kennen, Derek?«
Edward, der in Dereks Nähe saß, beugte sich vor und klopfte Derek auf den Rücken. »Das ist ja großartig, mein Junge. Ich weiß, daß Jason ungeduldig darauf gewartet hat, daß du endlich zur Ruhe kommst.«
Amy strahlte ihn über den Tisch hinweg an. »Warum hast du dich nicht ein bißchen früher dazu entschlossen? Wir hätten eine Doppelhochzeit feiern können.«
Jeremy kicherte und schüttelte gleichzeitig den Kopf.
»Ich möchte nicht in deinen Schuhen stecken, Cousin.«
Nicholas nickte zustimmend. »Er weiß doch hoffentlich, wie man ein tiefes Loch gräbt, oder?«
Reggie stieß ihrem Mann den Ellbogen in die Seite und flüsterte ihm zu: »Genau so romantisch hättest du damals sein müssen, als wir uns kennenlernten.«
Nicholas blickte sie stirnrunzelnd an, dann brach es aus ihm hervor: »Du meine Güte, wie hast du das denn herausgefunden?«
Die
anderen
warfen
ihm
neugierige
Blicke zu.
»Mach dir nichts draus«, flüsterte Reggie. »Aber ich finde es sehr tapfer von ihm, daß er sich über die Kon-ventionen hinwegsetzt und sich von seinem Herzen leiten läßt.«
»Das glaube ich dir.« Nicholas lächelte seine Frau an.
Derek hörte von alledem nichts, und er sagte auch nichts mehr. Er starrte immer noch seinen Vater an und wappnete sich für den zu erwartenden Wutausbruch.
Der kam jedoch nicht.
Jason sah wütend aus, daran bestand kein Zweifel, aber seine Stimme klang ganz ruhig, als er einfach nur sagte:
»Ich verbiete es.« Damit löste er einen Aufruhr aus.
»Du meine Güte, Jason, warum denn nur?« kam es von Charlotte.
»Klingt so, als wüßte er, wer das Mädchen ist, oder?«
sagte James zu Anthony.
»Das nehme ich auch an«, erwiderte Anthony.
Edward hatte das gehört und wiederholte: »Wer ist sie?
Wer ist sie denn?«
»Kelsey ist Percival Aldens Cousine«, warf Georgina hilfsbereit ein.
»Eigentlich ist sie überhaupt nicht mit Percy verwandt, George«, sagte James zu seiner Frau.
»Kann mir jemand erklären, was hier gespielt wird?«
fragte Travis verwirrt.
»Das möchte ich selber gerne wissen«, brummte sein Vater und blickte Jason an.
»Ich hielte es für angebracht, wenn du deiner Ankündigung noch etwas hinzufügst«, sagte Anthony vorwurfsvoll zu Derek. »Jetzt bist du schon so weit gegangen, jetzt kannst du auch noch den ganzen Rest ausspucken.«
Derek nickte knapp. »Es stimmt, daß Kelsey nicht Percys Cousine ist, wie einige von euch vermuten. Sie ist meine Mätresse.«
»O Gott«, seufzte Charlotte und trank einen Schluck Wein.
»Du meine Güte, bist du wahnsinnig geworden, Cousin?« fragte Travis ungläubig.
Und Amy sagte zu ihrem Bruder: »Männer haben immer schon ihre Mätressen geheiratet, vor allem, wenn die Lady ansonsten eine passende Partie ist.«
»Das ist hier aber nicht der Fall«, erläuterte Jeremy seiner Cousine.
Daraufhin seufzte Amy genau wie ihre Mutter: »O
Gott.«
»Ich finde, das macht keinen Unterschied«, meinte Georgina. »Wenn er eine ehrenhafte Frau aus ihr machen möchte, finde ich das in Ordnung.«
James verdrehte die Augen. »Du denkst wieder wie eine Amerikanerin, George.«
»Das hoffe ich doch«, verteidigte Warren seine Schwester und zwinkerte ihr zu.
»Vielleicht stört es da, wo du herkommst, niemanden«, bemerkte Anthony. »Aber hier tut man es einfach nicht.«
Warren zuckte die Schultern. »Dann soll er sie doch heiraten und mit ihr nach Amerika gehen, wo man so etwas durchaus tut. Vielleicht gefällt es ihm ja, die Fesseln der Konvention abzustreifen.«
»Das ist eine gute Idee«, stimmte Derek grinsend zu.
Natürlich würde er das nicht machen, aber ...
»Auch das verbiete ich«, sagte Jason.
»Nun, damit wäre alles klar, oder?« meinte James trocken, wobei natürlich gar nichts klar war.
Edward wies darauf hin, für den Fall, daß jemand die Ironie nicht verstanden hätte. »Er ist alt genug, Jason, und du kannst ihm nicht einfach etwas verbieten, so gerne du es auch tun möchtest. Warum versuchst du nicht, vernünftig mit ihm zu reden?«
Jason preßte die Lippen zusammen, nickte knapp, erhob sich und verließ das Zimmer. Derek seufzte. Jetzt kam der Teil, auf den er sich nicht gerade gefreut hatte.