21

»Bist du verheiratet?«

Derek blinzelte. Sie saßen noch nicht ganz in der Kutsche, als Kelsey ihn schon mit dieser Frage überfiel. Es war ihr durch den Kopf gegangen, seit sie heute morgen aufgewacht war, und obwohl es klüger gewesen wäre, diese Frage taktvoller zu formulieren, mußte sie sie einfach loswerden. Sie wußte nicht, wie lange sie bis zu ihrem Bestimmungsort fahren mußten, und sie wollte eine Antwort. Heute. Und sie bekam die Antwort, auf die sie gehofft hatte.

»Du lieber Himmel, nein!« rief er aus. »Und ich habe auch noch lange nicht vor, zu heiraten.« Ihre Erleichterung stand ihr so deutlich im Gesicht geschrieben, daß er hinzufügte: »Nein, nein, meine Liebe, du nimmst mich niemandem weg.«

»Auch nicht einer anderen Mätresse?«

Er schnaubte. »Das schon gar nicht. Ich habe es einmal mit einer Mätresse versucht, und es hat überhaupt nicht funktioniert. Ich wollte eigentlich nie mehr eine haben, aber, nun ja, die Umstände haben zu einer Sinneswand-lung geführt.«

»Die Umstände? Willst du damit sagen, daß du mich aus einem anderen Grund gekauft hast als dem, der auf der Hand liegt?«

»Na ja, eigentlich schon«, erwiderte er zögernd. »Ich konnte doch nicht zulassen, daß Lord Ashford dich bekommt, wo ich wußte, wie krankhaft pervers er ist.«

Kelsey schauderte innerlich, als sie merkte, von wem er redete. Mit Recht hatte sie gedacht, daß Ashford grausam aussähe. Offenbar war sie vor einem schlimmeren Schicksal bewahrt worden, als sie sich hatte vorstellen können. Und sie schuldete diesem Mann Dank dafür.

»Ich bin dir dankbar, sehr, sehr dankbar, daß du das gemacht hast.«

»Keine Ursache, meine Liebe. Ich weiß jetzt, daß ich mein Geld gut angelegt habe.«

Wie erwartet, errötete sie. Derek lächelte.

Kelseys Neugier war jedoch noch nicht befriedigt, deshalb fragte sie weiter: »Mir ist aufgefallen, daß du unsere – Verbindung geheimhalten willst. Du hast dich zumindest in Bridgewater so verhalten. Wenn du aber doch nicht verheiratet bist, machst du es dann deshalb, weil es dir einfach lieber so ist?«

»Nein, ganz so ist es nicht«, erwiderte er. »Meine beiden jüngeren Onkel haben sich beide ziemlich skandalös aufgeführt, weißt du. Die Skandale, in die sie ständig verwickelt waren, haben meinen Vater ordentlich auf die Palme gebracht. Ich bin mit den Strafpre-digten, die er seinen Brüdern dauernd gehalten hat, aufgewachsen. Das macht einen vorsichtig, oder weckt zumindest den Wunsch, ihm nicht noch mehr Kummer zu machen, was Skandale angeht.«

»Und ich wäre ein Skandal?«

»Nein, überhaupt nicht – zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Es geht mir mehr darum, meinen Namen aus dem ganzen Klatsch herauszuhalten. Mein Vater

möchte

noch

nicht

einmal

unseren

eigenen

Dienstboten Anlaß zu Klatsch geben, weißt du.«

Sie nickte lächelnd, weil sie ihn nur zu gut verstand. Sie war genauso zur Umsicht erzogen worden. Oft genug hatten ihre Eltern selbst im heftigsten Streit plötzlich geschwiegen, wenn einer der Dienstboten das Zimmer betrat.

»Es tut mir leid, wenn ich so neugierig bin. Ich habe mich nur gefragt, ob das eine Auswirkung darauf hat, wie oft du mich besuchst.«

Er runzelte die Stirn, weil er gar nicht mehr daran gedacht hatte, daß er in dieser Hinsicht vorsichtig sein müßte, wie er das auch bei seiner vorigen Mätresse gewesen war. Sie tagsüber abzuholen und mitzunehmen, war kein Problem. Wenn er sie aber regelmäßig zu einer bestimmten Zeit für einige Stunden besuchte, würden sich die Leute sicher Gedanken machen. Er wollte aber verdammt noch mal sein Zusammensein mit Kelsey nicht nur auf ein paar gestohlene Stunden beschränken.

Also antwortete er ausweichend: »Das weiß ich jetzt noch nicht so genau. Mir fällt im Moment niemand ein, der hier in der Gegend wohnt, also warten wir einfach ab. Aber du mußt dich nicht wegen deiner Fragen entschuldigen, Liebes. Wie sollen wir uns sonst besser kennenlernen? Ich habe auch ein paar Fragen an dich.«

»Es ist mir ein Vergnügen, sie zu beantworten – wenn ich kann.«

»Hervorragend. Dann sag mir, warum du mit deiner außergewöhnlich guten Erziehung nicht in die Fuß-

stapfen deiner Mutter getreten und ebenfalls Gouvernante geworden bist? Ich bedaure zwar nicht, daß du den jetzigen Weg eingeschlagen hast, aber ich möchte doch wissen, warum.«

Kelsey seufzte innerlich. Durch ihre Fragerei hatte sie ihm die Möglichkeit gegeben, seinerseits Fragen zu stellen. Nun ja, jetzt hatte er diese Frage gestellt, und darauf war sie in etwa vorbereitet.

»Ich bin zu jung, um als Gouvernante arbeiten zu können. Die meisten Eltern wollen ihre Kinder nur einer reiferen Frau anvertrauen.«

»Hattest du keine andere Möglichkeit?«

»Keine, durch die ich an eine annähernd große Summe Geld gekommen wäre, um meine Schulden zu bezahlen.«

Er runzelte die Stirn. »Wie zum Teufel kommt jemand, der so jung ist wie du, an fünfundzwanzigtausend Pfund Schulden?«

Sie lächelte ein wenig. »Keine Ahnung. Es waren nicht meine Schulden, und sie waren auch nur halb so hoch.«

»Dann hast du einen ordentlichen Gewinn gemacht.«

»Nein, von dem Geld habe ich nichts bekommen. Der Besitzer des Hauses hat einen großen Teil der Summe dafür eingesteckt, daß er die Versteigerung arrangiert hat, und der Rest ... nun ja, wie ich schon sagte, davon mußten die Schulden bezahlt werden.«

Sie hoffte, er würde es dabei belassen, aber das tat er natürlich nicht. »Für wessen Schulden mußtest du ein-stehen?«

Sie konnte lügen oder die Frage nicht beantworten, wie sie es auch früher schon getan hatte. Aber sie wollte ihn nicht mehr anlügen, deshalb griff sie auf ihre frühere Ausrede zurück.

»Das ist eine Privatangelegenheit, über die ich nicht sprechen möchte, wenn es dir nichts ausmacht.«

Sie sah ihm an, daß es ihm doch etwas ausmachte, und er ließ das Thema auch nicht gänzlich fallen. »Lebt deine Mutter noch?«

»Nein.«

»Dein Vater?«

»Nein.«

»Und andere Verwandte hast du nicht?«

Sie wußte, daß er versuchte, dahinterzukommen, wem sie das Geld gegeben haben könnte, aber das durfte sie nicht zulassen, deshalb sagte sie: »Derek, bitte, das Thema ist mir sehr unangenehm. Ich möchte lieber nicht darüber sprechen.«

Er seufzte und gab auf – wenigstens für dieses Mal. Sich zu ihr hinüberbeugend, tätschelte er ihr die Hand.

Wenn er sie jedoch damit hatte trösten wollen, so schien ihm das nicht auszureichen, denn er zog sie auf seinen Schoß.

Kelsey zuckte leicht zusammen, weil ihr einfiel, was das letzte Mal passiert war, als sie so dagesessen hatte. Aber Derek legte nur die Arme um sie und lehnte seine Wange an ihre Stirn. Sie saß da, eingehüllt von seinem angenehmen Duft, und spürte den beruhigenden, regelmäßigen Schlag seines Herzens.

»Ich habe das Gefühl, mein Liebling, daß wir beide uns sehr nahekommen werden«, sagte er ganz leise. »Und eines Tages wird es dir dann bestimmt nicht mehr schwerfallen, mir alles zu erzählen. Ich bin ziemlich geduldig, weißt du. Aber du wirst noch merken, daß ich auch ziemlich entschlossen sein kann.«

Hieß das mit anderen Worten, daß in naher Zukunft die gleiche Diskussion wieder stattfinden würde?

»Habe ich dir schon für die Kutsche gedankt, die du mir geschickt hast?« fragte sie ihn.

Er brach in Lachen aus, weil sie so hastig das Thema wechselte.