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Die Köchin traf ein, kurz nachdem Derek gegangen war. Und obwohl Kelsey nur ein kurzes Gespräch mit der Frau führte, wußte sie, daß sie großartig miteinander auskommen würden.

Alicia Whipple gab sich nicht übertrieben vornehm, er-klärte, sie kümmere sich grundsätzlich nur um ihre eigenen Dinge, und nachdem Kelsey ihr verlegen er-klärt hatte, sie würde abends einen Herrn empfangen, versicherte Alicia ihr, daß sie das nichts anginge.

Ihre Situation war ein Problem. Sie bezweifelte nicht, daß einige Dienstboten sich weigern würden, für jemanden wie sie zu arbeiten, aus Angst um den eigenen guten Ruf.

Manche Dienstboten hatten ihren Stolz, was ihren Dienstherrn anging, und niemand konnte stolz darauf sein, für die Mätresse eines Lords zu arbeiten. Anderen allerdings

würde

es

sicher

nichts

ausmachen,

sie

brauchten einfach nur die Arbeit, und unter diesen würde sie sicher jemanden finden.

Gegen Mittag kam ein Kutscher mit seinem Wagen, jedoch nicht der Dereks. Er teilte ihr mit, daß er jetzt in ihren Diensten stünde, und erklärte ihr, wo er die Kutsche und die Pferde unterstellen würde – zu dem Stadthaus gehörte kein eigener Stall – und wo sie ihn erreichen konnte, wenn er sie brauchte. Das brachte ihr zu Bewußtsein,

daß

sie

mindestens

einen

Lakaien

benötigte, und dabei hatte sie geglaubt, sie käme mit weniger Personal aus.

Am Nachmittag machte sie zum ersten Mal Gebrauch von der Kutsche. Nach einigem Nachdenken, und vor allem nach dem süßen Kuß, mit dem Derek sie verlassen hatte, beschloß sie, den Abend ein wenig romantisch zu gestalten. Sie stellte mit Alicia ein nettes Abendessen mit Wein zusammen und gab ihr reichlich Geld, um alles Notwendige einzukaufen.

Gott sei Dank hatte Derek ihr mehr zurückgelassen als nur den Kuß. Es stellte sich heraus, daß er ihr fast hundert Pfund gegeben hatte, und dabei hatte er einfach nur gesagt: »Das sollte fürs erste reichen.« In der Tat. Große Haushalte konnten mit viel weniger geführt werden, und ihr Haushalt war nur klein.

Sie überließ das Einkaufen der Lebensmittel Alicia, tätigte jedoch selber auch ein paar Einkäufe. Es dauerte eine ganze Weile, bevor sie das fand, was sie suchte, weil sie sich in London nicht auskannte. Letztendlich mußte sie ihre Wünsche dem Kutscher erläutern, und dann fanden sie endlich einen Laden, in dem es ausgefallene Negligés gab. Und obwohl sie bisher noch nie etwas auch nur annähernd Vergleichbares besessen hatte –

ihre Schlafgewänder waren allesamt warm und zweck-dienlich –, so versicherte ihr die Frau, die ihr das Ensemble

mit

passendem

Morgenrock

und

Slippers

verkaufte, daß heutzutage alle Bräute in ihrer Hochzeitsnacht solche Negligés trügen.

Ob das nun stimmte oder ob die Frau Kelseys Zögern gespürt und das Gewand nur unbedingt hatte verkaufen wollen, wußte sie nicht, es war ihr aber auch gleichgültig. Das Negligé entsprach genau ihren Vorstellungen, und daher war sie äußerst zufrieden mit ihrem Kauf.

Jetzt mußte sie sich nur noch trauen, es zu tragen, wenn die Zeit gekommen war ...

Derek hatte ihr nicht gesagt, wann er am Abend zurückkommen würde. Sie hätte ihn fragen sollen, aber es war auch nicht so schlimm, daß sie es nicht wußte, zumindest meinte Alicia das. Adlige waren es schließ-

lich gewöhnt, zu ungewöhnlichen Zeiten zu essen, je nachdem, welches Fest sie besuchten, und Essen konnte warm gehalten werden.

Er kam jedoch früher, als sie gedacht hatte, kurz nach Sonnenuntergang. Was sie nicht wissen konnte, war, daß er sich selbst dazu hatte zwingen müssen, ihr etwas Zeit für sich zu lassen, so begierig war er darauf, die Beziehung endlich zu beginnen. Das allerdings sagte er zum Glück nicht, sie war auch so schon nervös genug.

Es hätte sie um den Verstand gebracht, wenn sie gewußt hätte, daß er am liebsten direkt mit ihr ins Bett gegangen wäre.

Statt dessen war er ganz Gentleman und verriet ihr mit keinem Wort oder Blick, was er in Wirklichkeit dachte.

Er kam mit Blumen – ganz unnötig, aber sehr aufmerksam. Indem sie sie in eine Vase stellte, kam Kelsey leichter über die ersten peinlichen Augenblicke hinweg.

Er war recht formell angezogen, aber ihr war klar, daß sein

Kammerdiener

ihn

abends

wahrscheinlich

ohne

passende Kleidung nicht aus dem Haus ließ. Sein Halstuch war perfekt geschlungen, und an den Ärmelauf-schlägen seiner dunkelbraunen Jacke, die seine breiten Schultern betonte, blitzte weiße Spitze hervor. Er sah umwerfend gut aus, und sie kam sich in seiner Gegenwart sehr linkisch vor.

Sie hatte ihre Haare heute abend nur ein wenig modischer frisiert, aber besser konnte sie es alleine nicht. Leider hatte sie auch keine elegante Kleidung dabei, nur ihre paar Reisetageskleider und ein Kleid, das sie jetzt trug, und das auch für einen zwanglosen Abend geeignet war. Aber besonders elegant war es nicht.

Es war im Empirestil aus rosa Taft gefertigt, mit kurzen Puffärmeln, die abends gerne getragen wurden; das Ganze war allerdings für London etwas zu brav, da der Ausschnitt bei weitem nicht so tief war, wie zur Zeit modern. Es hatte auch nichts Elegantes, wurde weder durch Spitze noch durch modische Applikationen verschönert, doch Derek schien seine Augen nicht von ihr abwenden zu können.

Vor dem Essen nahmen sie den Aperitif gemeinsam im Salon ein. Kelsey hatte nur an Wein gedacht, aber Alicia hatte die Vorräte im Haus überprüft, bevor sie einkaufen gegangen war, und hatte glücklicherweise noch einige zusätzliche Dinge bereitgestellt.

Derek sorgte für ein angenehm dahinplätscherndes Gespräch, nachdem sie sich ins Eßzimmer begeben hatten.

Er erzählte von einem Hengst, den sein Freund Percy diese Woche gekauft hatte und auf den er große Hoff-nungen für die Rennsaison setzte. Er sprach von seiner Schulzeit, seinem besten Freund, Nicholas Eden, und wie sie sich kennengelernt hatten. Dann erwähnte er seine Familie, zumindest seine Cousine Regina, die Nicholas geheiratet hatte, und seinen Onkel Anthony, dem er heute dabei zugesehen hatte, wie er einen Kon-kurrenten in Knighton’s Hall niedergemacht hatte, was immer das auch bedeuten sollte.

Glücklicherweise hielt er das Gespräch mit Anekdoten über sich selbst in Gang, weil sie ihm über sich nicht viel erzählen konnte, ohne zu lügen oder die Wahrheit zu verschweigen.

Noch

gab

es

allerdings

auch

keine

gemeinsamen Erlebnisse, die zu Diskussionen hätten führen können – nichts war irgendwie beunruhigend.

Beim Dessert klärte er endlich das Geheimnis um die Geschehnisse in Bridgewater auf. »Das Mädchen, das dir die notwendigen Dinge ins Cottage bringen sollte, ist entlassen worden.«

»Weil sie den Auftrag nicht ausgeführt hat?«

»Nein, schon bevor ich ihr die Anweisung gegeben habe. Deshalb hat sie sich auch nicht mehr darum gekümmert und es auch keinem anderen mehr gesagt.

Sie war wütend auf die Haushälterin wegen ihrer Ent-lassung, und deshalb hat sie einfach ihre Sachen gepackt und ist gegangen.«

»Dann muß ich mich bei Ihnen entschuldigen.«

»Nein, ganz bestimmt nicht«, versicherte er ihr.

Sie schüttelte den Kopf. »Doch, natürlich. Ich habe Sie für gedankenlos und rücksichtslos gehalten – und ich habe Ihren Brief ins Feuer geworfen und mir ge-wünscht, das könnte ich mit Ihnen machen.«

Er starrte sie ungläubig an und brach dann in lautes Lachen aus. Kelsey errötete. Sie hatte ihm das nur gestanden, um ihre Entschuldigung zu erklären. Was er jedoch daran so lustig fand, wurde ihr erst klar, als er sagte:

»Du

bist

ganz

schön

temperamentvoll.

Das

würde man gar nicht vermuten, wenn man dir so zuhört.«

»Vermutlich bin ich das, ich bin bisher allerdings auch nur selten so provoziert worden«, gab sie zu. »Es liegt wohl bei mir in der Familie, zumindest auf der Seite meiner Mutter.«

Das war untertrieben. Die Leute hielten nämlich das Temperament ihrer Mutter für etwas zu hitzig, wenn man bedachte, daß sie ihren Ehemann bei einem ihrer Zornausbrüche

umgebracht

hatte,

unabsichtlich

zwar,

aber immerhin.

Sie blickte ihn unter langen Wimpern an. »Macht es Ihnen etwas aus?«

»Nicht so sehr. Auch in meiner Familie gibt es einige Hitzköpfe, deshalb bin ich daran gewöhnt.« Dann lächelte er. »Und ich glaube nicht, daß ich dein Temperament allzuoft herausfordern werde.«

Sie lächelte zurück. Was für eine nette, subtile Art, ihr zu sagen, daß er ihr keinen Anlaß geben wollte, Fehler an ihm zu finden. Sie war froh, daß sie sich angestrengt hatte, diesen Abend besonders zu gestalten. Und wenn sie ihn so ansah, konnte sie sich gar nicht vorstellen, wie sie auf den Gedanken hatte kommen können, daß etwas, das mit ihm zusammenhing, schmutzig sein könnte.

Wahrscheinlich lag es daran, daß das, was sie tun würden, eine Sünde war, aber daran durfte sie jetzt nicht denken. Sie hatte einen Handel abgeschlossen, um ihre Familie vor dem Ruin zu bewahren, und sie konnte unendlich dankbar dafür sein, daß gerade Derek Malory sie gekauft hatte.

Wahrscheinlich würden sich viele Frauen an ihrer Stelle glücklich schätzen. Vielleicht würde sie selbst es nach heute nacht auch so sehen. Allerdings mußte sie die Nacht erst einmal überstehen – beziehungsweise das, was oben passieren würde. Gleich passieren würde. Sie hatten ein nettes Abendessen miteinander eingenom-men, und sie hatte sich ein wenig Mut angetrunken. Ein bißchen konnte sie es noch hinauszögern, aber das würde es auch nicht leichter machen, sondern ihre Nervosität nur noch steigern.

Also sagte sie errötend: »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich mich jetzt zurückziehen, um mich zum Schlafen etwas ... leichter zu kleiden.«

»O ja, natürlich. Bitte.«

Sie blinzelte, weil ihr jetzt erst auffiel, wie begierig er darauf war, sie ins Bett zu bekommen. Sein Eifer ließ eine eigentlich angenehme Wärme in ihr aufsteigen –

und trieb ihr noch heftigere Röte auf die Wangen.

Sie erhob sich. »Ich sehe Sie dann gleich – oben.«

Als sie an ihm vorbeiging, ergriff er ihre Hand und führte sie an die Lippen. »Du bist nervös, meine Liebe.

Das brauchst du nicht. Wir werden unseren Spaß miteinander haben, das verspreche ich dir.«

Spaß? Er hielt körperliche Liebe für einen Spaß? Man stelle sich das vor! Sie konnte jedoch nur nicken, ihre Kehle war wie zugeschnürt. Am liebsten hätte sie geweint. Wenn es doch nur schon vorbei wäre. Am liebsten hätte sie ihren Onkel Elliott erschossen, weil er sie in dieses Haus gebracht hatte, wo sie ihre Hochzeitsnacht erleben würde – ohne Hochzeit. Nur tief im Innern

wollte

sie

Derek

Malorys

Küsse

wieder

schmecken. Du lieber Himmel, sie wußte gar nicht mehr, was sie eigentlich wollte.