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Lady Frances trat auf ihren Mann zu. Sie zitterte fast vor lauter Nervosität, aber sie zögerte nicht. Mit Hilfe ihres lieben Oscars hatte sie die Entscheidung getroffen, Jason endlich ein volles Geständnis abzulegen –

oder ihm zumindest das zu gestehen, was er noch nicht selbst erraten hatte.

Es war an der Zeit, daß ihre Farce von einer Ehe endlich zu einem Ende kam. Sie hatte ihn von Anfang an nie heiraten wollen, die Vorstellung allein hatte sie entsetzt, und ursprünglich hatte sie seinen Antrag auch rundweg abgelehnt. Er war ein Bulle von einem Mann, streng, heißblütig, abscheulich körperbetont – mit einem Wort: angsterregend. Und sie hatte sehr wohl gewußt, daß sie nicht zueinander paßten. Aber ihr Vater hatte sie trotzdem gezwungen, ihn zu heiraten. Er hatte die Verbindung mit den Malorys gewollt, aber dann hatte er nicht mehr lange genug gelebt, um sich daran zu erfreuen.

Die achtzehn Jahre ihrer Ehe waren so unerträglich gewesen, wie sie es vorhergesehen hatte. Wenn Frances mit ihrem Ehemann zusammen war, lebte sie in ständiger Angst. Er hatte sie zwar nie körperlich verletzt, aber sie wußte ja, daß er zur Gewalttätigkeit neigte, und allein deswegen lagen ihre Nerven blank. Und immer regte er sich über irgend etwas auf, das ihm mißfiel, ob es nun einer seiner Brüder war, ein politisches Thema, mit dem er nicht übereinstimmte, oder einfach nur das Wetter. Da war es nicht weiter verwunderlich, daß sie Entschuldigungen erfand, um ihn meiden zu können.

Ihre Hauptentschuldigung war ihre schwache Gesundheit gewesen, was Jason zu der Annahme geführt hatte, sie sei kränklich. Seine ganze Familie dachte das. Es half ihr, daß sie so dünn war, und auch ihre äußerst helle Haut, die man leicht für Blässe halten konnte, erwies sich im Hinblick darauf als nützlich. Dabei war sie eigentlich völlig gesund. Man konnte sogar so weit gehen zu behaupten, sie habe eine Roßnatur. Sie hatte es Jason nur nie gesagt.

Jetzt aber wollte sie die Wahrheit nicht länger verbergen. Sie wollte nicht mehr mit einem Mann verheiratet sein, den sie nicht ertragen konnte, vor allem jetzt, wo sie jemanden gefunden hatte, den sie lieben konnte.

Oscar Adams war das genaue Gegenteil von Jason Malory. Er war nicht sehr groß – eigentlich sogar klein –

und nicht im mindesten muskulös. Er war ein lieber, sanfter Mann mit leiser Stimme, der gelehrte Themen körperlichen Belangen vorzog.

Sie hatten sehr viel gemeinsam, und vor fast drei Jahren hatten sie ihre Liebe zueinander entdeckt. Bisher hatte Frances sich allerdings nicht getraut, Jason mit dieser Tatsache zu konfrontieren. Und was gab es für einen besseren Zeitpunkt, um eine schlechte Ehe zu beenden, als den Tag, an dem eine andere, glücklichere Ehe gerade begann?

»Jason?«

Er hatte ihre Ankunft gar nicht bemerkt, da er gerade mit seinem Sohn Derek redete. Beide wandten sich ihr zu und lächelten, als sie sie begrüßten. Dereks Lächeln kam von Herzen, sie zweifelte jedoch nicht daran, daß Jasons Freundlichkeit unaufrichtig war. Sie hegte überhaupt keinen Zweifel daran, daß er ihre Gesellschaft genauso wenig schätzte wie sie die seine. Eigentlich müßte er äußerst erfreut sein über das, was sie ihm mitteilen wollte. Und sie würde es nicht mit müßigem Geplauder hinauszögern.

»Kann ich ein Wort unter vier Augen mit dir sprechen, Jason?«

»Natürlich,

Frances.

Genügt

dir

Edwards

Arbeits-

zimmer?«

Sie nickte und ließ sich von ihm aus dem Zimmer führen.

Ihre Nervosität wuchs. Eigentlich war das ein dummer Vorschlag von ihr gewesen. Es hätte gereicht, wenn sie einfach nur beiseite getreten wären. Sie hätten ja im Flü-

sterton darüber reden können. Niemand wäre etwas aufgefallen, und die anderen Gäste hätten Jason zumindest davon abgehalten, einen Wutausbruch zu bekommen.

Aber jetzt war es zu spät. Er schloß bereits die Tür zum Arbeitszimmer seines Bruders. Frances eilte quer durch den Raum und schob einen der schweren gepolsterten Stühle zwischen sich und ihn. Als sie ihn jedoch anblickte, blieben ihr die Worte im Hals stecken, weil er ironisch eine Augenbraue hochzog. Und obwohl er erfreut sein müßte über das, was sie ihm sagen wollte, konnte man Jason Malorys Reaktionen nie vorhersagen.

Sie holte tief Luft, bevor sie die Worte aussprach. »Ich möchte die Scheidung.«

»Die was?«

Sie richtete sich auf. »Du hörst hervorragend, Jason.

Laß es mich nicht noch einmal wiederholen, nur weil es mir gelungen ist, dich zu überraschen. Wir waren schließlich nie wirklich verheiratet.«

»Das spielt keine Rolle, Madam. Und ich bin nicht überrascht, sondern kann es einfach nicht glauben, daß du so etwas überhaupt vorschlägst.«

Zumindest brüllte er nicht – noch nicht. Und auch sein Gesicht war nur leicht gerötet.

»Das war kein Vorschlag«, sagte sie und wappnete sich gegen seinen Wutausbruch. »Es war eine Forderung.«

Wieder brachte sie ihn aus der Fassung. Einen Augenblick lang starrte er sie ungläubig an. Und dann zog er die Brauen zusammen, auf eine Art und Weise, die ihr schon immer auf den Magen geschlagen war. Auch dieses Mal war es so.

»Du weißt so gut wie ich, daß eine Scheidung nicht in Frage kommt. Du stammst aus einer guten Familie, Frances. Und du weißt verdammt genau, daß es in unseren Kreisen keine Scheidungen gibt .. «

»Natürlich gibt es sie«, verbesserte sie ihn. »Sie sind nur skandalös. Und Skandale sind doch für deine Familie nichts Neues. Deine jüngeren Brüder haben jahrelang einen nach dem anderen hervorgerufen, als sie noch London unsicher machten. Und auch über dich haben sie sich die Mäuler zerrissen, als du verkündet hast, daß dein illegitimer Sohn dein Erbe wird.«

Sein Gesicht wurde jetzt deutlich röter. Er konnte es nicht ausstehen, wenn sie seine Familie kritisierte, das hatte er noch nie gemocht. Und zu sagen, daß die Malorys in zahlreiche Skandale verwickelt waren, konnte als Kritik aufgefaßt werden.

»Es wird keine Scheidung geben, Frances. Du kannst dich meinetwegen weiter in Bath verstecken, wenn du das vorziehst, aber du wirst meine Frau bleiben.«

Sie wurde wütend, weil das so typisch für ihn war. »Du bist der rücksichtsloseste, gemeinste Mensch, den ich je kennengelernt habe, Jason Malory. Ich möchte endlich mein eigenes Leben führen! Was kümmerst du dich schon um mein Wohlergehen? Deine Mätresse lebt mit dir unter einem Dach, eine Frau von niederer Herkunft, die du selbst dann nicht heiraten könntest, wenn du frei wärst, ohne einen viel größeren Skandal hervorzurufen, als ihn eine Scheidung mit sich bringen würde. Also spielt es für dich natürlich keine Rolle, wenn sich nichts ändert ... Warum siehst du mich so an? Hast du allen Ernstes geglaubt, ich wüßte nichts von Molly?«

»Und du hast wohl erwartet, ich bleibe keusch, wenn du kein einziges Mal in mein Bett kommst?«

Frances’ Gesicht glühte jetzt vor Scham, aber sie würde nicht zulassen, daß er ihr die Schuld für ihre katastrophale Ehe ganz allein aufbürdete. »Du brauchst nicht nach Entschuldigungen zu suchen, Jason. Molly war schon deine Geliebte, bevor du mich geheiratet hast, und du hattest von Anfang an die Absicht, sie auch danach zu behalten, wie du es ja auch getan hast. Mich hat das ganz bestimmt nie gestört, falls du das denken solltest. Im Gegenteil. Was mich betraf, so war ich sehr froh über ihre Gegenwart.«

»Wie großzügig von dir, meine Liebe.«

»Du brauchst gar nicht ironisch zu werden. Ich liebe dich nicht. Ich habe es noch nie getan. Und das weißt du auch ganz genau.«

»Das gehörte auch gar nicht zu unserer Vereinbarung.«

»Nein, natürlich nicht«, stimmte sie zu. »Und genau das war ja auch unsere Ehe immer für dich – eine Vereinbarung. Nun, und jetzt möchte ich sie auflösen. Ich habe jemanden kennengelernt, den ich wirklich liebe und den ich heiraten möchte. Und untersteh dich, mich zu fragen, wer er ist. Es sollte dir ausreichen, daß er ganz anders ist als du.«

Schon wieder war es ihr gelungen, ihn zu überraschen.

Sie wünschte, sie hätte Oscar heraushalten können, aber dadurch, daß sie ihn erwähnt hatte, begriff Jason zumindest, wie ernst es ihr war. Er sah immer noch nicht so aus, als ob er Vernunft annehmen würde. Natürlich, wie sollte er, so stur und verbohrt, wie er nun einmal war. Aber ihren letzten Trumpf hatte sie noch gar nicht ausgespielt. Eigentlich hatte sie gehofft, daß sie ihn nicht brauchen würde. Erpressung war schließlich etwas höchst Widerwärtiges. Aber sie hätte es besser wissen müssen, und außerdem wollte sie so dringlich aus dieser Ehe heraus, daß ihr jedes Mittel recht war –

einschließlich Erpressung.

»Ich habe dir gerade einen hervorragenden Grund gegeben, dich von mir scheiden zu lassen, Jason«, sagte sie ruhig.

»Du hast mir nicht zugehört...«

»Nein, du hast nicht zugehört. Ich wollte eigentlich nicht gemein werden, aber du läßt mir keine andere Wahl. Gib mir die Scheidung — oder Derek wird erfahren, daß seine Mutter gar nicht tot ist. Er wird erfahren, daß sie äußerst lebendig und die ganze Zeit über in Haverston gewesen ist – und in deinem Bett. Alle werden dein wohlgehütetes Geheimnis erfahren, Jason, wenn du nicht vernünftig bist. Welchen Skandal würdest du also vorziehen?«