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»Ich weiß immer noch nicht, was wir hier sollen«, murmelte Lord Percival Alden. »Bei Angela ist es mindestens genauso nett, es wäre nach dem Dinner bei White’s genauso nah gewesen, und ihre Mädchen sind an normale Ausschweifungen durchaus gewöhnt.«
Derek
Malory
schmunzelte
und
zwinkerte
seinem
Cousin Jeremy zu, während sie ihrem Freund ins Foyer folgten. »Gibt es so was wie normale Ausschweifungen? Klingt wie ein Widerspruch in sich, was?«
Percy gab manchmal die ungewöhnlichsten Dinge von sich, aber er war, wie Nicholas Eden, einer von Dereks engsten
Freunden
seit
der
Schulzeit,
und
deshalb
konnte
man
ihm
seine
gelegentlichen
sprachlichen
Fehltritte verzeihen. Nick war jetzt nur noch selten mit ihnen zusammen, und seit er mit Dereks Cousine Regina verbandelt war, hielt er sich ganz bestimmt nicht mehr an Orten wie diesem auf. Derek war zwar entzückt davon, daß Nick jetzt zu seiner Familie gehörte, aber es war seine feste Überzeugung, daß man mit dem Heiraten warten sollte, bis man dreißig war, und das war bei ihm noch fünf lange Jahre weit entfernt.
Seine beiden jüngsten Onkel, Tony und James, waren perfekte Beispiele für die Klugheit dieser Überzeugung.
Sie waren zu ihrer Zeit Londons bekannteste Herzensbrecher gewesen, hatten sich lange und gründlich aus-getobt und sich beide erst mit Mitte dreißig niedergelas-sen und Familien gegründet. Daß es Jeremy gab, James’
unehelichen
achtzehnjährigen
Sohn,
wurde
nicht
als
frühe Familiengründung betrachtet, da er ohne das Sa-krament der Ehe gezeugt worden war – genau wie Derek. Außerdem hatte Onkel James in Jeremys Fall erst vor ein paar Jahren von dessen Existenz erfahren.
»Oh, ich weiß nicht«, bemerkte Jeremy ernsthaft, »ich bin so ausschweifend wie jedermann, und ich bleibe dabei ganz normal.«
»Du weißt, was ich meine«, erwiderte Percy und blickte sich aufmerksam im Foyer um, als ob er erwartete, der Teufel persönlich könne erscheinen. »Hier verkehren ein paar reichlich seltsame Typen.«
Derek zog die Augenbrauen hoch und erwiderte: »Ich bin jetzt ein paarmal hiergewesen, Percy, um zu spielen und mich in einem der oberen Zimmer zu zerstreuen –
mit der Bewohnerin des Zimmers. Mir ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Und ich kenne die meisten Männer hier.«
»Ich habe ja nicht gesagt, daß alle hier seltsam sind, alter Junge. Natürlich nicht. Schließlich sind wir auch hier, oder?«
Jeremy konnte nicht widerstehen. »Du meinst, wir sind nicht
seltsam?
Zum
Teufel,
ich
hätte
schwören
können ...«
»Sei still, Kumpel«, warf Derek ein, dem es kaum gelang, sein Lachen zu unterdrücken. »Unser Freund hier scheint es ernst zu meinen.«
Percy nickte nachdrücklich. »Natürlich meine ich es ernst. Es heißt, hier kann man jede Art von Fetisch finden
und
jede
Phantasievorstellung
realisieren,
ganz
gleich, was für einen bizarren Geschmack man hat. Und jetzt, wo ich Lord Ashfords Kutscher draußen gesehen habe, glaube ich das auch. Ich hätte Angst, daß mir ein Mädchen hier Ketten anlegt, wenn ich ihr Zimmer betrete.« Er schauderte.
Der Name Ashford ließ Dereks und Jeremys Witze-leien augenblicklich verstummen. Sie waren alle drei vor ein paar Monaten in einem der Gasthäuser unten am Fluß mit ihm zusammengetroffen, als die entsetzten Schreie einer Frau sie in eines der Schlafzimmer im Obergeschoß gelockt hatten.
»Ist das nicht der Kerl, den ich vor gar nicht so langer Zeit bewußtlos geschlagen habe?« fragte Jeremy.
»Kleine
Korrektur,
mein
Lieber«,
erwiderte
Percy.
»Derek hat den Schurken zusammengeschlagen. Er hat keinem von uns eine besonders große Chance gegeben, so wütend wie er war. Soweit ich mich erinnere, hast du ihm jedoch noch einen oder zwei Schläge versetzt, als er schon am Boden lag. Ich wohl auch, wenn ich so darü-
ber nachdenke.«
»Es freut mich, das zu hören«, nickte Jeremy. »Ich muß betrunken gewesen sein, daß ich mich daran nicht mehr erinnere.«
»Das warst du in der Tat. Wir waren alle betrunken.
Und das war auch gut so, denn sonst hätten wir den miesen Kerl wahrscheinlich umgebracht.«
»Das hätte er auch verdient«, murmelte Derek. »Der Mann ist durch und durch verdorben. Für diese Art von Grausamkeit gibt es keine Entschuldigung.«
»Da bin ich absolut deiner Meinung«, sagte Percy und flüsterte dann: »Ich habe sogar gehört, daß er ohne Blut nicht kann ... nun ja, du weißt schon .. «
Percy schaffte es doch immer wieder, die Stimmung zu heben. Derek brach in lautes Lachen aus. »Du lieber Himmel, Mann, wir sind hier im bekanntesten Bordell der Stadt. Du brauchst hier nicht nach Worten zu suchen.«
Percy errötete und murrte: »Na ja, ich möchte immer noch wissen, was wir hier eigentlich tun. Was hier in diesem Haus vor sich geht, ist einfach nicht mein Ding.«
»Meins auch nicht«, stimmte Derek zu. »Aber wie ich eben schon sagte, es gibt auch noch was anderes hier. Es mag schon sein, daß man hier die Perversen bedient, aber die Mädchen hier schätzen auch immer noch eine nette, normale Nummer, wenn nichts anderes von ihnen erwartet wird. Außerdem sind wir hier, weil Jeremy herausgefunden hat, daß seine kleine blonde Florence
aus
Angelas
Etablissement
hierhergewechselt
hat, und ich habe ihm ein oder zwei Stunden mit ihr versprochen, bevor wir bei dem Ball auftauchen, bei dem wir
uns
später
noch
zeigen
müssen.
Ich
könn-
te schwören, daß ich das schon erwähnt habe, Percy.«
»Kann mich nicht erinnern«, meinte Percy. »Ich behaupte ja gar nicht, daß du es nicht gesagt hast, ich kann mich nur nicht erinnern.«
Aber jetzt war es an Jeremy, Bedenken anzumelden.
»Wenn dieser Ort hier so schlimm ist, wie du sagst, dann möchte ich, glaube ich, nicht, daß meine Florence hier arbeitet.«
»Dann schaff sie zurück zu Angela«, schlug Derek ganz vernünftig vor. »Das Mädchen wird es dir danken. Sie hat wahrscheinlich gar nicht gewußt, was sie erwartet, und man hat ihr nur versprochen, daß sie hier mehr Geld verdient.«
Percy nickte zustimmend. »Und mach schnell, alter Junge. Ich kann noch nicht mal behaupten, daß ich so wild aufs Kartenspielen bin, während du die Braut suchst. Nicht wenn Ashford im selben Raum ist.«
Während dieser Worte ging er jedoch weiter, um in den Spielsaal zu blicken, und rief erregt aus: »Oh, da ist ein Vögelchen, mit dem ich sogar hier ein oder zwei Stunden verbringen würde! Es sieht allerdings so aus, als stünde sie nicht zur Verfügung .. Wie schade – oder ist sie vielleicht doch zu haben? Nein, ist sie nicht! Viel zu teuer für meinen Geschmack.«
»Percy, wovon redest du?«
»Es hört sich so an, als ob da gerade eine Auktion statt-findet«, gab Percy über die Schulter zurück. »In meinem Alter brauche ich allerdings noch keine Mätresse, es reicht mir, wenn ich hier und da ein bißchen Geld ausgeben kann.«
Derek seufzte. Offenbar bekamen sie aus Percy keine sinnvolle Antwort heraus, aber das war schließlich nichts Neues. Die Hälfte der Zeit gaben Percys Bemerkungen größere Rätsel auf. Er hatte jetzt allerdings keine Lust, das hier zu entschlüsseln, wo er nur selbst ein paar Schritte vortreten mußte, um mit eigenen Augen zu sehen, was Percy dieses Mal sprachlos gemacht hatte.
Deshalb trat er mit Jeremy neben seinen Freund an die offene Tür. Und dann sahen sie beide das Mädchen. Sie konnten es gar nicht übersehen, wie es da auf dem Tisch stand. Ein hübsches junges Ding – es sah zumindest so aus. Schwer zu sagen, so rot im Gesicht, wie es im Moment war. Hübsche Figur. Sehr hübsch.
Und jetzt ergaben auch Percys Bemerkungen einen Sinn. Sie hörten, daß jemand sagte: »Noch einmal, meine Herren, dieses kleine Schmuckstück wird eine großartige Mätresse abgeben. Sie können sie ganz nach Ihrem Geschmack erziehen, unberührt, wie sie ist.
Höre ich zweiundzwanzigtausend?«
Derek schnaubte leise. Unberührt? Hier? Verdammt unwahrscheinlich.
Aber
diesen
betrunkenen
Idioten
konnte man sicher alles weismachen. Die Gebote waren allerdings wohl schon aus dem Ruder gelaufen, der jetzige Preis war absurd.
»Es sieht nicht so aus, als ob wir hier eine friedliche Partie Whist spielen könnten, Percy, bei diesem Unsinn, der hier abläuft«, sagte Derek. »Sieh doch nur, keiner achtet aufs Spiel.«
»Kann ich ihnen nicht verdenken«, erwiderte Percy grinsend. »Ich guck’ ja selbst auf das Mädchen.«
Derek seufzte. »Jeremy, würdest du bitte deine Geschäfte hier so schnell wie möglich erledigen? Anschließend möchte ich lieber früher auf diesen Ball gehen. Hol das Mädchen, und wir liefern sie auf dem Rückweg bei Angela ab.«
»Ich möchte lieber diese da.«
Da Jeremy seine Augen von dem Mädchen auf dem Tisch immer noch nicht abgewendet hatte, brauchte Derek erst gar nicht zu fragen, wen er meinte. Er sagte deshalb nur: »Die kannst du dir nicht leisten.«
»Könnte ich doch, wenn du mir das Geld leihst.«
Percy begann zu kichern. Derek fand das Ganze gar nicht komisch, er runzelte die Stirn, und sein »Nein«
klang so entschieden, daß man ihm besser nicht widersprach. Jeremy ließ sich jedoch damit nicht ab-speisen.
»Na komm schon, Derek«, witzelte er. »Dir macht doch eine solche Summe nichts aus. Ich habe von der großzügigen Regelung gehört, die Onkel Jason sich nach der Universität für dich ausgedacht hat. Da war auch von etlichen Ländereien die Rede, die einiges ab-werfen. Und da Onkel Edward das meiste für dich anlegt, du liebe Güte, da ist es wahrscheinlich mittlerweile dreimal soviel ...«
»Mehr als sechsmal soviel, aber das heißt noch lange nicht, daß ich vorhabe, es für sexuelle Eskapaden hin-auszuwerfen, die noch nicht mal meine eigenen sind.
Ich gedenke nicht, dir soviel Geld zu leihen. Außerdem müßte eine so hübsche Frau wie diese da in großem Stil ausgehalten werden. Und das, lieber Vetter, kannst du dir nicht leisten.«
Jeremy grinste ungerührt. »Ach was, aber ich würde sie glücklich machen.«
»Eine Mätresse hat mehr Interesse an dem, was in deinen Taschen ist, als an dem, was sich dazwischen befin-det«, warf Percy hilfreich ein, errötete jedoch sofort wegen seiner Äußerung.
»So gewinnsüchtig sind sie ja nun auch wieder nicht«, protestierte Jeremy.
»Da bin ich anderer Meinung ...«
»Woher willst du das denn wissen? Du hast ja noch nie eine gehabt.«
Derek verdrehte die Augen und warf ein: »Es gibt keinen Grund, sich hier zu streiten. Die Antwort ist und bleibt nein, also hör auf, Jeremy. Dein Vater würde mich umbringen, wenn ich dich so tief in Schulden stürzen würde.«
»Mein Vater würde das besser als deiner verstehen.«
Damit hatte Jeremy nicht unrecht. Den Gerüchten zu-folge hatte James Malory in seiner Jugend ähnlich extra-vagante Dinge getan, während Dereks Vater als Marquis of Haverston und ältester der vier Malory-Brüder schon früh Verantwortung hatte übernehmen müssen.
Das bedeutete allerdings nicht, daß sein Zorn über sie alle hereinbrechen würde, falls Derek dem Ansinnen seines Vetters nachgeben sollte.
Deshalb antwortete er: »Vielleicht würde er es verstehen, wenn du auch zugeben mußt, daß Onkel James sehr viel konservativer geworden ist, seitdem er geheiratet hat. Und außerdem müßte ich das vor meinem Vater rechtfertigen. Und dann, wo zum Teufel willst du dir eine Mätresse halten? Du bist schließlich noch in der Schule und wohnst bei deinem Vater, wenn du zu Hause bist.«Jeremy warf ihm einen verdrossenen Blick zu. »Verdammt, daran hab’ ich gar nicht gedacht.«
»Außerdem kann eine Mätresse genauso fordernd sein wie eine Ehefrau«, erklärte ihm Derek. »Ich habe das selbst schon mal versucht, und mir hat es gar nicht gefallen. Du willst dich doch in deinem Alter nicht schon so binden?«
Jeremy blickte ihn entsetzt an. »Nein, um Himmelswillen nicht!«
»Dann sei froh, daß ich es nicht zulasse, daß du mein Geld an eine alberne Laune verschwendest.«
»O ja, natürlich. Ich kann dir gar nicht genug danken, Vetter. Was hab’ ich mir bloß dabei gedacht!«
»Dreiundzwanzigtausend«,
erscholl
es
von
drinnen,
und ihre Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf den Spielsaal.
»Noch ein Grund, froh zu sein, daß du wieder zu Verstand
gekommen
bist,
Jeremy«,
schmunzelte
Percy.
»Das hört sich so an, als käme die Bieterei überhaupt nicht zu einem Ende.«
Derek hingegen war überhaupt nicht erheitert. Er war bei dem Gebot zusammengezuckt, und zwar nicht weil der lächerliche Preis sich immer mehr in die Höhe schraubte. Zum Teufel noch mal, er wünschte wirklich, er hätte die Stimme, die das letzte Gebot abgegeben hatte, nicht erkannt.