12

Derek war seit einigen Monaten nicht mehr in Haverston gewesen. Wie die meisten jungen Männer in seinem Alter zog er das aufregende und unterhaltsame Leben in London dem Leben auf dem Land vor. Aber er liebte Haverston. Die beiden Landsitze, die man ihm übertragen hatte, waren für ihn noch kein Zuhause, jedenfalls nicht so wie Haverston.

Er konnte sich vorstellen, daß seine Onkel – Edward, James und Anthony – das genauso empfanden, da sie alle drei in Haverston aufgewachsen waren. Auch seine Cousine Regina war dort aufgewachsen, da man sie nach dem Tod ihrer Eltern schon als Kind dorthin gebracht hatte. Die vier Jahre jüngere Reggie war für Derek eigentlich mehr so etwas wie eine Schwester, da die beiden zusammen in Haverston großgeworden waren.

Derek war mitten in der Nacht angekommen. Er hatte statt der Kutsche eines der Pferde aus seinem Stall genommen, um schneller zu Hause zu sein. Und beinahe wäre er versucht gewesen, seinen Vater zu wecken, um zu erfahren, warum er ihn herbestellt hatte. Aber der entsetzte Gesichtsausdruck des Lakaien, der ihn eingelassen hatte, als er sagte: »Ich nehme an, es macht Ihnen nichts aus, meinen Vater zu wecken«, hatte ihn bewo-gen, statt dessen sein früheres Zimmer zu beziehen und bis zum Morgen zu warten.

Und bei ruhigerer Betrachtung wurde ihm auch klar, daß dies das richtige Verhalten gewesen war. Wenn sein Vater ihn nach Hause gerufen hatte, um ihm eine Standpauke zu halten, wäre er nur um so mehr verärgert gewesen, wenn er ihn mitten in der Nacht geweckt hätte.

Aber er konnte sich auch gar keinen Grund denken, weswegen sein Vater aufgebracht sein könnte. Eigentlich fiel ihm überhaupt nichts Schlimmes ein.

Natürlich brauchte Jason Malory keinen besonderen Anlaß, um ein Mitglied seiner Familie zu sich zu zitieren.

Er war der älteste Malory und das Oberhaupt des Clans; und er war es gewöhnt, seine Familie zu sich kommen zu lassen, anstatt umgekehrt, ob er nun einfach ein wenig plaudern oder Informationen weitergeben – oder jemandem eine Standpauke halten wollte. Daß Derek mit anderem beschäftigt sein könnte, vor allem mit einer faszi-nierenden Frau, die gerade jetzt darauf wartete, von ihm geliebt zu werden, interessierte ihn wenig. Wenn Jason jemanden aufforderte, zu ihm zu kommen, mußte man hingehen. So einfach war das.

Also geduldete Derek sich bis zum Morgen. Bereits eine Stunde nach dem Morgengrauen war er jedoch schon unten und wartete auf seinen Vater. Als erste traf er allerdings auf Molly. Das war keine Überraschung.

Molly schien immer zu wissen, wann er zu Besuch kam, und schaffte es immer, ihn als erste zu Hause zu be-grüßen. Das war eine so feste Gewohnheit geworden, daß es ihm seltsam vorgekommen wäre, wenn er sie bei einem seiner Besuche nicht angetroffen hätte.

Molly

Fletcher

war

eine

außergewöhnlich

hübsche

Frau in mittleren Jahren mit aschblondem Haar und großen braunen Augen, die sich von einer Dienstmagd bis an die Spitze der Dienstbotenhierarchie hochgear-beitet hatte und jetzt schon seit zwanzig Jahren Haushälterin auf Haverston war. Sie hatte sogar in all den Jahren hart daran gearbeitet, ihren Cockney-Akzent zu verlieren, der ihr, wie Derek sich erinnerte, noch ange-haftet hatte, als er ein Kind war, und strahlte jetzt eine ruhige Würde aus, die einer Heiligen angestanden hätte.

Wie jede andere Frau im Haus, von der Köchin bis zur Wäscherin, hatte Molly Derek und Reggie immer sehr mütterlich behandelt, ihnen Ratschläge erteilt, sie in Schutz genommen, sie ausgescholten und sich um sie gesorgt.

Das lag natürlich hauptsächlich daran, daß nie eine wirkliche Mutter dagewesen war, als die beiden Kinder eine gebraucht hätten. Jason hatte zwar seine Pflicht getan und seine Frau Frances aus eben dem Grund, den beiden Rangen eine Mutter zu geben, geheiratet, aber leider wurde nicht das daraus, was er sich vorgestellt hatte.

Lady Frances erwies sich als kränklich und war weitaus häufiger zur Kur in Bath als zu Hause. Sie war wohl eine recht nette Frau, wenn auch ein bißchen nervös, aber eigentlich kannte niemand in der Familie sie besonders gut.

Derek hatte sich oft gefragt, ob wenigstens Jason gut mit ihr auskam, oder ob sie ihm gleichgültig war. Als Paar paßten sie nicht besonders gut zusammen, die dünne, bleiche, nervöse Frances und der große, robuste und imposante Jason. Derek konnte sich auch nicht daran erinnern, daß zwischen den beiden jemals ein zärtliches Wort gefallen wäre. Es ging ihn ja auch nichts an, aber es tat ihm wegen seines Vaters immer ein bißchen leid.

Molly war leise hinter Derek getreten, als dieser in das leere Arbeitszimmer seines Vaters blickte. Bei ihrem

»Willkommen zu Hause, Derek«, war er zusammengezuckt, hatte sich aber sofort umgedreht und ihr ein liebevolles Lächeln geschenkt.

»Morgen, Molly, meine Liebe. Du weißt wahrscheinlich nicht, wo mein Vater sich zu dieser frühen Stunde herumtreibt?«

»Aber sicher«, antwortete sie.

Wenn er so darüber nachdachte, so wußte sie immer und jederzeit, wo jeder im Haus war. Derek hatte keine Ahnung, wie sie das bewerkstelligte, so groß, wie das Haus war, und bei den vielen Bediensteten, aber irgendwie gelang es ihr trotzdem. Vielleicht lag es einfach nur daran, daß sie wußte, wo jeder sein sollte, und daß niemand es wagte, sich anderswo aufzuhalten, ohne es ihr zu sagen. Sie hatte eben den ganzen Haushalt ruhig und fest im Griff.

»Er ist im Gewächshaus«, teilte sie ihm mit. »Er hat Probleme mit seinen Winterrosen, weil sie nicht nach seinem Zeitplan blühen – das hat der Gärtner mir gesagt«, fügte sie lächelnd hinzu.

Derek schmunzelte. Gartenpflege war eins der Hobbys seines Vaters, und er nahm es sehr ernst. Er würde bis nach Italien fahren, wenn es um eine neue Pflanzensorte ginge, die er vielleicht für seinen Garten erwerben könnte.

»Weißt du vielleicht auch, warum er mich hierherbe-stellt hat?«

Molly schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich, warum sollte er mich in seine persönlichen Angelegenheiten einweihen?« neckte sie ihn zärtlich. Dann zwinkerte sie und flüsterte ihm zu: »Aber ich kann dir zumindest sagen, daß er sich diese Woche über nichts Besonderes aufgeregt hat – abgesehen von seinen Rosen.«

Derek grinste erleichtert und widerstand dem Bedürfnis, sie zu umarmen — allerdings nur fünf Sekunden lang. Sie stöhnte unter seinem festen Griff und sagte: »Laß das!

Was sollen die anderen Dienstboten denken!«

Er lachte und gab ihr einen Klaps auf den Po. Aber als er durch die Halle schlenderte, rief er so laut, daß ihn das ganze Personal im Umkreis von fünfzig Metern hören mußte: »Und dabei habe ich gedacht, es sei eine altbekannte Tatsache, daß ich dich wie verrückt liebe, Molly! Aber wenn du darauf bestehst, mache ich natürlich ein Geheimnis daraus!«

Sie errötete vor Zorn, mußte dann aber doch über ihn lächeln. Ihre braunen Augen verrieten mehr Liebe zu dem charmanten Nichtsnutz, als angebracht war; rasch jedoch

unterdrückte

sie

diese

mütterlichen

Gefühle

wieder und machte sich an ihre morgendliche Arbeit.

Das Gewächshaus, seit langer Zeit viel zu klein für die Fülle der Pflanzen, war nun endlich vor ein paar Jahren vergrößert und vom Haus weg verlegt worden. Es lag jetzt hinter den Ställen, ein riesiges rechteckiges Ge-bäude mit Glasdach, beinahe so lang wie das Haupthaus. Die beiden Längsseiten waren fast ganz verglast, und vor allem im Winter waren sie von der feuchten Luft, die innen herrschte, ständig beschlagen. Dutzende von Kohleöfen standen überall verteilt und brannten Tag und Nacht.

Derek zog sofort seine Jacke aus, als er das Gebäude betrat. Der schwere Duft von Blumen, Erde und Dünger war überwältigend. In diesem riesigen Gebäude, indem mindestens sechs Gärtner arbeiteten, seinen Vater auf-zuspüren, war eine schwierige Aufgabe.

Aber schließlich fand er die Rosenbeete – und Jason Malory, der sich gerade über einige kostbare weiße Rosen beugte, die er verpflanzt hatte. Ein Fremder hätte seine Schwierigkeiten gehabt, in ihm den Marquis of Haverston

zu

erkennen,

mit

seinen

aufgerollten

Hemdsärmeln, der Schmutzschicht bis zu den Ellenbo-gen, Schmutzflecken auf seinem Hemd – schon wieder ein weißes Tennishemd endgültig ruiniert –, und einem Schmutzstreifen auf seiner feuchten Stirn, der wohl daher rührte, daß er sich geistesabwesend mit dem Hand-rücken den Schweiß von der Stirn gewischt hatte.

Er war groß, blond und hatte grüne Augen, wie die meisten Malorys. Nur wenige von ihnen hatten die schwarzen Haare und kobaltblauen Augen von Dereks Urgroßmutter

geerbt.

Es

hieß,

Zigeunerblut

wäre

durch ihre Adern geflossen, allerdings hatten weder Jason noch seine Brüder das jemals bestätigt.

Jason war so in seine Arbeit versunken, daß Derek sich erst ein paarmal räuspern mußte, um auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen. Als sich der große Mann endlich umdrehte, hellte sich sein gutgeschnitte-nes Gesicht zu einem Lächeln auf, und er machte Anstalten, seinen Sohn zur Begrüßung zu umarmen.

Derek sprang zurück und hob in gespieltem Entsetzen abwehrend eine Hand. »Wenn es dir nichts ausmacht –

ich habe gerade gebadet.«

Jason blickte an sich hinunter und schmunzelte. »Gut pariert. Aber ich freue mich, dich zu sehen, mein Junge.

Du kommst nicht mehr allzu häufig.«

»Und du kommst nicht mehr so oft nach London«, entgegnete Derek.

»Das stimmt.«

Jason zuckte mit den Schultern und trat zur Wasser-pumpe,

um

seine

Arme

in

der

darunterstehenden

Wanne abzuwaschen. Die nächststehenden Blumen bekamen eine zusätzliche Dusche, als er seine Arme über ihnen ausschüttelte.

»Mich bringen nur noch Geschäfte – und Hochzeiten –

in diese überfüllte Stadt«, meinte Jason.

»Ich mag den Betrieb.«

Jason schnaubte. »Du redest wie jeder junge Kerl, dem es nur ums Amüsieren geht. In dieser Hinsicht kommst du nach meinen Brüdern James und Tony.«

Ein leichter Tadel steckte in dieser Bemerkung, allerdings nicht deutlich genug, um Derek zu beunruhigen.

»Die sind doch verheiratet«, erwiderte er mit gespieltem Entsetzen. »Bei Gott, ich hoffe, ich bin nicht in diese Falle geraten, ohne es zu merken.«

»Du weißt ganz gut, was ich gemeint habe«, brummte Jason, und sein Gesichtsausdruck wurde strenger.

Das Gute daran, der Sohn des strengen, ernsthaften Oberhaupts der Familie zu sein, war, daß man ohne Umwege,

ohne

Neckereien

und

Herumalbern

mit

ihm reden konnte. Derek hatte schon früh gelernt, daß sein Vater zwar immer sehr streng tat, aber eher bellte, als daß er biß, zumindest verhielt er sich Derek gegen-

über so.

Derek grinste unerschrocken. Schließlich wußte jeder, daß James und Anthony Malory die bekanntesten Le-bemänner in London gewesen waren und daß beide erst mit Mitte dreißig Ruhe gegeben hatten.

»Natürlich weiß ich das«, erwiderte er also immer noch grinsend. »Und wenn ich so alt bin wie meine Onkel, habe ich dich schon zweimal zum Großvater gemacht.

Aber bis dahin ist noch ein wenig Zeit, und inzwischen möchte ich lieber in ihre Fußstapfen treten – natürlich ohne die Skandale, für die sie bekannt waren.«

Jason seufzte. Er hatte das Thema angeschnitten, und Derek hatte es wie immer elegant umschifft. Deshalb wandte er sich dem eigentlichen Thema zu.

»Ich habe dich gestern schon erwartet.«

»Gestern war ich auf dem Weg nach Bridgewater. Dein Bote hat mich erst dort erreicht. Zufällig kamen wir beide zur gleichen Zeit an, so daß ich noch nicht einmal die Zeit hatte, einen Bissen zu essen, bevor ich hierher aufgebrochen bin.«

»Ach, Bridgewater? Dann kümmerst du dich also doch um deinen Besitz? Laut Bainsworth ist das nicht der Fall. Er war bei mir und sagte, daß er seit zwei Wochen vergeblich versucht, dich zu erreichen. Er behauptet, es sei dringend. Deshalb habe ich nach dir geschickt.«

Derek runzelte die Stirn. Es stimmte, daß er in der letzten Zeit seine Post nicht durchgesehen hatte, aber da die Saison in vollem Gange war und zahlreiche Einladun-gen eintrafen, hatte ihn der riesige Briefstapel zu sehr abgeschreckt. Er schätzte es jedoch gar nicht, daß Bainsworth immer noch mit jedem Problem zu Jason rannte. Die Besitztümer im Norden, die Bainsworth verwaltete,

waren

auf

Derek

überschrieben

worden.

Sein Vater hatte nichts mehr damit zu tun.

»Vielleicht sollte ich langsam mal meinen eigenen Se-kretär einstellen. Wie du sicher weißt, kann sich Bainsworth über jede Kleinigkeit aufregen. Hat er vielleicht zufällig erwähnt, was so dringend ist?«

»Irgend etwas mit einem Kaufangebot für die Mühle, das zeitlich begrenzt war, deshalb wollte er dich unbedingt finden.«

Derek fluchte insgeheim. »Vielleicht sollte ich mich auch nach einem neuen Verwalter umsehen. Die Mühle steht nicht zum Verkauf, und Bainsworth weiß das auch.«

»Auch nicht bei einem sehr lukrativen Angebot?«

»Nicht mal für das Doppelte dessen, was sie wert ist.

Unter gar keinen Umständen«, sagte Derek nachdrücklich. »Ich habe den Besitz nicht übernommen, um ihn Stück für Stück zu verkaufen.«

Jason lächelte und klopfte ihm auf die Schulter. »Freut mich, das zu hören, Junge. Um die Wahrheit zu sagen –

als der Mann zu mir kam, dachte ich, du wüßtest von dem Angebot, deshalb wollte ich nicht warten, bis ich dich später in der Woche auf der Hochzeit sehe.

Aber wo wir jetzt darüber geredet haben, weiß ich es beim nächsten Mal besser – wenn es ein nächstes Mal gibt.«

»Wird es nicht«, versicherte ihm Derek, als sie zusammen zum Ausgang gingen.

»Da wir gerade von Hochzeiten sprechen ...«

Derek schmunzelte. »Haben wir von Hochzeiten geredet?«

»Nun ja, wenn nicht«, grummelte Jason, »dann sollten wir es zumindest tun. Amys Hochzeit findet in vier Tagen statt.«

»Glaubst du, Frances wird kommen?«

Es war kein Zeichen mangelnden Respekts, daß Derek seine Stiefmutter beim Vornamen nannte. Es war ihm nur immer schrecklich peinlich gewesen, sie mit »Mutter« anzureden, da er sie kaum kannte.

Jason zuckte mit den Schultern. »Wer weiß schon, was meine Frau macht. Ich jedenfalls nicht«, sagte er betont gleichgültig. »Aber weißt du, mein Sohn, ich habe gestern noch darüber nachgedacht, daß mein Bruder Edward, der ja jünger ist als ich, diese Woche bereits sein drittes Kind verheiratet, während ich .. «

»Er verheiratet seine dritte Tochter«, warf Derek rasch ein. Ihm war ganz klar, worauf sein Vater hinauswollte.

»Seine Söhne haben sich auch noch nicht einfangen lassen. Es ist etwas ganz anderes, wenn man Mädchen direkt von der Schulbank weg verheiratet. Bei Jungen ist das eben nicht so.«

Jason seufzte wieder, da seine Pläne auch dieses Mal durchkreuzt wurden. »Es kam mir nur so ... unausge-wogen vor.«

»Vater, du hast nur einen Sohn. Wenn du mehr hättest, oder ein paar Töchter, dann wären mittlerweile bestimmt die meisten von ihnen verheiratet. Aber verglei-che doch nicht ein Kind mit Onkel Edwards fünfen.«

»Ich weiß, daß ich das nicht tun sollte.«

Schweigend legten sie den Weg zum Haus zurück. Und erst als sie das Frühstückszimmer erreichten, in dem zahlreiche warme Gerichte auf der Anrichte auf sie warteten, gewann Dereks Neugier die Oberhand.

»Möchtest du wirklich jetzt schon Großvater sein?«

Jason war verblüfft über die Frage, aber nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, sagte er: »Ja, eigentlich schon.«

Derek grinste. »Gut, ich werde darüber nachdenken.«

»Ausgezeichnet, aber – tritt bitte in dieser Hinsicht nicht auch noch in James’ Fußstapfen. Zuerst kommt die verdammte Hochzeit, dann die Babys.«

Derek lachte, nicht weil James Malorys Tochter in weniger als neun Monaten nach. der Hochzeit zur Welt gekommen war, sondern weil es so selten vorkam, daß sein Vater rot wurde. Derek kannte den Grund. Kaum hatte Jason den Satz ausgesprochen, war ihm sein Fauxpas auch schon aufgefallen. Schließ-

lich war Derek unehelich, und jeder, der die Malorys kannte, wußte das.

Jason blickte Derek finster an und schoß, wie es seine Art war, gleich zurück. »Übrigens, wer war denn das Mädchen, das du ins Londoner Haus gebracht hast?«

Derek verdrehte die Augen. Er fand es immer wieder erstaunlich, wie sein Vater von Dingen erfuhr, die er nicht wissen sollte, und vor allem, wie schnell er sie erfuhr.

»Nur jemand, der Hilfe brauchte.«

Jason schnaubte. »Ich habe widersprüchliche Informationen bekommen. Hanly bezeichnete sie als Hure, Hershal nannte sie eine Dame. Was stimmt denn nun?«

»Eigentlich keins von beidem. Sie hat eine gute Erziehung genossen, wahrscheinlich besser als die meisten Ladies, aber sie ist nicht von Adel.«

»Hat einfach nur dein Interesse geweckt?«

Von einfach konnte gar keine Rede sein, aber Derek wollte seinen Vater lieber nicht aufklären, deshalb sagte er so gleichgültig wie möglich: »Ja, so in der Art.«

»Du wirst sie bestimmt nicht mehr in unser Haus bringen?«

»Natürlich nicht. Ich gebe zu, daß das nicht sehr klug von mir war. Aber wirklich, Vater, du brauchst dir wegen ihr gar keine Gedanken zu machen. Du wirst nie wieder etwas von ihr hören.«

»Die Dienstboten sollten nie wieder etwas von ihr hören, weder in London noch hier. Unsere Familie hat genug Anlaß für Gerüchte gegeben, genug für mehrere Generationen. Wir brauchen keinen weiteren Klatsch.«

Derek nickte zustimmend. Schließlich hatte er, abgesehen von seiner unehelichen Geburt, seine Affären immer so diskret behandelt, daß er nie in irgendeinen Skandal verwickelt gewesen war. Darauf war er selbst ungeheuer stolz. Und er beabsichtigte, es auch in Zukunft dabei zu belassen.