Die Farbe des Geldes
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Ich habe scheinbar immer noch nichts
dazugelernt, was meine Präferenzen angeht. Wenn ich Herren
aussortiere, dann kicke ich sofort die raus, die auch nur einen
Hauch von Bürgerlichkeit und Sicherheit ausstrahlen oder haben
wollen. Reizworte sind: Gemütlichkeit, Zärtlichkeit, Ruhe, Treue,
Verlässlichkeit. Dabei mag ich alle fünf Eigenschaften ganz gern -
im richtigen Moment, bei den richtigen Leuten.
Aber ich kann die Rebellin in mir nicht verstummen
lassen. Sie ist echt, wenn auch etwas töricht, sie war immer da,
hat mich mit anspruchsvollen Träumen und noblen Idealen
vollgequasselt und sich bei mir fest eingehängt, als Alter Ego, und
will mich nicht loslassen, auch wenn ich sie manchmal abschütteln
möchte.
Und nun kriege ich das nicht mehr weg - das
Zweifeln, die Neugier, das Hinterfragen, das Kritisieren und leider
eben auch das Misstrauen gegenüber allem, was geregelt ist und
längst abgehakt wurde.
So ist es mir sehr wichtig, was jemand beruflich
macht. Der Beruf ist eine freiwillige Wahl, die man trifft, also
möchte man sich dort etwas verwirklichen. Wenn einer Anlagenberater
bei der Bank ist, nehme ich an, ihm macht das Spaß, er interessiert
sich für Geld und Zahlen, arbeitet gern für Profit und in einem
beamtenähnlichen Rahmen. Sorry, mir ist das total fremd. Und sooo
viel Fremdheit suche ich nun auch wieder nicht.
Nach vielen Monaten mit erfolglosen Treffen mit
Männern, die zwar oft o.k. und auch nett waren, aber meinen
Ansprüchen nicht genügten - leider muss ich es so ausdrücken -,
werde ich immer abgestumpfter und desinteressierter. Der erste
kleine Flash und die kleinen Highlights sind vorbei, so wie bei
einem Drogenrausch oder einer ersten aufregenden Nacht mit einem
sexy Typen.
Vielleicht kann man diese Sicht der Dinge, ganz
ohne sanfte Tönung, einfach Realismus nennen. Und die Realität ist
einfach nicht mehr zu ignorieren, finde ich.
Ich sollte umschalten und die ganze spielerische
SexySixty-Nummer, so gut sie auch ankam, vergessen und mich meinen
eigenen, wirklich dringenden Problemen stellen, die auch die
Entwicklung der alternden Gesellschaft reflektieren. Nämlich dem
Problem der doppelten Sicherheit, die man im Alter braucht.
Ich mache mich immer noch viel zu oft lustig über
gewisse unkreative Berufe, rümpfe die Nase über sogenanntes
Sicherheitsdenken. Aber ich muss mir einfach darüber im Klaren
sein: Alles in allem gibt es im Alter über sechzig nun mal
Angestellte wie Prokuristen, Bauleiter, Lehrer, Steuerberater,
Juristen, Ingenieure und Manager satt. Alles sichere Berufe, die in
mir einmal geradezu Schauer erzeugt haben.
Gab es etwas Spießigeres als Beamte? Ganz ehrlich
finde ich das eigentlich immer noch, ohne es mir eigentlich leisten
zu können.
Selbst das Wort »Rente« hat für mich einen geradezu
obszönen Klang, und ich will es nicht hören oder in meinem Leben
haben, möchte es wegschließen in einen Koffer, zusammen mit
Klosterfrau Melissengeist, Corega Tabs, Romika-Schuhen (»Romika
tragen - Wohlbehagen«) und Seniorenrabatten. Wir, der zukünftige
Kukident-Clan! Horror!
Wäre es aber nicht beruhigend, wenn ich mit einem
hochgestellten Beamten verheiratet wäre und eine schöne Rente
kassieren könnte, wenn ich ihn überlebe, was wahrscheinlich ist,
denn wir Frauen leben ja länger?
Und das ist auch kein hübsches Thema für mich und
ein hässliches Wort: Altersversorgung. Es passt so gar nicht zu
romantischen Gedanken von Spaß und Sex und schönen Reisen und
Champagner am Strand von Goa.
Nicht sehr viele berufstätige Frauen aus meiner
Generation haben einen lukrativen Wahnsinnsjob gehabt, der ihnen
später ein Leben im Luxus beschert. Es sei denn, sie sind zudem
Witwen, die großes Glück mit der Wahl eines wohlhabenen Ehemannes
gehabt haben.
Viele Frauen werden irgendwie ihr Auskommen haben,
bei ebenso vielen wird nach Scheidung, Ausbildung der Kinder und so
weiter nicht sehr viel übrig bleiben.
Mit dem Alter nehmen die Ängste zu. Natürlich
möchte ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass ein König Kohle
(Prince Charming reicht längst nicht mehr) mich von den
Existenzängsten erlöst, und sollte mir einen wohlhabenden
alleinstehenden Pensionär suchen, der eine fantastische Rente zu
verjubeln hat. Mit mir.
Den Kampf gegen pralle fünfundzwanzigjährige
sugarbabys, die sugardaddys suchen, gewinnt man
allerdings als Fünfzig- oder gar Sechzig-plus-Frau so selten, wie
einem ein lukrativer neuer Arbeitsvertrag angeboten wird.
Da müsste man schon eine pathetische
Pin-up-Blondine wie Anna Nicole Smith sein, die sich einem immer
noch erregbaren neunzigjährigen mehrfachen Millionär mit ihrem gut
gepolsterten Arsch auf die dünnen Beinchen im Rollstuhl
setzte.
Aber ein reicher Rolf aus Radebeul täte es auch,
oder? Vergnügt sollte er sein, arglos, großzügig, nicht an Sex
interessiert,
aber mich mit der ganzen Leidenschaft eines Menschen, der in mir
die wertvolle, liebenswerte Person sieht, die ich ja wirklich bin,
lieben und mir nur das Allerbeste wünschen.
Ich würde ihm eine entzückende, bildhübsche junge
Polin einstellen, die ihn betreut und ihm die Zeit angenehm
vertreibt, und ich könnte mich meinen Gedanken und Schreibereien
widmen. Und meinen Reisen, auf denen ich jeweils zwischen einem
amerikanischen Rockstar, einem australischen Viehbaron und einem
unglaublich charmanten italienischen Playboy, der aussieht wie
Marcello Mastroianni, auswählen könnte.
»Ach komm, mach dir nichts vor. Du weißt, wie es
ist mit den reichen Männern. Sind meistens Arschlöcher. Das klappt
ganz, ganz selten«, weist mich Toni zurecht.
Sie liebt sowieso nur die kreativen,
freiberuflichen Männer, und die haben meist kein Geld.
»Wir Frauen müssen das alles selbst klären mit der
Kohle. Unserer selbst verdienten Kohle«, erkärt sie
fest.
Leider hat sie recht. Trotzdem …
Haustier statt Mann
»Ich glaube, ich kaufe mir einen Hund. Oder
vielleicht eine Katze«, sage ich zu Karen.
Nun ist es heraus. Das ist das Ende.
Ältere Frau und Tier. Hier kommen schon wieder die
Ängste angerast: Die alte Frau auf der Parkbank, die Ratten, Tauben
und Eichhörnchen füttert und kleine Pullis für streunende Pinscher
strickt. Die schräg angezogene Frau mit den vier Katzen, aus deren
Wohnung der Geruch nach Katzenklo
dringt und die als wunderlich gilt. Sie ist eine bekannte Gestalt,
und ich erinnere mich an meckernde, abgearbeitete Frauen mit
verbissenen Gesichtern, die aus Fenstern gucken und »Ruhe«
herausbrüllen, so wie früher in den Fünfzigerjahren, als wir in der
Sandkiste spielten und Frau Bohnsack, Ellbogen auf ein Kissen
gestützt, uns lauernd beobachtete, ob wir uns auch anständig
benahmen.
Das war damals der ärmliche Typ aus dem
Arbeitermilieu, meist Witwen, mit den gestopften Ellenbogen an der
Strickjacke und den Laufmaschen in den blickdichten Strümpfen mit
Naht, von denen es natürlich so kurz nach dem Krieg sehr viele gab
- Kriegswitwen und Laufmaschen.
Die reichen alten einsamen Frauen, meist
geschiedene Wirtschaftswunder-Gattinnen, waren in modernen Villen
mit Pool gelandet. Hager oder übergewichtig, gebräunt vom ersten
Adria-Urlaub, mit Gold behängt, einen schick getrimmten Pudel an
der roten Leine, Krokotasche am Arm, stiegen sie aus der Borgward
Isabella und verströmten den Geruch des lange nicht
Berührtseins.
Amerikanische Studien haben herausgefunden (sie
finden immer alles heraus), dass Einsamkeit die größte Bedrohung
für jung und alt ist. Besonders für alt, klar.
Also, wenn ältere Leute einsam sind, kriegen sie
einen höheren Blutdruck, rauchen mehr, trinken mehr Alkohol,
bewegen sich weniger, werden also dick, unansehnlich und ungesund -
das allein macht einfach älter. Aber Neurologen und Psychologen
machen einen Unterschied zwischen einer gewissen gesunden
Einsamkeit und der als Stress empfundenen Isolation.
Oh Gott, in welche Kategorie falle ich denn
nun?
Ich finde ja, dass ich ein wenig unter dem
Single-Steppenwölfin-Syndrom leide.