Gesucht, gefunden, glücklich auf ewig

Ich rufe Toni an, die immer noch täglich
auf Dating- und Flirt-Webseiten herumchattet und nichts dabei
findet, und jammere ihr etwas von dem neuen Frusttreffen vor.
»Nimm so was nicht so ernst. Bleib am Ball, es ist
ein Spiel, eine extra Chance, du vergibst dir nichts. Viele treffen
wirklich ganz tolle Leute, und manche werden ein Paar, das weißt du
doch! Ich habe dir doch von der Bekannten erzählt, die einen
reichen Mann kennengelernt hat, den sie demnächst heiraten
wird.«
Ich werde Annegret besuchen, die vor zwei Jahren
Sigi bei einer bekannten Partnerbörse kennen und lieben gelernt hat
und mit ihm seit einem Jahr zusammen wohnt, und sie etwas
ausquetschen. Vielleicht kann ich etwas lernen. Sie hat absolut
nichts dagegen und er auch nicht.
Partnersuche ist heute kein delikates Thema mehr
wie vielleicht vor zehn, fünfzehn Jahren, als es noch so tabu war,
sich mit Kontaktanzeigen zu brüsten, als hätte man einen
Gefängnisinsassen gedated. Man bekennt sich offen und gut gelaunt
zum Chatten und Flirten; es scheint sogar den Status jedes Mannes
und jeder Frau zu erhöhen, wenn es ihnen gelingt, Mr. oder Mrs.
Right online zu finden.
Als wir gemütlich im schönen Garten von Annegrets
Haus sitzen (er ist bei ihr eingezogen), ist Sigi dabei, der Hecke
den letzten Schliff zu geben - sein Hobby. Annegret ist
achtundfünfzig,
Bankkauffrau, mollig, sonnig und blond. Sie ist seit acht Jahren
geschieden, hat einen zweiundzwanzigjährigen Sohn und verspürte
lange keine große Lust auf neue Männer. Dann schrieb sie sich bei
Parship ein.
»Einmal mache ich das jetzt, dachte ich, und dann
ist gut«, erzählt sie.
Ihr war allerdings völlig klar, dass sie sich zehn
Jahre jünger machen müsste, das machen sowieso die meisten, und da
sie viel lacht, sieht sie viel jünger aus (bitte merken, Ladys!) -
also kein Problem. Sie kriegte als awieanne zehn Zuschriften
am Tag, dann ebbte es ab, und dann kam optimist 101 ins
Spiel - Sigi. Da kommt er gerade und setzt sich dazu, sie schenkt
ihm Tee ein.
»Erzähl du mal«, sie zwinkert mir vielsagend
zu.
Sigi ist dreiundsechzig, getrennt lebend, hat zwei
erwachsene Kinder und ist der bodenständige, verschmitzte Typ von
kleiner Statur. Er erklärt mit wenigen Worten, wie es für Männer im
Internet läuft.
»Frauenüberschuss, man kann sich vor Anfragen kaum
retten und auswählen, wie man will.«
Er selbst hatte eine einfache Regel: Frauen über
fünfzig kamen nicht infrage.
Annegret kichert: »Hätte ich nicht gelogen, würden
wir hier nicht sitzen.«
Sigi hatte viele Dates, die ganz klar umrissen
waren. Entgegen der Meinung, dass Frauen sich länger zieren als
Männer, landete er schnell an heißen Wochenenden mit sehr willigen
Kandidatinnen im Bett.
»Das kann man ganz schnell klären, in welche
Richtung das gehen soll. Online oder am Telefon.«
Annegret verdreht die Augen. Laut Sigi sind
Berlinerinnen am schnellsten zu Sex bereit und kommen auch gern
angereist.
»Ich glaube, die Männer in Berlin sind
unromantische Sexmuffel«, bietet Sigi als Erklärung an.
Annegret und Sigi mochten sich gleich, man
telefonierte, man traf sich, keiner musste anreisen - und plötzlich
waren sie ein Paar, das perfekt harmonierte.
Sigi wurde allerdings erwischt, wie er weiterhin
online suchte - er streitet es ab -, aber dann brachte er seine
Kisten und luxuriösen Küchenutensilien mit, denn er kocht
gern.
Als er sich wieder zu seiner Hecke trollt, grinst
Annegret mich an: »Perfekt. Er zahlt Miete, ist mein Lover, ich
muss ihn nicht heiraten, und er ist irre fürsorglich.«
Bin ich ein bisschen neidisch? Ja.
Hätte ich gern Sigi? Nein!
Denn die Sigis dieser Welt sind nichts für mich und
ich nichts für sie.
Das zweite Paar aus meiner Serie »Was ich
theoretisch auch kriegen könnte« war ganz anders. Und eigentlich
stehe ich noch unter Schock. Joachim ist ein lustiger
fünfundsechzigjähriger Anwalt, den ich seit dreißig Jahren kenne.
Er war nach dem plötzlichen Tod seiner (älteren) Lebenspartnerin
vor drei Jahren ziemlich verzweifelt.
»Ich kann nicht allein sein, ich brauche eine Frau,
sonst verwelke ich wie eine Blume«, jammerte er in klassischer
Girl-Talk-Manier!
Und stürmte vor zwei Jahren in die Datingszene wie
ein Hurrikan, meldete sich bei allen Webseiten an, freien und
gebührenpflichtigen, und war vierundzwanzig Stunden am Tag damit
beschäftigt, Frauen zwischen fünfundvierzig und sechzig anzumailen
und jede einzelne zu treffen, die willig war.
Witzige Anwälte haben wohl in der Altersklasse mit
die besten Karten, sofort nach Millionären ohne Erben. Er brachte
es in der Zeit auf zweihundertsechzig Dates (behauptet er!), von
denen einige »wirklich sehr tolle, berufstätige Frauen« waren, mit
fünf von ihnen ging er richtig aus.
Auf meine Frage, wie es denn mit Sex war, gibt er
ausweichende Antworten, fast ein bisschen kokett. »Alles prima«,
behauptet er.
Wir wohnen etwas weiter auseinander, und so traf
ich bisher keine seiner Eroberungen. Bis sich dann eine Karin in
sein Leben mailte, ihres Zeichens eine achtundvierzigjährige
Stenografin bei Gericht. Ich hörte nur noch »Karin und ich«, und
dann wollte er, dass ich sie kennenlerne. Gern.
Karin hat flammendrot gefärbte Haare, trägt einen
schulterfreien Pulli, großzügige Schmuckmengen, Leggings und
Pantoletten - alles Dinge, die beim Fashiongericht lebenslänglich
kriegen würden.
Sie ist wohl sehr unsicher und möchte dringend die
»gute alte Freundin« von Joachim grillen.
Männer sollten lernen, sich nicht zu enthusiastisch
über andere Frauen zu äußern, auch wenn die Freundschaft
platonischer Natur ist.
Sie starrt mich bitterböse an, nimmt flink die
Häppchen weg, bevor ich zugreifen kann, und sagt dauernd giftig:
»Also, das müssen Sie mir erst mal erklären!«
Einer meiner allerliebsten Sätze.
Ich erkläre gar nichts, sondern ignoriere sie nach
dem dritten Affront (»Ach, Sie schreiben? Davon kann man doch nicht
leben!«), was sie erbost. Dafür drückt sie sich demonstrativ so eng
an Joachim, dass er fast von der Couch fällt, und knetet kräftig
seine Hand.
Die Worte »wir« und »Schatz« fallen dauernd,
Joachim guckt ein wenig gequält, ich sehe ihn mit neuen Augen. Nach
einigen weiteren persönlichen Beleidigungen von Karin (»Nur weil
Sie viel reisen, heißt das nicht, dass Sie was Besonderes sind!«)
habe ich genug von den beiden.
Beim frostigen Abschied fällt mein Blick auf das
Bücherbord. Oh, großer Gott! Da steht ein Foto, scheinbar vom
Urlaub, Arm in Arm mit Weinglas in der Hand, sie tiefbraun und
triumphierend, er verlegen und gefangen, im Hintergrund irgendetwas
Südliches.
Da war sie, die fotografische Besiegelung von
weiteren langen Jahren Gefangenschaft, getarnt als
Paarbeziehung.
Als ich endlich nach Hause fliehen kann, bin ich
bestens gelaunt und fühle mich wie ein Glückspilz, weil ich keinen
Schlüssel zu einem Platz wie »Kerker Karin« besitzen will. Armer
Joachim. Ich rufe ihn nicht mehr an.
Liebe ist (k)ein Zufall
Ich habe ja meine Zweifel, ob man sein Schicksal
wirklich lenken und mit den modernsten Mitteln austricksen kann, so
wie einen kranken Hund, dem man bittere Pillen ins leckere Futter
mischt.
Sollte man es versuchen, so wie die beiden
Paare?
Liebe ist kein Zufall. So wirbt Elite, die sehr
gediegen agierende Perlenkette-und-Anzug-Vermittlung der Branche,
und wartet mit vielen schrecklich anspruchsvollen Akademikern auf,
die sich so wertvoll gebärden, dass sie niemals mit einer Friseuse
ausgehen würden.
Die Liebe mag kein Zufall sein, aber das Treffen
von bestimmten Männern, das zur Liebe führen kann, ist es eben
doch.
Wir lieben das Schicksalhafte und brauchen den
Zufall und die Illusion, dass das Schicksal uns jemanden in
Reichweite schiebt, jemanden speziellen, extra für uns angefertigt
wie ein Lebkuchenmann. Vielleicht auch deshalb, weil dann die
Schuld verringert wird, wenn sich aus der anfänglichen
Liebesbegeisterung lähmende Langeweile entwickelt. Man kann ja
nichts dafür.
Aber genug von der Liebe, die laut eines
amerikanischen Songs nur »ein Wort mit vier Buchstaben ist«.
Sex hat nur drei - vielleicht denkt man deshalb
öfter daran? (Und vergisst es schneller?)