Von der Unmöglichkeit zu lieben
040
»Müssen wir lieben?« Diese existenzielle Frage stelle ich mir in den letzten Jahren öfter, genauso wie Carrie Bradshaw aus Sex And The City und andere wirklich wichtige Philosophen.
Und wenn ja, wozu ist die Liebe gut?
Hilft sie bei der Hausarbeit, beim Kampf um den Job, beim Autofahren und dabei, Salatsoße herzustellen? Und vor allem beim Sex? Nötig ist sie nicht für Sex. Eine große Entdeckung in der Emanzipationsgeschichte war ja, dass Frauen genauso wie Männer mit jedem Sex haben können, den sie sexuell begehrenswert finden, ohne den Sexualpartner heiraten zu wollen, eine wertvolle Beziehung mit ihm zu haben oder ihn auch nur als wunderbaren Menschen zu sehen.
Allerdings, und das sagen die meisten Frauen, mehr Spaß bringt Sex schon, wenn man verliebt ist. Das ist wie das Sahnehäubchen auf einem sowieso schon sehr köstlichen Dessert. Aber Liebe kompliziert auch alles, und sei sie noch so schön, wertvoll, erhebend und glücksspendend. Gesucht wird sie trotzdem, mit Zähigkeit und die Nerven beruhigender Blindheit - und in den unmöglichsten Situationen.
Manche Frauen müssen einen Mann erst sehr gut kennenlernen, bevor sie sich verlieben, anderen wiederum pocht schnelles heißes Blut unter der Haut, und schon ein Blick, eine Bewegung, eine Berührung genügt und sie sind entflammt. Obendrein gehört dazu die Willigkeit, sich kopflos in etwas zu stürzen, über dessen Ausgang man nicht nachdenkt.
So eine bin ich, und es hat mich über die Jahre hinweg einige Tränen und Wutanfälle gekostet - von Kopfschütteln über meine Wahl ganz zu schweigen.
Da war der arbeitslose Schauspieler, als ich achtundvierzig war. Ich erwähne aber das Alter nur, damit man sieht, dass auch erwachsene Frauen nicht gegen romantischen Blödsinn gefeit sind. Er war zweiundvierzig und hatte diese Unruhe und unterdrückte Rebellion in den Augen, die ich scheinbar so mag. Und einen guten Schuss Melancholie, die ich für ein Versprechen von irgendetwas Wunderbarem, Tiefem hielt. Wir waren sofort verliebt.
Oh, und er war verheiratet.
Das erwähnte er erst nach einer gemeinsamen Nacht, die zumindest bewies, dass ich selten falsch liege, was die sexuellen Talente von Männern betrifft. Eigentlich sind verheiratete Männer tabu, finde ich, aber es kann passieren.
Wir sahen uns jeden Tag, telefonierten dauernd, mein Herz klopfte nur bei dem Gedanken an ihn, ich schwärmte meinen Freundinnen von ihm vor. Sie wirkten abwartend und sagten wahrscheinlich hinter meinem Rücken: »Oh nee, nicht schon wieder!«
Nach genau einer Woche war die Luft raus und die Hitze weg, die große Liebe lag schlaff und kühl irgendwo in den Laken. Ich schüttelte sie hinaus und ihn gleich mit.
Er müsse sowieso zurück zu Frau und Kind, meinte er. Und ich war heilfroh und überlegte, wieso es der Mann mir so angetan hatte. Dann vergaß ich ihn vollkommen.
Auf die spöttische Frage: »Was macht eigentlich dein Schauspieler?«, antwortete ich aufrichtig: »Was für ein Schauspieler?«
Bis ich vor einem Jahr einen nicht besonders guten TV-Film sah und, bevor ich abschaltete, ganz kurz einen etwas korpulenten Herrn mit grauen Haaren erkannte, der den Ex-Ehemann der Heldin spielte. Eine Nebenrolle. Es war meine alte Flamme.
Ich musste sehr lachen. Er und ich - das kam mir jetzt sehr fremd vor. Aber das Gefühl damals, in genau dem Moment, das war echt gewesen. So echt wie mein Herzflattern, als ich Philipp gesehen hatte.
Aber ist es wirklich Liebe, nach der wir suchen? Oder ist diese Suche nicht doch vielleicht nur eine Form des sich Vergewisserns, dass wir nicht allein sind?
Im Partner sucht man vornehmlich sich selbst, behaupte ich. Die Sehnsucht nach Spiegelung und Akzeptanz ist so groß und auch das Mysterium der eigenen Existenz so überwältigend ungelöst, dass wir uns durch die Präsenz eines anderen sicherer und dem Geheimnis des Ichs näher fühlen.
Also sind wir alle nur eine emotionsgebundene Bande von Neurotikern, die hilf- und ahnungslos durchs Leben stolpern? Ich finde ja. Meistens. Und ich finde das spannend, wenn auch schmerzlich und sehr anstrengend.
 
Die Art, wie sich Begehren, Liebe und Fantasie mit der Realität arrangieren, ist faszinierend, denn sie scheint selbst den eindeutig zum Scheitern verurteilten Szenarien den Glanz der Hoffnung zu verleihen.
Als ich sechsundzwanzig war, lebte ich mit einem charismatischen, aber sehr schwierigen Musiker, den man heute bestimmt bipolar nennen würde. Die Beziehung war sehr kompliziert, leidenschaftlich und hochexplosiv, denn ich verwechselte wilden Streit mit eindeutigen Liebesbeweisen. Wir trennten uns nach zwei Jahren, aber die Liebe war nicht ganz erloschen. Wir landeten immer wieder mal im Bett, dann gab es Zank, und wir rasten erneut verletzt und empört in entgegengesetzte Richtungen. Der Schlussstrich musste viel entschiedener gezogen werden, fand ich und beendete jeden Kontakt.
Ein halbes Jahr später hörte ich, dass er für unbestimmte Zeit nach Mexiko gereist sei, und in mir wallte plötzlich eine solche Sehnsucht nach ihm und einer - ziemlich absurden - zweiten Chance für unsere Liebe auf, dass es mir den Atem verschlug.
Ich fand seine Anschrift heraus, schrieb ihm einen zehnseitigen, sehr herzzerreißenden Brief, der genauso gefühlsduselig beantwortet wurde, und reiste zur romantischen Wiedervereinigung nach Mexiko.
Kurz gesagt, das Wiedersehen war wunderbar und intensiv, der Frieden hielt drei Tage, aber wir reisten noch drei Wochen in dem sehr schönen und abenteuerlichen Land umher, in denen ich ihn täglich zum Teufel wünschte und bitter enttäuscht war, dass ich wieder auf den absurden Glauben an die Möglichkeit charakterlicher Änderungen hereingefallen war. Und auf die Vorstellung, dass die Liebe wiederbelebt werden kann wie ein Unfallopfer - weil sie alles übersteht und im gloriosen Finale siegt.
Wir haben eben alle unsere gerahmten Bilder von Liebe und ihrer Position im Leben im Kopf: als Erfüllung, Ergänzung, Ziel, Ausrede, Entschuldigung und Ausweg.
Sexy Sixty - Liebe kennt kein Alter -
bern_9783641042240_oeb_cover_r1.html
bern_9783641042240_oeb_toc_r1.html
bern_9783641042240_oeb_ata_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c01_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c02_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c03_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c04_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c05_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c06_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c07_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c08_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c09_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c10_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c11_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c12_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c13_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c14_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c15_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c16_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c17_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c18_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c19_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c20_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c21_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c22_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c23_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c24_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c25_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c26_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c27_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c28_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c29_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c30_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c31_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c32_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c33_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c34_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c35_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c36_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c37_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c38_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c39_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c40_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c41_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c42_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c43_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c44_r1.html
bern_9783641042240_oeb_cop_r1.html