Von der Unmöglichkeit zu lieben

»Müssen wir lieben?« Diese existenzielle
Frage stelle ich mir in den letzten Jahren öfter, genauso wie
Carrie Bradshaw aus Sex And The City und andere wirklich
wichtige Philosophen.
Und wenn ja, wozu ist die Liebe gut?
Hilft sie bei der Hausarbeit, beim Kampf um den
Job, beim Autofahren und dabei, Salatsoße herzustellen? Und vor
allem beim Sex? Nötig ist sie nicht für Sex. Eine große
Entdeckung in der Emanzipationsgeschichte war ja, dass Frauen
genauso wie Männer mit jedem Sex haben können, den sie sexuell
begehrenswert finden, ohne den Sexualpartner heiraten zu wollen,
eine wertvolle Beziehung mit ihm zu haben oder ihn auch nur als
wunderbaren Menschen zu sehen.
Allerdings, und das sagen die meisten Frauen, mehr
Spaß bringt Sex schon, wenn man verliebt ist. Das ist wie das
Sahnehäubchen auf einem sowieso schon sehr köstlichen Dessert. Aber
Liebe kompliziert auch alles, und sei sie noch so schön, wertvoll,
erhebend und glücksspendend. Gesucht wird sie trotzdem, mit
Zähigkeit und die Nerven beruhigender Blindheit - und in den
unmöglichsten Situationen.
Manche Frauen müssen einen Mann erst sehr gut
kennenlernen, bevor sie sich verlieben, anderen wiederum pocht
schnelles heißes Blut unter der Haut, und schon ein Blick, eine
Bewegung, eine Berührung genügt und sie sind entflammt.
Obendrein gehört dazu die Willigkeit, sich kopflos in etwas zu
stürzen, über dessen Ausgang man nicht nachdenkt.
So eine bin ich, und es hat mich über die Jahre
hinweg einige Tränen und Wutanfälle gekostet - von Kopfschütteln
über meine Wahl ganz zu schweigen.
Da war der arbeitslose Schauspieler, als ich
achtundvierzig war. Ich erwähne aber das Alter nur, damit man
sieht, dass auch erwachsene Frauen nicht gegen romantischen
Blödsinn gefeit sind. Er war zweiundvierzig und hatte diese Unruhe
und unterdrückte Rebellion in den Augen, die ich scheinbar so mag.
Und einen guten Schuss Melancholie, die ich für ein Versprechen von
irgendetwas Wunderbarem, Tiefem hielt. Wir waren sofort
verliebt.
Oh, und er war verheiratet.
Das erwähnte er erst nach einer gemeinsamen Nacht,
die zumindest bewies, dass ich selten falsch liege, was die
sexuellen Talente von Männern betrifft. Eigentlich sind
verheiratete Männer tabu, finde ich, aber es kann passieren.
Wir sahen uns jeden Tag, telefonierten dauernd,
mein Herz klopfte nur bei dem Gedanken an ihn, ich schwärmte meinen
Freundinnen von ihm vor. Sie wirkten abwartend und sagten
wahrscheinlich hinter meinem Rücken: »Oh nee, nicht schon
wieder!«
Nach genau einer Woche war die Luft raus und die
Hitze weg, die große Liebe lag schlaff und kühl irgendwo in den
Laken. Ich schüttelte sie hinaus und ihn gleich mit.
Er müsse sowieso zurück zu Frau und Kind, meinte
er. Und ich war heilfroh und überlegte, wieso es der Mann mir so
angetan hatte. Dann vergaß ich ihn vollkommen.
Auf die spöttische Frage: »Was macht eigentlich
dein Schauspieler?«, antwortete ich aufrichtig: »Was für ein
Schauspieler?«
Bis ich vor einem Jahr einen nicht besonders guten
TV-Film sah und, bevor ich abschaltete, ganz kurz einen etwas
korpulenten Herrn mit grauen Haaren erkannte, der den Ex-Ehemann
der Heldin spielte. Eine Nebenrolle. Es war meine alte
Flamme.
Ich musste sehr lachen. Er und ich - das kam mir
jetzt sehr fremd vor. Aber das Gefühl damals, in genau dem Moment,
das war echt gewesen. So echt wie mein Herzflattern, als ich
Philipp gesehen hatte.
Aber ist es wirklich Liebe, nach der wir suchen?
Oder ist diese Suche nicht doch vielleicht nur eine Form des sich
Vergewisserns, dass wir nicht allein sind?
Im Partner sucht man vornehmlich sich selbst,
behaupte ich. Die Sehnsucht nach Spiegelung und Akzeptanz ist so
groß und auch das Mysterium der eigenen Existenz so überwältigend
ungelöst, dass wir uns durch die Präsenz eines anderen sicherer und
dem Geheimnis des Ichs näher fühlen.
Also sind wir alle nur eine emotionsgebundene Bande
von Neurotikern, die hilf- und ahnungslos durchs Leben stolpern?
Ich finde ja. Meistens. Und ich finde das spannend, wenn auch
schmerzlich und sehr anstrengend.
Die Art, wie sich Begehren, Liebe und Fantasie mit
der Realität arrangieren, ist faszinierend, denn sie scheint selbst
den eindeutig zum Scheitern verurteilten Szenarien den Glanz der
Hoffnung zu verleihen.
Als ich sechsundzwanzig war, lebte ich mit einem
charismatischen, aber sehr schwierigen Musiker, den man heute
bestimmt bipolar nennen würde. Die Beziehung war sehr kompliziert,
leidenschaftlich und hochexplosiv, denn ich verwechselte wilden
Streit mit eindeutigen Liebesbeweisen. Wir trennten uns nach zwei
Jahren, aber die Liebe war nicht
ganz erloschen. Wir landeten immer wieder mal im Bett, dann gab es
Zank, und wir rasten erneut verletzt und empört in entgegengesetzte
Richtungen. Der Schlussstrich musste viel entschiedener gezogen
werden, fand ich und beendete jeden Kontakt.
Ein halbes Jahr später hörte ich, dass er für
unbestimmte Zeit nach Mexiko gereist sei, und in mir wallte
plötzlich eine solche Sehnsucht nach ihm und einer - ziemlich
absurden - zweiten Chance für unsere Liebe auf, dass es mir den
Atem verschlug.
Ich fand seine Anschrift heraus, schrieb ihm einen
zehnseitigen, sehr herzzerreißenden Brief, der genauso
gefühlsduselig beantwortet wurde, und reiste zur romantischen
Wiedervereinigung nach Mexiko.
Kurz gesagt, das Wiedersehen war wunderbar und
intensiv, der Frieden hielt drei Tage, aber wir reisten noch drei
Wochen in dem sehr schönen und abenteuerlichen Land umher, in denen
ich ihn täglich zum Teufel wünschte und bitter enttäuscht war, dass
ich wieder auf den absurden Glauben an die Möglichkeit
charakterlicher Änderungen hereingefallen war. Und auf die
Vorstellung, dass die Liebe wiederbelebt werden kann wie ein
Unfallopfer - weil sie alles übersteht und im gloriosen Finale
siegt.
Wir haben eben alle unsere gerahmten Bilder von
Liebe und ihrer Position im Leben im Kopf: als Erfüllung,
Ergänzung, Ziel, Ausrede, Entschuldigung und Ausweg.