Die Flirtschule des Lebens
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Zu flirten und einen Mann anzusprechen kann man lernen, muss man aber üben. Als ich sehr jung war, sprach ein Mädchen keine Jungs und Männer an, sie bekam sie durch gewisse Blicke dazu, sie anzusprechen. In dem Fall tat sie dann völlig desinteressiert oder empört, bebte aber innerlich vor Aufregung. Auch wenn in den späten Sechzigern die neue, lockere Moral zelebriert wurde, so waren doch die Bausteine für eine geradezu professionelle Schüchternheit viel früher gelegt worden.
Meine Mutter gestand mir einmal, dass sie es leider nie geschafft hat, einen Mann anzusprechen - obwohl sie zwanzig Jahre lang Single war und viele Verehrer hatte. Sie schaffte es nicht einmal, sich von freundlich lächelnden Gentlemen in Cafés auf einen Kaffee einladen zu lassen. Alles reine Erziehungssache.
Auch ich war mit vierzehn ziemlich schüchtern, aber einfallsreicher als meine Mutter. Meine geheimen Ausflüge in die Welt des Flirts und der Aufmerksamkeit von Jungs fingen auf dem lokalen Jahrmarkt an, auf den ich eigentlich nicht gehen durfte. Man fuhr kreischend im Autoscooter, rempelte damit Jungs wie aus Versehen an oder stand an den Karussells herum, während man mit den Fingern zu den amerikanischen Fünfzigerjahre-Rocksongs schnippte und so tat, als wäre man cool und unnahbar.
Außer Blicken, einem lässigen Kopfnicken oder einem »Hallo« wurde nicht viel ausgetauscht.
Es lag eine süße Aufregung und Erwartung in der Luft, bald, schon bald würde man die jugendliche Unschuld hinter sich lassen, die Geheimnisse der Sexualität enträtseln und das Spiel der Geschlechter mitspielen können.
Auch Verabredungen gab es noch nicht wirklich. Man guckte sich in der Klasse oder auf dem Schulhof an, kam mit dem Jungen der Wahl öfter ins Gespräch, und dann fragte auch schon eine Freundin kichernd: »Gehst du mit dem?« Und das war wortwörtlich zu nehmen: Man schlenderte zusammen mit einem Jungen nach Hause, von der Schule oder vom Sport, er kam natürlich nicht mit herein, und traf sich vielleicht später in der Eisdiele.
Partys gab es nicht, bevor ich sechzehn war, und wenn ich bis zweiundzwanzig Uhr ausgehen durfte, dann waren das zwar sehr lustige, aber brave Angelegenheiten mit netten Jungs und Cola-Rum, die ich nicht trank, denn ich mochte keinen Alkohol. Von Drogen hatte noch keiner etwas gehört.
Dazwischen gab es Tanzstunden, das Grausen jedes als hip gelten wollenden Teenagers. Oberspießige, schrullige Tanzlehrer beiderlei Geschlechts, die aussahen, als wären sie beim Dorftanzturnier als Schlusslicht durchgegangen, versuchten Foxtrott, Walzer und Rumba in die meist unbeholfenen Körper der Tanzunwilligen zu hämmern.
Leider musste man sich von den Jungs mit den feuchten Händen offiziell angrabbeln lassen, und ich weiß noch, wie mein Rücken immer steifer wurde, wenn Harald, angetan mit einem Konfirmationsanzug aus mausgrauem Trevira, mit seinen suchenden Griffeln fest meine Taille umschloss.
Von Sex konnte in diesen Jahren gar keine Rede sein. Es wurde noch nicht einmal darüber gesprochen. Irgendwie ging man als Jungfrau in die Ehe, dachte man vage.
Ich fand das auch richtig so - nicht nur aus moralischen Gründen, sondern aus Angst vor Schwangerschaft. Denn ohne die Pille hatten Gesellschaft und Eltern die größte Angstwaffe in der Hand: unerwünschte Babys!
Ich erinnere mich noch an meinen ersten richtigen Schwarm mit vierzehn, dessentwegen ich kurzzeitig zur Stalkerin wurde. Ich hatte ihn im Park bei meinen Großeltern um die Ecke gesehen und war sofort verliebt, denn er war der neue Typ Junge, den ich mochte. Er trug Jeans, eine braune Wildlederjacke, Rollkragenpulli und hatte modern geschnittene, kurze Haare ohne Scheitel, die etwas nach vorne gekämmt waren.
Nun begann eine mehrere Wochen andauernde Show von mir, die mit häufigen Besuchen bei meiner überraschten Oma verbunden war. Kaum dort, musste ich plötzlich unbedingt aus dem Haus, um Taschentücher, neue Perlonstrümpfe (wegen einer Laufmasche) oder ein Heft für die Schule zu kaufen.
Ich ging schnurstracks in den Park und hoffte, dass er auch da war, denn die jungen Leute (so nannte man uns) waren gern in den Parks. Immer wenn ich ihn sah - auf der Bank sitzend, im Gespräch mit einer Gruppe -, ging ich wie zufällig an ihnen vorbei. Ich weiß, dass er mich auch sah, denn beim dritten Spaziergang, bei dem ich es wagte, mich selbst salopp auf eine Bank zu setzen und in die Luft zu starren, kam er zu mir und fragte: »Wohnst du hier?«
Wow, ziemlich mutig!
Wir redeten ein wenig, er hieß Klaus und war Lehrling im Eisenwarenladen. Ja, und nun? Adressen- oder Telefonnummernaustausch kam nicht infrage. Meine Mutter überwachte alle Telefongespräche, und ein Klaus, der mich anrufen würde, hätte zu viele Fragereien zur Folge. Ich wusste, das war’s irgendwie, aber mein Herz schmerzte.
Als wir bald darauf in der Klasse aufgefordert wurden, eine Zeichnung unserer Wahl zu machen, zeichnete ich ihn aus dem Gedächtnis, mit Jeans, Lederjacke und allem Drum und Dran. Ich glaube, ich verpasste ihm einen ziemlich seelenvollen Ausdruck mit gerunzelten Brauen, ein bisschen wie James Dean. Die Zeichnung kam in eine kleine Ausstellung in der Pausenhalle, und ich war ziemlich stolz.
Ich habe Klaus nie wiedergesehen!
Sexy Sixty - Liebe kennt kein Alter -
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