Sexy Sixty und die Jungmänner
018
»Du siehst sehr attraktiv und interessant aus«, schrieb mir Andy. »Ich würde dich gern mal kennenlernen.«
Nun, keine besonders originelle Anmache, aber viele Menschen brillieren nicht durch verbales Feuerwerk, daran muss ich mich erst gewöhnen. Andy sieht hübsch und freundlich auf dem Foto aus, braune Augen, dunkle Haare in eine nette Jungsfrisur gekämmt, das finde ich immer rührend.
Er macht irgendetwas in der Filmbranche, was mir gefällt und nie ganz falsch sein kann, auch wenn er einen etwas unglücklichen Pulli im Streifendesign trägt, was mir nicht gefällt. Außerdem lässt er mich wissen, dass er Klavier spiele, kein Handy besitze und nicht fernsähe. Ach ja, und er ist erst dreiunddreißig.
Ich schicke Sarah das Foto.
»Der sieht doch total schnuckelig aus, mit dem triffst du dich auf jeden Fall!«, befiehlt sie.
Nach drei Mails von ihm und einem Anruf, gegen den stimmlich nichts einzuwenden ist, einigen wir uns auf sechzehn Uhr in dem Bistro meiner Wahl.
Sarah, die scheinbar nichts Besseres zu tun hat, als mich zu überwachen, sieht sofort Akte unglaublicher Verderbtheit vor sich und mailt mir, schlüpfriges Biest, das sie ist, etwas vorschnell: »Hey, du Verführerin, endlich mal wieder ein ganz junger Männerkörper unter deinen erfahrenen Händen, ich beneide dich! Denk dran, dass du das Licht nicht von oben kommen lässt - lots of candlelight. Und morgen will ich jedes schmutzige Detail wissen!«
Sie macht das sehr geschickt mit ihren Anfeuerungen, und manchmal denke ich, dass sie mich all die Sachen machen lassen möchte, die sie selber nicht wagt, aber gern täte. Sie ist nämlich seit zwanzig Jahren verheiratet!
Auch Karen, die sonst eher knapp und kühl ist, fühlt sich beflügelt, mir etwas mit auf den Weg zu geben: »Sag mal, bei dir ist ja was los. Jetzt beschäftigst du dich sicherlich mit der brennenden Frage: Wie bereite ich mich auf ein Date mit einem Jüngeren vor - totales waxing? Darf man einem jungen Mann sein ganzes Schamhaar eigentlich zumuten? Kleiner Scherz, aber da sch(n)eiden sich tatsächlich die Geister.«
Aber da will ich jetzt nicht hin, auf diesen Gedankenpfad.
Kümmert euch um euer eigenes Schamhaar!
 
Er sitzt schon da und hat, vielleicht damit ich ihn nicht übersehe, den unseligen Pulli an. Er steht höflich zur Begrüßung auf, aber an ihm ist etwas schrecklich Unaufregendes. Er guckt mich prüfend an, und ich kann nicht sagen, ob er mich mag.
Der Kellner, ein etwas gebeutelt aussehender Enddreißiger, guckt auch sehr neugierig, warum weiß ich nicht. Sieht man uns an, dass wir Online-Dater sind, oder freut er sich, dass eine Mutter ihren Sohn ausführt? Vielleicht ist die unterschwellige Frage aber auch nur: »Wie hat die den denn aufgegabelt?«
Einfach beantwortet. Ältere Frauen sind seltener als man denkt liebeshungrige Jägerinnen. Es sind oft die jungen Männer, die sich verliebt und fasziniert an die Fersen der Frauen heften, die Lebenserfahrung und Erotik in sich vereinen und sogar den Schuss Mütterlichkeit, den es ja auch dabei gibt, irgendwie sexy machen.
Natürlich gibt es auch den coolen jungen Heißsporn, der sich die erfolgreiche Gönnerin angeln will. Dazu eigne ich mich allerdings gar nicht.
Ich habe inzwischen gelernt, dass ich aufpassen muss, damit ich Männer nicht gleich total verschrecke - junge wie alte. Es ist sehr verführerisch, die souveräne Alleswisserin zu spielen, die ja die meisten Frauen über sechzig auch irgendwie sind.
Aber allzu viele Erfahrungen in fremden Ländern oder spezielle Wissensgebiete, die man vor sich herträgt wie eine extravagante Handtasche aus bunt gefärbtem Krokodilleder, verunsichern Männer sehr stark, da ihr natürliches Dominanzgebaren nicht richtig zum Zuge kommt.
Für den Anfang klappt am besten: neugierig sein, Fragen stellen, keine Geschichten erzählen. Und wenn Zweifel an der (eigenen) Attraktivität auftreten oder Falten im ungünstigen Licht eben auf ein »gewisses« Alter hinweisen, immer an Helen Mirren denken, die ihre souveräne Erotik so hinreißend vorlebt, dass sie auf uns alle ein wenig abfärbt.
Wir bestellen beide eine Pizza, und eine plätschernde Unterhaltung kommt in Gang. Wir reden zwar über das Wetter, aber ich glaube, dass wir uns beide überlegen, wie wir den wahren Grund unseres Treffens einkreisen, ohne das Gesicht zu verlieren. Theoretisch sollte das viel Spaß machen, es sollte knistern und funkeln - und das nennt man dann flirten.
Aber er hat etwas sehr Nüchternes an sich, und ich muss sagen, dass ich nicht so recht weiß, wo ich hingucken soll. Es ist keine Schüchternheit, ich mag nur nicht wirklich prüfend angeguckt werden. Von niemandem.
Ich überlege, was denn genau in dem Kopf eines jungen Mannes vorgeht, der eine zweiundsechzigjährige Frau treffen will. Wonach beurteilt er, was sie attraktiv macht? Aussehen? Kleidung? Sexuelle Erfahrung vielleicht?
Vielleicht haben all die jungen Herren den Film Der Vorleser gesehen, wo ein immerhin erst Sechzehnjähriger eine Affäre mit einer zwanzig Jahre älteren Frau hat (eine ehemalige KZ-Wärterin, das wünscht man nun keinem!), die im Film von der schönen, sinnlichen Kate Winslet gespielt wird. So was setzt ja Hoffnungen frei.
Noch besser ist der Film Die Reifeprüfung, in dem ein junger, kleiner, großnasiger Dustin Hoffman in die Fänge der älteren verheirateten Nachbarin Mrs. Robinson gerät. Die außer einem mokanten Lächeln schwarze Strümpfe, Strapse und einen echten (das durfte man noch 1968) Leopardenmantel mit passendem Hut trägt.
Sie schafft es, den willigen Welpen mit laszivem Getue und einem gewissen Befehlston zu verführen, aber es bleibt ein bitterer Nachgeschmack bei ihm. Er wendet sich der bildschönen neunzehnjährigen Tochter, die noch Jungfrau ist, zu, die er dann auch ganz schnell heiratet. Vielleicht auch, um sein verbotenes und schmuddeliges Sexleben vom Makel der Wollust reinzuwaschen. Dieses altbackene Szenario wird man heute in der westlichen Welt wohl nicht mehr häufig finden.
 
Vielleicht wartet Andy auf eindeutige Signale? Aber erstens bin ich zwanzig Jahre älter als Mrs. Robinson, und leider sind wir nicht in Los Angeles, wo man vielleicht bei Sonne, Palmen und Swimmingpools in rosa Villen sowieso auf andere Ideen kommt. Der Norden Deutschlands ist eher reserviert.
Außerdem hat der junge Mann den Energielevel einer Schnecke, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich irgendetwas von Sarahs Ratschlägen (oder Mrs. Robinsons Ideen) in die Tat umsetzen werde. Ich forsche in seinem Gesicht nach einem Glitzern in den Augen, einem auffordernden Lächeln, aber da ist nichts außer diesem wartenden Blick. Ich muss zugeben, dass ich auch nicht vor Interesse sprühe und merke, dass ich sehr viel ins Weite blicke.
Die Pizza ist fast aufgegessen und die Rettung des europäischen und amerikanischen Films auch so weit geklärt. (Einhellige Meinung: Til Schweiger wird den deutschen Film nicht retten, aber Johnny Depp den amerikanischen.) Eigentlich bleibt für mich nur diese eine Frage übrig, die ich gern beantwortet haben möchte: Was ist seiner Meinung nach die Faszination, die ältere Frauen für junge Männer haben?
Also frage ich ihn endlich.
»Ich glaube, es ist ziemlich normal, dass sich junge Männer für ältere Frauen interessieren, das gab es doch schon immer. Junge Männer spüren, dass man viel von ihnen lernen könnte, auch fürs spätere Leben und für andere Frauen. Natürlich auch sexuell«, erklärt er und guckt mich erwartungsvoll an.
Was erwartet er nun? Dass ich sage: »Baby, lass uns gleich mit dem Unterricht anfangen?«
Dann gesteht er, dass er eine frustrierende eineinhalb Jahre währende Beziehung mit einer dreißigjährigen Frau hatte, die er auch übers Internet kennengelernt hat.
»Ich finde die meisten jungen Frauen ziemlich langweilig«, sagt er düster.
Kein Wunder. Ein Blick auf viele Frauen in den Dreißigern zeigt jedenfalls mir, dass sie besonders angepasst, farbund orientierungslos sind und unsicher zwischen Beruf und Privatleben umherschwirren und nirgendwo anzukommen scheinen. Gleichzeitig präsentieren sie sich als super-selbstbewusste Barrierebrecherinnen (siehe Charlotte Roche), die wissen, wo’s langgeht, während sie nach einem passenden Mann Ausschau halten. Aber der ist nur verschreckt.
Ich kann sehr gut verstehen, dass die jüngeren Männer, die sich dauernd von jungen bindungsbegeisterten Frauen mit laut tickenden biologischen Uhren umzingelt sehen, von uns mehr in sich selbst ruhenden älteren Frauen begeistert sind.
»Und im Internet können junge Männer damit offener umgehen und etwas herumexperimentieren. Man kann ja jede anmailen, und dann klärt es sich, ob Interesse da ist«, fügt er hinzu. Jetzt hat er ein kleines Lächeln auf seinen vollen Lippen.
Ein cleverer Schachzug, denke ich, gleich fragt er, was mein Motiv ist und warum ich mich mit jungen Männern treffe.
Doch dazu ist er zu gehemmt, und mir reichen die Informationen. Also, er ist es wirklich nicht, da gibt es aufregendere junge Dachse. Zeit für den Abschied. Ich glaube, er ist enttäuscht. Aber es gibt ja Tausende von willigen älteren Frauen, die ihn sich gern im wahrsten Sinne des Wortes zur Brust nehmen würden. Sechsundsiebzig Prozent aller deutschen Frauen würden einen jüngeren Mann heiraten - der Prozentsatz derjenigen sexy Ladys, die lediglich gern Sex mit ihnen hätten, dürfte noch höher sein!
»Na, wie war’s?«, fragen alle drei Freundinnen gespannt.
»Absolut langweilig«, knurre ich.
»Nur keine Panik. Gibt ja noch mehr«, beruhigt mich Karen.
Sexy Sixty - Liebe kennt kein Alter -
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