Sexy Sixty und die Jungmänner

»Du siehst sehr attraktiv und interessant
aus«, schrieb mir Andy. »Ich würde dich gern mal
kennenlernen.«
Nun, keine besonders originelle Anmache, aber viele
Menschen brillieren nicht durch verbales Feuerwerk, daran muss ich
mich erst gewöhnen. Andy sieht hübsch und freundlich auf dem Foto
aus, braune Augen, dunkle Haare in eine nette Jungsfrisur gekämmt,
das finde ich immer rührend.
Er macht irgendetwas in der Filmbranche, was mir
gefällt und nie ganz falsch sein kann, auch wenn er einen etwas
unglücklichen Pulli im Streifendesign trägt, was mir nicht gefällt.
Außerdem lässt er mich wissen, dass er Klavier spiele, kein Handy
besitze und nicht fernsähe. Ach ja, und er ist erst
dreiunddreißig.
Ich schicke Sarah das Foto.
»Der sieht doch total schnuckelig aus, mit dem
triffst du dich auf jeden Fall!«, befiehlt sie.
Nach drei Mails von ihm und einem Anruf, gegen den
stimmlich nichts einzuwenden ist, einigen wir uns auf sechzehn Uhr
in dem Bistro meiner Wahl.
Sarah, die scheinbar nichts Besseres zu tun hat,
als mich zu überwachen, sieht sofort Akte unglaublicher
Verderbtheit vor sich und mailt mir, schlüpfriges Biest, das sie
ist, etwas vorschnell: »Hey, du Verführerin, endlich mal wieder ein
ganz junger Männerkörper unter deinen erfahrenen Händen, ich
beneide dich! Denk dran, dass du das Licht nicht von oben kommen
lässt - lots of candlelight. Und morgen will ich jedes schmutzige
Detail wissen!«
Sie macht das sehr geschickt mit ihren
Anfeuerungen, und manchmal denke ich, dass sie mich all die Sachen
machen lassen möchte, die sie selber nicht wagt, aber gern täte.
Sie ist nämlich seit zwanzig Jahren verheiratet!
Auch Karen, die sonst eher knapp und kühl ist,
fühlt sich beflügelt, mir etwas mit auf den Weg zu geben: »Sag mal,
bei dir ist ja was los. Jetzt beschäftigst du dich sicherlich mit
der brennenden Frage: Wie bereite ich mich auf ein Date mit einem
Jüngeren vor - totales waxing? Darf man einem jungen Mann
sein ganzes Schamhaar eigentlich zumuten? Kleiner Scherz, aber da
sch(n)eiden sich tatsächlich die Geister.«
Aber da will ich jetzt nicht hin, auf diesen
Gedankenpfad.
Kümmert euch um euer eigenes Schamhaar!
Er sitzt schon da und hat, vielleicht damit ich
ihn nicht übersehe, den unseligen Pulli an. Er steht höflich zur
Begrüßung auf, aber an ihm ist etwas schrecklich Unaufregendes. Er
guckt mich prüfend an, und ich kann nicht sagen, ob er mich
mag.
Der Kellner, ein etwas gebeutelt aussehender
Enddreißiger, guckt auch sehr neugierig, warum weiß ich nicht.
Sieht man uns an, dass wir Online-Dater sind, oder freut er sich,
dass eine Mutter ihren Sohn ausführt? Vielleicht ist die
unterschwellige Frage aber auch nur: »Wie hat die den denn
aufgegabelt?«
Einfach beantwortet. Ältere Frauen sind seltener
als man denkt liebeshungrige Jägerinnen. Es sind oft die jungen
Männer, die sich verliebt und fasziniert an die Fersen der Frauen
heften, die Lebenserfahrung und Erotik in sich vereinen
und sogar den Schuss Mütterlichkeit, den es ja auch dabei gibt,
irgendwie sexy machen.
Natürlich gibt es auch den coolen jungen Heißsporn,
der sich die erfolgreiche Gönnerin angeln will. Dazu eigne ich mich
allerdings gar nicht.
Ich habe inzwischen gelernt, dass ich aufpassen
muss, damit ich Männer nicht gleich total verschrecke - junge wie
alte. Es ist sehr verführerisch, die souveräne Alleswisserin zu
spielen, die ja die meisten Frauen über sechzig auch irgendwie
sind.
Aber allzu viele Erfahrungen in fremden Ländern
oder spezielle Wissensgebiete, die man vor sich herträgt wie eine
extravagante Handtasche aus bunt gefärbtem Krokodilleder,
verunsichern Männer sehr stark, da ihr natürliches Dominanzgebaren
nicht richtig zum Zuge kommt.
Für den Anfang klappt am besten: neugierig sein,
Fragen stellen, keine Geschichten erzählen. Und wenn Zweifel an der
(eigenen) Attraktivität auftreten oder Falten im ungünstigen Licht
eben auf ein »gewisses« Alter hinweisen, immer an Helen Mirren
denken, die ihre souveräne Erotik so hinreißend vorlebt, dass sie
auf uns alle ein wenig abfärbt.
Wir bestellen beide eine Pizza, und eine
plätschernde Unterhaltung kommt in Gang. Wir reden zwar über das
Wetter, aber ich glaube, dass wir uns beide überlegen, wie wir den
wahren Grund unseres Treffens einkreisen, ohne das Gesicht zu
verlieren. Theoretisch sollte das viel Spaß machen, es sollte
knistern und funkeln - und das nennt man dann flirten.
Aber er hat etwas sehr Nüchternes an sich, und ich
muss sagen, dass ich nicht so recht weiß, wo ich hingucken soll. Es
ist keine Schüchternheit, ich mag nur nicht wirklich prüfend
angeguckt werden. Von niemandem.
Ich überlege, was denn genau in dem Kopf eines
jungen Mannes vorgeht, der eine zweiundsechzigjährige Frau treffen
will. Wonach beurteilt er, was sie attraktiv macht? Aussehen?
Kleidung? Sexuelle Erfahrung vielleicht?
Vielleicht haben all die jungen Herren den Film
Der Vorleser gesehen, wo ein immerhin erst Sechzehnjähriger
eine Affäre mit einer zwanzig Jahre älteren Frau hat (eine
ehemalige KZ-Wärterin, das wünscht man nun keinem!), die im Film
von der schönen, sinnlichen Kate Winslet gespielt wird. So was
setzt ja Hoffnungen frei.
Noch besser ist der Film Die Reifeprüfung,
in dem ein junger, kleiner, großnasiger Dustin Hoffman in die Fänge
der älteren verheirateten Nachbarin Mrs. Robinson gerät. Die außer
einem mokanten Lächeln schwarze Strümpfe, Strapse und einen echten
(das durfte man noch 1968) Leopardenmantel mit passendem Hut
trägt.
Sie schafft es, den willigen Welpen mit laszivem
Getue und einem gewissen Befehlston zu verführen, aber es bleibt
ein bitterer Nachgeschmack bei ihm. Er wendet sich der bildschönen
neunzehnjährigen Tochter, die noch Jungfrau ist, zu, die er dann
auch ganz schnell heiratet. Vielleicht auch, um sein verbotenes und
schmuddeliges Sexleben vom Makel der Wollust reinzuwaschen. Dieses
altbackene Szenario wird man heute in der westlichen Welt wohl
nicht mehr häufig finden.
Vielleicht wartet Andy auf eindeutige Signale?
Aber erstens bin ich zwanzig Jahre älter als Mrs. Robinson, und
leider sind wir nicht in Los Angeles, wo man vielleicht bei Sonne,
Palmen und Swimmingpools in rosa Villen sowieso auf andere Ideen
kommt. Der Norden Deutschlands ist eher reserviert.
Außerdem hat der junge Mann den Energielevel einer
Schnecke, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich irgendetwas
von Sarahs Ratschlägen (oder Mrs. Robinsons Ideen) in die Tat
umsetzen werde. Ich forsche in seinem Gesicht nach einem Glitzern
in den Augen, einem auffordernden Lächeln, aber da ist nichts außer
diesem wartenden Blick. Ich muss zugeben, dass ich auch nicht vor
Interesse sprühe und merke, dass ich sehr viel ins Weite
blicke.
Die Pizza ist fast aufgegessen und die Rettung des
europäischen und amerikanischen Films auch so weit geklärt.
(Einhellige Meinung: Til Schweiger wird den deutschen Film nicht
retten, aber Johnny Depp den amerikanischen.) Eigentlich bleibt für
mich nur diese eine Frage übrig, die ich gern beantwortet haben
möchte: Was ist seiner Meinung nach die Faszination, die ältere
Frauen für junge Männer haben?
Also frage ich ihn endlich.
»Ich glaube, es ist ziemlich normal, dass sich
junge Männer für ältere Frauen interessieren, das gab es doch schon
immer. Junge Männer spüren, dass man viel von ihnen lernen könnte,
auch fürs spätere Leben und für andere Frauen. Natürlich auch
sexuell«, erklärt er und guckt mich erwartungsvoll an.
Was erwartet er nun? Dass ich sage: »Baby, lass uns
gleich mit dem Unterricht anfangen?«
Dann gesteht er, dass er eine frustrierende
eineinhalb Jahre währende Beziehung mit einer dreißigjährigen Frau
hatte, die er auch übers Internet kennengelernt hat.
»Ich finde die meisten jungen Frauen ziemlich
langweilig«, sagt er düster.
Kein Wunder. Ein Blick auf viele Frauen in den
Dreißigern zeigt jedenfalls mir, dass sie besonders angepasst,
farbund
orientierungslos sind und unsicher zwischen Beruf und Privatleben
umherschwirren und nirgendwo anzukommen scheinen. Gleichzeitig
präsentieren sie sich als super-selbstbewusste Barrierebrecherinnen
(siehe Charlotte Roche), die wissen, wo’s langgeht, während sie
nach einem passenden Mann Ausschau halten. Aber der ist nur
verschreckt.
Ich kann sehr gut verstehen, dass die jüngeren
Männer, die sich dauernd von jungen bindungsbegeisterten Frauen mit
laut tickenden biologischen Uhren umzingelt sehen, von uns mehr in
sich selbst ruhenden älteren Frauen begeistert sind.
»Und im Internet können junge Männer damit offener
umgehen und etwas herumexperimentieren. Man kann ja jede anmailen,
und dann klärt es sich, ob Interesse da ist«, fügt er hinzu. Jetzt
hat er ein kleines Lächeln auf seinen vollen Lippen.
Ein cleverer Schachzug, denke ich, gleich fragt er,
was mein Motiv ist und warum ich mich mit jungen Männern
treffe.
Doch dazu ist er zu gehemmt, und mir reichen die
Informationen. Also, er ist es wirklich nicht, da gibt es
aufregendere junge Dachse. Zeit für den Abschied. Ich glaube, er
ist enttäuscht. Aber es gibt ja Tausende von willigen älteren
Frauen, die ihn sich gern im wahrsten Sinne des Wortes zur Brust
nehmen würden. Sechsundsiebzig Prozent aller deutschen Frauen
würden einen jüngeren Mann heiraten - der Prozentsatz derjenigen
sexy Ladys, die lediglich gern Sex mit ihnen hätten, dürfte noch
höher sein!
»Na, wie war’s?«, fragen alle drei Freundinnen
gespannt.
»Absolut langweilig«, knurre ich.
»Nur keine Panik. Gibt ja noch mehr«, beruhigt mich
Karen.