Altmodisch - in jeder Beziehung

Ich besitze einen kleinen roten
Puppen-Pappkoffer mit Liebesbriefen aus vier Jahrzehnten. Jedes
Mädchen, das in den Fünfzigerjahren Kind war, hatte so einen
kleinen Koffer mit Schnappverschlüssen, in dem sie die
Puppengarderobe oder Glasmarmeln, Oblaten-Tauschhefte, eine
Strickliesel oder andere Objekte aufbewahrte, die kleine Mädchen
damals so besaßen.
Es ist jetzt nicht so, dass ich die aufregendste
und meistbedichtete Frau bin, die Männer zu Liebesschwüren
hinreißt, aber die Sechziger- und Siebzigerjahre waren eine sehr
reiselustige Zeit. Ich war jung, viel unterwegs und lernte viele
nette Männer kennen. Das heißt, auf sie passt eher der Ausdruck
»süße Jungs«, denn das Männerbild hatte sich gerade gewandelt - von
brav gescheitelten Bubis zu weichen Lockenköpfen, die ihre Haare
wachsen ließen.
Man verliebte sich alle zehn Minuten, ich
jedenfalls, und dann hatte ich irgendwann einen wunderbaren
Liebesbrief im Briefkasten, der oft mit schmückendem Beiwerk
verziert war. Mit einer Blume, einem Herz oder anderen kleinen
Zeichnungen, oder der Umschlag bedeckt mit der Aufschrift: »Ich
liebe Dich«!
Die Postbeamten hatten einen unterhaltsamen Job
damals, als die Briefkästen mit von Hand adressierten Briefen
gefüllt waren und es noch keine unerwünschten Broschüren,
Pizzaflyer und blöde Wochenzeitungen gab. Es war aufregend, so
einen Brief aufzureißen und die Zeilen zu verschlingen, die mit
süßen Worten, Erinnerungen und sachten Anspielungen (man war noch
nicht ganz so explizit wie heute) gespickt waren. Ich stellte mir
seine Stimme vor, seine Gesten, seine Arme und Küsse, sein Gesicht
und seinen Geruch. So ein Brief wurde zu einem kostbaren Dokument
der eigenen Einzigartigkeit, einem Beweisstück der Liebe, das so
oft gelesen wurde, bis es zerknittert und letztendlich angegilbt
und leicht verblasst irgendwo verschwand.
Was die Sehnsucht verdoppelte, war die momentane
Unerreichbarkeit, denn das Objekt der Begierde entzog sich den
üblichen Möglichkeiten der Kommunikation - Ferngespräche kosteten
ein Vermögen -, was alles nur noch aufregender und sehnsüchtiger
machte.
Ich war bei zwei Umzügen vor einigen Jahren dicht
dran, die Briefe wegzuwerfen. Sie waren so alt, gehörten zu einer
Zeit, die so weit weg war. Ich war doch gar nicht mehr dieselbe
Person, die angehimmelt und bedichtet wurde. Aber ich war zu
sentimental, um sie wegzuwerfen, und heute bin ich froh, dass ich
es nicht getan habe.
Diese Liebesbriefe sind nicht nur wundervoll
authentische Signale aus den Herzen verliebter Männer, sondern
mittlerweile eine Rarität wie Telefone mit Schnur, Eisenwarenläden
und bald auch Filtertüten. Durch sie wurde ich zur Hüterin einer
verlorenen Sprache, deren Worte in der heutigen poesielosen
Liebeskultur wie Perlen der Sprachkunst wirken.
Das Fehlen von Briefen ist inzwischen ein Thema,
das in unserer Gesellschaft immer präsenter wird und besonders
melancholisch stimmt, wenn die Haarwurzeln ergraut sind und man
sich noch an echte Maikäfer, Lumpensammler und Nickipullover
erinnert.
Und ist es nicht rührend, dass es einmal
Poesiealben gab? Natürlich nur für Mädchen. Ich hatte ein
dunkelrotes mit goldenem Aufdruck. Eigentlich war ich eine moderne
Micky-Maus-Heft-Sklavin und lebte in Sprechblasen direkt in
Entenhausen. Aber im Poesiealbum, das jeder Freundin aufgedrängt
wurde, gab es kein »Kreisch«, »Plopp« und »Wumm«.
Mit krakeliger Schrift wurden die banalsten Sprüche
sehr sorgfältig auf die holzigen Seiten gefummelt, von denen mir
das beängstigend anspruchsvolle »Edel sei der Mensch, hilfreich und
gut« ins Hirn gemeißelt zu sein scheint.
Heute gibt man per Hand oder Mund Signale, die wie
Morsezeichen sind und sachlich hin- und hergeschickt werden.
Wortschatz der Kandidatinnen bei Germany’s next Topmodel:
voll schön, echt geil, voll abgefahren, oberschön, voll sexy, echt
hot.
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Die Sache mit der Männersuche hat auf mich
zwischendurch einen negativen Effekt und ist so frustrierend, dass
ich damit aufhören will. Ich stelle fest, dass ich selbst mit den
Männern, die eigentlich sympathisch und intelligent wirken und mit
denen ich mich am Telefon gut unterhalte, einen etwas sperrigen
Dialog habe, was an mir liegt.
Ich wundere mich, warum ich nicht einfach etwas
sonniger und lockerer bin und warum es mir so wichtig ist,
authentisch und absolut ehrlich zu erscheinen.
Es ist wie ein Befehl an die Männer, gefälligst
dieses Bild von mir ohne Wenn und Aber zu akzeptieren, oder ich
würde ihnen die Hölle heißmachen.
Wovor habe ich Angst?
Dass mich jemand anders sieht als ich mich selbst?
Warum will man unbedingt, dass das Selbstimage stimmt? Natürlich,
wir alle brauchen ein Korsett, ein wirklich gut stützendes, sowie
einen hübschen, regendichten Umhang, der hieb- und stichfest ist,
um den Stürmen des Lebens zu trotzen und die sensible Seele und
dünne Haut zu schützen.
Das machen alle, ganz besonders die Seelchen, die
sich als toughe Frauen sehen. Was sie auch sind. Aber eben
auch Seelchen. Dabei ist seelenvoll sexy.
Das sagte einmal ein Freund vor ewigen Jahren zu
mir, den ich zwischen meinen furiosen (und gerechtfertigten)
Attacken mit Weichheit und Liebreiz überraschte - wonach wir immer
im Bett landeten.
Ich war stets sehr direkt, liebte Konfrontationen,
auch wenn sie mich nicht unbedingt glücklich zurückließen. Die
sogenannte Offenheit, die ich besitze, verbirgt eine ganz
schüchterne Person, das merke ich immer wieder. Wie bei den meisten
Menschen kommt die natürlich besonders bei persönlichen,
emotionellen und sexuellen Themen heraus.
Wie vielschichtig wir doch alle sind!
»Sagt mal, bin ich wirklich so tough?«, frage ich
Sarah und Karen.
»Manchmal schon«, sagten beide unabhängig
voneinander, »aber wir kennen dich und deine wirklich liebevollen
und süßen anderen Seiten, das gleicht es wieder aus.«
Ob sie lügen, weil sie mich mögen?
Ist egal, ich akzeptiere ihr Urteil.