Annäherung ans Online-Dating
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»Probiere verdammt noch mal Online-Dating«, wettert Freundin Sarah wieder, als ich ihr genervt von einem sehr attraktiven Mann erzähle, der mir zwar seine Visitenkarte bei einer Galerieeröffnung aufgezwängt, aber meine wirklich nette kurze E-Mail nicht beantwortet hatte.
»Ich könnte, wenn ich wollte«, sage ich trotzig.
Ich bin smart, sexy und modern und jugendlich alt. Ich bin »dafür-sehen-Sie-aber-noch-gut-aus«-alt, wie es ja immer unverschämt heißt.
»Ja, und über sechzig«, fügt Sarah vielleicht korrekt, aber wie ich finde sehr unpassend hinzu.
Ich werde immer gut zehn Jahre jünger geschätzt. Keine Seltenheit bei den älteren Frauen heute, deshalb haben wir alle Chancen auf dem Singlemarkt. Es gibt alleinstehende Männer in meinem Alter wie Sand am Meer, und wenn sie nicht alle fünfunddreißigjährige Sexsirenen suchen, die den Herren den verbleibenden Lebensabend aufhellen sollen, dann könnte ich allemal ein heißes Ticket sein.
Oder wird die Illusion der eigenen immerwährenden Attraktivität von »seinem« uninteressierten Blick zerfetzt werden? Quatsch.
Nach Wochen eiserner Resistenz bin ich weich geklopft.
»Es ist ein Spielplatz, ein wundersames lustiges Fantasieland«, findet meine junge Freundin Toni und ist begeistert von der Idee, dass ich das probieren will. Ganz davon abgesehen, dass sie es seit einiger Zeit selbst macht - nur so.
»Was, du suchst Männer online?«, frage ich die hübsche, kluge, junge Frau.
»Siehste!«, triumphiert mein nach Bestätigung jieperndes Ich, »also nicht nur ich. Auch junge Frauen haben das nötig!«
Wieso nötig? Was ist das für eine Denkweise? Ich stolpere scheinbar immer noch vor der selbst gezogenen Schamgrenze herum und kann nicht darüberklettern. Bin ich nicht aus der »Generation Rebellion«, die die »freie Liebe« miterfunden und vor allem gelebt hat? Aber wie für jedes Projekt brauche ich eine gewisse Vorbereitung, muss mit ein paar beherzten Griffen verstaubtes Gedankengut schütteln und mich geistig neu ausrichten. Bin ich dazu fähig?
»Und wenn die Dates nun alle anstrengend und tödlich langweilig sind?«, gebe ich zu bedenken.
»Dann gehst du«, sagt Sarah knapp.
Ich weiß nun wirklich, wie man Nein sagt und wie man flink verschwindet. Ich war mein Leben lang eine ziemlich gute Daterin, warum sollte mich mein Talent vollkommen verlassen haben?
»Und wenn er ein humpelnder Zwerg mit pferdebraun gefärbten, sorgfältig über die Glatze verteilten Strähnen, Freizeitjacke und Schnauz ist?«, greine ich. »Probier’s!«, befiehlt Sarah.
Unter einer Bedingung. Natürlich werde ich die Last der Männerbegegnungen nicht allein tragen und rekrutiere die Freundinnen für mein »Liebesprojekt« - allen voran Sarah und Karen, beide Ende fünfzig. Ich erwarte, dass sie ehrlich sind und immer mit sachlichen oder ironischen Sprüchen und Vorschlägen kommen.
Mit Sarah mache ich eine Ausnahme, denn verheiratete Freundinnen sind eigentlich keine große Hilfe, weil sie auf dem geschützten Eheplaneten leben. Ich finde allerdings im Rückblick, dass sie ein sehr ausgeprägtes Interesse an meinen Abenteuern hatte - warum wohl?
Da junge Frauen eine ganz andere Sichtweise haben und ich immer an den jüngeren Generationen interessiert bin, kommt auch Toni, ganze zweiunddreißig, manchmal zu Wort, denn mir scheint, als würde sie alles etwas cooler sehen. Und natürlich weniger zynisch als ich, was normal ist, wenn man erst zweimal verliebt war.
»Du hast nichts zu verlieren. Du bleibst du, gleichzeitig kannst du all die Gesichter und Figuren annehmen, die du willst, das ist doch lustig!«, beruhigt Toni mich.
Sie hat recht. Hier kommt die Chance, sich in allen sonst nicht wirklich nachprüfbaren Selbstdarstellungsversuchen zu profilieren, von denen ich jemals geträumt habe. Er ist ja da, nur einen Mausklick entfernt, der virtuelle Weichzeichner, der verschönt, verjüngt, selbst aus frustrierten Xanthippen »interessante, sehr weibliche und anschmiegsame Mittfünfzigerinnen« macht und aus knöchernen Hartz-IV-Meckerheinis »vermögende und attraktive Hausbesitzer«.
Hier kann ich lügen, hier kann ich sein! Das ist doch das Motto.
Jeder, der sich im Internet vorstellt, lügt über irgendetwas: Alter, Aussehen, Gewicht, BH-Größe, Penislänge, Beruf, Familienstand, Gewohnheiten und so weiter.
Und ich? Worüber will ich lügen? Ein bisschen über mein Motiv, meinen Namen, meinen Beruf und meine zweite Absicht, nämlich ein Buch zu schreiben.
Vielleicht aber hätte ich das gar nicht für mich behalten sollen. Vielleicht hätten sich dann noch mehr Männer um mich gerissen.
Sexy Sixty - Liebe kennt kein Alter -
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