Andere Länder, andere Sitten
028
Dating in Deutschland ist eine Sache, aber wir Frauen sind ja auch sehr kosmopolitisch geworden, haben sexuelle Barrieren durchschritten und internationale Grenzen gesprengt. Die Welt ist groß, der Männer gibt’s viele, und ausländische Lover und Ehemänner sind alltäglich geworden. Wenn jetzt eine Frau willens wäre, überall hinzureisen, nicht virtuell, sondern richtig, mit Körper, Geist und Seele, wohin sollte sie reisen? Ich selbst war im letzten Jahr in vier Ländern (Indien, Italien, Spanien/Mallorca und den Vereinigten Staaten) und würde gern von ein paar Beobachtungen einer Singlefrau von sechzig-plus berichten, denn sie sind alle ziemlich positiv.
Im Lexikon der interessantesten Männer der Welt gibt es natürlich ebenso die wildesten Klischees wie auf allen anderen Ebenen, und Geschmack ist subjektiv.
Bleiben wir zunächst in Europa, wo es die angeblich feurigen und stolzen Spanier, die amore-freudigen Italiener, die charmant-arroganten Franzosen, die liberalen Holländer, die netten Dänen, die humorlosen Deutschen, die wohltemperierten Engländer, die sexy-smarten Iren (finde ich jedenfalls!), die farblosen Balten, die unsinnlichen Russen, die Macho-Türken und so weiter gibt. Laut neuester Studie lassen Italiener und Franzosen die Herzen der deutschen Singles höher schlagen als alle anderen Europäer.
Ich hatte ja nun mein unergiebiges Abenteuer mit Mario gehabt, theoretisch fehlte mir ein Franzose.

Venedig

Trotzdem habe ich statistisch gesehen Glück, denn ich werde von einer Freundin nach Venedig eingeladen. Also noch einmal eine Runde Italiener.
Das war allerdings auch perfektes Timing, denn ich hatte mal wieder genug von den verschiedenen Profilen, die mir geschickt wurden, von denen nur ein kuschelbär erwähnt werden soll, »der eine Rubens-Schönheit sucht«, selbst aber nichts außer »hemmungsloser Lust« und eine Einzimmerwohnung zu bieten hatte, und ein vierundfünfzigjähriger Lonely-Hartz-Alleinerzieher, der gern ein »zärtliches, frauliches, schlankes, herzensgutes, einfaches und erotisches Wesen, welches bei Regen und Sonne den Regenbogen sieht und auf den Sonnenschein wartet« frei Haus geliefert bekommen wollte.
Bei diesen bescheidenen Wünschen kam ich mir keineswegs zu anspruchsvoll vor, wenn ich mir insgeheim ausmalte, wie mich ein eleganter Conte mit grauen Schläfen und seidenem Einstecktuch in seinem Blazer mit Goldknöpfen in einer vorbeifahrenden Gondel entdeckt, den Gondoliere anhält, mich aussteigen lässt und für ein champagnergetränktes Tête-à-tête in seinen Palazzo geleitet.
Warum diese absurd romantischen Vorstellungen, selbst als Scherz, so fest in die Gehirnwindungen einer so geerdeten Frau wie mir eingraviert zu sein scheinen, vermag ich nicht zu sagen. Ich würde nämlich dem suaven Signore bei nur dem leisesten Hauch von Machotum seine Tortellinis auf die Bügelfalten seiner Cerutti-Hosen kippen. Also ziemlich schnell.
»Keine Angst«, sagt meine Freundin Anja, die in Venedig lebt, »nichts dergleichen wird passieren. Die Italiener sind besonders schlimm. Du bist als Frau über vierzig unsichtbar. Ich muss mich schon extrem aufbrezeln, damit mal einer nach mir guckt!«
Nach ihren Aussagen zählen nur zwanzigjährige aufgetakelte, blondierte, nasenoperierte Bimbos in hochhackigen Stiefeln und mit diesen leeren Shoppingaugen, die wie Glasmurmeln aussehen.
Es ist keine wirkliche Überraschung, denn der neue Planet Barbie, ein kitschiges rosa Konsumparadies für geistlose Girlies, hat sich überall auf der Welt an den altmodischen, ganz gewöhnlichen Homo-sapiens-Planeten angehängt, in dem wir normalen Frauen unser Leben fristen.
Aber es kommt dann doch ganz anders. Ich, mit meinen silbergrauen Haaren, falle scheinbar häufiger auf als viele Jüngere, denn nur innerhalb eines Tages werde ich zweimal eindeutig und auffallend bewundernd angelächelt, ein junger Mann dreht sich pfeifend nach mir um, ein älterer ebenso (ohne Pfeifen) - und am Nachmittag will mir ein zugegeben ziemlich alter Gondoliere einen Cappuccino ausgeben.
Ich bin ein großer Fan von grauen Haaren und trage sie mit einem gewissen Stolz. Und nicht ein einziges Mal habe ich in den letzten Jahren das Gefühl gehabt, als wäre das in irgendeiner Form zu meinem Nachteil gewesen.
Im Gegenteil.
Ich habe sowieso schon öfter gemerkt, dass graue Haare irgendwie leuchten und ein Statement abgeben, das besagt: Ich bin nicht ganz jung, aber ich bin wer, ich habe Erfahrung, ich habe gelebt, und wenn euch mein Alter nicht passt, färben werde ich meine Haare euretwegen nicht!
Vielleicht liegt es auch daran, dass es den klassischen weiblichen Pensionärs-Proll-Prototyp, dem deutschen sehr ähnlich, auch in Venedig in großer Anzahl gibt. Mollige paffende Frauen mit gelb gefärbtem Kurzhaarschnitt, scheußlicher Sonnenbrille mit Goldverzierung, Veloursjogginganzug und falscher Vuittontasche sind nicht so selten, wie man es gern hätte. Wer als ältere Frau nicht so aussieht, hat also schon mal gute Karten.
Diese Art der Karte wird gleich am nächsten Nachmittag ausgespielt. Ich sitze auf einer Bank in dem schönen Biennale-Park und bemerke einen Herrn, der seit ein paar Minuten um mich herumstreicht wie ein Kater auf Brautsuche. Durch meine klassisch altmodische, schwarze Sonnenbrille kann ich ihn unbemerkt angucken. Professioneller Aufreißer, würde ich sagen, wenn auch ein unkonventioneller Typ.
Groß, sehr dünn, helle Leinenhose, weißes Hemd, dunkle Weste, auf den ergrauten längeren Locken ein fescher, leicht verbeulter Strohhut.
Ich habe wohl einen Anflug von Lächeln im Gesicht, denn schwupp, setzt er sich schnell dazu und lächelt mich auch an, während er anfängt, sich eine Zigarette zu drehen. Seine Zähne sind schief und bräunlich verfärbt, sein Grinsen aber sehr nett.
»You Swedish?«, fragt er ohne Umschweife.
Warum muss man schwedisch sein, wenn man hellhäutig und blond-silbern ist? Ganz falscher Einstieg!
Ich schüttele den Kopf, was er zum Anlass nimmt, alle skandinavischen Länder zwecks meiner Nationalität durchzufragen.
»You German?«, kommt es zum Schluss. Bingo. Er ist glücklich und hakt sofort nach: »Are you married?«
Ich sage, dass es ihn nichts angeht, er pariert mit: »Doch.« Sein Gesicht rückt näher an meines.
»Nimm Brille ab, du hast bestimmt schöne Augen«, säuselt er.
Ich lasse sie auf.
»Aber so eine gut aussehende Frau hat doch sicherlich einen Freund?«, bohrt er weiter.
Ich lüge und sage Ja und dass der bestimmt etwas dagegen hätte, mich mit einem italienischen Gigolo - ich frage, wie er heißt, Luigi, sagt er - auf der Bank sitzen zu sehen.
Wir haben dann aber tatsächlich eine sehr lebhafte und interessante Unterhaltung über Kunst, Politik, Europa. Er ist amüsant und ein echter Venezianer, von Beruf Computerprogrammierer, über seinen Familienstand lässt er sich nicht aus.
Mir gefallen seine Art, seine Hände und die Hakennase, aber ich muss gehen und sage mit dem Flair der Weltbürgerin, dass wir uns die nächsten Tage auf einen Cappuccino treffen können.
Er horcht auf, rückt näher und sagt unvermittelt: »Küss mich!«
»Wieso?«, sage ich und bin doch überrascht. »Ich küsse doch keine Fremden auf der Parkbank.«
Das passt ihm nicht.
»Nein, dann werde ich dich nicht treffen«, sagt er entschieden. Die Logik ist etwas kraus, aber er erklärt sie mir mit gequältem Lächeln: »Wenn ich dich nicht so attraktiv finden würde, dann ja. Aber nur einen Cappuccino will ich nicht.«
Ich finde es komisch und lache, aber Luigi ist beleidigt, verabschiedet sich abrupt und stakst auf seinen dünnen Beinen von dannen.
Wie zielgerichtet und rationell Männer ihr Beuteschema anwenden. Ich kann so was leider nicht.
Anja ist völlig überrascht von der Geschichte und sehr amüsiert. Sie erklärt mir aber auch seine Aufforderung zum Küssen.
»Das macht hier keine, einen fremden Mann zum Cappuccino einzuladen. Das hat er als Zeichen gesehen, dass er bei dir landen kann.«
Wieder eine Lektion über internationale Flirtgewohnheiten dazugelernt.
 
Zu jeder Zeit und in fast jedem Alter ist man natürlich potenzielles Opfer professioneller Anmacher, das heißt von Männern, die eine große Aufwertung und Befriedigung daraus ziehen, dass sie einer Frau erfolgreich den Hof machen und verführen könnten. Für sie sind alle Frauen verführbar. Ganz besonders, da sicherlich einige dieser Männer dem alten Frauenbild der bedürftigen alten Jungfer im sexuellen Notstand nachhängen. Dem sie gern abhelfen könnten und möchten. Gegen ein paar kleine Geschenke vielleicht?
Gibt es überhaupt noch Gigolos? Auch hier die feine Abstufung zwischen den Geschlechtern.
Die käufliche Frau ist eher billige Nutte vom Bahnhofstrich als kultivierte Kurtisane. Der Mann »für gewisse Stunden« - zugegeben, es gibt ihn weniger häufig als weibliche Prostituierte - ist dagegen ein toller kosmopolitischer Hecht, so distinguiert wie ein feiner Pinkel oder so brütend sexy wie Richard Gere in dem gleichnamigen Erfolgshit.
Egal, wie alt man als Frau ist, man stolpert eigentlich täglich über irgendein sexuelles Klischee, eine Lüge, eine Mutmaßung, eine Frechheit, die offenbar unbedingt am Leben erhalten werden sollen.
Hier in Venedig gibt es natürlich auch viele Männer meiner Generation, die mit mir alt geworden sind, wenn man so will. Männer mit grauschwarzen Haaren, Männer, die Erfahrung auf jeder Ebene signalisieren, was sich in wissenden, leicht verlebten Zügen äußert, besonders um die Augen herum. Ich mag das sehr.
 
Nach drei Tagen Venedig zieht ein Hauch Wehmut über mich. Dieses wasserumspülte Wunder ist ein so herzzerreißend romantischer Ort, dass ein Stadium des Nichtverliebtseins wenn schon kein krimineller Akt, so doch ein großer Verlust zu sein scheint.
Jede Form von Verlust und Sehnsucht produziert Melancholie, und in Venedig schwappen diese Gefühle wie sanfte Wellen am Lido über dich hinweg, sodass du deinen Tränen gleich mit dazu freien Lauf lassen möchtest.
Ich sitze also am Lido, gleich beim berühmten Hotel Des Bains, in dem der Filmklassiker Tod in Venedig nach Thomas Mann gedreht wurde. Ich bin wie Aschenbach, der sentimentale alternde Held, der Abschied von Jugend, Vitalität und Chancen nahm und sich mit verzehrender, wenn auch stark unterdrückter Lust nach dem hübschen grazilen Jungen sehnte, den er unbekümmert herumschwirren sah.
Ich sehe mich plötzlich an verschiedenen Stränden, an denen ich sehr, sehr glückliche Tage verlebt hatte, als ich zwischen zwanzig und fünfundvierzig war. Es ist so sexy, sich mit seinem Freund (oder Ehemann) im glühenden Sand zu wälzen, sich mit knirschenden Sandkörnchen auf salzigen Lippen und Zähnen zu küssen, ganz versteckt eine Hand in die Badehose gleiten zu lassen oder sich kichernd unterm Badetuch zu verstecken, aneinandergepresst, Haut an sonnenheißer Haut und mit dem unverwechselbaren Geruch von Wind, Strand und Sonnenmilch in der Nase.
Und wie dann die Lust in der Hitze wuchs, während Drumherum die Kinder schrien und die Möwen, die Wellen rauschten und das Blut pochte. Wir rannten schnell in das schattige Haus und glitten unter die kühlen Laken und hatten Sex, der sorglos und glücklich war und so perfekt wie ein Zitronensorbet.
Und plötzlich führen mich die Erinnerungen zur nächsten, noch tiefer liegenden Schicht, in die Kindheit. Wahrscheinlich gibt es wenige Erwachsene, die ihre Kindheit nicht mit glücklichen Sommerferien, kleckerndem Eis und warmer Brause verbinden, mit Gummitieren, nassem Sand, Schaufel und Eimer, kaltem Popo und heißer Stirn und Mamis sorgsamem, aber sehr unwillkommenem Eincremen mit Sonnenmilch auf der trotzdem immer leicht verbrannten Haut.
Vorbei.
Ich sitze in einem sogenannten vorteilhaften Einteiler, ein buntes Tuch geschickt um die Hüften drapiert am Strand und gehöre zu den weiblichen Aschenbachs dieser Welt. Und niemand da, diesen ja auch traurigen Zustand mit mir zu teilen.
Halt, da kommt jemand auf mich zu. Braun gebrannt, strammer Körper, dicker Bauch, weiße Haare auf der Brust, was nett aussieht, ein weißes Sonnenhütchen auf dem Kopf, eine sicherlich teure goldene Uhr am Arm.
Ich setze mich ein bisschen gerader hin und kreuze die Beine elegant.
»Sprechen Sie deutsch?«, fragt er freundlich, aber sachlich. Er will nur irgendetwas wissen, da bin ich sicher. Ich schüttele den Kopf, ich verleugne ab und zu im Ausland mein Deutschtum, ein Überbleibsel aus den Sechzigerjahren, als es mir wirklich peinlich war, ein jahreszahlenmäßig direkter Nachfolger der Nazigeneration zu sein.
»Schade«, sagt er und guckt suchend um sich.
Dann trollt er sich von dannen.
War sowieso zu nichtssagend, denke ich.
Ich will einen melancholischen geheimnisvollen Mann mit wunder Seele und wissenden Augen, der zu dem Hotel und der Stimmung passt.

Neu-Delhi

In Indien, wo eine allein reisende, große, helle, blauäugige Ausländerin mehr Aufmerksamkeit erregt, als ihr lieb ist, machte ich eigentlich schöne Erfahrungen. Ich kam mir alterslos und angenehm exotisch vor.
Kinder finden einen sowieso interessant, aber ich hatte das Gefühl, dass die aufmerksamen Blicke von Männern (und Frauen) wenig taxierend und bewertend waren und frei von jeder Assoziation mit dem Alter. Ich glaube, die westliche Krankheit, jede Frau nach dem Hot-Faktor zu bewerten, hat noch nicht in den kleineren Städten Indiens Fuß gefasst.
Auffallend schön fand ich die indischen Frauen in meinem Alter und älter - die sprechenden, kajalumrandeten Augen in ihren dunklen, oft eleganten Gesichtern, die silbergrauen Haare, die in einem langen Zopf den Rücken herunterfielen.
Und natürlich hilft es, glitzernde Ohrringe und reich verzierte Armreifen statt Perlenketten zu tragen und wunderschöne bunte und fließende Seidenstoffe um den Körper gewickelt zu haben anstelle von sexloser, beiger Seniorinnenmode.
Von indischen Männern hörte ich vorher so einiges. Sie sind unerotisch und unsexy, sie sprechen mit diesem komischen Singsang, den sie scheinbar nie loswerden. Dann wiederum gibt es das Kamasutra und all die wunderbar kunstvoll und üppig dargestellten Schweinereien, die auch tatsächlich im Nationalmuseum in Delhi hängen.
Ich war im Prinzip bereit, Neues auszuprobieren, auch mit einem Inder. Es gibt nämlich wunderschöne alte und junge unter ihnen, und der Kleinmädchentraum von einem glutäugigen Maharadscha auf einem Elefanten, der die Juwelen der Welt zu deinen Füßen legt, ist recht beständig, weil er der Idee vom Prinzen am nächsten kommt.
Ich sah viele herrliche Fotos von Märchenmaharadschas, traf auch einen echten, aber der war - wie die meisten Adeligen dieser Welt - zur Realität übergegangen, wohnte in einer kleinen Vorstadtvilla und trug Jeans unter seiner weißen Kurta.
Ich fand, dass die alltäglichen Inder eine Sache für sich sind, da sie ununterbrochen spucken, schmatzen, rotzen, unglaublich schmierig, ungehobelt und aufdringlich, gleichzeitig aber sehr höflich sein können. Mein Hauptkontakt fand mit Taxi- und Rikschafahrern statt, von denen die meisten gebrochenes Englisch sprachen und mich mit größter Liebenswürdigkeit behandelten. Und alle waren nicht älter als fünfunddreißig. Was soll ich sagen, ohne angeberisch zu wirken. Ich war der große Hit. Natürlich auch, weil ich weiß war, also reich, das ist schon klar.
Eine etwas tragikomische Episode war die Unterhaltung mit einem verwöhnten, dicklichen jungen Mann - einem Anwalt, erstaunlicherweise - im schrecklichen Jogginganzug. Er wohnte als Untermieter in dem Haus in Neu-Delhi, wo ich zu Gast war, saß schon morgens um neun in der Küche und sah fern, während er sich den nackten fetten Bauch unter dem braunen Frottee kratzte.
Ich brauchte ein paar spezielle Informationen und fing eine Unterhaltung an. Er betrachtete mich von oben bis unten und sagte dann - die Hand immer noch an seinem nackten Bauch: »Wie alt bist du?«
Ich sagte: »Über sechzig«, was ihn in Erstaunen versetzte.
»Du bist aber gut in Form«, meinte er anerkennend.
Ja, und du nicht, dachte ich.
»Hier bei uns sind die Frauen schon mit vierzig ziemlich fett und sehen alt aus«, sagte er düster.
Vielleicht, weil sie wie Sklavinnen gehalten werden, Kinder gebären und für den ganzen Clan, der mindestens fünfundsechzig enge Familienangehörige hat, putzen und kochen müssen?, dachte ich.
Auf dem Bildschirm tanzten große Mengen von Bollywoodbabes nach einem der Schlager, die sich für uns alle gleich anhören. So was hätte er gern, eine junge schöne Frau aus dem neuen Indien, die zwar nach den strengen indischen Regeln des Patriarchats lebt, aber westlich heiß aussieht.
»Wir könnten ausgehen. Hast du Zeit?«, fragt er.
Nein, habe ich nicht, du kleiner arroganter, unerzogener Klops, denke ich. Um keinen Preis.
Es ist ein billiger kleiner Triumph, ich weiß, aber ich fühle mich ziemlich gut dabei, immer noch in Situationen zu kommen, in denen ich jungen Männern einen Korb geben kann.
Als mich mein Lieblingschauffeur, mit dem ich so einiges erlebt habe, nach drei Tagen zum Flughafen bringt, drückt er meine Hand.
»You are a really nice lady!«, versichert er mir.
Und wirklich, ich merke, es bedeutet mir mehr als platte Komplimente. Die reife Frau als interessanter Mensch. Kein schlechtes Konzept.

Mallorca

Das bestätigte sich auch auf Mallorca. Als ich spontan in ein Museum in Palma gehen wollte, merkte ich, dass ich alles Geld ausgegeben und auch keinerlei Bankkarten dabeihatte. Manchmal hat man ja Glück und kann in Museen an die Nettigkeit der Angestellten appellieren und andeuten, dass man ein sehr kunstinteressierter Mensch ist. Ich probierte es, aber mir wurde der Eintritt verwehrt.
Da kam ein etwa fünfundsechzigjähriger, kleiner, etwas rundlicher Mann mit grau gesprenkeltem Bart, Pferdeschwanz und typisch spanischem Gesicht auf mich zu, lächelte charmant und fragte auf Englisch: »Wollen Sie rein?«
Ich nickte, er griff meine Hand, ging zur Kasse, zeigte einen Ausweis, und wir gingen hinein. Er war der Direktor und Kurator, der das Museum als sein eigenes Haus betrachtete. Er machte mit mir eine lange private Führung, wir unterhielten uns über Malerei und Reisen. Dann gingen wir einen café con leche trinken, einen Milchkaffee, dann ein wenig in Palma spazieren. Er zeigte mir seinen verwunschenen, wild wachsenden Lieblingsgarten in einer winzigen Gasse, und dann sagten wir adiós. Kein Adressenaustausch, kein nichts.
Ein wundervoller Nachmittag, vielfältig und voller Genuss. Ich habe längst seinen Namen vergessen, aber nicht diese unerwartete Bereicherung, die ein sinnlicher, vergnügter Nachmittag zwei Fremden bereiten kann, ohne dass Sexualität die Hauptrolle spielt.

New York

New York ist eine coole, witzige, aggressive Stadt, das wissen wir alle. Den smarten New Yorkern macht man nichts vor, sie urteilen schnell und kennen alles. Sie sind obendrein spontan, kritisch und lieben es, auf der Straße mit unmissverständlichen Kommentaren ihrer positiven wie auch negativen Meinung Ausdruck zu verleihen.
Ich will nur zwei kleine nette Geschehnisse erzählen, um uns nicht mehr jungen Frauen zu zeigen, dass immer alles möglich zu sein scheint. New Yorker Frauen sind sehr selbstbewusst, deshalb sind sie auch sehr großzügig, was Komplimente angeht. Es passiert recht schnell, dass eine selbst sehr attraktive Frau an der roten Ampel (eigentlich gehen New Yorker immer bei rot über die Straße) eine andere flink anspricht, um ihr zu sagen, wie toll ihre Tasche, ihr Outfit, ihre Frisur, ihr Gürtel, ihr Stil und was nicht alles ist.
Bei mir war es ein schwules Paar, das den Vogel abschoss. Einer der beiden, ein schwarzer, leicht überdrehter junger Typ, tippte mir auf die Schulter und säuselte recht laut: »Also nein, dass muss ich einfach sagen. Sie haben die schönsten grauen Haare, die ich je gesehen habe«, und schüttelte bewundernd seinen Kopf, während er die Augen verdrehte.
Ich war ziemlich baff und sagte nur Danke, begleitet von meinem breitesten Lächeln. Aber das war längst nicht alles.
»Und dazu die Lippenstiftfarbe, der Hautton, alles perfekt«, er sah mich an wie ein Stylist, der er ohne Frage war, »wirklich schön.«
Die Leute neben uns an der Ampel guckten schon, und mir war es peinlich. Gott sei Dank war grün, aber mein neuer Verehrer musste noch etwas loswerden. Er griff mich und küsste mich rechts und links auf die Backe.
»Das musste ich eben machen.«
Und ich musste nun wirklich lachen.
Dann ging er zu seinem Freund, der still dagestanden hatte, und drehte sich nach ein paar Schritten noch schnell um und rief: »Please, don’t ever change!«
Dann folgte eine Kusshand von ihm, und ich ging kichernd, kopfschüttelnd und sehr, sehr geschmeichelt die 59. Straße runter.
Also, ich gehörte bisher nicht zu den Frauen, die die wichtigsten, wunderbarsten und innigsten Freundschaften mit Schwulen pflegen, weil sie angeblich die besseren Männer mit einer so tollen Sensibilität und umwerfendem Stil sind. Aber hier, auf den Straßen von New York, war ich bereit, mich bekehren zu lassen. Wirklich, Schwule haben eben doch den allerbesten Geschmack! Wo sind sie in Deutschland, wenn man sie braucht?
Der Rest meines Trips stimmte mich auch fröhlich. Ich fasse kurz zusammen: Bei einer Dichterlesung im East Village, auf der magischerweise hauptsächlich sehr gut aussehende, grau melierte, ältere Künstlertypen waren, wurde ich angesprochen, angemacht und mit Visitenkarten bestückt, dass es eine Freude war.
Ich überlegte hinterher, was es genau war, an mir und an ihnen, das zu dieser herzlichen Offenheit und echten Wertschätzung einer älteren Frau führte. Ich tippe darauf, dass die Generationen einfach zusammenhalten. Ja, ich weiß, viele Deutsche finden die Amerikaner zu freundlich - ich finde sie in solchen Momenten goldrichtig, denn es können Monate, ja Jahre vergehen, bevor in Deutschland ein Mann auch nur milde Begeisterung zeigt. Zumindest in der Öffentlichkeit.
Sexy Sixty - Liebe kennt kein Alter -
bern_9783641042240_oeb_cover_r1.html
bern_9783641042240_oeb_toc_r1.html
bern_9783641042240_oeb_ata_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c01_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c02_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c03_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c04_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c05_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c06_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c07_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c08_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c09_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c10_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c11_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c12_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c13_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c14_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c15_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c16_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c17_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c18_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c19_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c20_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c21_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c22_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c23_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c24_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c25_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c26_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c27_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c28_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c29_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c30_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c31_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c32_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c33_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c34_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c35_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c36_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c37_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c38_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c39_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c40_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c41_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c42_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c43_r1.html
bern_9783641042240_oeb_c44_r1.html
bern_9783641042240_oeb_cop_r1.html