Andere Länder, andere Sitten

Dating in Deutschland ist eine Sache, aber
wir Frauen sind ja auch sehr kosmopolitisch geworden, haben
sexuelle Barrieren durchschritten und internationale Grenzen
gesprengt. Die Welt ist groß, der Männer gibt’s viele, und
ausländische Lover und Ehemänner sind alltäglich geworden. Wenn
jetzt eine Frau willens wäre, überall hinzureisen, nicht virtuell,
sondern richtig, mit Körper, Geist und Seele, wohin sollte sie
reisen? Ich selbst war im letzten Jahr in vier Ländern (Indien,
Italien, Spanien/Mallorca und den Vereinigten Staaten) und würde
gern von ein paar Beobachtungen einer Singlefrau von sechzig-plus
berichten, denn sie sind alle ziemlich positiv.
Im Lexikon der interessantesten Männer der Welt
gibt es natürlich ebenso die wildesten Klischees wie auf allen
anderen Ebenen, und Geschmack ist subjektiv.
Bleiben wir zunächst in Europa, wo es die angeblich
feurigen und stolzen Spanier, die amore-freudigen Italiener, die
charmant-arroganten Franzosen, die liberalen Holländer, die netten
Dänen, die humorlosen Deutschen, die wohltemperierten Engländer,
die sexy-smarten Iren (finde ich jedenfalls!), die farblosen
Balten, die unsinnlichen Russen, die Macho-Türken und so weiter
gibt. Laut neuester Studie lassen Italiener und Franzosen die
Herzen der deutschen Singles höher schlagen als alle anderen
Europäer.
Ich hatte ja nun mein unergiebiges Abenteuer mit
Mario gehabt, theoretisch fehlte mir ein Franzose.
Venedig
Trotzdem habe ich statistisch gesehen Glück, denn
ich werde von einer Freundin nach Venedig eingeladen. Also noch
einmal eine Runde Italiener.
Das war allerdings auch perfektes Timing, denn ich
hatte mal wieder genug von den verschiedenen Profilen, die mir
geschickt wurden, von denen nur ein kuschelbär erwähnt
werden soll, »der eine Rubens-Schönheit sucht«, selbst aber nichts
außer »hemmungsloser Lust« und eine Einzimmerwohnung zu bieten
hatte, und ein vierundfünfzigjähriger
Lonely-Hartz-Alleinerzieher, der gern ein »zärtliches,
frauliches, schlankes, herzensgutes, einfaches und erotisches
Wesen, welches bei Regen und Sonne den Regenbogen sieht und auf den
Sonnenschein wartet« frei Haus geliefert bekommen wollte.
Bei diesen bescheidenen Wünschen kam ich mir
keineswegs zu anspruchsvoll vor, wenn ich mir insgeheim ausmalte,
wie mich ein eleganter Conte mit grauen Schläfen und seidenem
Einstecktuch in seinem Blazer mit Goldknöpfen in einer
vorbeifahrenden Gondel entdeckt, den Gondoliere anhält, mich
aussteigen lässt und für ein champagnergetränktes Tête-à-tête in
seinen Palazzo geleitet.
Warum diese absurd romantischen Vorstellungen,
selbst als Scherz, so fest in die Gehirnwindungen einer so
geerdeten Frau wie mir eingraviert zu sein scheinen, vermag ich
nicht zu sagen. Ich würde nämlich dem suaven Signore bei nur dem
leisesten Hauch von Machotum seine Tortellinis auf die Bügelfalten
seiner Cerutti-Hosen kippen. Also ziemlich schnell.
»Keine Angst«, sagt meine Freundin Anja, die in
Venedig lebt, »nichts dergleichen wird passieren. Die Italiener
sind besonders schlimm. Du bist als Frau über vierzig unsichtbar.
Ich muss mich schon extrem aufbrezeln, damit mal einer nach mir
guckt!«
Nach ihren Aussagen zählen nur zwanzigjährige
aufgetakelte, blondierte, nasenoperierte Bimbos in hochhackigen
Stiefeln und mit diesen leeren Shoppingaugen, die wie Glasmurmeln
aussehen.
Es ist keine wirkliche Überraschung, denn der neue
Planet Barbie, ein kitschiges rosa Konsumparadies für
geistlose Girlies, hat sich überall auf der Welt an den
altmodischen, ganz gewöhnlichen Homo-sapiens-Planeten angehängt, in
dem wir normalen Frauen unser Leben fristen.
Aber es kommt dann doch ganz anders. Ich, mit
meinen silbergrauen Haaren, falle scheinbar häufiger auf als viele
Jüngere, denn nur innerhalb eines Tages werde ich zweimal eindeutig
und auffallend bewundernd angelächelt, ein junger Mann dreht sich
pfeifend nach mir um, ein älterer ebenso (ohne Pfeifen) - und am
Nachmittag will mir ein zugegeben ziemlich alter Gondoliere einen
Cappuccino ausgeben.
Ich bin ein großer Fan von grauen Haaren und trage
sie mit einem gewissen Stolz. Und nicht ein einziges Mal habe ich
in den letzten Jahren das Gefühl gehabt, als wäre das in
irgendeiner Form zu meinem Nachteil gewesen.
Im Gegenteil.
Ich habe sowieso schon öfter gemerkt, dass graue
Haare irgendwie leuchten und ein Statement abgeben, das besagt: Ich
bin nicht ganz jung, aber ich bin wer, ich habe Erfahrung, ich habe
gelebt, und wenn euch mein Alter nicht passt, färben werde ich
meine Haare euretwegen nicht!
Vielleicht liegt es auch daran, dass es den
klassischen weiblichen Pensionärs-Proll-Prototyp, dem deutschen
sehr ähnlich, auch in Venedig in großer Anzahl gibt. Mollige
paffende Frauen mit gelb gefärbtem Kurzhaarschnitt, scheußlicher
Sonnenbrille mit Goldverzierung, Veloursjogginganzug und falscher
Vuittontasche sind nicht so selten, wie man es gern hätte. Wer als
ältere Frau nicht so aussieht, hat also schon mal gute
Karten.
Diese Art der Karte wird gleich am nächsten
Nachmittag ausgespielt. Ich sitze auf einer Bank in dem schönen
Biennale-Park und bemerke einen Herrn, der seit ein paar Minuten um
mich herumstreicht wie ein Kater auf Brautsuche. Durch meine
klassisch altmodische, schwarze Sonnenbrille kann ich ihn unbemerkt
angucken. Professioneller Aufreißer, würde ich sagen, wenn auch ein
unkonventioneller Typ.
Groß, sehr dünn, helle Leinenhose, weißes Hemd,
dunkle Weste, auf den ergrauten längeren Locken ein fescher, leicht
verbeulter Strohhut.
Ich habe wohl einen Anflug von Lächeln im Gesicht,
denn schwupp, setzt er sich schnell dazu und lächelt mich auch an,
während er anfängt, sich eine Zigarette zu drehen. Seine Zähne sind
schief und bräunlich verfärbt, sein Grinsen aber sehr nett.
»You Swedish?«, fragt er ohne Umschweife.
Warum muss man schwedisch sein, wenn man hellhäutig
und blond-silbern ist? Ganz falscher Einstieg!
Ich schüttele den Kopf, was er zum Anlass nimmt,
alle skandinavischen Länder zwecks meiner Nationalität
durchzufragen.
»You German?«, kommt es zum Schluss. Bingo. Er ist
glücklich und hakt sofort nach: »Are you married?«
Ich sage, dass es ihn nichts angeht, er pariert
mit: »Doch.« Sein Gesicht rückt näher an meines.
»Nimm Brille ab, du hast bestimmt schöne Augen«,
säuselt er.
Ich lasse sie auf.
»Aber so eine gut aussehende Frau hat doch
sicherlich einen Freund?«, bohrt er weiter.
Ich lüge und sage Ja und dass der bestimmt etwas
dagegen hätte, mich mit einem italienischen Gigolo - ich frage, wie
er heißt, Luigi, sagt er - auf der Bank sitzen zu sehen.
Wir haben dann aber tatsächlich eine sehr lebhafte
und interessante Unterhaltung über Kunst, Politik, Europa. Er ist
amüsant und ein echter Venezianer, von Beruf Computerprogrammierer,
über seinen Familienstand lässt er sich nicht aus.
Mir gefallen seine Art, seine Hände und die
Hakennase, aber ich muss gehen und sage mit dem Flair der
Weltbürgerin, dass wir uns die nächsten Tage auf einen Cappuccino
treffen können.
Er horcht auf, rückt näher und sagt unvermittelt:
»Küss mich!«
»Wieso?«, sage ich und bin doch überrascht. »Ich
küsse doch keine Fremden auf der Parkbank.«
Das passt ihm nicht.
»Nein, dann werde ich dich nicht treffen«, sagt er
entschieden. Die Logik ist etwas kraus, aber er erklärt sie mir mit
gequältem Lächeln: »Wenn ich dich nicht so attraktiv finden würde,
dann ja. Aber nur einen Cappuccino will ich nicht.«
Ich finde es komisch und lache, aber Luigi ist
beleidigt, verabschiedet sich abrupt und stakst auf seinen dünnen
Beinen von dannen.
Wie zielgerichtet und rationell Männer ihr
Beuteschema anwenden. Ich kann so was leider nicht.
Anja ist völlig überrascht von der Geschichte und
sehr amüsiert. Sie erklärt mir aber auch seine Aufforderung zum
Küssen.
»Das macht hier keine, einen fremden Mann zum
Cappuccino einzuladen. Das hat er als Zeichen gesehen, dass er bei
dir landen kann.«
Wieder eine Lektion über internationale
Flirtgewohnheiten dazugelernt.
Zu jeder Zeit und in fast jedem Alter ist man
natürlich potenzielles Opfer professioneller Anmacher, das heißt
von Männern, die eine große Aufwertung und Befriedigung daraus
ziehen, dass sie einer Frau erfolgreich den Hof machen und
verführen könnten. Für sie sind alle Frauen verführbar. Ganz
besonders, da sicherlich einige dieser Männer dem alten Frauenbild
der bedürftigen alten Jungfer im sexuellen Notstand nachhängen. Dem
sie gern abhelfen könnten und möchten. Gegen ein paar kleine
Geschenke vielleicht?
Gibt es überhaupt noch Gigolos? Auch hier die feine
Abstufung zwischen den Geschlechtern.
Die käufliche Frau ist eher billige Nutte vom
Bahnhofstrich als kultivierte Kurtisane. Der Mann »für gewisse
Stunden« - zugegeben, es gibt ihn weniger häufig als weibliche
Prostituierte - ist dagegen ein toller kosmopolitischer Hecht, so
distinguiert wie ein feiner Pinkel oder so brütend sexy wie Richard
Gere in dem gleichnamigen Erfolgshit.
Egal, wie alt man als Frau ist, man stolpert
eigentlich täglich über irgendein sexuelles Klischee, eine Lüge,
eine Mutmaßung, eine Frechheit, die offenbar unbedingt am Leben
erhalten werden sollen.
Hier in Venedig gibt es natürlich auch viele Männer
meiner Generation, die mit mir alt geworden sind, wenn man so will.
Männer mit grauschwarzen Haaren, Männer, die Erfahrung
auf jeder Ebene signalisieren, was sich in wissenden, leicht
verlebten Zügen äußert, besonders um die Augen herum. Ich mag das
sehr.
Nach drei Tagen Venedig zieht ein Hauch Wehmut
über mich. Dieses wasserumspülte Wunder ist ein so herzzerreißend
romantischer Ort, dass ein Stadium des Nichtverliebtseins wenn
schon kein krimineller Akt, so doch ein großer Verlust zu sein
scheint.
Jede Form von Verlust und Sehnsucht produziert
Melancholie, und in Venedig schwappen diese Gefühle wie sanfte
Wellen am Lido über dich hinweg, sodass du deinen Tränen gleich mit
dazu freien Lauf lassen möchtest.
Ich sitze also am Lido, gleich beim berühmten Hotel
Des Bains, in dem der Filmklassiker Tod in Venedig nach
Thomas Mann gedreht wurde. Ich bin wie Aschenbach, der sentimentale
alternde Held, der Abschied von Jugend, Vitalität und Chancen nahm
und sich mit verzehrender, wenn auch stark unterdrückter Lust nach
dem hübschen grazilen Jungen sehnte, den er unbekümmert
herumschwirren sah.
Ich sehe mich plötzlich an verschiedenen Stränden,
an denen ich sehr, sehr glückliche Tage verlebt hatte, als ich
zwischen zwanzig und fünfundvierzig war. Es ist so sexy, sich mit
seinem Freund (oder Ehemann) im glühenden Sand zu wälzen, sich mit
knirschenden Sandkörnchen auf salzigen Lippen und Zähnen zu küssen,
ganz versteckt eine Hand in die Badehose gleiten zu lassen oder
sich kichernd unterm Badetuch zu verstecken, aneinandergepresst,
Haut an sonnenheißer Haut und mit dem unverwechselbaren Geruch von
Wind, Strand und Sonnenmilch in der Nase.
Und wie dann die Lust in der Hitze wuchs, während
Drumherum die Kinder schrien und die Möwen, die Wellen
rauschten und das Blut pochte. Wir rannten schnell in das
schattige Haus und glitten unter die kühlen Laken und hatten Sex,
der sorglos und glücklich war und so perfekt wie ein
Zitronensorbet.
Und plötzlich führen mich die Erinnerungen zur
nächsten, noch tiefer liegenden Schicht, in die Kindheit.
Wahrscheinlich gibt es wenige Erwachsene, die ihre Kindheit nicht
mit glücklichen Sommerferien, kleckerndem Eis und warmer Brause
verbinden, mit Gummitieren, nassem Sand, Schaufel und Eimer, kaltem
Popo und heißer Stirn und Mamis sorgsamem, aber sehr unwillkommenem
Eincremen mit Sonnenmilch auf der trotzdem immer leicht verbrannten
Haut.
Vorbei.
Ich sitze in einem sogenannten vorteilhaften
Einteiler, ein buntes Tuch geschickt um die Hüften drapiert am
Strand und gehöre zu den weiblichen Aschenbachs dieser Welt. Und
niemand da, diesen ja auch traurigen Zustand mit mir zu
teilen.
Halt, da kommt jemand auf mich zu. Braun gebrannt,
strammer Körper, dicker Bauch, weiße Haare auf der Brust, was nett
aussieht, ein weißes Sonnenhütchen auf dem Kopf, eine sicherlich
teure goldene Uhr am Arm.
Ich setze mich ein bisschen gerader hin und kreuze
die Beine elegant.
»Sprechen Sie deutsch?«, fragt er freundlich, aber
sachlich. Er will nur irgendetwas wissen, da bin ich sicher. Ich
schüttele den Kopf, ich verleugne ab und zu im Ausland mein
Deutschtum, ein Überbleibsel aus den Sechzigerjahren, als es mir
wirklich peinlich war, ein jahreszahlenmäßig direkter Nachfolger
der Nazigeneration zu sein.
»Schade«, sagt er und guckt suchend um sich.
Dann trollt er sich von dannen.
War sowieso zu nichtssagend, denke ich.
Ich will einen melancholischen geheimnisvollen Mann
mit wunder Seele und wissenden Augen, der zu dem Hotel und der
Stimmung passt.
Neu-Delhi
In Indien, wo eine allein reisende, große, helle,
blauäugige Ausländerin mehr Aufmerksamkeit erregt, als ihr lieb
ist, machte ich eigentlich schöne Erfahrungen. Ich kam mir
alterslos und angenehm exotisch vor.
Kinder finden einen sowieso interessant, aber ich
hatte das Gefühl, dass die aufmerksamen Blicke von Männern (und
Frauen) wenig taxierend und bewertend waren und frei von jeder
Assoziation mit dem Alter. Ich glaube, die westliche Krankheit,
jede Frau nach dem Hot-Faktor zu bewerten, hat noch nicht in den
kleineren Städten Indiens Fuß gefasst.
Auffallend schön fand ich die indischen Frauen in
meinem Alter und älter - die sprechenden, kajalumrandeten Augen in
ihren dunklen, oft eleganten Gesichtern, die silbergrauen Haare,
die in einem langen Zopf den Rücken herunterfielen.
Und natürlich hilft es, glitzernde Ohrringe und
reich verzierte Armreifen statt Perlenketten zu tragen und
wunderschöne bunte und fließende Seidenstoffe um den Körper
gewickelt zu haben anstelle von sexloser, beiger
Seniorinnenmode.
Von indischen Männern hörte ich vorher so einiges.
Sie sind unerotisch und unsexy, sie sprechen mit diesem komischen
Singsang, den sie scheinbar nie loswerden. Dann wiederum gibt es
das Kamasutra und all die wunderbar kunstvoll und üppig
dargestellten Schweinereien, die auch tatsächlich im Nationalmuseum
in Delhi hängen.
Ich war im Prinzip bereit, Neues auszuprobieren,
auch mit einem Inder. Es gibt nämlich wunderschöne alte und junge
unter ihnen, und der Kleinmädchentraum von einem glutäugigen
Maharadscha auf einem Elefanten, der die Juwelen der Welt zu deinen
Füßen legt, ist recht beständig, weil er der Idee vom Prinzen am
nächsten kommt.
Ich sah viele herrliche Fotos von
Märchenmaharadschas, traf auch einen echten, aber der war - wie die
meisten Adeligen dieser Welt - zur Realität übergegangen, wohnte in
einer kleinen Vorstadtvilla und trug Jeans unter seiner weißen
Kurta.
Ich fand, dass die alltäglichen Inder eine Sache
für sich sind, da sie ununterbrochen spucken, schmatzen, rotzen,
unglaublich schmierig, ungehobelt und aufdringlich, gleichzeitig
aber sehr höflich sein können. Mein Hauptkontakt fand mit Taxi- und
Rikschafahrern statt, von denen die meisten gebrochenes Englisch
sprachen und mich mit größter Liebenswürdigkeit behandelten. Und
alle waren nicht älter als fünfunddreißig. Was soll ich sagen, ohne
angeberisch zu wirken. Ich war der große Hit. Natürlich auch, weil
ich weiß war, also reich, das ist schon klar.
Eine etwas tragikomische Episode war die
Unterhaltung mit einem verwöhnten, dicklichen jungen Mann - einem
Anwalt, erstaunlicherweise - im schrecklichen Jogginganzug. Er
wohnte als Untermieter in dem Haus in Neu-Delhi, wo ich zu Gast
war, saß schon morgens um neun in der Küche und sah fern, während
er sich den nackten fetten Bauch unter dem braunen Frottee
kratzte.
Ich brauchte ein paar spezielle Informationen und
fing eine Unterhaltung an. Er betrachtete mich von oben bis unten
und sagte dann - die Hand immer noch an seinem nackten Bauch: »Wie
alt bist du?«
Ich sagte: »Über sechzig«, was ihn in Erstaunen
versetzte.
»Du bist aber gut in Form«, meinte er
anerkennend.
Ja, und du nicht, dachte ich.
»Hier bei uns sind die Frauen schon mit vierzig
ziemlich fett und sehen alt aus«, sagte er düster.
Vielleicht, weil sie wie Sklavinnen gehalten
werden, Kinder gebären und für den ganzen Clan, der mindestens
fünfundsechzig enge Familienangehörige hat, putzen und kochen
müssen?, dachte ich.
Auf dem Bildschirm tanzten große Mengen von
Bollywoodbabes nach einem der Schlager, die sich für uns alle
gleich anhören. So was hätte er gern, eine junge schöne Frau aus
dem neuen Indien, die zwar nach den strengen indischen Regeln des
Patriarchats lebt, aber westlich heiß aussieht.
»Wir könnten ausgehen. Hast du Zeit?«, fragt
er.
Nein, habe ich nicht, du kleiner arroganter,
unerzogener Klops, denke ich. Um keinen Preis.
Es ist ein billiger kleiner Triumph, ich weiß, aber
ich fühle mich ziemlich gut dabei, immer noch in Situationen zu
kommen, in denen ich jungen Männern einen Korb geben kann.
Als mich mein Lieblingschauffeur, mit dem ich so
einiges erlebt habe, nach drei Tagen zum Flughafen bringt, drückt
er meine Hand.
»You are a really nice lady!«, versichert er
mir.
Und wirklich, ich merke, es bedeutet mir mehr als
platte Komplimente. Die reife Frau als interessanter Mensch. Kein
schlechtes Konzept.
Mallorca
Das bestätigte sich auch auf Mallorca. Als ich
spontan in ein Museum in Palma gehen wollte, merkte ich, dass ich
alles Geld ausgegeben und auch keinerlei Bankkarten dabeihatte.
Manchmal hat man ja Glück und kann in Museen an die Nettigkeit der
Angestellten appellieren und andeuten, dass man ein sehr
kunstinteressierter Mensch ist. Ich probierte es, aber mir wurde
der Eintritt verwehrt.
Da kam ein etwa fünfundsechzigjähriger, kleiner,
etwas rundlicher Mann mit grau gesprenkeltem Bart, Pferdeschwanz
und typisch spanischem Gesicht auf mich zu, lächelte charmant und
fragte auf Englisch: »Wollen Sie rein?«
Ich nickte, er griff meine Hand, ging zur Kasse,
zeigte einen Ausweis, und wir gingen hinein. Er war der Direktor
und Kurator, der das Museum als sein eigenes Haus betrachtete. Er
machte mit mir eine lange private Führung, wir unterhielten uns
über Malerei und Reisen. Dann gingen wir einen café con
leche trinken, einen Milchkaffee, dann ein wenig in Palma
spazieren. Er zeigte mir seinen verwunschenen, wild wachsenden
Lieblingsgarten in einer winzigen Gasse, und dann sagten wir
adiós. Kein Adressenaustausch, kein nichts.
Ein wundervoller Nachmittag, vielfältig und voller
Genuss. Ich habe längst seinen Namen vergessen, aber nicht diese
unerwartete Bereicherung, die ein sinnlicher, vergnügter Nachmittag
zwei Fremden bereiten kann, ohne dass Sexualität die Hauptrolle
spielt.
New York
New York ist eine coole, witzige, aggressive
Stadt, das wissen wir alle. Den smarten New Yorkern macht man
nichts vor, sie urteilen schnell und kennen alles. Sie sind
obendrein spontan, kritisch und lieben es, auf der Straße mit
unmissverständlichen Kommentaren ihrer positiven wie auch negativen
Meinung Ausdruck zu verleihen.
Ich will nur zwei kleine nette Geschehnisse
erzählen, um uns nicht mehr jungen Frauen zu zeigen, dass immer
alles möglich zu sein scheint. New Yorker Frauen sind sehr
selbstbewusst, deshalb sind sie auch sehr großzügig, was
Komplimente angeht. Es passiert recht schnell, dass eine selbst
sehr attraktive Frau an der roten Ampel (eigentlich gehen New
Yorker immer bei rot über die Straße) eine andere flink anspricht,
um ihr zu sagen, wie toll ihre Tasche, ihr Outfit, ihre Frisur, ihr
Gürtel, ihr Stil und was nicht alles ist.
Bei mir war es ein schwules Paar, das den Vogel
abschoss. Einer der beiden, ein schwarzer, leicht überdrehter
junger Typ, tippte mir auf die Schulter und säuselte recht laut:
»Also nein, dass muss ich einfach sagen. Sie haben die schönsten
grauen Haare, die ich je gesehen habe«, und schüttelte bewundernd
seinen Kopf, während er die Augen verdrehte.
Ich war ziemlich baff und sagte nur Danke,
begleitet von meinem breitesten Lächeln. Aber das war längst nicht
alles.
»Und dazu die Lippenstiftfarbe, der Hautton, alles
perfekt«, er sah mich an wie ein Stylist, der er ohne Frage war,
»wirklich schön.«
Die Leute neben uns an der Ampel guckten schon, und
mir war es peinlich. Gott sei Dank war grün, aber mein neuer
Verehrer musste noch etwas loswerden. Er griff mich und küsste mich
rechts und links auf die Backe.
»Das musste ich eben machen.«
Und ich musste nun wirklich lachen.
Dann ging er zu seinem Freund, der still
dagestanden hatte, und drehte sich nach ein paar Schritten noch
schnell um und rief: »Please, don’t ever change!«
Dann folgte eine Kusshand von ihm, und ich ging
kichernd, kopfschüttelnd und sehr, sehr geschmeichelt die 59.
Straße runter.
Also, ich gehörte bisher nicht zu den Frauen, die
die wichtigsten, wunderbarsten und innigsten Freundschaften mit
Schwulen pflegen, weil sie angeblich die besseren Männer mit einer
so tollen Sensibilität und umwerfendem Stil sind. Aber hier, auf
den Straßen von New York, war ich bereit, mich bekehren zu lassen.
Wirklich, Schwule haben eben doch den allerbesten Geschmack! Wo
sind sie in Deutschland, wenn man sie braucht?
Der Rest meines Trips stimmte mich auch fröhlich.
Ich fasse kurz zusammen: Bei einer Dichterlesung im East Village,
auf der magischerweise hauptsächlich sehr gut aussehende, grau
melierte, ältere Künstlertypen waren, wurde ich angesprochen,
angemacht und mit Visitenkarten bestückt, dass es eine Freude
war.
Ich überlegte hinterher, was es genau war, an mir
und an ihnen, das zu dieser herzlichen Offenheit und echten
Wertschätzung einer älteren Frau führte. Ich tippe darauf, dass die
Generationen einfach zusammenhalten. Ja, ich weiß, viele Deutsche
finden die Amerikaner zu freundlich - ich finde sie in solchen
Momenten goldrichtig, denn es können Monate, ja Jahre vergehen,
bevor in Deutschland ein Mann auch nur milde Begeisterung zeigt.
Zumindest in der Öffentlichkeit.