Gepflegte Langeweile
014
Ganz sicher nicht bei Jürgen, auf den ich bei einer Schale experimentell wirkender, neuer grüner Teesorte in einem Café wartete, während ich irritiert ein Paar mit einem brüllenden Kleinkind dicht neben mir beobachtete. Wie es dieser Tage so üblich ist, dürfen ja Babys, Hunde, Elefanten, Fahrräder und was nicht alles überall mit dabei sein in Deutschland, besonders in engen Cafés.
Jürgen und ich hatten einen eher wortkargen Mailwechsel gehabt.
»Wie geht’s?«, wurde gefragt und »Wir können uns ja mal treffen« vorgeschlagen.
Also keine aufflackernde Leidenschaft und nicht jugendfreie Fantasien von unaussprechlichen Sexualakten, die Schlagsahne, Kokain und Strapse einschlossen sowie den nicht einzudämmenden Drang, sich augenblicklich zu sehen. Aber nach Mario dachte ich: Warum nicht einen ganz normalen netten Typen treffen?
Dann hatten wir zweimal telefoniert, und Jürgen sprach wunderbar lang gezogen Hamburgisch, angesiedelt in der Uwe-Seeler-Schule des Sprachmusters: »Also, woll’n ma so sogen, nä?«
Das Foto hatte einen großen Kopf mit viel üppigem und lockigem Haar gezeigt, seitlich grau, obenauf mit diesem Rotstich, der von getöntem Haar herrührt, und diese etwas aufgerissenen Kinderaugen, die zu fragen schienen: »Was ist los? Wo bin ich? Wer bin ich? Bitte seid lieb zu mir.« Um die Lippen lag ein ganz winziges unsicheres Lächeln. Aber irgendwie sympathisch. Was weiß ich, warum wir ein Gesicht als nett empfinden.
Jürgen hatte angegeben, auch freiberuflich im Künstlermilieu tätig zu sein - wollte aber nicht konkret mit der Sprache herausrücken.
Karen riet mir von ihm ab: »Der hat doch kein Geld! Ich würde die armen Schlucker sausen lassen. Geld macht Männer in unserem Alter einfach attraktiver. Aber vielleicht ist er ja der Kracher im Bett, das würde einiges ausgleichen.«
 
Zumindest ist er in der Tat, so wie angegeben, ein großer kräftiger Mann von einem Meter siebenundachtzig in schwarzem Mantel, schwarzem Hemd und schwarzen Jeans. Er guckt mich mit diesem unsicheren und doch treuherzigen Blick an. Sein wildes Haar ist leider einem schnippelfreudigen Friseur zum Opfer gefallen und legt sich kurz und zahm kringelnd wie eine sorgfältig ondulierte Alte-Damen-Frisur um sein rundes Gesicht. Vielleicht ist er extra meinetwegen zum Haareschneiden gegangen, weil er »anständig« aussehen wollte?
 
Ich bin nicht völlig immun gegen große Männer, auch wenn zwei meiner wichtigsten Freunde ein paar Zentimeter kleiner als ich waren. Was für mich überhaupt kein Problem war - für sie aber schon.
Vor einem Jahr trat dann ein alter und körperlich recht kurzer Bekannter wieder in mein Leben und fand mich plötzlich sehr attraktiv. Weshalb er mich mehrere Male zu recht schicken Partys und offiziellen Anlässen einlud. (Er ist ein Star-Anwalt.)
Damit ich auf keine dummen Ideen kam, befahl er mir per Mail zweimal am Tag der jeweiligen Veranstaltung, absolut flache Schuhe anzuziehen. Eigentlich sehr kindisch für einen gleichaltrigen Mann, ich fand es zumindest komisch. Da ich relativ groß bin und gern zügig gehe, besitze ich keine echten High Heels, nur gemäßigte Hacken. Es bestand also keine Gefahr für »Liliputman«.
Für einen Moment kam das Biest in mir hoch und ich dachte: Jetzt leihe ich mir ein paar richtig schöne hohe Plateausohlenschuhe.
Doch meine eigene Bequemlichkeit gewann. Er kriegte seinen Willen und legte immer sehr glücklich seinen Arm - etwas mühsam - um meine Schulter.
Etwas Ernstes oder Aufregendes ist aus diesen flachsohligen Rendezvous trotzdem nie geworden. Warum wollen Frauen größere Männer? Schutzsuche, sagt man, und Aufschauenwollen, also die niedliche anlehnungsbedürftige Frau spielen, die sich in seine Armbeuge schmiegt und das Kinn hochreckt, während sie ihn bewundernd anhimmelt. So wie in dem schönen berühmten Paarfoto von einer besonders mädchenhaften Marilyn Monroe mit ihrem dritten Ehemann, dem baumlangen Arthur Miller.
 
Warum bin ich nicht zu Hause im Bett geblieben und habe Zeitung gelesen - es ist nämlich Sonntag - und mir einen saugemütlichen Vormittag gemacht?, schießt es mir durch den Kopf. Man weiß nämlich schon nach fünfundzwanzig Sekunden, da gibt es genügend wissenschaftliche Studien, ob die Chemie stimmt.
Es empfiehlt sich sowieso, beim Daten schon vorher Plan A und Plan B zu machen. A für den Fall, dass er ein toller Fang ist. B für den höflich schnellen Abgang bei Schnarchfaktor eins.
»Mmh, guter Tee«, breche ich gewagt das Eis, er hat auch welchen bestellt.
»Meiner auch«, antwortet er, und schon sind wir bei seinem liebsten Thema - dem Tee. Er weiß über die verschiedensten Sorten so gut Bescheid wie ein Teepflücker in Darjeeling und verrät mir, wo man den billigsten First-flush vom Importeur kriegt. Das ist nett und auch hilfreich, denn ich trinke gern Tee, aber mein Fuß fängt an dem übergeschlagenen Bein an zu wippen, ohne dass ich es sofort merke - das alleruntrüglichste Zeichen, dass ich ungeduldig und gelangweilt bin.
Ich will endlich wissen, welchen künstlerischen Beruf denn Jürgen ausübt. Er druckst ein wenig herum, starrt mich an und sagt: »Na ja.«
»Na, irgendeinen Beruf hast du doch sicherlich?«, insistierte ich.
»Eigentlich bin ich Elektriker, aber dann habe ich viel mit Kabeln zu tun gehabt und war öfter beim Fernsehen beschäftigt. Mit der Beleuchtung!«
Jetzt ist es heraus. Also Beleuchter. Dessen muss man sich doch nicht schämen! Im Gegenteil.
Die Unterhaltung plätschert quälend dahin, doch dann kommt er mit der besten Geschichte aus der Datingszene, die ich je gehört habe. Ich hatte ihn gefragt, was er denn bisher so für Frauen getroffen habe.
Da war vor zwei Jahren, als er anfing, eine Ukrainerin. Sie war hübsch, man kommunizierte gebrochen, und nach zwei Mails rückte sie mit der Wahrheit über ihr wirkliches Begehren heraus. Vielleicht war sie auch eine Stand-up-Komödiantin, die Spaß hatte, ausländische Männer an der Nase herumzuführen. Denn es waren keine sahnigen Trüffel oder ein Paar sündige Sandalen in Gold von Manolo Blahnik, sondern eine Ladung Brennholz, die sie geschickt haben wollte, das sei sehr knapp dort im russischen Winter.
Jürgens große Kinderaugen sind ohne schalkhaftes Blinzeln, also stimmte es.
»Nein, das kann nicht sein«, rufe ich aus.
»Doch, wirklich«, beteuert er ernst.
Das ist das Highlight mit Jürgen und ein wirklich komisches, und das bleibt es auch in den verbleibenden dreizehn Minuten unseres dynamischen Dates.
Jürgen guckt mich ununterbrochen mit seinen runden Augen an, ein bisschen wie ein netter Hund, dem man einen Knochen versprochen hat und der erwartungsvoll darauf wartet. Er tut mir leid. Es ist schwer als Mann (sicher auch als Frau), so gar kein Talent für Konversation zu haben.
Ich aber will nur weg. Auf dem Weg nach Hause beschließe ich, keine Männer nur wegen ihrer Locken zu treffen.
Später finde ich heraus, dass es ganze Websites nur für datende Damen aus der Ukraine gibt. Entweder gibt es zu viele davon, sie haben etwas, was der Rest der Frauen nicht hat (außer Brennholz), oder es handelt sich um einen geheimen Sexcode, den ich in meiner Naivität nicht kenne.
»Die wollen alle einen alten reichen Deutschen heiraten oder anderweitig abzocken, Dummchen, und dann mit viel Gold und Nerz behängt, dickem Make-up und blond gefärbt ein Leben wie in einem Lady-Gaga-Video führen«, klärt mich Sarah auf.

Was stimmt nicht mit mir?

Ich fühle mich schon wieder leicht deprimiert nach so einem völlig überflüssigen Date. Es kommt eine gewisse Verzweiflung durch, und sie erinnert mich daran, dass ich tatsächlich Single bin und mich um einen Mann bemühe. Per Internet. Peinlich. Das kann doch nicht klappen.
Natürlich misstraue ich den vielversprechend aussehenden und sich anhörenden Männern, und unausweichlich entsteht ein typischer Dialog in meinem Kopf: »Wenn er so ein toller Mann ist, warum sucht er eine Frau im Internet?« - »Warum nicht, du tust dasselbe und bist toll«, wäre theoretisch die richtige Antwort und nicht eine typische Eigensabotage wie: »Ich würde nie einem Club beitreten, der mich als Mitglied nimmt.«
Das sagte bereits der legendäre Komiker Groucho Marx, und Woody Allen stimmte ihm zu - sicherlich auch Donald Duck, die von Selbstzweifeln geplagte Ente.
»Was stimmt nicht mit mir«, fragt obendrein die kleine nagende Stimme, die niedliche Kinderschuhe trägt und nicht den Mund halten will, »dass ich mich für Geld anbieten muss?« (Elite und Parship sind nicht billig!)
Karen jedoch sieht das ganz anders.
»Also, eigentlich finde ich es toll, wie du das so routiniert einfädelst mit dem Treffen von Männern und all den Mails«, gesteht sie, die auch seit einem Jahr Single ist und vierundfünfzig wird. »Ich könnte das nicht.«
Sie will es aber auch nicht, hat sie mehrmals erklärt, sie sei alles andere als an einer neuen Beziehung interessiert.
Sexy Sixty - Liebe kennt kein Alter -
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