Sex kennt kein Alter

Aber halt! Was ist mit den Pensionären?
Eine riesige Marktlücke tut sich auf! Der TV-Mechaniker, der Zivi,
der schlüpfrige Hausmeister, alles potenzielle Verführer für die
heiße Helga im Seniorenheim, Apartment zwölf.
Das haben die Japaner erkannt, die sexuell
verklemmt sein mögen, aber kalt kalkulierende Geschäftsleute, wenn
es um viele Yens geht. Und es ist das Land der aufgehenden Sonne,
das uns den ältesten Pornostar der Welt in der noch ansehnlichen
Form des fünfundsiebzigjährigen Herrn Tokado schenkt, Familienvater
und ehemaliger Angestellter in einem Reisebüro. Er liebt seinen
Beruf sehr und möchte ihn ewig weitermachen. Sein Motiv: Den
älteren Menschen gute Laune zu machen und sie zu inspirieren! Dazu
muss man sagen, dass japanische Pornos etwas dezenter und
»kunstvoller« gedreht werden und die Kimonos immer ein wenig über
die naughty bits (so die Briten) gebreitet werden. Seine
Pornos sollen demnächst in Altenheimen angeboten werden, da im Jahr
2055 zwei von fünf Japanern fünfundsechzig Jahre alt sein
werden.
Nichts ist bei uns ein größeres Tabu beim Thema
Älterwerden als das Thema Sex. Ja, Liebe auch, aber hauptsächlich
Sex, denn wir sind eine sexbesessene Gesellschaft. Wer im Alter von
fünfzig aufwärts keinen oder wenig Sex hat, der hat offenbar eine
ziemlich bedauernswerte Existenz und
weist sich als verhaltensgestört und wenig begehrenswert aus. Nur
wirklich detailliert wissen will man es nicht.
Dabei liest und hört man ja die tollsten
Geschichten von den heißen Seniorinnen, die es mit sinnesfreudigen
Witwern, draufgängerischen Alt-Casanovas und knusprigen
Einheimischen auf Reisen, zu Hause und selbst in Altersheimen
treiben.
Sogar die internationale Filmindustrie bringt alle
zwei Jahre einen Film auf den Markt, in dem intelligente und jung
gebliebene, aber sexuell frustrierte Frauen zwischen fünfzig und
siebzig (an die Achtzigjährigen wagt sich noch keiner ran)
unbekümmert ihre Hängebusen und schlabberigen Oberschenkel zeigen,
jauchzend oder auch stillschweigend in die Betten sinken und dort
recht viel Vergnügen zu haben scheinen. Gönnen tut man das den
fröhlich kopulierenden Paaren allemal. Und es ist positiv und
realistisch, dass man der Bevölkerung nahebringen will, dass auch
ältere Menschen ein Recht auf ein Liebesleben haben. Aber will man
das sehen?
Jüngere Menschen unter Garantie nicht, denn das
ist, als ob man seine Großeltern beim Sex belauschen würde - eklig
bis lächerlich.
In jedem Fall aber haben die meisten Menschen
starke Ablehnung gegenüber Sexualität, wenn sie mit Sterblichkeit
und Verfall gemixt wird. Kein freches, amüsantes Thema, so wie es
das einmal war, heiter und unschuldig - damals in jungen Jahren.
Wenig dunkle Wolken am Liebeshimmel, die Hoffnung auf Perfektion
noch hell gleißend und intakt.
Das geht alles nicht mehr so erfrischend
unbekümmert mit sechzig. Es ist nicht so, dass die Knochen gleich
knacken, wenn man ein paar gewagtere Stellungen ausprobiert, aber
die Vorstellung, dass Kreischen und Stöhnen etwas für
jüngere Menschen ist, kriegen weder junge noch alte Menschen über
sechzig ganz aus ihren Köpfen.
Das Tageslicht, einst eifrig gesucht, um
Nachmittagssex den himmlisch schuldvollen Charakter zu geben, weil
alle anderen arbeiten, wird zum Feind des nackten Körpers. Dabei
gibt es sehr schöne ältere Körper, die eine größere und
ansprechendere Persönlichkeit haben - ohne den Kopf mitzuzählen -
als eine perfekte junge Schönheit mit Kopf. Das ist gut zu
wissen.
Aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten
Erica Jong, Autorin des riesigen
Siebzigerjahre-Bestsellers Die Angst vorm Fliegen, der die
sexuelle Revolution der umstürzlerischen Hippiejahre von einem rein
weiblichen Standpunkt aus zelebriert, sagt, dass die Idee, ältere
Frauen seien genauso sehr an Sex interessiert wie ältere Männer,
besonders im puritanischen und gleichzeitig sexbesessenen Amerika
sehr zwiespältige Gefühle erzeugt hat. Im Gegensatz dazu, meint
Jong, »gelten in Europa erfahrene ältere Frauen als sexy, besonders
in Italien und Frankreich«.
Trotzdem oder gerade deshalb sind in Amerika die
Schamgrenzen ebenso tief gefallen wie die Grundstückspreise. In der
neuen praktischen Welt der flinken Vernetzung kommt Lust vor Alter,
und die wird ausgelebt wie der »zipless fuck« aus ihrem Buch, also
schneller Sex ohne große Gefühle.
Mit großer Verblüffung - und sogar einem Quäntchen
Bewunderung - las ich auf einer amerikanischen Webseite von den
Abenteuern zweier sexuell frustrierter, ziemlich
durchschnittlicher, aber auch smart wirkender Frauen, eine Ende
vierzig, die andere Mitte fünfzig. Sie lechzten nach »Sex satt«
und waren bereit, sich keine Gelegenheit entgehen zu lassen. Sie
benutzten dazu die bekannte, sehr liberale Allround-Webseite
Craigs List, die es auch auf Deutsch für deutsche Städte
gibt.
Vielleicht lag es daran, dass diese zwei Frauen
Kalifornierinnen sind? Das Wetter, die wunderschöne Umgebung und
eine üppige Natur laden zu sehr romantischen Fantasien ein und
lassen wahrscheinlich die Libido so sinnlich erblühen wie die
Hibiskusbüsche dort.
Eine der beiden beschrieb sich als »übergewichtig«
und lebte seit zehn Jahren in einer sexlosen Ehe, die andere hatte
nur gewalttätige sexuelle Erfahrungen mit Männern - und glaubte
nicht so recht an Sex aus Spaß. Aber nun wollten sie es endlich
wissen, und der Nachholbedarf muss immens gewesen sein, denn die
Männergeschichten wirkten teilweise grotesk, verzweifelt, peinlich,
manchmal aber auch komisch und sehr wahrhaftig.
Immerhin hatten die zwei Damen in vier
amerikanischen Bundesstaaten unter Zuhilfenahme von 45 000
gemailten Wörtern sechsundreißig Dates und dreizehn Liebhaber in
elf Monaten.
Mehr als ich und all die jungen und alten Frauen,
die ich kenne! Irgendwie war ich neidisch auf diese zwei wirklich
freizügigen Weiber, die die gefühlvollen Vorstellungen, die man
hauptsächlich Frauen zuordnet, in den Hintern traten. Wie wird man
zur sexuellen Aggressorin und holt sich, was man braucht? Das war
ja schon einmal das große Thema in den emanzipatorischen
Siebzigerjahren. Aber kriegt man je seine verklemmte Erziehung aus
dem System?
Eine der Frauen hatte eine recht gesunde Attitüde,
wenn man das so sehen will. Sie wollte keine Partnervermittlung
bezahlen und sie war offen für jede Art Mann - solange er gut
küssen konnte. (Das kann ich nun wirklich gut verstehen.) Obendrein
erklärte sie, dass sie ihre Vagina wie beim Telefonieren auf so
etwas wie »anklopfen« und »makeln« einstellen würde, damit sie
nichts versäumt. (Telekom, bitte eine Notiz für die ferne Zukunft
machen!) Amerikanische Effizienz, nehme ich an.
Ihre Freundin, die mit dem zehnjährigen Sexentzug,
kam auch gleich zur Sache. Sie hielt sich nicht mit höflichem
Geplänkel auf, sondern klickte gleich die berüchtigte Kategorie
»Lockere Treffen« an, da weiß nämlich jeder, dass es um Sex geht
und nicht um schöngeistige Dates mit romantischen Abenden am Kamin,
wertvolle Gespräche oder Museumsbesuche.
Zimperlich war sie nicht. Sie traf sich auch in
Sex-Clubs und schwärmte von dem Ex-Sträfling, der ihr eine volle
Stunde lang oralen Sex bescherte, dass es eine Freude war.
Miteinander bekannt wurden die beiden Frauen
online, weil es einen flotten Dreier geben sollte, der aber dann
aus Mangel an sprühender Lust nicht stattfand. Sie fanden sich
gegenseitig netter als den Typen und entschieden sich, zusammen auf
Männerjagd zu gehen. Und einfach war’s. Auf jede einigermaßen
willige Frau wartet »ein riesiger Süßigkeiten-Shop mit den größten
Leckereien, die nur vernascht werden wollen«, vermeldeten die
Frauen.
Wow! Vielleicht sind Amerikaner trotz ihrer
legendären Prüderie doch lockerer als alle Europäer zusammen?
Geile Alte
Das Prinzip Bonbonladen für ältere Naschkatzen
will sich, soweit ich das sehen kann, zumindest in den
Online-Anzeigen und in Zeitungen in Deutschland nicht einstellen.
Das gilt als unseriös.
Vielleicht liegt es an der wenig lustbetonten
deutschen Sprache und der »anständigen« Kultur, die nichts mit
Selbstironie und spielerischen Andeutungen zu tun haben will. Bei
uns verstecken höchstens mal ältere Männer, die auch dafür größere
Freiräume als Frauen haben, ihre sexuellen Wünsche hinter »junge,
aufgeschlossene Asiatin zwecks zwangloser Vergnügen gesucht«, ohne
dass es jemanden schert.
Frauen müssen sich vorsichtiger und gewählter
ausdrücken, um nicht als billige, durchtriebene Sex-Seniorin
geächtet zu werden. So wird im Hamburger Abendblatt von
einer Sechzigjährigen sehr gediegen »ein zweiter Frühling
erwünscht, damit der Herbst goldene Früchte trägt«. Es werden von
sportlichen, fitten, jung gebliebenen, aufgeschlossenen und
gebildeten Golferinnen und Kulturliebhaberinnen natur- und
tierliebe Partner gesucht, die schrecklich viel Herz und Feinsinn
haben - und nach Möglichkeit ebenso viel Kohle.
Das alles hört sich so an wie in einer noblen
Novelle von der Art, wie sie immer so schön von Engländern verfilmt
werden und in denen Judi Dench und Vanessa Redgrave mitspielen. Und
über allem schwebt wie ein bedrückender Nebel, der nicht weichen
will, der Anspruch auf »gute« Gespräche, in denen sicherlich nicht
der Befehl »Runter mit den Klamotten!« eine große Rolle
spielt.
Denn im Gegensatz zum Herz bleiben ein anderer
Körperteil und sein möglicher Einsatz in den Anzeigen brav
verhüllt. Mit keiner Silbe wird Sex oder auch nur das Wort Romanze
erwähnt. Es soll spazieren gegangen, Rad gefahren, Scrabble
gespielt, eine Kreuzfahrt gemacht, herzlich gelacht und klassischer
Musik gelauscht werden.
Sollte man sich »näherkommen« bei all den
feinsinnigen Beschäftigungen, dann könnte es sein, dass dezenter
Sex stattfindet, und zwar, wie er sich gehört. Sexualität, das
ehemalige bête noire, ist längst gezähmt und hat sich ein
wenig an die sandfarbene Leinenkombination angepasst und die
praktische Frisur, die beide in ihrer geschmackvollen Ausführung
irgendwie den Unterleib wegmogeln.
Sie soll nicht auffallen, sie soll sich benehmen,
die altehrwürdig gewordene Sexualität, und mit Understatement
glänzen, soll so nebenbei und elegant sein wie das kleine Schwarze
von Chanel - nicht ein greller Spaßfetzen von Dolce & Gabbana -
und so geheim gehalten werden wie die Scheckkartennummer.
Scharfer Sex, laut, schwitzig und enthemmt, gehört
angeblich der Jugend und der Vergangenheit an, was bleibt ist
sensibler Sex, weich gespülter Sex, Häkel-Sex, Gourmet-Sex,
Puschen-Sex, Sympathie-Sex, Frust-Sex - und ja, Senioren-Sex, die
verschwiegenste von allen Sexspielarten.
Aber wie soll man diese Forderung der Gesellschaft
erfüllen, wenn man zu der Generation gehört, die Sex und Liebe
manchmal trennen wollte und konnte, die Frauenlust,
One-Night-Stands, Affären genauso natürlich und legitim fand wie
die Männer? Und jetzt im Alter gilt das nicht mehr? Soll die ganze
damals neu erlernte Liebes- und Sexphilosophie geleugnet werden?
Scheinbar ja.
»Nein. In dem Alter!«, wird empört gegeifert.
»Geile Alte!« ist der Ausdruck für Frauen, die Lust
haben, wo Rost hingehört.
Nichts scheint schamvoller und schlimmer als
triebhafte Frauen, die über sechzig sind. Sie sind fast so schlimm
wie betrunkene Frauen, denen man unterstellt, absolut und
mindestens hundertmal schrecklicher zu sein als männliche
Säufer.
Warum das so sein soll, weiß ich nicht, ich kann
bei betrunkenen Männern keinen höheren Wert auf der
Liebenswert-Skala entdecken als bei Frauen.
Dabei treiben sie es überall, die Frauen (und
Männer) ab sechzig, glaubt man Studien und persönlichen
Unterhaltungen mit rüstigen Sexfans. Rund achtundsechzig Prozent
der Siebzig- bis Achtzigjährigen sagen, dass sie noch ein Sexleben
haben.
Dass rüstige alte Herren ihre Libido mit Viagra
verlängern, ist inzwischen nicht peinlich, sondern
selbstverständlich, aber was machen ältere Frauen, die nach den
Wechseljahren Sex wollen?
Sie tun sich zusammen, so wie im ideenreichen
Amerika, wo sich alte Frauen über siebzig in der Purple Hat
Society zusammenschließen und ungeniert ihre Triebe bei kleinen
Trips in einschlägige Sex- und Pornoshops zur Schau stellen, wo sie
- lila Hüte tragend - laut lachend Dildos, rote Satinhöschen und
Lederpeitschen begutachten, als wären es die Wochenangebote bei
Aldi.
Schockierend auch die Anzeige vor sechs Jahren in
einer renommierten New Yorker Zeitung der damals
siebenundsechzigjährigen amerikanischen Autorin Jane Juska, in der
sie ihre Lust »auf eine Menge Sex mit einem Mann, der mir gefällt«
ohne große Umschweife kundtat. Sie kriegte eine Menge Zuschriften -
und das, wonach sie suchte.
Da muss ich gestehen, dass ich nicht den Nerv dafür
hätte.
Leider kenne ich keine Details aus Mallorca, aber
in Florida, wo die meisten amerikanischen Pensionäre leben, gibt es
offenbar eine sehr lebendige Sex-Senioren-Szene. Scheinbar treiben
es die Alten so sehr, dass eine steigende Zahl Geschlechtskranker
registriert wird. Die Regierung schuf deshalb einen kleinen
Aufklärungsfilm, der Sex And The Senior heißt. Und statt
echter Senioren spielen Figuren aus Knetmasse mit. Man möchte ja
die älteren Herrschaften nicht unnötig mit faltigem Fleisch
erregen.