Bildungsdünkel und Schönheitswahn
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»Dahinter steckt immer ein kluger Kopf« ist ein klassischer Werbespruch der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Und auch Partnerschaftsagenturen schmücken sich gern mit Akademikern aus allen Bereichen.
So findet man zwischen all den Arbeitern, Angestellten und Selbstständigen auch Herren mit Titeln und dem sogenannten Niveau, manche können das Wort sogar richtig schreiben.
Ich habe wirklich nichts gegen Akademiker. Im Gegenteil, niemand möchte sich von einem Gärtner an der Bandscheibe operieren oder von einem Barkeeper vor Gericht vertreten lassen. Leider haben jedoch viele Akademiker eine Ausstrahlung, die man schlichtweg als unsexy bezeichnen könnte. Aber als unerschrockene Daterin will ich mich der gebildeten Mittel- und Oberschicht nicht verschließen. Deshalb gab es mit einigen ihrer Mitglieder ein paar Mails und Unterhaltungen, die allerdings zu nichts führten.
Ich weiß nicht, ob sich bei mir die nicht besonders gute und aufmüpfige Schülerin ohne Abitur je aus meinem Innenleben verabschiedet hat und das der Grund für meine schwelenden Zweifel an der Überlegenheit der titeltragenden Gebildeten ist.
Jedenfalls gibt es da den etwas schlüpfrigen älteren Professor, der eine »gehorsame Schülerin« sucht, sehr viele Diplomingenieure, einen recht fröhlichen, aber verheirateten Kinderarzt mit einem Trinkproblem und einen schiefzahnigen Dentisten. Was mich nicht verwundert, denn damit verhält es sich genauso wie mit schlecht angezogenen Stylisten und dicken Diätberatern.
Genauso wenig verwundert es, dass recht viele Psychotherapeuten weibliche Opfer suchen, die sie in ihren eigenen vier Wänden endlich mal auf ihrer Privatcouch quälen und therapieren können. Ein Psychiater namens Arthur, »warm und verständnisvoll«, möchte sehr gern »mit einer kultivierten Partnerin den Rausch leidenschaftlicher Liebe neu erleben«. Das kann eine feine Sache sein, die sicherlich wenige Kritiker finden wird. Nur bin ich nicht dazu bereit, was vielleicht auch mit seinem stark gefärbten Bart zu tun hat. Sofort erkennt er in mir sehr richtig eine Frau mit Beziehungsproblemen.
Sollte das mein Ende mit den ungeliebten Akademikern sein?
Keineswegs. Denn als sich ein Chirurg aus Schwaben bei mir meldet, bin ich interessiert. Nicht weil ich auf Dr. House oder diesen anderen Hübschling aus Grey’s Anatomy hoffe, aber irgendwie kann ich mich nicht davon freimachen, dass Ärzte gute Partien und Götter in Weiß sind. Und jetzt, da ich älter bin, kann es doch nur schön sein, einen Doktor im Haus und im Bett zu haben.
Er ist sechzig Jahre alt, geschieden, mit einer erwachsenen Tochter in der Werbebranche. Ich finde, Gerd sieht gut aus, wenig Haar, blondgrau, kluge Augen, schlank und einen Meter achtzig groß.
Wir mailen uns ein paarmal, und ich mache einen Scherz über meine uralte Blinddarmnarbe, die heutzutage sehr viel winziger ausgefallen wäre. Da erst kommt heraus, dass er Schönheitschirurg ist.
Das setzt in mir meine lustige Seite frei, die schuld daran ist, dass ich viele Lachfältchen habe, die bestimmt vor den Augen vieler Schönheitschirurgen (man nennt sie ja auch plastische Chirurgen, obwohl mir immer »Plastikchirurgen« rausrutscht) wenig Gnade finden würden.
Ich mache Referenzen zu Herrn Frankensteins Testlabor, die Sängerin Cher und all die operierten und gestrafften Hollywood-Celebrities. Er weiß nicht, wer Cher ist!
Dann telefonieren wir. Ich hatte befürchtet, dass er schwäbeln würde, aber er stammt aus Niedersachsen und spricht reines Hochdeutsch. Eigentlich haben wir nicht wahnsinnig viel gemeinsam bis auf das übliche »Gut-essen-gehen« (will jemand schlecht essen gehen?) und dem Interesse an Kultur, Architektur und so weiter.
Er kraxelt gern, ich war noch nie auf einem Berg. Er liebt Skifahren, ich hatte noch nie solche Bretter auch nur probeweise unter den Füßen. Ich liebe Chardonnay, er Riesling, und, last but not least, er liebte damals Paul und ich John. Aber er ist lustig und freundlich, lädt mich in sein Haus ein und macht mir alles sehr schmackhaft.
Bisher wollte ich keine Reisen für einen fremden Mann unternehmen, aber ein Besuch bei Freundin Kathrin in Stuttgart steht sowieso an, und das lässt sich doch gut mit einem Treffen mit Gerd verbinden.
Er findet die Idee toll, ich schreibe, dass ich mich auf ein Treffen freue und vorher nicht meinen Pony schneiden würde, damit er nicht gleich beim ersten Glas Sekt auf die Idee käme, meine Stirnfalten glätten zu wollen. Und auch, dass ich meinen Wonderbra anziehen und auf Hochglanz bringen würde, er also seine Gelkissen in der Praxis lassen könnte.
Das ist natürlich ein Scherz, ich besitze keinen Wonderbra - was vielleicht ein Fehler ist.
Er findet das amüsant und hofft sehr, mich bald in Person mit oder ohne Wonderbra zu sehen. Ich hoffe das eigentlich auch und arrangiere den Trip nach Stuttgart. Er schickt mir ein Foto von seinem sehr teuer aussehenden modernen Haus mit viel Glas in einem Vorort und schlägt noch einmal vor, dass ich unbedingt in einem seiner Gästezimmer schlafen solle.
Ich sei völlig sicher, scherzt er, denn seine Tochter Tatjana würde ja noch bei ihm wohnen. (Mit sechsundzwanzig!)
Ich frage Sarah, was sie davon hält. Nichts.
»Immer auf eigene Kasse reisen«, ist ihr Motto, und außerdem sieht sie überall Gefahr lauern.
Toni, die jüngere Generation, die zweckdienlich ausgerichtet ist, meint: »Na klar machst du das, ist doch lustig. Da kannst du schon mal sehen, ob du da leben könntest!«
Ich bin gern in fremden Häusern, sie sind aussagekräftiger als Handlesen. Schlotternde Angst vor libidinösen Herren ist mir fremd, denn ich habe in jungen Jahren sehr erfolgreich den einen oder anderen Springinsfeld, der nachts in Hotels oder Privathäusern an meine Tür geklopft hat, ohne Zuhilfenahme von Knüppeln oder Brotmessern abgewiesen.
Also, wo ist das Problem? Gebucht, gepackt und ab nach Stuttgart.
»Vielleicht springt’ne neue Nase dabei raus«, sagt Karen. »Aber bitte keine Riesentitten«, setzt Sarah schnell dazu.
Als ob ich beides bräuchte!
 
Im Zug denke ich an die faszinierende Welt der Schönheitschirurgen, die mich so verblüfft wie die der Psychiater - beides Berufe, deren Popularität (und offensichtlich auch der Bedarf dafür) riesig zugenommen hat.
Früher wäre jeglicher Wunsch nach solchen Helfern für Körper und Seele sorgsam verborgen worden, heute gibt man fast angeberisch zu, dass man leicht lädiert ist. Ich kenne die tollsten Geschichten von Frauen, die kurzzeitig mit einem Schönheitschirurgen zu tun hatten. Und scheinbar ist das so, als würde man mit Luzifer persönlich in der Hölle eingeschlossen sein.
Eine Freundin von mir wollte sich lediglich die vielen braunen Flecken wegmachen lassen, die ich bequemer-, aber fälschlicherweise »Sommersprossen« nenne. Aber einmal da, ließ der satanische Schnippler mit seinen gelifteten Argusaugen nicht von ihr ab. So, als wäre sie ein renovierungsbedürftiges antikes Möbelstück, das nach der geschickten Hand des Restaurators dürstet. Beherzt griff er in ihre Wangen und zog die Haut zu den Ohren, schob mit dem Daumen kurz die Augenbrauen hoch, nickte mit einer Mischung aus Mitleid und gewieftem Fachwissen und schlug ein paar drastische und teure Eingriffe vor. Die Freundin, charakterstärker als ich dachte und nicht sehr reich, verließ den Faltenflüsterer relativ fluchtartig.
 
Gerd holt mich vom Bahnhof ab, in einem ziemlich schönen alten Mercedes 190 SL in Feuerrot. Das Überraschende ist, dass er besser aussieht als auf dem Foto - jünger, frischer.
Oh nein, denke ich, er hat sich doch nicht noch schnell für mich aufgepolstert?
Ich finde zunächst, dass er eine irritierende Ähnlichkeit mit Wolfgang Joop hat, der ja vor lauter Lifting kaum noch aus den Augen gucken kann. Er telefoniert kurz. »Meine Tochter«, lächelt er, und wir düsen los.
Das Haus ist sehr schön, etwas kühl, wie solche Betonklötze oft aussehen, aber sonst genau das, was ich gebrauchen könnte. Ich sehe mich bereits auf der bambusgesäumten Terrasse sitzen und entferne im Geiste im Wohnzimmer die riesige weiße Ledercouch, den merkwürdigen Aluminiumschrank und die vielen künstlichen Orchideen.
Mein Zimmer ist Standard, alles weiß. Ich finde ja weiß überbewertet, ich brauche Farben, um mich lebendig zu fühlen.
Es ist später Nachmittag, und wir trinken teuren Wein im Wohnzimmer. Gerd hat gerade gesagt, dass ich schöne Haut hätte, und ich warte auf das »Aber-da-könnte-man-etwas-Machen«, als Tatjana kommt.
Sie ist hübsch, hat garantiert eine operierte Nase und trägt Stöckelschuhe und eine sehr, sehr enge weiße Jeans, die sagt: »Hey, guckt her, ich passe, denn sie isst nur einmal die Woche!« (Die Familie hat eine Obsession mit der Farbe Weiß, was ich gleich als Angst vor schmutzigen schwarzen Gedanken interpretiere.) Sie setzt sich steif auf seine Sessellehne, taxiert mich wie ein Objekt, das gegen ihren Willen ins Haus gelangt ist - und mag mich nicht. Das spüre ich.
Gerd ist begeistert von seiner Tochter, sie ist sein Ein und Alles. Auch das spüre ich, finde aber, dass Vater und Tochter etwas sehr eng ineinander verstrickt sind. Er nennt sie Spatzl und sie ihn Papilein, was er ja ist, aber es hört sich inzestuös an. Überhaupt fühle ich mich wie in einem Fünfzigerjahre-Film, in dem es unter der geschmackvollen Bürgerlichkeit vor Dekadenz brodelt.
Als sie wieder raus ist, erklärt er, dass sie auf unbestimmte Zeit bei ihm wohnen bleiben würde. Er möchte sie gern um sich haben, denn sie sei »durch viel durch« und »hatte mal ein kleines Gewichtsproblem«.
Hatte?
»Hier fehlt ein Hund«, sage ich launig, um das Thema zu wechseln, »so viel Platz, dazu ein Garten, perfekt.« Ich liebe Hunde und bin todtraurig, dass in meinem Gebäude keine Tiere erlaubt sind.
»Tatjana hat Angst vor Hunden«, sagt er, seine schlanken Hände streichen imaginäre Staubkörner vom Tisch. Angst vor Hunden? Wie kann so was sein, es sei denn, man ist von einem Dobermann fast einmal zerfleischt worden.
»Dabei ist meine Exfrau Tierärztin«, fügt er hinzu.
Gerade will ich ihn über seine Exfrau ausfragen, als ich merke, dass es mich absolut und hundertprozentig nicht interessiert.
Warum sitze ich in einem riesigen weißen Wohnzimmer bei Stuttgart mit einem Schönheitschirurgen, der eine möglicherweise schwer gestörte Tochter hat, die immer bei Papilein bleiben wird?
 
Der Abend ist eigentlich nett, wir gehen in ein teures Restaurant, nur dann fängt leider eine Unterhaltung an, von mir eingeleitet - über Schönheit und Alter.
Ich stehe dem Verschönerungswahn eher kritisch gegenüber und sage das vielleicht eine Spur zu deutlich. Er hält mir einen Vortrag darüber, wie sehr all diese Dinge zum Glück einer Frau dazugehören. Es hört sich an, als sei er ein altruistischer und medaillenwürdiger Menschenfreund, dem auch Mutter Teresa anerkennend über den Kopf gestrichen hätte. Ein Ritter der edlen Taten, ein Robin Hood für die Runzelbrigade.
Aber was wirklich dahintersteckt, ist eigentlich die pure, hässliche Altersdiskriminierung. Und die trifft ja in der Regel eher Frauen als Männer. Männer werden auch alt, kriegen Falten und graue Haare, einen dicken Bauch und Rettungsringe um die Taille (gern auch beschönigend love handles genannt), Säcke unter den Augen und Schlupflider oben drüber, Altersflecken an Armen und Händen. Aber sie glauben eher, dass es sich hierbei um kleine bezaubernde Gütesiegel handelt, nicht um den natürlichen Alterungsprozess.
Andererseits ist das Interesse an Facelifts, Botox, teuren Anti-Aging-Cremes und besonders am Haarefärben bei Männern stark gestiegen. Der alte Kosmetikmuffel mit der einfachen Dose Allzweckcreme und einem selten benutzten Aftershave in der hintersten Ecke des Badezimmerschränkchens hat sich zum eitlen Konsumenten entwickelt, der duftet und rubbelt, peelt und nährt, dass es eine Freude ist. Und stets umgeben von einer Wolke von männlich-herbem Eau de Cologne auftaucht. So einer ist mein Doktor Beau.
Ich will ihn gerade fragen, wie viel er an sich herumgemacht hat, als sein Handy klingelt. Spatzl ist dran, wer sonst. Sie wollte zum Dessert dazukommen, aber sie hat Migräne.
 
Ich habe sowieso nur eine Nacht eingeplant und überlege schnell, wie attraktiv ich ihn eigentlich finde. Er hat ein sehr anziehendes Lachen, sogar mit Lachfalten, die Figur ist auch gut, kaum ein Bauch. Ich gebe es ungern zu, aber da ich gesehen habe, wie schön er wohnt und dass er viel Geld haben muss: Geld macht sexy. Sicherlich nichts Neues für echte Goldmaries, aber für mich, die zu viel Geld oft für anrüchig hält, immer wieder eine irritierende Entdeckung.
Er scheint mich auch zu mögen, denn er nimmt meine Hand, zieht sie über den Tisch und küsst sie. Wow! Meine Gedanken entwerfen blitzschnell eine Szene, in der er ins Zimmer kommt und ich entweder im Bett liege und frivol lächle oder mitten beim Ausziehen bin und mir neckisch mein Kleid vorhalte, während er meine nackte Rückenfront im Spiegel sieht.
Sicherlich haben sehr viele Frauen den Filmhit Was das Herz begehrt mit Diane Keaton und Jack Nicholson gesehen. Er verabredet sich nur mit jüngeren Frauen, sie ist die Mutter seiner neuesten Eroberung, die das Paar im Wochenendhaus stört, aber ein paar Tage bleibt. Sie kommt nackt aus dem Bad, er strolcht im Haus herum und sieht sie. Sie kreischt wie eine Wahnsinnige (leider tut Diane Keaton das in sehr vielen Filmen), er bedeckt entsetzt seine Augen mit der Hand. Eine nackte Frau von sechzig, hört denn der Horror nie auf!
 
Wir fahren zurück ins Haus. Beim Aussteigen hilft er mir - nicht mehr so einfach, sich elegant aus einem Sportwagen zu hieven - und zieht mich dann leicht an sich. Aha. Trotzdem verabschiede ich mich relativ schnell und verschwinde in mein Zimmer.
Und nun?
Einerseits will ich nicht, dass er an meine Tür klopft, andererseits wäre ich leicht beleidigt, täte er es nicht. Ein bisschen Eitelkeit bewahrt man sich scheinbar immer und ewig. Allerdings, mit meiner Unentschiedenheit werde ich mir niemals einen Lover an Land ziehen, so viel ist sicher. Ich warte also - was mir gar nicht gefällt. Das Bedürfnis, selber im Sattel zu sitzen und die Zügel in der Hand zu halten, selber zu bestimmen, wann und ob man jemanden erhört oder abweist - immer davon ausgehend, dass man die Begehrte ist -, ist gerade sehr lebendig in mir.
Ich höre Stimmengewirr im Wohnzimmer. Ich bin von Natur aus neugierig und nicht vollkommen abgeneigt, an Türen zu lauschen, wenn es sein muss, also tue ich es. Ich bin sicher, es geht um Papilein und mich.
 
Ich fand eigentlich bisher die Idee, dass ich, die Kinderlose, einen Vater mit erwachsenen Kindern treffe, sehr positiv und abwechslungsreich. Ich sah mich als beliebte, souveräne neue Gefährtin eines tollen Mannes, die mit der ältesten Tochter Shopping geht oder dem Sohn einen Ratschlag über Frauen gibt, wenn er nicht versteht, warum seine Freundin rumzickt. Weil es doch wirklich ein schöner Zustand ist, mit Stiefkindern all die guten Sachen zu teilen, weil die anstrengenden längst zur Vergangenheit gehören.
 
Als es dann doch klopft, bin ich gespannt und ein wenig freudig erregt - und dann überrascht. Es ist Tatjana. Sie möchte mit mir sprechen.
Toll, hier entwickelt sich also ein Lore-Roman, denke ich. Erfahrene ältere Frau will Papi wegnehmen und verzogene, neurotische Tochter in die Wüste schicken. Davor hat sie Angst. Immerhin, Gerd weiß nichts von dem Besuch, er ist im Badezimmer und macht sich für was auch immer fertig.
Aber Tatjana will sich nur für ihre Zurückhaltung entschuldigen und spricht die Hoffnung aus, dass ich nichts falsch verstehe. Sie hofft sehr, dass ihr Papi jemanden findet, allerdings sei sie von Anfang an dagegen gewesen, dass er das Internet benutzt.
Ich bemerke lediglich, dass das doch seine Entscheidung sei, und verabschiede sie.
Mir ist das zu viel, ich ziehe meinen seidenen Kimono an und gehe ins Wohnzimmer, wo ich Gerd abfange, der gerade zu mir will, wie er sagt. Ich werde die ganze Zeit das Gefühl nicht los, mich in einem Film zu befinden, und das hilft seltsamerweise, denn ich scheine nur klassische Filmszenen nachzuspielen.
Ich erkläre ihm, dass ich ihn sehr gern mag, es ein reizender Abend war, seine Gastfreundschaft spektakulär, seine Tochter wahnsinnig nett, aber ich früh aufstehen und weiterfahren müsse und jetzt sehr müde sei. Die alte Ehefrauenausrede. Dann küsse ich ihn auf die Wange und gehe in mein Zimmer zurück.
Er fährt mich am nächsten Morgen zum Bahnhof, und wir versprechen uns mit falscher Innigkeit, unbedingt in Kontakt zu bleiben. Beim Abschied nimmt er noch schnell meine Hand, guckt sie an und sagt: »Das mit den braunen Flecken machen wir aber noch irgendwann, gell?«
Der Mann ist ein Profi durch und durch.
 
Im Zug lässt mich der Gedanke nicht los. Muss ich fleckenfrei sein? Es wäre der letzte Versuch, noch etwas von der längst verblassten Jugend zu konservieren, sie an einem winzigen Zipfel zu erwischen und für sehr kurze Zeit festzuhalten, bevor sie so der Vergangenheit angehört wie Zukunftspläne ohne Begrenzung. Denn wir haben irrsinnige Angst vor dem Verlust der Jugend. Wir wehren uns dagegen wie ein trotziges Kind, das nicht ins Bett will.
Wir ziehen uns jugendlicher an, als wir sind, versuchen die Sprache der Jungen zu imitieren, spritzen, cremen und quälen unsere sackenden Körper, um unsere Gene, aber besonders die Jugend um uns herum zum Narren zu halten. Als ob Yoga, positives Denken, Rote-Beete-Saft, Ginkotee, gefärbte Haare und Glücksformeln aus den Bestsellerlisten uns für immer dreißig sein ließen. Und beten heimlich, dass wir ganz schnell, schmerzfrei und unauffällig verschwinden, wenn wir alt, unbrauchbar und ungeliebt geworden sind.
Als natürliche und homogene Form der Entwicklung fehlt eigentlich dem Alter nichts - außer eben Jugend.
Und das können wir nicht hinnehmen.
Sexy Sixty - Liebe kennt kein Alter -
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