Ich will nicht

Ich brauche mehr Liebe in meinem Leben.
Jetzt sofort! Ja klar, wer nicht? Die Sache hat nur einen Haken.
Ich bin Single und über sechzig, also jenseits der Altersgruppe,
die so ganz selbstverständlich neue Liebe und Abenteuer einfordern
kann. Vielleicht ist es aber auch eine torschlusspanikartige
Sehnsucht nach Sex, Lust und Leidenschaft, bevor es wirklich zu
spät ist?
Obwohl, die Idee, dass man in jedem Alter immer und
überall Liebe und Sex finden wird, solange man lebt, stirbt nur
langsam, wenn überhaupt. Man hat die Sehnsucht danach angeblich,
bis man kopfwackelnd im Rollstuhl sitzt und seine Schnabeltasse
kaum mehr halten kann. Begehren und Begehrtwerden sind ja auch zwei
sehr wichtige und vitale Elemente im Leben. Man sollte sie nicht
verdrängen, verstecken oder gar aufgeben, denn an ihnen hängen auch
Lebensfreude, Kreativität und Selbstbewusstsein.
Weiß ich doch. Trotzdem habe ich mir mit ziemlicher
Zufriedenheit ein unabhängiges Leben als Single eingerichtet, lebe
seit zehn Jahren allein und habe von Männern in den letzten vier
Jahren etwas Abstand genommen. Warum? Weil ich nach den letzten
romantisch-sexuellen Erlebnissen keinen Mann faszinierend und
passend genug für mich fand, um das Singledasein aufzugeben.
Außerdem fange ich an zu glauben, dass wir in
unserem Leben nur eine bestimmte Anzahl von wichtigen Lieben und
Beziehungen zur Verfügung haben, die irgendwann aufgebraucht sind.
Was wir mit ihnen machen, wie wir sie einsetzen, liegt an uns.
Meine sind vielleicht aufgebraucht.
Die gewisse Tragik liegt nun aber darin, dass wir
vor allem in jungen Jahren nicht unbedingt besonders klug mit Liebe
und Männern umgehen. Und in dem Moment, in dem endlich die
Souveränität und die Gelassenheit über die einst impulsiven und
chaotischen Entscheidungen - von schädlichen ganz zu schweigen - im
Liebesleben gesiegt haben und man wunderbar eine gute Beziehung
haben könnte, ist weit und breit kein Mann zu sehen, mit dem man
das ausprobieren könnte. Eine Ironie, die manchmal sehr
schmerzt.
So jedenfalls fühle ich mich in den letzten Jahren.
Gehindert am Glück und an einer wunderbaren Beziehung. Wenn man das
Schicksal als schwarzen Peter im Liebesglücksspiel ansieht, kann
man natürlich eigene Verantwortung für die Gestaltung seines
Liebeslebens abwenden. Vielleicht kommt aber alles da her, dass ich
mit den Worten meiner Freundin Sarah »schwer vermarktbar« bin - zu
eigen, zu schwierig, zu anspruchsvoll. Der alte Klassiker. Betonung
auf »alt«.
Aber noch ist nicht alles verloren.
»Du hast Glück, dass du in diesen Zeiten lebst«,
versichern mir die Freundinnen, denn die haben sich mächtig
geändert, während ich noch bei Vernissagen und Partys, in Museen,
Cafés, Kaufhäusern und Supermärkten nach dem besonderen Blick
suche, der flammendes Begehren nach meiner einmaligen,
faszinierenden Person verspricht.
Online-Dating lautet das Zauberwort, und sie
empfehlen es alle - jung und alt. Ich las in diesem Zusammenhang
etwas sehr Interessantes: Arbeitslosigkeit und düstere
Wirtschaftsprognosen
sind gut fürs Liebesleben. Das Interesse am Online-Dating ist zum
Beispiel in Amerika im letzten halben Jahr um vierzig Prozent
gestiegen. Es gibt sicherlich für Deutschland ähnliche
Zahlen.
Nach meiner Meinung hat das zwei Gründe: Die Leute
haben mehr Zeit, um sich durch die zahlreichen Dating-Websites zu
arbeiten. Und in schlechten Zeiten steigt das Bedürfnis nach mehr
Intimität und Sex. Dazu kommt, dass einfach mehr Menschen aller
Altersgruppen wagen, nach einem Partner zu suchen.
Aber ich will nicht.
Ich wehre mich, ich sträube mich, ich habe mehr
Ausreden als ein Politiker. Bin ich altmodisch, zickig, prüde? Gar
nicht. Ich kann Männer inzwischen wunderbar ansprechen, wenn ich
will. Und ich wollte schon oft und habe es auch getan. Ich will
nicht virtuell entdeckt werden. Und ich will mich nicht so
eindeutig und zielgerichtet anbieten.