Süße Jungs und reife Frauen
023
Meine Güte, was ist mit mir los? Ich habe mich heute dabei ertappt, wie ich im Bus einem jungen Mann mit einer sehr engen, sehr gut gefüllten Jeans auf den Schritt (oder nennt man das »sein Paket« wie im Englischen?) geguckt habe.
Scheinbar hat die Beschäftigung mit Männern dazu geführt, dass mein Blick und meine Aufmerksamkeit vom Gesicht einige Etagen tiefer gerutscht sind. Wie peinlich. Tun das alle Frauen? Ich erinnere mich gar nicht, dass ich das früher gemacht habe. Vielleicht liegt es an den immer noch zahlreichen fröhlichen und flirtigen Mails von jungen Männern, die in meine Mailbox flattern?
Nach dem jungen Andy bin ich eigentlich etwas desillusioniert. Und eigentlich habe ich mir nach meiner letzten längeren Beziehung - der mit dem jüngeren Mann - geschworen, allerhöchstens noch Fünfzig-plus-Männer in mein Leben und Bett zu lassen.
Andererseits finde ich mich zu streng und viel zu begrenzend. Ich antworte dauernd auf selbst so harmlose Mails wie die von bennobody, dreißig: »Ich würde dich gern kennenlernen, ich stehe auf ältere Frauen«, mit so was Bieder-mütterlichem wie: »Du könntest mein Sohn sein!«
Die Wahrheit ist natürlich, dass ich finde, dass er etwas sehr jung ist. Da nützt auch nicht die gern gestellte rhetorische Frage: »Zu jung wofür?«, oder die auf Toleranz frisierte Feststellung: »Was heißt das schon!«
»Alter ist eine Jahreszahl, finde ich. Du bist doch ein wirklicher Blickfang und von einer individuellen Schönheit«, schmeichelt mir Bernd, ein Biobäcker von zweiunddreißig.
Ich antworte ihm: »Also, das finde ich gut, dass du Biobäcker bist! Handwerk hat goldenen Boden, und das ist nicht ironisch gemeint. Bin Schwarzbrotfan, so sagt man ja im Norden, ›Korn an Korn‹ ist meine Lieblingssorte.«
»Na, sooo jung bin ich ja auch nicht«, antwortet er.
Ich glaube, junge Männer werden nicht gern daran erinnert, dass sie jung sind. Sie trumpfen damit auf, dass sie erfahren sind, zumindest genug, um eine bedeutend ältere Frau anzumachen.
Es fliegen noch ein paar harmlos-anzügliche Mails hin und her, in denen von Kuchen und Keksen, Naschen, Knabbern und anderen Genüssen die Rede ist. Sein Foto zeigt einen sehr niedlichen Blondie mit Beatlesfrisur, der es aber scheinbar faustdick hinter den Ohren hat.
Mein Date mit Andy zählt nicht, der war ein Langweiler, dieser hier ist netter. Also, warum nicht?
Man kann das ja ganz locker halten, und so schlage ich einen sehr bekannten Wurststand in der City vor. Eigentlich esse ich nie Wurst, aber ich finde die Idee einer Thüringer im Stehen mal etwas anderes, denn es ist schnell, billig, öffentlich, sozial, man ist mit dem einfachen Mann und der Frau von der Straße auf Du und Du und teilt sich praktisch mit der Welt ein Würstchen. Und man kann ganz schnell wegrennen, wenn es sein muss. Außerdem kann man, wenn man sich mit Leuten in einem zwanglosen Umfeld trifft, wo viele Menschen sind, gleich sehen, wie sie sich anderen gegenüber benehmen. Sind sie charmant und aufmerksam? Fällt es ihnen leicht, mit Fremden zu reden? Helfen sie der Mutter mit Kinderwagen, durch die enge Tür zu kommen? Heben sie Omas Stock wieder auf?
Ich finde zudem Essmanieren sehr interessant. Ich bin allergisch gegen Schmatzen und Menschen, die beim Essen viel reden oder gar spucken, dafür aber begeistert von Männern und Frauen, die irgendwie graziös ihr Hühnerbein oder Würstchen halten oder anmutig an einer Eistüte lecken können.
Bernd, schmal, groß und einfach »entzückend«, wie Toni sagen würde, zu der er eigentlich besser passt, beißt recht nett in seine Wurst, die er vorher in reichlich Senf gestippt hat, von dem dann auch ein wenig in seinem Mundwinkel landet. Irgendwie süß, man möchte es ablecken wie ein lasterhaftes Mädchen, oder abwischen, wie Mami.
Daran wird mir wieder klar, dass bestimmte Dinge doch etwas mit Jugend zu tun haben, denn diese Gedanken hätte ich bei Pensionär Hans nie gehabt (den habe ich in meinen Erzählungen ausgelassen), als er sich sein halb blutiges Filetsteak reingeschoben hat.
Ich schlage einen kleinen Spaziergang im Botanischen Garten vor. Mein Gott, es ist Frühling. Wir kaufen uns ein Eis in der Waffel, das heißt ich kaufe es ihm. Männer beim Eislecken zu beobachten ist sehr empfehlenswert, weil selten, denn sie kaufen sich meistens nur Becher mit Löffeln. Frauen sind wohl mehr die genüsslichen Leckerinnen, denn Lecken ist unmännlich? Oh, wie Freud sich freuen würde bei dieser Entdeckung von mir!
Wir schlendern eisleckend zwischen blühendem Rhododendron hindurch.
Das macht mich sehr nostalgisch, denn das sind meine Lieblingssträucher, und ich assoziiere riesige Mengen von Rhododendron immer mit den Parks, in denen mein erster Freund und ich im ersten Frühling unserer Liebe immerzu spazieren gingen, uns ins Gras legten und uns abküssten oder spätnachts auf Bänken herumlungerten, ebenfalls küssend. Verliebtheit fand in der Natur ihre Vervollkommnung. So, als würde die Natur bei einem Treffen von zwei Menschen das dritte und sehr wichtige Element sein, das genauso beeinflusste und inspirierte wie Gesten und Stimmen.
 
Bernd und ich setzen uns auf eine Bank, er rückt näher, guckt mich begehrlich an und küsst mich auf die Wange mit den Eislippen. Etwas daran ist vielversprechend, und ich überlege, ob ich mit ihm nach Hause gehen sollte, er hat schon gesagt, dass er den Nachmittag frei hat. Sicherlich ist seine Bude voll mit Ikea-Möbeln, Computern und seltsamen Farbkombinationen.
Sex in der Studentenbude, muss das wirklich sein? Ich hatte Sex in Studentenbuden! Vor vierzig Jahren!
Er zieht mich näher an sich heran, mein Rücken versteift sich etwas, und ich rücke mit einem nicht ganz echten Lächeln weg. Nein, kommt nicht infrage.
»Komm, gehen wir ein Stück«, schlage ich vor.
Er guckt mich verwundert an, seufzt, steht aber auf. Wir gehen los, er greift meine Hand und will sie festhalten, aber so rührend das irgendwie ist, mir passt es nicht, ich ziehe die Hand weg und lege schnell meinen Arm leicht um seine Taille, was ihn freudig überrascht.
Völlig verrückt eigentlich, dass Hand in Hand zu gehen - wohl eine mit starker Symbolik belegte Handlung - intimer sein kann als eine stürmische Umarmung. Ich denke an eine Folge von Sex And The City, in der Samantha ihren hübschen jungen blonden Beau, den sie heimlich liebt, empört auf der Straße zusammenstaucht, weil er locker ihre Hand beim Gehen nimmt. Ficken tut sie ihn gern und oft, ja, aber das ist etwas ganz anderes! Sie will mehr Distanz.
Nun ist das ja nicht das Szenario hier, ich habe keinen jungen Freund, könnte aber einen haben, wenn ich nicht so zickig wäre. Nein, schüchtern eigentlich. Und das merke ich immer wieder, wie schüchtern und unsicher ein großer Teil in mir eigentlich ist. Ich wollte es mein Leben lang nie wahrhaben, es gefiel mir nicht, denn ein anderer Teil von mir war durchaus Jägerin, und auf diesen Aspekt hatte ich meine sexuelle Persönlichkeit mehr stilisiert. Es war ein sexy Image, das Unabhängigkeit mit einem Schuss Aggression versprühte.
Aber auch die Zeiten sind vorbei, das muss ich einfach hinnehmen. Der Imagewechsel hat bereits im wirklichen Leben stattgefunden, jetzt ist es an mir, ihn in und an mir zuzulassen und zu integrieren. Es ist ein bisschen so wie in den Filmen, in denen die jung wirkende, attraktive Heldin schmerzlich einsieht, dass sie die Rolle der jugendlichen Liebhaberin abgeben muss, um in das etwas seriösere Fach zu wechseln und ihrem Alter entsprechend zu agieren.
Aber wer möchte schon diese Mahnungen des echten Lebens hören? Wir sträuben uns mit Händen und Füßen dagegen, dass man uns diese so geliebte und schmeichelhafte Rolle brutal unter dem nicht mehr knackigen Hintern wegreißen will. Ich auch. Aber ich merke, dass mein Widerstand schwächer wird.
Hier und heute könnte mein Abschied von der Jugend sein, die sich mir immer mal wieder in verschiedenen Formen anzubieten scheint. In dem Interesse an Gesprächen mit mir, in gelegentlichen begehrlichen Blicken jüngerer Männer. Ich empfinde Dankbarkeit für diese Generosität des Lebens, entschließe mich aber, nicht unbedingt immer etwas nur deshalb zu machen, weil es mir noch möglich ist.
Und plötzlich mag ich meine Schüchternheit Bernd gegenüber, die vielleicht nur Vernunft ist. Solange sie mich nicht wirklich von inspirierenden Menschen und Situationen fernhält, darf sie bleiben.
Bye-bye, Bernd.
 
Das erste Mal, dass ich den schmerzenden Stich des reifen Alters in Verbindung mit Männern empfand, glücklicherweise etwas sehr spät, war bei einem Treffen mit einem viel jüngeren Mann. Ich war einundfünfzig Jahre alt und bei einer Party gewesen, die aus sehr kreativen und attraktiven Menschen bestand.
Ich war sicherlich eine der ältesten Personen, aber das Licht, oh wow, das muss sehr günstig gewesen sein, wie es ja oft bei schummerigen Partys der Fall ist. Ein junger, sehr interessanter Schreiber von Mitte dreißig heftete sich an meine Fersen, wir flirteten und tanzten, und wahrscheinlich hätte ich ihn abschleppen können, aber das fiel mir noch nie leicht, und außerdem muss man nicht jeden netten Jungen ins Bett locken wollen.
Wenn mehr Frauen es beim Flirten und Küssen belassen würden, in sich ein vollkommener Spaß, gäbe es weniger Frust und weniger erregte Anrufe bei der Freundin mit der Frage: »Warum ruft er nicht an?«
Er wollte mich unbedingt am nächsten Tag zum Frühstück treffen. Wir verabredeten uns. Arglos wie ein tapsiger Jungbär ging ich in die Falle, die da heißt Tageslicht!
Wir saßen um elf Uhr bei Rührei und Latte macchiato auf der Terrasse eines Cafés. Ich fand, dass er mich immer wieder verstohlen musterte, und sein Blick nahm einen überraschten und distanzierten Ausdruck an. Nichts war mehr da vom flirtigen, sexy Geplänkel der vergangenen Nacht.
Wir waren beide nicht etwa betrunken gewesen, also konnte die Realität sicherlich nicht gleich Melanie Mumie, die Frau mit den Falten, aus mir machen. Aber ein wehes kleines Gefühl bemächtigte sich meiner, so etwas wie ein Abschied. Viel wurde in der Literatur von dem für reife Frauenhaut wenig vergebenden Tageslicht geschrieben, und nun saß ich mittendrin und mir gegenüber ein junger Mann, der abgekühlt war wie ein Nordseeschwimmer im März.
Für einige Sekunden verstand ich Dracula und sein vernünftiges Begehren, beim ersten Sonnenstrahl Reißaus in den dunklen Sarg zu nehmen, beschützt vor Entblößung und Verfall.
Ich weiß nicht wirklich, ob ich mir das alles nur einbildete, oder der Mann lediglich eine andere Laune hatte und ich zu überempfindlich, unsicher und eitel war. Egal. Für mich war diese Episode der erste wichtige Schritt zur Akzeptanz, dass es Grenzen gibt, die mit der Zeit immer schwieriger zu überwinden sein würden. Schlau wäre, sie nicht überwinden zu wollen …
So wie Kristin, eine Freundin von Sarah: »Das ist gemein und verletzend«, jammert Kristin, die sich seit einem halben Jahr in offizielle Veranstaltungen wie flotte Single-Partys und Speed-Dating einfädeln will.
Nur klappt das nicht, denn keiner will Kristin. Sie ist liebenswert, interessant, hat keinen Buckel und hinkt nicht, sie ist sogar recht hübsch. Aber Kristin ist zweiundfünfzig, und ein Dating-Service will eigentlich nur Frauen bis Anfang vierzig. Gibt’s davon mehr, sind sie schöner, haben sie mehr Geld und müssen sie deshalb umworben werden?
Die arme Kristin ist ein Seelchen und fühlt sich wie eine Leprakranke. Ich finde, es ist keinesfalls »verletzend«, es ist eine dreiste Unverschämtheit mit einem offiziellen Namen: Altersdiskriminierung.
Auch mich lässt man nicht zur Rock-’n’-Flirt-Party. Nur bis neunundvierzig, heißt es dort. Dabei kann ich beides, flirten und rocken, und zwar so gut, dass sich manches junge Huhn einige Inspirationen von mir holen könnte.
»Weißt du was?«, sage ich zu Kristin. »Fuck them! Die können uns mal!«
Sexy Sixty - Liebe kennt kein Alter -
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