Im Reich der Fabulierkünste

Eigentlich gefällt mir die Idee, mich ein
wenig neu zu erfinden, und ich schiebe meine penetrant ehrliche
Seite weg, die sagt: »Ich lüge doch nicht über mich! Ich bin stolz
auf mich! Selbstbewusste und eigenständige Frauen sind immer
ehrlich. Weil sie es sich leisten können. Weil sie auch riskieren,
abgelehnt zu werden.«
Ja, was schreibt man über sich? Wer bin ich und wer
will ich sein? Es soll interessant sein, zivilisiert, humorvoll,
nicht zu angeberisch.
Wobei, wie ich erstaunt feststelle, bei den Herren
Sätze wie »Ein Tag, an dem nicht gelacht wurde, ist ein verlorener
Tag« als Humor gelten. Sehr beliebt ist offenbar Interesse an
Kultur, Kino, Sport, Oper und Strandspaziergängen sowie Reisen und
»gutem« Essen.
Sex wird nicht wirklich erwähnt. Man darf zwar
sagen, dass man sexy ist beziehungsweise sich so fühlt, aber sonst
unterlässt man lieber schlüpfrige Formulierungen. Der Mann gesteht
zwar manchmal, er schätze »offene Sexualität und Erotik« an seiner
Partnerin, tut dann aber häufig so, als gäbe er sein Leben für den
»Rausch zärtlicher Liebe«.
Männern ist es genauso wichtig wie Frauen, ihr
Wertesystem zu vermitteln und in einer Kontaktanzeige endlich all
die feinen Eigenschaften aufzuzählen, die die Ehefrau schnöde
übersehen hat. Nichts schwieriger als das, denn: Wie vermittelt
man Wertvorstellungen und beweist seine Menschenliebe? Vielleicht
durch das Mitschicken einer Spendenkopie an Brot für die
Welt?
Eigentlich geht es nur mit spielerischem Witz,
vermengt mit ein paar echten Fakten. Ich bin nett, verlässlich,
treu und anhänglich. Will ich nicht gerade im virtuellen Raum der
Fantasie und Selbsterfindung ein paar ganz andere Eigenschaften
vorstellen? Vielleicht solche, die ich bisher nicht aus den
dunklen, schüchternen Tiefen an die Oberfläche kommen ließ?
Ich schneidere mir jedenfalls einen eher flippigen
Text zurecht. Und ich merke, dass ich Fußangeln auslege und immer
noch die große Testerin markiere, mich schwieriger gebe als ich
bin, nach dem trotzigen Motto: »Wenn ihnen das nicht passt, dann
eben nicht!« Dabei fängt man mit Speck Mäuse und mit Liebreiz
Männer, als ob ich das nicht wüsste.
Ich oute mich als kunstinteressierte, weltoffene
Frau mit Ansprüchen und wenig Toleranz für Aufreißer und Anpasser.
Ich gebe zu, dass ich vernarrt in Tiere bin, Bob Dylan, Art déco
und Weltfrieden liebe, dass Unbestechlichkeit, Ehrlichkeit,
Loyalität, Witz und Mut mir viel bedeuten, hingegen Gewalt,
Dummheit, Intoleranz, Vorurteile und Männer mit Zierbärten und
gefärbten Haaren (man sieht’s, meine Herren!) und paternalistischem
Gehabe missfallen.
Ich lüge, dass mir Hirn mehr bedeute als Haare und
Bizeps weniger als wertvolle Kamingespräche, bestätige aber, dass
humorvolle, unabhängige, spontane, fantasievolle und zuverlässige
Männer eine Chance hätten. Besonders, wenn sie sexy, schlank und
schwerreich sind. (Milder Dating-Humor!)
Ich beschreibe mich als schlanke, elegante
Grau-Blondine mit Stil, die eher in die Kategorie
Beige-Boykottiererin
fällt. Ich gestehe, dass Orte, an denen ich mich besonders
wohlfühle, die Küche, das Bett und kosmopolitische Städte wie New
York und Barcelona seien, und zwei Sachen, von denen ich mich nie
trennen könnte, mein Freiheitsdrang und mein Lippenstift
sind.
Allergisch würde ich auf politisch korrekte
Ansichten, uncharmante, besserwisserische Menschen, jegliches
Fehlen von Ironie und Distanzlosigkeit reagieren.
Die Frage, was mein Partner über mich wissen solle,
beantworte ich mit: Gar nix, denn wie wir wissen, sind Frauen
geheimnisvolle Wesen.
Ich verrate aber trotzdem, dass ich lediglich
schwimmen, rudern, Volley- und Federball spielen kann, mir mit Yoga
den Körper verbiege und gern spazieren gehe. Dass es selbst
gemachtes Müsli zum Frühstück gibt, ich auf eine einsame Insel die
Bibel (weil ich die noch nie gelesen habe) und die Beatles
mitnähme, Rock’n’ Roll, Soul, Blues und Jazz meine liebste Musik
seien und ich über praktisch alles lachen könne - bis auf den
sogenannten deutschen Humor.
Alles in allem eine fabelhafte, attraktive
Traumfrau mit viel Wahrheitsgehalt, meine ich.
Auf der Suche nach dem Ich
Sarah findet meine Formulierungen zu ȟberspitzt
und eingebildet«, denn ihrer Meinung nach »beißt bei so einem
anspruchsvollen Porträt vor Schreck keiner an«!
Toni meint, weniger sei mehr, sie vermutet, dass es
letztendlich auch bei uns »reiferen« Damen recht oft nur um Sex
geht. »Wozu also so viele Worte machen.«
Ich lasse den Text so, erst einmal testen, denke
ich.
Mir gefällt der Name Isabella, ich finde, er passt
zu mir und zu dem Fantasiegebilde, das Online-Dating ja auch ist.
Mein angegebener Beruf ist einer, den ich tatsächlich einmal
ausgeübt habe und den ich vermisse: Kleiderdesignerin.
Ich fühle mich so wie damals in New York, als ich
dort ankam, niemanden kannte und die Chance und das große Vergnügen
hatte, mich vollkommen neu darzustellen.
»Wer bin ich und wie viele?« ist ein so aktuelles
(und uraltes) Thema, dass kürzlich daraus ein Bestseller
wurde.
Wir sind alle so vielschichtig und bestehen
hauptsächlich aus Wünschen, Projektionen und Interpretationen durch
die Augen anderer, dass es letztendlich keine objektive Wahrheit
gibt. Die Wandelbarkeit - in der Fantasie, aber auch der Realität -
ist erstaunlich, die Grenzen verwischen.
Ich bin in den letzten Jahren selbst sehr offen für
eine revidierte Interpretation von »Wer bin ich? Was will ich?«
geworden. Nachdem ich jahrelang gedacht hatte, ich hätte mein
eigenes Daseinsrätsel gelöst, suche ich immer noch nach mir und
höre nicht mehr auf andere.
Ich glaube, meine Generation hat die größte Zahl
der an der Institution Ehe zweifelnden Frauen produziert. Was allen
Generationen vor uns als unumgänglicher Lebensweg erschien - Mann,
Kinder, Familie, Selbstaufgabe, also das Verschwinden des Ichs und
der eigenen Entwicklung, war plötzlich ein rostiges, marodes
Modell, das zwickte und zwackte.
Aber wie sollte das neue Modell aussehen? Wo und
wer waren die Designer mit den neuen Entwürfen? Wir selber, das war
doch klar. Dass wir nicht wirklich gut für diese riesige Aufgabe
ausgestattet waren, war egal. Wir waren jung und voller Ungestüm.
Neue Männer brauchte die Republik! Und sie waren da, theoretisch,
und erschienen manchmal willig für die Experimente.
Doch als Resultat wurde das Liebes- und Eheleben
komplizierter, hatte Ecken und Kanten, war Kampfplatz und
Frusthölle - und endete in Scheidung. Und so ist es bis heute
geblieben. Man steht so ein bisschen vor dem Scherbenhaufen seiner
Jugendideen - ich auch -, halb lachend, halb weinend. Und weiß
nicht, ob man nicht doch etwas kleben oder lieber den ganzen Rest
fröhlich zerdeppern sollte, weil es sowieso viel zu spät ist für
Reparaturarbeiten. Etwas harscher ausgedrückt: Viele der Frauen,
die einen anderen Weg gewählt haben, ihren eigenen nämlich, haben
nie wieder so richtig Anschluss an die bürgerlichen Ideale
gefunden.
Es gibt keinen Weg zurück in die abgesicherte Welt,
und so stehen viele ein bisschen im Niemandsland der Liebe. So eine
bin ich.
Zwischen Lachen und Weinen
Wirkliche Inspirationen erhalte ich nicht von den
suchenden Herren, denn im Internet ist der Dativ »dem Fabulieren
ihr bester Freund«. Sehr viele der persönlich erstellten Porträts
sind eine Quelle des nicht enden wollenden Lachens, das sofort in
Händeringen um den Zustand der Sprache und Intelligenz des Volkes
der Dichter und Denker umschlägt.
Tippfehler wie »eimsan« und »treusorgnend« sind
noch das geringste Problem. Ein Friseur behauptet gar, ohne ihn und
»die Welt würde einen Stylist vorenthalten«. Jogibärle hat
Angst vor »Selbstbeschreibung, ohne dass sie ins Fettnäpfchen
tritt«.
Auch philosophische Perlen wie von bigshot13
sind keine Seltenheit: »Willst Du hin, wo Du nicht bist, schaue
dort,
wo Du nicht bist!« Oder dieser Kopfkratzer von kaiser007:
»Genieße den Augenblick mit allem, was Dir dieser Moment geben
kann, und mit allem, was Du diesen Moment geben kannst!«
Auch die Namensgebung ist nicht wirklich spannend.
Warum heißen sie typausmnet und rubioaleman,
erator, ironman und schmusekater, liebe68,
misterW und rentner50?