12. 19. 19. 11. 01.
Sie stritten sich noch auf dem Weg in den wilden Osten der Stadt, wer sie nun endgültig auf die Spur des Wurdelaks gebracht hatte: Der findige Vadim Sonofabiˇc oder Raoul mit seiner teuer bezahlten Kugel, die er endlich zur Mitarbeit hatte überreden können.
»Sonny war einen Hauch früher auf der Fährte«, beharrte Karla und versuchte, ihre Notizen zu entziffern. Das war nicht leicht, weil es schon dunkel wurde und der Wagen zudem über eine schlecht befestigte Straße holperte.
»Als er bei uns anrief, hatte ich den Ort schon längst auf dem Plan markiert«, behauptete Raoul und umfuhr ein riesiges Schlagloch. »Wo, zum Henker, bleibt diese verdammte Abzweigung? Sind wir schon daran vorbei?«
»Halt doch mal den Wagen still«, schimpfte Karla, die mit einer Hand die Karte und mit der anderen sich selbst festhielt. Sie hüpfte im Sitz auf und ab und stieß gelegentlich unsanft mit der Tür zusammen.
»Da«, rief Raoul und riss das Lenkrad herum. Die Abzweigung war ein schmaler, unbeleuchteter Weg, der zwischen zwei Waldsäumen ins Dunkel führte. Die Scheinwerfer beleuchteten Blätter, Äste, Unterholz, dann wieder den holprigen Weg.
»Bist du sicher?« Karla drehte die Karte und gab es auf. »Du hast die Kugel.«
Die tanzte und wirbelte und drehte sich auf dem Armaturenbrett. Raoul warf einen flüchtigen Blick darauf und nickte. »Die Richtung stimmt.«
»Quass hat sich gemeldet«, sagte er nach einer Weile. »Während du weg warst. Diese Charity-Veranstaltung steigt am zweiten Wochenende im September.« Er warf ihr einen schnellen Seitenblick zu. »Es ist eine White-Tie-Veranstaltung.«
»Hui!« Karla pfiff durch die Zähne. »Wenn schon, denn schon, hm?« Sie stopfte die Karte in die Tasche der Tür und dehnte ihre Schultern. »Wo nehme ich bloß ein Abendkleid her?« Sie sah Raoul an. Es war müßig, ihn zu fragen, ob er einen Frack besaß. Er sah bestimmt umwerfend aus in so einem Teil.
Raoul fluchte und steuerte an einem umgestürzten Baum vorbei, der halb auf dem Weg lag. Sie holperten über unbefestigten Grund, dann knirschte wieder der Schotter des Wegs unter den Rädern.
»Mach dir keine Sorgen um ein Kleid«, sagte er. »Wir finden sicher etwas Passendes für dich im Ankleidezimmer.«
Karla sah ihn ungläubig an. »Du hast Abendkleider im Schrank?«
Raoul knurrte. »Nicht ich. Brad.«
Karla stellte sich einige irritierende Augenblicke lang vor, wie Raoul – nein, Brad – in einem Abendkleid vor einem Spiegel posierte. Dann gluckste sie und sagte: »Ah. Verstehe. Hat er denn eine Freundin von meiner Größe in seiner Sammlung?«
»Keine Ahnung«, sagte Raoul. Wie immer, wenn es um dieses Thema ging, erschien er ein wenig unangenehm berührt. »Aber ich denke, es ist von jedem Format was dabei. Er langweilt sich schnell.«
Das war eine interessante Aussage, fand Karla.
Raoul fixierte die Kugel, die gerade einen kleinen Hüpfer vollführte. »Gibt es hier etwa irgendwo noch eine Abzweigung?«
»Dort!« Karla zeigte ins Dunkle.
Raoul warf ihr einen schrägen Blick zu. »Du solltest fahren«, beschwerte er sich. »Du hast die bessere Nachtsicht.«
Karla erwiderte nichts darauf. »Weiter hinten kommt eine Einfahrt«, sagte sie dann. »Ich kann zwischen den Bäumen ein Haus erkennen. Einige der oberen Fenster sind beleuchtet. Vielleicht sollten wir ohne Licht weiterfahren.«
Raoul nickte und schaltete die Scheinwerfer aus. Der Jaguar rollte im Schritttempo durch die Dunkelheit. Karla gab mit gedämpfter Stimme Hinweise.
»Jetzt sehe ich es auch«, sagte Raoul nach einer Weile. Die helle Hausmauer schimmerte gespenstisch wie der Bauch eines toten Fisches durch die Bäume. »Gehen wir den Rest zu Fuß.« Er nahm seinen Stab und die Kugel und öffnete die Tür.
Das Gebäude war größer als es aus der Entfernung gewirkt hatte. Sie mieden die Eingangstür, über der ein trübes Licht brannte, und gingen ums Haus herum, an mehreren fest verschlossenen Fenstern vorbei, hinter denen die Dunkelheit nistete, bis sie hinter dem Haus eine kurze Treppe erreichten, die vom Garten aus hinunter ins Kellergeschoss führte. Die Tür zum Keller war verschlossen, aber Raoul murmelte: »Das bekomme ich auf.«
Karla beobachtete ihn gespannt, wie er mit zwei Fingern rund um das Schloss ein verschlungenes Symbol zeichnete. Das Schloss öffnete sich mit einem Knacken. Raoul zog die Tür auf und sah Karla fragend an.
»Ich gehe vor«, sagte sie und schob sich an ihm vorbei. Sie wusste, dass Raoul in der Finsternis des Kellers so gut wie blind sein musste. Sie ging zur nächsten Tür, die in den Keller hineinführte. Dahinter erstreckte sich ein langer Flur, der auf eine Treppe führte.
»Wir können riskieren, ein wenig Licht zu machen«, sagte sie gedämpft. Raoul nickte und hob seinen Stab. Der silberne Vogelkopf begann zu schimmern, als würde er von Mondlicht beglänzt. Es war ein schwaches Licht, weniger hell als eine Kerzenflamme, reichte aber aus, um ihnen die Durchquerung des Kellers zu erleichtern. Raoul blickte auf die Kugel, die in seiner anderen Hand tanzte, und zuckte die Achseln. »Nach oben. Was für eine Überraschung!«
Karla ging voraus bis zu der Tür, an der die Treppe endete. Sie war unverschlossen. Karla schob sie vorsichtig einen Spalt auf und lauschte. Dann öffnete sie die Tür weit genug, um hindurchschlüpfen zu können. Sie trat in den angrenzenden Raum, der entweder ein Treppenhaus oder eine weitläufige Halle sein konnte. Über ihrem Kopf war Dunkelheit.
Karla zischte leise durch die Zähne, um Raoul auf sich aufmerksam zu machen. Er kam lautlos an ihre Seite, beugte sich zu ihr und flüsterte: »Wir müssen ins Obergeschoss.«
»Im oberen Stock war Licht.« Karla versuchte sich zu orientieren, deutete dann in eine Richtung. Raoul schirmte seinen Stab mit der Hand ab und ließ den Vogelkopf aufleuchten.
Die Treppenstufen waren aus Holz und knarzten leise unter ihren Schritten. In der oberen Etage schimmerte Licht unter einer Tür hervor, sonst war es dunkel. Karla legte die Hand auf die Türklinke und drückte sie hinab. Die Tür ließ sich geräuschlos öffnen.
Dahinter lag ein schwach erleuchtetes Zimmer, dessen einziges Möbelstück ein schmales Feldbett war. Das Licht kam von einer Campinglampe, die unterhalb des Fensters auf dem Boden neben einem zerschrammten Koffer stand. Auf dem Feldbett lag jemand unter einer groben Wolldecke und schnarchte leise.
Karla hörte, wie Raoul hinter ihr die Tür schloss. Sie blieb neben dem Feldbett stehen. Ein durchdringender Geruch nach nassem Hund, Rauch und Alkohol stieg in ihre Nase.
»He«, sagte sie halblaut. »Aufwachen.«
Das Schnarchen endete mit einem erschreckten Schnaufen. Einen Moment lang war alles still, dann setzte es wieder ein.
Karla warf einen Blick über ihre Schulter. Raoul lehnte an der Tür und hielt sie so verschlossen. Er balancierte seinen Stab in den Händen und grinste.
Karla beugte sich über den Schlafenden. Sie zog die Decke von seinem Kopf – es war wirklich der Wurdelak – und rief erneut: »Aufwachen!«
Der Mann öffnete die Augen, sah Karla, die sich über ihn beugte, schnaufte: »Was solln das?«, riss ihr die Decke aus der Hand und zog sie sich wieder über das Gesicht. »Sind genug Zimmer da. Das ist meins. Verpiss dich!«
Karla beugte sich vor und riss ihm ein zweites Mal die Decke weg. »He!«, rief der Wurdelak und fuhr empört in die Höhe. »Hast du sie noch alle? Das ist mein Zimmer, Miststück!«
Er starrte Karla an, dann traf sein Blick Raoul. Das bärtige Gesicht des Wurdelaks wurde blass. »Wie habt ihr mich gefunden?«, fragte er. Er krabbelte auf die Füße und hob die Hand. »Lasst mich in Ruhe, ja? Ich hab nur das getan, wofür ich bezahlt worden bin. Sucht euch einen anderen Blöden für eure kranken Spielchen.«
Er bückte sich und zog die Decke vom Bett, legte sie sich um die Schulter und schob sich an Karla vorbei zur Tür. Raoul streckte schweigend die Hand aus und versperrte ihm mit seinem Stab den Weg.
Der Wurdelak reckte das Kinn. Karla war erstaunt, wie zornig und wenig schuldbewusst der Mann wirkte. Er hatte ihnen aufgelauert, sie bedroht, Raoul angeschossen – und jetzt stand er vor ihnen und plusterte sich auf wie einer, der lästige Gäste in seinem Haus vorfindet.
»Lass mich durch!«, fauchte der Wurdelak. »Du denkst wohl, du kannst dich hier aufführen wie der große Zampano, damit du vor deiner Tusse gut dastehst? Nicht auf meine Kosten!« Er versuchte erneut, sich an Raoul vorbei durch die Tür zu drängen.
Karla hielt ihn am Arm fest. »Hör mal«, sagte sie ruhig, »wir wollen nur mit dir reden. Sag uns, wer dich beauftragt hat.«
Der Wurdelak riss sich los. »Du hast wohl einen Sprung in der Schüssel!« Er senkte den Kopf und nahm Anlauf.
Raoul streckte seinen Stab aus und ließ eine Wand aus Licht und Energie vor der Tür aufflammen. »Du bleibst hier!«
Der Wurdelak knurrte laut und verwandelte sich. Seine Arme wurden lang und sehnig, sein Leib muskulös und gestreckt. Er kauerte auf seinen Hinterbeinen, die Krallen der Vorderpfoten schabten über den schadhaften Teppichboden, ein struppiger Schweif fegte von Seite zu Seite. Er stieß ein drohendes Geheul aus, bei dem Zähne blitzten und Geifer schäumte, und in seinen glühenden Augen spiegelte sich das Licht der Barriere, die Raoul immer noch aufrechterhielt.
Wieder brüllte der Wurdelak, dass die Fensterscheibe klirrte. Aus einem der benachbarten Zimmer kam ein wütender Ruf: »Halt die Klappe, Kyriákos! Ich will schlafen!«
Der Wurdelak senkte den Kopf und griff an. Karla keuchte und hechtete nach vorne, um sich ihm in den Weg zu werfen. Raoul ließ seinen Stab herumfahren, der einen grellen Lichtbogen zeichnete, und mit einem lautlosen Knall, der alle Luft aus dem Zimmer zu saugen schien, erstarrte der Wurdelak im Sprung, seine Gestalt verlor für den Bruchteil einer Sekunde jede Körperlichkeit und wurde flach wie ein Scherenschnitt, dann sauste die Luft mit einem Fauchen zurück, und der Wurdelak war verschwunden.
Karla knallte auf den Boden. »Was hast du mit ihm gemacht?«, keuchte sie. »Wir brauchen ihn …« Sie verstummte und blickte auf die Stelle, die auch Raoul mit verblüffter Miene anstarrte. Er kniete sich hin und nahm etwas, das auf dem schmutzigen Boden stand, vorsichtig hoch. Karla hockte sich neben ihn und betrachtete eine kleine Figur. Sie zeigte erstaunlich detailliert einen Wolf im Sprung.
»Was ist das?«
»Kyriákos, nehme ich an«, erwiderte Raoul. »Ich muss in der Eile die falsche Sigille benutzt haben.«
»Bleibt er jetzt so?« Karla berührte die Figur vorsichtig. Sie fühlte sich an wie bemaltes Holz.
Raoul zuckte die Achseln. »Ich kann das sicher rückgängig machen.« Er drehte die Figur unschlüssig in der Hand, dann reichte er sie Karla. »Steck ihn in deinen Rucksack. Wir kümmern uns später in aller Ruhe um ihn.« Er griff nach dem Koffer des Wurdelaks. »Hauen wir ab.«
Er öffnete die Tür und blickte hinaus, dann winkte er Karla zu. Sie gingen zügig, aber nicht zu hastig den Flur entlang zur Treppe. Hinter ihnen öffnete sich eine Tür, ein blasses Gesicht blickte durch den Türspalt. »Was war los? Warum hat der Wurdelak so rumgebrüllt?«
»Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten«, antwortete Raoul drohend.
Der Mann fiepte und zog hastig den Kopf ein. Seine Tür schlug zu, ein Schloss schnappte.
Karla hüstelte. »Du hast verborgene Qualitäten«, bemerkte sie.
»Komm, nichts wie raus.« Raoul schob sie zur Treppe.
Sie liefen durch die Halle, und Raoul sah sich immer wieder nervös um. Im oberen Geschoss erklangen Stimmen, Rufe, Türenknallen und Schritte. »Wenn die Haustür abgeschlossen ist, müssen wir durch den Keller … ah.« Die Tür öffnete sich ohne Widerstand.
Sie rannten den Weg hinunter, und das Haus schien sie aus seinen unzähligen Fenstern zu beobachten. Eine Tür wurde aufgerissen, jemand rief ihnen hinterher, dann knallte es. Dicht neben Karla spritzte Kies auf.
»Die schießen«, schrie sie und gab Raoul einen Stoß, der ihn vom Weg in ein Brennnesselgestrüpp beförderte. Dort, wo er gerade noch gestanden hatte, schlug die nächste Kugel ein, dicht gefolgt von der Energieentladung eines magischen Blitzes.
Raoul fuhr herum, und zischend entlud sich ein Strahl Energie aus seinem Stab. Sie schlug in die Hausmauer ein, und eine Kaskade aus Steinsplittern und Staub regnete herab.
Karla griff instinktiv nach dem dichten morphischen Feld, das über dem Haus hing. Früher hätte sie die Sheldrake-Energie mit einer beiläufigen Bewegung angezapft und auf den Angreifer gelenkt, doch jetzt war da – nichts.
Wieder knallte es, und eine starke magische Entladung ließ das Haus erbeben. Fensterscheiben klirrten und gingen zu Bruch. Donner rollte über den Himmel, Dachpfannen fielen herab und zersplitterten. Karla schnappte nach Luft. Raoul packte ihren Arm und zerrte sie mit sich. Während sie geduckt zum Auto rannten, rief Karla: »Das war eindrucksvoll!«
Raoul lachte und öffnete die Türen. Sie stiegen ein, und Karla drehte sich zum Haus um, während Raoul den Motor startete und mit durchdrehenden Rädern losfuhr. Scheinwerfer strahlten auf den Weg und ließen die Hausmauern kalkweiß aufleuchten. Die meisten Fenster im oberen Geschoss waren hell, Silhouetten zeichneten sich vor dem Licht ab, die mit Waffen in den Händen aus dem Haus rannten. Schreie, Schüsse und magische Entladungen rissen die Nacht in Stücke. Hinter dem Haus heulten Motoren auf, anscheinend machte man sich zur Verfolgung bereit.
»Wo kommen die plötzlich alle her?«, rief Karla. »Drück aufs Gas, wir müssen sie abhängen.«
»Du solltest versuchen, sie zu erschrecken«, antwortete Raoul, der alle Mühe hatte, den Jaguar über den holprigen Zufahrtsweg wieder zur Straße zu lenken. »Mach doch noch mal so was Lautes wie vorhin.« Er schien sich zu amüsieren.
Karla beugte sich über die Rückenlehne, um ihre Verfolger im Blick zu behalten. »Was soll ich tun, sie anschreien?«, fragte sie gereizt. Zwischen den Bäumen hinter ihnen tanzten die Lichter der Scheinwerfer.
Raoul schaltete und beschleunigte. »Nein«, rief er. »Die Explosion. Du hast das Haus beinahe zum Einstürzen gebracht.«
Die Verfolger fielen ein wenig zurück. Karla drehte sich wieder nach vorne um und schloss den Sicherheitsgurt. »Da vorne kommt die Abzweigung.«
»Sie bleiben uns auf den Fersen«, rief Raoul. »Kannst du so eine Barriere ziehen wie ich vorhin an der Tür? Das wird sie nicht lange aufhalten, aber es bremst sie ab.«
Karla grub die Nägel in die Handflächen. »Raoul, ich kann gar nichts«, erwiderte sie. »Sollen wir anhalten, damit du dich darum …«
»Nun mach schon«, rief er. »Hau ihnen eure morphische Energie um die Ohren, und mach es schnell – sie holen auf.«
Karla verdrehte die Augen. Stur wie ein Esel. Aber bitte, wenn er es wünschte. Das nächste morphische Feld lag ein wenig außerhalb ihrer Reichweite, aber sie näherten sich. Ein Straßenzug, eine Kirche. Schlafende Menschen erzeugten eine ganz eigene Form der Energie. Sie war schwer zu packen, aber wenn man sie einmal im Griff hatte, leicht zu formen und zu verändern.
Karla vollführte routiniert die nötigen mentalen Griffe und wandte sich achselzuckend an Raoul: »Siehst du? Es funktioniert …«
»Hervorragend«, ergänzte er. »Ausgezeichnet, Frau Kollegin.« Karla folgte seinem Blick in den Spiegel, dann drehte sie sich sprachlos um. Zwischen ihnen und den Verfolgern hatte sich quer über die Straße eine grelle, energiesprühende Barriere gebildet. Sie hörte Reifen quietschen, Schüsse und eine Hupe, laut und wütend.
»Das warst du!«
Er lachte und beschleunigte. »Machen wir, dass wir wegkommen.«
Karla entschied sich, das Thema erst einmal ruhen zu lassen. Ein heftiger Streit mit dem Fahrer gehörte ihrer Erfahrung nach nicht zu den Dingen, die man als vernünftige Beifahrerin während einer Verfolgungsjagd anzetteln sollte.
Karla lag mit einer Tasse Tee auf dem Sofa in Raouls Wohnzimmer, während Raoul gedankenverloren den zur Spielfigur verwandelten Wurdelak betrachtete.
»Er wollte seinen Auftraggeber nicht verraten«, dachte Karla laut nach. »Aber er schien trotzdem nicht die geringste Angst vor uns zu haben.«
Raoul stellte die Wolfsfigur auf den Boden. »Er hat sich seltsam benommen. Als würde er uns verwechseln.«
Karla schüttelte den Kopf. »Mit wem? Du glaubst doch nicht, dass er Brad kennt?«
Raouls Gesichtsausdruck wurde noch ein wenig trübsinniger. »Ich bin mir sogar recht sicher, dass die beiden sich kennen.« Er beugte sich vor und schnippte gegen den verwandelten Wurdelak. »Das ergäbe doch endlich Sinn. Warum sollte jemand versuchen, dich oder mich zu töten? Aber Brad …« Er zuckte die Achseln. »Wenn er die falschen Leute verärgert hat, dann wäre es schon vorstellbar, dass die einen Killer auf ihn ansetzen.«
»Kannst du ihn wiederherstellen? Dann fragen wir ihn.«
»Ich bin jetzt zu müde«, sagte er. »Ich muss erst herausfinden, was schiefgegangen ist. Ich wollte ihn aufhalten, nicht schrumpfen und versteinern.« Er gähnte. Morgen früh werde ich ein paar Bücher wälzen, dann weiß ich hoffentlich, wie ich vorgehen muss.« Er streckte die Beine aus und legte den Kopf an die Sessellehne. »Das war gut«, sagte er nachdenklich. »Du bist also wieder angeschlossen. Wie hast du das gemacht?«
»Das ist nicht witzig«, sagte Karla. »Hör auf damit, Raoul!«
Er blickte erstaunt auf. »Womit?«
»Mich aufzuziehen.« Sie konnte nicht glauben, dass er das tat.
Raouls Gesichtsausdruck wurde betroffen. »Nein«, sagte er. »Nein, das würde ich nie tun.«
Karla gab es auf. »Ich gehe ins Bett«, sagte sie und erhob sich. »Du siehst auch erledigt aus. Lass uns alles andere auf morgen verschieben.«