12. 19. 19. 03. 19.

 

Es war bereits dunkel, als Karla in der Nähe des »Passionate Shepherd«, des zum Casino gehörigen Nachtclubs, ihr Auto abschloss. Der verliebte Schäfer, der dem Club seinen Namen gab, glänzte frisch gemalt vom Schild über der Tür. Er stand vor seiner wolligen Herde und streckte die Hände nach einer leicht bekleideten Nymphe aus, die sich mit neckischem Lächeln zwischen den Schafen versteckte.

Der Hintereingang des »Shepherd« lag in einer dunklen Seitenstraße. Karla zögerte kurz. Die Lampe über der Hintertür leuchtete nicht. Dann packte sie ihren Rucksack fester und ging mit schnellen Schritten auf die Hintertür zu.

Der erste Schlag traf sie unvorbereitet. Sie hatte die Schritte und die schnelle Bewegung im Augenwinkel wahrgenommen, aber als sie sich umdrehte, streifte schon ein Schlag ihren Kopf. Karla schrie auf und ließ sich instinktiv fallen. Der Hieb hatte nicht ausgereicht, um sie zu betäuben, aber das wusste der Angreifer nicht. Er setzte nicht nach, sondern wartete offensichtlich auf jemanden, der nun von der Straße herangelaufen kam.

Karla rollte über die getroffene Schulter ab, die dabei vernehmlich knackte, und riss ihren Angreifer von den Füßen. Er grunzte überrascht und knallte zu Boden wie ein Sack Kartoffeln.

Karla kniete sich auf seine Brust und zerrte an dem Totschläger, den er fest umklammert hielt. Sie wehrte seine Faust ab und hielt ihn mit ihrem Gewicht und einem schnell gewobenen Bindezauber am Boden. Der Angreifer hatte die braunen, groben, wie aus Stein gehauenen Züge eines Trolls.

Sein Kumpan, ein schmalbrüstiger, blasser Kerl mit feuerroten Haaren und Katzenaugen, richtete eine Waffe auf sie. »Los, aufstehen!«, befahl er schrill. »Und ich will deine Hände sehen.«

Karla sah, wie die Mündung der Waffe zittrige Kreise zog. Für einen Werwolf war er zu unbehaart. Die Augen waren seltsam, feenähnlich, und die Ohren liefen spitz zu. Ein Kobold.

»Was willst du?«, fragte sie und hielt ihre Hände locker an den Seiten, bereit, einen Zauber zu werfen.

»Du sollst aufstehen und die Hände hochnehmen!«, rief er beinahe hysterisch.

»Ganz ruhig«, sagte Karla mit ihrer sanftesten Stimme. Sie legte einen Hypnozauber hinein und hoffte, dass er bei Kobolden wirkte.

Der Bann, den sie über den Troll gelegt hatte, löste sich. Er bewegte sich, grunzte, trat aus.

»Geh von ihm runter«, befahl der bewaffnete Kobold. Jetzt, wo sein Kumpan sich wieder regte, verlor er seine Angst. Die Pistole zielte ruhig auf Karlas Stirn.

Sie hob die Hände in Brusthöhe und stand auf. »Was wollt ihr?«

»Ein lautes Wort oder der Versuch abzuhauen, und ich knall dich ab«, sagte der Kobold.

Der Troll war inzwischen schwerfällig auf die Beine gekommen. Er schüttelte den plumpen Kopf, um die Reste des Banns abzuschütteln, und packte mit seiner schaufelgroßen Hand ihren Arm.

»He«, protestierte Karla, obwohl sie wusste, wie sinnlos das war. »Lass mich los!«

Der Troll grunzte nur und schob sie unsanft zum anderen Ende der Straße. Sie wehrte sich heftig und brachte ihn damit ins Stolpern. Er festigte seinen Griff, schnaufte kurz und warf sie sich über die Schulter. Die Finger seines anderen Arms berührten beinahe seine Fußknöchel – er war ein typischer, kurzbeiniger, breitbrüstiger, langarmiger Waldtroll. Die Gebirgstrolle waren zierlicher, wendiger und hatten längere Beine.

Karla baumelte über der Schulter des Trolls. Sein schaukelnder Schritt ließ ihren Kopf auf- und abhüpfen, und ihr wurde schlecht. »Wenn – wenn du nicht willst – dass ich dir – auf den Rücken – kotze«, rief sie, »dann – solltest du – uff – mich runter… – runterlassen!«

Sie hörte das Kichern des Kobolds, der ihnen folgte. »Es ist ihm egal«, verkündete er. »Olbnosch wird immer vollgekotzt.«

Am Ende der Straße wartete ein unauffälliger Lieferwagen mit abgeblendeten Scheinwerfern. Karla wurde unsanft in den Laderaum geworfen, die Türen knallten zu, und der Wagen fuhr los.

Die Fahrt dauerte nicht lange. Grelles Licht blendete sie, als die Türen des Lieferwagens aufsprangen. Karla hob die Hand und schirmte ihre Augen ab, versuchte vergeblich, etwas zu erkennen. Die Hand, die sie am Arm packte und aus dem Wagen zerrte, gehörte ganz sicher dem Troll. »Pass auf, Olbnosch«, fauchte sie. »Ich hab mir deinen Namen gemerkt!«

Der Troll grunzte nur und zerrte sie zu einem Gebäude. Ihre Augen passten sich an, sie konnte erkennen, dass sie sich in einem geschlossenen Hof befanden, der von einer Flutlichtlampe kalkweiß angestrahlt wurde.

Der Kobold, der ihren Rucksack unter den Arm geklemmt hatte, schloss eine kleine Tür an der Seite auf und verschwand darin. Der Troll schob Karla darauf zu, gab ihr einen Stoß, der sie ins Innere des Gebäudes taumeln ließ, und knallte die Tür hinter ihr zu. Riegel schnappten. Schon wieder stand sie im Dunkeln.

»Moment«, sagte der Kobold irgendwo vor ihr. Etwas klackte und ein schwaches Licht flammte auf. Sie stand in einem dunklen Treppenhaus. Der Kobold begann die Treppe hinaufzusteigen. Anscheinend war es ihm egal, ob sie ihm folgte oder stehen blieb. Einen Moment lang überlegte Karla, ob sie wieder aus der Tür gehen sollte, aber das Geräusch, mit dem sie zugeschlagen war, hatte ihr schon verraten, dass da ein magieresistentes Verschlusssystem im Spiel gewesen war. Und noch mehr verriet ihr das gleichgültige Verhalten des Kobolds, dass sie den Ausgang versperrt finden würde.

Die Treppe führte bis unter das Dach, zu einer Tür, die der Kobold öffnete.

Karla zögerte, als sie eintrat. Das Loft, von dem sie nur einen kleinen Ausschnitt sehen konnte, war dämmrig erleuchtet. Durch eine riesige Panoramascheibe erhaschte sie einen kurzen Blick auf die Lichter der Stadt, bevor sich eine Verdunkelung lautlos vor den Ausblick schob. Karla bemühte sich um eine neutrale Miene. Wenn ihre Entführer ihr keinen Aufschluss über ihren Aufenthaltsort hatten geben wollen, dann war dieser Teil des Plans nicht aufgegangen. Sie hatte den Messeturm am Horizont gesehen und etwas näher die Lichter einer Brücke. Damit und mit dem Hinweis, den ihr die kurze Fahrtzeit gegeben hatte, wusste sie, dass sie sich irgendwo in der Hafengegend befinden musste. Anfänger.

Sie hörte, wie eine samtdunkle Stimme mit leisem Vorwurf sagte: »Du weißt, dass du anklopfen musst, bevor du hier hereinplatzt, Finn. Wie oft habe ich dir das gesagt?«

Der Kobold bekam leuchtend rote Ohrenspitzen. »Sorry, Chef«, sagte er kleinlaut. Er gab Karla einen kleinen Schubs, der sie zur Ostseite des Lofts lenkte.

Sie ging über den spiegelnden Boden, auf dem sogar ihre weichen Schuhe dumpfe Geräusche machten. Alles in diesem Raum schien entweder aus Metall, Stein oder Glas zu bestehen. Sie sah keinen gepolsterten Sessel, kein Sofa, keine Kissen, keinen Teppich, nicht ein einziges dekoratives Element, nichts Weiches. Nur nüchterne, klare, kalte Linien.

Der Eindruck wurde noch verstärkt durch das völlige Fehlen jeglicher Farbe. Alles war schwarz, weiß, grau. Karla fröstelte unwillkürlich.

Der Mann, dessen Stimme sie eben gehört hatte, saß in entspannter Haltung hinter einem spiegelnd schwarzen Schreibtisch, der wie ein Monolith mitten im Raum stand. Sie erkannte ihn trotz der schwachen Beleuchtung sofort.

»Vittore Perfido«, sagte sie. »Ich hätte es mir denken müssen!«

»Magistra van Zomeren.« Er erhob sich und streckte ihr die Hand entgegen. »Endlich lernen wir uns kennen.« Er war mittelgroß und schlank, trug einen gut geschnittenen grauen Anzug mit blütenweißem Hemd und perlgrauer Krawatte, hatte sein weißblondes Haar straff zurückgekämmt und musterte sie aus Augen, die beinahe farblos erschienen. Er entblößte lächelnd ein makelloses Gebiss. »Wir sind uns bisher noch nicht persönlich begegnet. Ich freue mich wirklich. Und Sie sind noch sehr viel attraktiver, als Sie mir beschrieben wurden. Danke, dass Sie mir Ihre kostbare Zeit schenken. Wollen wir uns nicht setzen?« Er legte seine Hand sacht an ihren Ellbogen und wies auf eine Sitzecke aus schwarzem Leder.

Karla blieb stehen und verschränkte die Arme. »Ihre beiden Schläger haben mich überfallen und gewaltsam hergebracht. Also hören Sie auf, mir den vollendeten Gastgeber vorzuspielen. Was wollen Sie von mir, Perfido?«

Sein Gesichtsausdruck zeigte nichts als höfliches Bedauern. »Ich muss mich entschuldigen, wenn meine Einladung von diesen beiden Tölpeln als Entführungsauftrag missverstanden wurde. Das lag keineswegs in meiner Absicht. Finn?« Der Name klang wie ein Peitschenschlag. Der Kobold trat geduckt vor, als erwartete er eine Ohrfeige. »Du hast gehört, was die Dame gesagt hat. Habe ich euch etwa befohlen, Magistra van Zomeren mit Gewalt herzubringen?«

Der Kobold leckte nervös über seine Lippen. Sein Blick flackerte. »Nun …«, sagte er unsicher, »ich dachte … Sie haben gesagt, Sie wollen sie unbedingt heute Abend sehen …«

Eine bleiche Hand schoss vor und packte das empfindliche Ohr des Kobolds. Finn kreischte und wand sich.

»Ich hatte euch befohlen, Magistra van Zomeren höflich auf einen Drink zu mir einzuladen«, sagte Perfido sanft. »Es war nie die Rede davon, sie mit der Waffe oder mit körperlicher Gewalt davon zu überzeugen.«

»Sie hat Olbnosch niedergeschlagen«, wimmerte der Kobold. »Und mitkommen wollte sie auch nicht. Was hätte ich denn tun sollen, Chef?«

Perfido verdrehte das Ohr des Kobolds noch einmal fest, aber auf seltsam sachliche Art und Weise, und ließ dann los. »Du bist ein Idiot«, sagte er. Der Kobold rieb sich das Ohr und schniefte leise.

Perfido wandte sich mit einer entschuldigenden Geste wieder Karla zu. »Ich bitte nochmals um Verzeihung. Meine Leute waren wohl ein wenig übereifrig.«

»Dann haben Sie doch sicherlich nichts dagegen einzuwenden, wenn ich mich wieder verabschiede.«

Seine Augen öffneten sich weit, und sie glaubte, einen rötlichen Schimmer darin zu erkennen. »Liebe Magistra van Zomeren«, sagte er, »nun sind Sie doch einmal hier. Ich bitte Sie. So unversöhnlich?«

Karla seufzte. »Perfido, Sie sind ein Verbrecher. Sie haben unter anderem die Wunderland-Diskothek in die Luft gejagt. Wenn Sie sich deshalb stellen wollen, dann kommen Sie morgen zu mir in die Dienststelle. Ansonsten habe ich Feierabend und würde es vorziehen, ihn nach eigenem Gutdünken zu gestalten.«

Er lachte. »Sie sind amüsant, Frau van Zomeren. Das hatte ich gehofft. Kommen Sie – ein Drink, ein kurzes Gespräch, dann lasse ich Sie von Finn nach Hause fahren. Oder wohin auch immer Sie gebracht werden wollen. Ich weiß ja nicht, wie Sie Ihren Feierabend zu verbringen pflegen.«

Seine Augen blitzten spöttisch, und Karla war sich mit einem Mal schmerzhaft deutlich darüber im Klaren, dass er sogar ganz genau über ihre Gepflogenheiten Bescheid wusste. Was hatte sie erwartet? Sie hatte ihn ein Jahr lang observiert – er musste sich im Gegenzug natürlich über sie informiert haben.

Sie fand sich auf einem Ledersofa wieder, während Perfido sich über einen kleinen Servierwagen beugte. Flaschen klirrten. »Was darf ich Ihnen anbieten? Scotch, ein Glas Weißwein, Wodka, einen Cognac, Martini …?«

»Wasser, bitte.«

Er lachte wieder und goss Wasser aus einem Krug, in dem Eis und Zitronenscheiben schwammen, in ein schmales Glas, das er ihr reichte. Er schenkte sich selbst eine dunkelrot schimmernde Flüssigkeit in einen Pokal und nahm dann Karla gegenüber Platz, wobei er sorgfältig seine Hosenbeine ein wenig hochzupfte. Das gedämpfte Licht spiegelte sich warm im glänzenden Leder seiner Schuhe.

Karla stellte ihr Glas auf den Beistelltisch, ohne es angerührt zu haben. »Also?«, sagte sie.

Er nippte an seinem Glas und beugte sich dann vor, um es ebenfalls abzustellen. Karla sah, dass er eine Pistole in einem Halfter unter dem Arm trug. Ungewöhnlich für seine Spezies, die normalerweise auf ihre Kräfte vertraute und Waffen eher misstrauisch gegenüberstand.

»Liebe Frau van Zomeren«, begann Perfido und sah sie mit intensivem Blick an.

Karla blinzelte kurz und schüttelte seinen Versuch einer mentalen Beeinflussung ab. »Na!«, sagte sie streng.

Er nickte knapp und wirkte eher erfreut als ertappt. »Sie sind eine talentierte junge Frau«, sagte er. »Ich möchte Ihnen ein Angebot unterbreiten.«

»Sparen Sie sich Ihren Atem«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich bin nicht bestechlich.«

Er lächelte. »Nein, nein. Ich werde mich doch nicht strafbar machen.«

Karla schnaubte. »Also, was für ein ›Angebot‹ wollen Sie mir machen? Spucken Sie es aus, damit ich es ablehnen und nach Hause gehen kann.«

Er legte nachdenklich seinen Zeigefinger an die Nase. »Sie klingen unvermindert feindselig. Was habe ich Ihnen getan? Bitte, Magistra van Zomeren – oder darf ich Sie ›Karla‹ … nein? Nun gut. Sie verfolgen mich seit über einem Jahr – nicht ich Sie. Ich müsste unhöflich und grob zu Ihnen sein – nicht Sie zu mir.« Er beugte sich vor. Karla konnte in seinen farblosen Augen nichts lesen, sie waren so ausdruckslos wie die Fenster einer leeren Wohnung. »Ich erwarte ein Mindestmaß an Höflichkeit im Umgang miteinander. Darf ich also jetzt zumindest ausreden?«

Karla zuckte die Achseln. »Bitte.«

»Ich möchte, dass Sie für mich arbeiten.«

Karla nickte resigniert und stand auf. »Nein danke. Bringt Finn mich zurück?«

Perfido sah sie einen Moment lang reglos an. Dann schüttelte er sacht, aber entschieden den Kopf. »Hören Sie bitte an, was ich zu sagen habe. Wenn Sie dann immer noch ablehnen möchten, werde ich Sie gehen lassen. Aber ich möchte, dass Sie gut über mein Angebot nachdenken.«

»Also bitte. Ich höre Ihnen zu.« Karla setzte sich wieder hin.

»Ich habe ein paar Nachforschungen über Sie angestellt.« Er nahm einen dünnen Ordner, der neben ihm auf dem Sitz gelegen hatte, und schlug ihn auf. Ohne einen Blick hineinzuwerfen, fuhr er fort: »Sie sind vor elf Jahren gleich nach Ihrem Studium bei der MID eingestiegen. Das ist doch richtig?«

Karla nickte abwartend. Das war kein Geheimnis.

»Dort haben Sie zügig Karriere gemacht, aber vor vier Jahren gab es einen Zwischenfall. Sie wurden für ein halbes Jahr vom Dienst suspendiert und zwei Besoldungsränge zurückgestuft.« Karla erwiderte seinen Blick ausdruckslos. Auch das war etwas, das jeder wissen konnte. Es hatte damals einen ordentlichen Wirbel gegeben. Ein Hehlerring, der unter anderem magische Artefakte der Geheimhaltungsstufe Drei an Versatile verkauft hatte, sollte nach einigen Monaten der Observierung ausgehoben werden. Diese Aktion war durch eine Verkettung unglücklicher Zwischenfälle so gründlich in die Hose gegangen, dass das Debakel sich nicht mehr hatte unter den Teppich kehren lassen. Der damalige Leiter der MID hatte, um seinen eigenen Kopf zu retten, einige Sündenböcke geopfert, und einer davon war Karla gewesen. Sie wurde beschuldigt, Zielpersonen einen Hinweis auf den bevorstehenden Zugriff gegeben zu haben, was letztlich die gesamte Aktion zum Scheitern gebracht hatte.

Das Fatale daran war, dass wirklich Informationen aus der Dienststelle nach außen gedrungen sein mussten. Obermagister Korngold hatte noch versucht, sich für seine Mitarbeiterin in die Schusslinie zu werfen, aber als man auch ihm mit einem Untersuchungsverfahren drohte, hatte er sich letztlich dafür entschieden, seine eigene Haut zu retten. Karla konnte ihm das nicht verübeln.

Sie hatte dem Impuls widerstanden, ihren Dienst zu quittieren, und zähneknirschend das Opferlamm für die Abteilung gespielt. Korngold hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass er ihr das nicht vergessen würde, wenn erst einmal Gras über die Sache gewachsen wäre. Kaum ein Jahr später war Karla tatsächlich wieder in ihren vorherigen Rang und zu ihrem alten Aufgabengebiet zurückgekehrt. Dennoch war der Makel in ihrer Personalakte unauslöschlich.

Und jetzt musste sie sich von einem Gangster wie Perfido gefallen lassen, dass er sie mit einem Blick taxierte, der deutlich sagte: Du hast doch Dreck am Stecken, also warum spielst du mir hier die Heilige vor?

Karla zog es vor, nichts dazu zu sagen. Jeder Versuch der Erklärung wäre ihr nur als Schwäche ausgelegt worden. Perfido war ein Wolf. Ein Moment der Unsicherheit, und sie konnte froh sein, wenn sie mit heiler Haut hier rauskam.

Perfido wartete auf einen Kommentar von ihr, aber als Karla eisern schwieg, senkte er den Blick auf den Bericht. Er gab vor, darin zu lesen, aber Karla wusste, dass er die Informationen über sie im Kopf hatte. Ein Perfektionist, so hatten ihre Informanten ihn beschrieben. Ein gerissener, intelligenter, hart arbeitender, führungsstarker und gut organisierter Manager. Nur schade, dass sein Business das Verbrechen war und nicht irgendeine legale Branche.

Er hob den Blick und fixierte sie mit gespieltem Staunen. »Ich erfahre hier, dass Sie die Gespielin eines geschätzten alten Freundes sind. Das ist aber eine erfreuliche Neuigkeit, liebe Frau van Zomeren!«

Karla klammerte die Hände ineinander. Verdammt. Verdammt. Verdammt.

»Worauf wollen Sie hinaus, Perfido?«, fragte sie zornig.

Er legte den Bericht beiseite und lehnte sich mit ausgebreiteten Armen zurück. Sein Blick war freundlich und kalt zugleich. »Wie ich schon gesagt habe, ich möchte, dass Sie für mich arbeiten. Sie müssen nicht befürchten, dass ich etwas Illegales von Ihnen verlange. Ich benötige gelegentlich die Dienste einer Hexe, und meine bisherige Assistentin hat sich zurückgezogen, um … nun, das tut nichts zur Sache. Die Stelle ist also vor Kurzem vakant geworden, und ich habe bei der Neubesetzung sofort an Sie gedacht.« Er lächelte. »Sie wären perfekt. Meine Wunschkandidatin. Ein Schmuckstück in meinem Mitarbeiterstab.«

Karla zog die Brauen zusammen. »Nein«, sagte sie. »Wenn Sie bereits mit einer meiner Kolleginnen gearbeitet haben – was ich ein wenig bezweifle –, dann wissen Sie, dass wir nichts tun können, was das Gleichgewicht beeinträchtigt. Ihre – Profession an sich stellt aber schon eine Verletzung sämtlicher weißen Grundsätze dar.« Sie ahmte seine Geste nach und lehnte sich zurück. »Es gibt doch sicherlich eine ordentliche Anzahl Dunkler Magier, die darauf brennen, für Sie zu arbeiten.«

Perfido hob die Brauen. »So schlecht ist also Ihre Meinung von Ihren Kolleginnen und Kollegen vom Schwarzen Zweig? Ich bin schockiert.«

Karla schnaubte. »Es gibt auch beim Schwarzen Zweig integre Leute. Aber in der Regel nehmen es Dunkelmagier nicht allzu genau, was Fragen der allgemeinen Ethik und Moral betrifft. Die meisten sind sogar stolz darauf, Regeln zu brechen, Gesetze zu missachten und sich einen Dreck um das Gleichgewicht zu scheren. Also genau die richtigen Leute für eine Anstellung bei Ihnen.«

Perfido lachte. »Sie halten nicht viel von Diplomatie, oder? Also gut, reden wir Klartext. Ich möchte Sie engagieren. Ich verspreche Ihnen, dass Sie nichts Illegales tun müssen. Ich benötige Sie ausschließlich für Dienste, die meine legalen Geschäfte betreffen. Sie erhalten von mir ein Jahresgehalt, das doppelt so hoch ist wie Ihr jetziges. Außerdem werden Sie an allen Einnahmen beteiligt, an deren Zustandekommen Sie mitgearbeitet haben. Ich schätze, damit kommt im Schnitt noch einmal mindestens ein Jahresgehalt zusammen. Sind Sie damit einverstanden?«

Karla schwieg. Das war ohne Frage ein verlockendes Angebot. Die MID bezahlte, wie die meisten staatlichen Institutionen, nicht besonders gut. Karla mochte ihre Arbeit, sonst hätte sie sich längst etwas in der freien Wirtschaft gesucht. Ihre Schwester arbeitete als Sicherheitshexe in einem Kernkraftwerk. Ein nicht ungefährlicher Job, aber er wurde ausgezeichnet entlohnt.

»Ich …«, begann sie und verstummte.

Perfidos Lächeln wurde breiter. »Liebe Frau van Zomeren«, sagte er herzlich, »ich verlange nicht von Ihnen, dass Sie sich sofort entscheiden. Gehen Sie nach Hause, schlafen Sie darüber. Ich bin zufrieden, wenn Sie mir Ihre Entscheidung im Laufe der nächsten Woche mitteilen.« Er stand auf und reichte ihr die Hand. Karla hatte sie ergriffen, ehe sie selbst bemerkte, was sie tat. Verfluchter Mistkerl, er hatte es doch geschafft, sie einzulullen!

Perfido legte seinen Arm um ihre Schulter, und Karla versteifte sich. »Grüßen Sie unseren gemeinsamen Freund recht herzlich von mir«, sagte er und begleitete sie zur Tür. »Er soll mal wieder auf einen Drink vorbeikommen.« Er ließ sie los und sah ihr in die Augen. »Und vielleicht kommen Sie mit, und wir feiern zu dritt Ihren Einstand in meinem Unternehmen?«

Bevor Karla noch etwas sagen konnte, stand sie mit dem Kobold draußen auf der Treppe. Ihre Gedanken wirbelten wie die Schneeflocken in einer Glaskugel. Perfido hatte etwas mit ihr angestellt. Er hatte sie beeinflusst, aber mit welchem Ziel? Sie musste sich gleich morgen einer Tiefensondierung unterwerfen. Das war unangenehm, aber notwendig.

Karla ließ sich nach Hause fahren. Sie hatte nicht den Nerv, sich auch noch Christopher zu stellen. Perfidos Worte saßen wie giftige Stacheln in ihrem Herzen. Geschätzter alter Freund. Verdammt, was hatte Kit ihr sonst noch verschwiegen?

Last days on Earth: Thriller
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