Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht, was ich Silvia sagen kann, um mich zu entschuldigen. Innerhalb weniger Stunden ist meine eiserne Rüstung weich wie Butter geworden. Ich bin das Letzte.
Wie auch immer, ich gehe in die Schule und halte nach Silvia Ausschau. Nur einen winzigen Moment trifft ihr Blick auf meinen, der suchend durch die Menge streift: Ihre Augen sind wie aus Glas, ich sehe nur mich darin und nicht sie, die einfach wegsieht, als würde sie mich nicht kennen. Dieser verweigerte Blick stößt mich in die namenlose Menge zurück, und ich stürze ins weiße Nichts der vollkommenen Niemands.
Ich laufe Silvia nach. Packe sie ungewollt heftig beim Arm. Noch nie habe ich sie so angefasst, nicht mal aus Spaß. Mit verletzter Miene macht Silvia sich los.
»Ich dachte immer, ich hätte einen Freund. Lass mich in Ruhe, du kommst nur, wenn du was willst, aber die anderen sind dir scheißegal.«
Ich kann noch nicht einmal den Mund aufmachen, da ist sie schon verschwunden, als hätte ein Strudel sie verschluckt. Ich folge ihr durch den Dschungel aus Hüfthosen, remple zwei oder drei Irre aus der Elf an, die mir einen Arschtritt verpassen.
»Fick dich.«
Ich sehe sie in den Toilettenflur einbiegen und stürme ohne nachzudenken in die Toilette voller sich schminkender, rauchender und Jeansmarken vergleichender Mädchen. Sie glotzen mich fassungslos an, während sich Silvia in ein Klo einschließt.
»Was willst du Arsch denn hier?«, fragt mich eine Dunkelhaarige mit zwei schwarzen Balken anstelle der von lila Lidschatten umkleisterten Augen.
»Ich … ich muss mit einem Mädchen reden«, entgegne ich, als wäre es das normalste der Welt.
»Auf die kannst du draußen warten. Und außerdem kannst du’s eh vergessen, die ist viel zu geil für ’nen Loser wie dich.«
Sie lachen. Ihre Worte jagen mich aus dem Mädchenklo, als wären sie der Geifer auf den gefletschten Zähnen eines rasenden Köters. Vorsichtig weiche ich zurück und stürze in einen verborgenen Abgrund. In der bodenlosen Tiefe der Einsamkeit gibt es keinen Fallschirm.
»Was machst du hier?«
Natürlich ist das die Stimme des Direktors, der mich anbrüllt, ich soll mit in sein Büro kommen. Zuerst die Flucht vor Beatrice, dann die Abfuhr von Silvia, und jetzt werde ich auch noch für einen Spanner gehalten. Binnen achtundvierzig Stunden habe ich gelernt, dass es verschiedene Abstufungen von Schwarz gibt. Mindestens drei habe ich auf dem Weg ins absolute Dunkel schon durchlaufen … Schade, dass das nicht das Ende eines Melodramas ist, sondern erst der Anfang.