Ich komme eine halbe Stunde früher, um das, was ich sagen will, auswendig zu lernen. Ein Penner kommt auf mich zu und will etwas von mir, und weil ich drauf und dran bin, Silvia eine Liebeserklärung zu machen, und der Welt gegenüber in Spendierlaune bin, schenke ich ihm einen Euro, nein, zwei.
»Gott segne dich«, sagt er zu mir.
Kaum sehe ich sie, begreife ich, dass ich die ganze Zeit über blind gewesen bin. Sie sagt mir, dies sei ein wundervoller Ort und dass jeder so einen Ort haben sollte, um seine Träume zu träumen und seine Geheimnisse zu beichten. Ich lasse sie Platz nehmen wie eine Königin, und während ich auf meinen Fingern herumknete und nach den richtigen Worten suche, sieht sie mich todernst an und redet zuerst.
»Erst mal will ich dir etwas sagen, Leo.«
Ich hoffe inständig, dass es das Gleiche ist, dann können wir’s kurz machen und uns um den Hals fallen.
»Ich will dieses Geheimnis nicht mehr mit mir rumschleppen, das mir wie Blei auf dem Herzen liegt.«
Da haben wir’s. Wieder einmal kommt Silvia mir zuvor und rettet mich.
»Beatrice hat auf deine Nachrichten nie geantwortet, weil ich dir nie ihre Nummer gegeben habe.«
Ich starre sie an wie einer, der gerade vom Mars gekommen ist und zum ersten Mal einen Menschen sieht. Plötzlich erscheint all ihre Schönheit starr, wie aus Pappmaché.
»Ich weiß, Leo, es tut mir leid. Es ist meine Schuld.«
Ich verstehe nichts.
»Als du mich damals gefragt hast, ob ich dir ihre Nummer besorgen könnte, hab ich nur so getan als ob.«
Mir fällt wieder ein, dass die Nummer, die Beatrice mir gegeben hat, nicht dieselbe war wie die, die ich hatte. Die Liebeserklärung, die ich mir zurechtgelegt hatte, löst sich auf wie ein in den nassen Meeressand geschriebenes »ich liebe dich«. Meine Stimme wird eisig.
»Wieso hast du das getan?«
Silvia schweigt.
»Wieso hast du das getan, Silvia?«
Als sie antwortet, mischen sich ihre Worte mit Tränen.
»Ich war eifersüchtig. Ich wollte diejenige sein, die solche Nachrichten von dir bekommt. Aber ich hatte nie den Mut, es dir zu sagen. Monatelang habe ich deinen Brief an Beatrice aufbewahrt und mir vorgestellt, er wäre für mich. Ich hatte Angst, dich zu verlieren. Verzeih mir.«
Ich versinke in weißer Stille, ähnlich der, die auf dem Mond herrscht. Sie starrt in die Flussströmung und hat nicht den Mut, zu mir aufzusehen. Ich stehe auf und gehe weg, lasse sie dort sitzen, wie eine vollkommen Fremde. Silvia ist für mich niemand mehr. Liebe kann nicht aus Betrug erwachsen.
»Ich will dich so schnell wie möglich vergessen.«
Ich wiederhole es unter Tränen. Und dieses Ding, das sich einige Abende zuvor in einem kleinen Winkel meines Herzens eingenistet hat, erstarrt und verwandelt sich in ein Salzkorn, das die Tränen auflösen und für immer davontragen.
Ich hab es satt, betrogen zu werden.