Beatrice ist offenbar krank. Die Grippe geht um, aber ich kriege sie nie … Seit zwei Tagen habe ich sie nicht gesehen. Ohne den roten Schimmer ihres Haares sind die Tage leerer. Sie werden weiß wie Tage ohne Sonne.
Ich gehe mit Silvia nach Hause. Ich nehme sie auf meiner 50er mit, und sie bittet mich ständig, langsamer zu fahren. Frauen. Wir unterhalten uns lange, und ich frage sie, ob sie einen Traum hat, wie der Träumer. Ich erzähle ihr, dass Niko einen ganz konkreten Traum hat. Er meint, er wird in die Fußstapfen seines Vaters treten. Sein Vater ist Zahnarzt. Niko hat einen Haufen Kohle. Er wird Zahnarzt und übernimmt die Praxis seines Vaters. Er sagt, das sei sein Traum. Aber ich finde, das gilt nicht als Traum. Da ist ja schon alles klar. Wenn ich es richtig verstanden habe, muss ein Traum etwas Geheimnisvolles haben, etwas, das es zu entdecken gilt. Niko weiß schon alles.
Ich habe noch keinen konkreten Traum, aber das ist ja gerade das Schöne. Er ist dermaßen unbekannt, dass allein der Gedanke mir Magenkribbeln verursacht. Silvia hat auch einen Traum. Sie will Malerin werden. Silvia malt sehr gut, es ist ihre Lieblingsbeschäftigung. Einmal hat sie mir sogar ein Bild geschenkt. Sie kopiert berühmte Gemälde. Es ist ein schönes Bild, auf dem eine Frau sich mit einem kleinen weißen Schirm vor der Sonne schützt. Es ist ein ganz besonderes Bild, denn die Kleider und das Gesicht der Frau und die Farben sind so leicht, dass sie eins werden mit dem Licht. Es ist, als wäre die Frau aus dem Licht gemacht, vor dem sie sich schützt. Und es ist der einzige Fall, in dem das Weiß mir keine Angst macht. Mit diesem Bild hat Silvia dem Weiß ein Schnippchen geschlagen. Das gefällt mir. Nachdem meine reparaturbedürftigen Bremsen uns um Haaresbreite an mindestens einem Dutzend tödlicher Unfälle haben vorbeischlittern lassen, sind wir bei Silvia.
»Aber meine Eltern sind dagegen. Sie meinen, das kann allenfalls ein Hobby sein, aber keine ernsthafte Zukunftsperspektive. Das ist ein steiniger Weg, nur die wenigsten haben Erfolg, und wenn man es nicht schafft, nagt man am Hungertuch.«
Die Erwachsenen sind anscheinend nur auf der Welt, um uns Ängste unter die Nase zu reiben, die wir nicht haben. Sie sind diejenigen, die Schiss haben. Ich dagegen finde es toll, dass Silvia diesen Traum hat. Wenn sie davon redet, leuchten ihre Augen wie die des Träumers, wenn er etwas erklärt. Wie die Augen von Alexander dem Großen, von Michelangelo, von Dante … blutrote, lebenssprühende Augen … Ich finde, Silvias Traum ist genau richtig. Ich bitte sie, mir Bescheid zu sagen, wenn meine Augen leuchten, es könnte ein Hinweis auf meinen Traum sein, ohne dass ich es mitkriege. Sie verspricht es mir.
»Wenn ich deinen Traum in deinen Augen sehe, sage ich’s dir.«
Ich bitte sie, mir noch ein Bild zu malen. Sie verspricht es mir. Ihre Augen blitzen auf, fast wird mir warm auf der Haut. Sie blitzen himmelblau. Das ist ihr Traum. Ich habe noch keinen, aber ich spüre, dass er nicht weit ist. Woher ich das weiß? Wegen meiner Augenringe. Ich hab Augenringe, als würde ich meine Träume darin herumschleppen. Wenn ich meinen Traum finde, leere ich sie aus, und meine Augen werden strahlen …
Ich presche davon, in den blauen Horizont, und fast ist es, als würde ich fliegen, ungebremst und ohne Träume.