Letzter Schultag. Letzte Stunde. Letzte Minute.
Die Glocke klingelt: die letzte.
Ihr Krächzen geht in einem Befreiungsschrei unter, als wären Lebenslängliche aus irgendeinem Grund überraschend begnadigt worden.
Ich bleibe allein in der Klasse zurück: Sie gleicht einem Friedhof. Die Stühle und Tische, die ein ganzes Jahr über lebendig waren, beseelt von unseren Ängsten und unserem Irrsinn, verletzt von unseren Füllern und Stiften, stehen nun reglos da wie Grabsteine. Über allem liegt Totenstille. An der Tafel steht noch das hastige Gekritzel des Träumers, der uns auf seine Art schöne Ferien gewünscht hat.
»Dem, der erwartet, widerfährt das Erwartete, jedoch dem, der hofft, das Unverhoffte.«
Ein Satz von Heraklit.
Was mich betrifft, ist das ein schlechter Witz: Ich habe alles verloren, auf das ich gehofft hatte.
Und so verglüht dieses Schuljahr wie ein Feuerwerk. Dieses Jahr hat ein Leben gedauert. Ich bin am ersten Schultag geboren und in nur zweihundert Tagen groß geworden und gealtert. Jetzt erwartet mich das Jüngste Gericht der Zeugnisse, und dann beginnt hoffentlich das Paradies der Ferien … Ich werde versetzt, und meine Noten sind gar nicht mal so übel.
Doch eines habe ich dank Beatrice begriffen: Ich kann es mir nicht leisten, auch nur einen einzigen Tag meines Lebens zu vergeuden. Ich dachte, ich hätte alles, doch ich hatte nichts, im Gegensatz zu Beatrice, die nichts hatte, und dennoch alles.
Mit Niko und den anderen habe ich nicht mehr geredet. Wegen mir haben wir das Turnier verloren. Ich habe nie gesagt, was passiert ist. Es ist mir wurscht. Total wurscht. Silvia hat mir einen Brief gegeben, aber ich mach ihn nicht auf. Ich will ihn nicht lesen. Ich habe nicht den Mut, schon wieder zu leiden.
Barba, der Hausmeister, schaut zur Tür herein und sieht mich reglos dasitzen und ins Leere starren.
»In drei Jahren habe ich dich noch nie als Letzten rausgehen sehen. Was ist los? Haben sie dich nicht versetzt?«
»Nein, ich hab nur nachgedacht …«
»Na, dann ist also tatsächlich ein Wunder geschehen!«
Wir lachen zusammen, und ein Klaps auf die Schulter muss genügen, um ins Leben zurückzukehren.
Ich bin schon halb den Flur hinunter, als ich mich umdrehe und ihm zurufe:
»Nicht wegwischen!«
Die Schule ist eine verkehrte Welt: Hier steht nichts schwarz auf weiß, sondern umgekehrt. In der Schule dient alles dazu, vergessen zu werden, wie weißer Kreidestaub.
Barba hat mich nicht gehört, und der Tafelschwamm, Waffe zahlloser Schlachten, fährt unerbittlich über die Hoffnungen eines Träumers.