Der Träumer kommt rein. Ich glaub’s nicht. Ein Lehrer, der einen Schüler im Krankenhaus besucht. Zumal ’ne Vertretung. Ich fühle mich wie ein König, der mit dem Finger den Himmel berührt, oder so ähnlich. Der Träumer setzt sich neben mein Bett und erzählt mir von der Schule. Tests, Hausaufgaben und noch das eine oder andere vom Unterricht. Wir sind auf den letzten Metern, die Weihnachtsferien stehen vor der Tür. Die Tafel ist wieder mit silbernen Girlanden geschmückt, und Barba, der Hausmeister mit dem langen, dicken Rauschebart, in dem ’ne Menge Christbaumkugeln und Elektrokerzen Platz hätten, hat seinen halb verreckten Weihnachtsbaum aufgestellt. Ich sehe ihn regelrecht vor mir; schade, dass ich ausgerechnet dann, wenn’s mal lustig ist, nicht in der Schule sein kann.
Der Träumer erzählt mir, dass er sich in meinem Alter auch den Arm gebrochen hat, beim Fußballspielen. Er zeigt mir die Narbe, die ihm von der Operation geblieben ist. Ich musste zum Glück nicht operiert werden und war nicht bei Bewusstsein, als sie mir den Knochen zurechtgerückt haben. Der Schlaf erspart einem eine Menge Schmerz. Das Problem ist nur, wenn man aufwacht.
Aber der Träumer ist wirklich lustig, weil er die Dinge erzählt wie jeder andere auch. Nämlich ganz normal. Er führt ein Leben wie ich. Er erzählt mir sogar einen Witz, der zwar nicht lustig ist, aber ich lache trotzdem, um ihn nicht zu kränken. Er fragt mich, wie es um meinen Traum steht, und ich sage ihm, an welchem Punkt ich bin. Und dass mit dem Unfall alles vor die Hunde gegangen ist und ich nicht weiß, ob ich weitermachen will, weil jedes Mal, wenn ich mich dahinterklemme, etwas Blödes passiert: erst Beatrice, dann ich. Der Träumer lächelt und sagt, dass das zu einem wirklichen Traum dazugehört.
»Wirkliche Träume brauchen Hindernisse. Sonst werden aus ihnen niemals Pläne. Genau das ist der Unterschied zwischen einem Traum und einem Plan: die Hiebe, wie in der Geschichte meines Großvaters. Träume sind nicht einfach da, sie offenbaren sich nach und nach und vielleicht anders, als wir sie uns erträumt haben …«
Der Träumer will damit sagen, dass ich mich glücklich schätzen kann, mit kaputtem Rücken im Bett zu liegen! Ich glaube ihm nicht und sage es ihm.
»Das habe ich nicht bezweifelt.«
Wir lachen. Doch er erklärt mir, dass ich in diesem Bett liege, weil ich gerade dabei war, etwas ganz Besonderes zu tun, ich wollte den Brief überbringen und meinen Traum wahr machen. Und wenn ein Traum auf so viele Hindernisse stößt, bedeutet das, dass er der richtige ist. Seine Augen leuchten. Als ich mich von ihm verabschiede, nenne ich ihn aus Versehen Träumer. Er lacht und sagt, er hat schon gewusst, dass ich ihn so nenne. Er geht, und ich beiße mir auf die Lippen, weil der Träumer alles okay findet, sogar Spitznamen. Wer hat eigentlich behauptet, dass man ein Kotzbrocken sein muss, um Autorität zu haben?
Der Besuch meines Lehrers hat mir gute Laune gemacht: Ich habe Lust, hier rauszukommen, mit meinen Eltern am Abendbrottisch zu sitzen, mit Terminator Gassi zu gehen, mit Niko Musik zu machen, mit Silvia zu lernen, Beatrice zu küssen … Aber ganz tief in mir drinnen macht mich der Träumer auch wütend, weil – allein der Gedanke macht mich stinkig – ich sein will wie eine saucoole Geschichte- und Philovertretung.