Damals …
»Was soll das denn für eine Mutprobe sein?«, fragt Fränkie, der die Idee eigentlich ganz lustig findet. »Aber nichts echt Gefährliches, oder?«
»Er könnte Frösche essen oder so«, schlägt Kupfer vor, und dabei steht ihm die Vorfreude ins Gesicht geschrieben. »Der macht das bestimmt. Ich schmeiß mich weg.«
»Quatsch.« Fozzie winkt missbilligend ab. »Das muss schon was sein, wofür man wirklich Mut braucht.«
»Das ist eine bescheuerte Idee.« Manu wedelt mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. »Warum lasst ihr den armen Kerl nicht in Ruhe?«
»Hey, wer läuft denn hier wem seit Wochen nach? Der nervt doch ohne Ende. Wenn wir nichts dagegen tun, werden wir den nie los. Die Mutprobe muss so sauschwer sein, dass er sich nicht traut, dann gibt er es bestimmt auf.«
»Ich find’s trotzdem bescheuert«, beharrt Manu. »Ich habe auch keine Mutprobe machen müssen. Du etwa?«
»Ich bin ja auch kein Idiot.«
»Glaubst du«, sagt Fränkie lachend, woraufhin Fozzie ihm so fest gegen den Oberarm boxt, dass es sicher einen großen blauen Fleck geben wird.
»Ach, nun kommt schon, ist doch eh saulangweilig heute. Das wird ein Mörderspaß. Und ich hab sogar schon eine Idee, was er machen soll.«
Fast zehn Minuten später stehen sie wieder vor Festus, der noch an genau der gleichen Stelle vor dem Eingang ihres Hauptquartiers auf sie wartet. Die Hände hat er tief in den Taschen seiner Hose vergraben, sein Oberkörper wippt rhythmisch vor und zurück, als bewege er sich zu einer Melodie, die nur er hören kann. Manu ist noch immer gegen diesen Schwachsinn, wie sie Torstens Idee genannt hat, aber nachdem auch Fränkie schließlich dafür ist, steht sie mit ihrer Meinung alleine da.
»Hey, Festus«, beginnt Fozzie. »Sag mal, ist es dir ernst damit, dass du bei uns mitmachen möchtest?«
»Jaaa.« Festus nickt so heftig mit dem Kopf, dass er das Gleichgewicht verliert und fast hinfällt.
Fozzie zwinkert Fränkie und Kupfer feixend zu, Manu übergeht er. »Also gut. Obwohl wir eigentlich niemanden mehr aufnehmen wollten, werden wir bei dir eine Ausnahme machen, wenn du eine Aufgabe lösen kannst.«
Festus schaut ihn mit offenem Mund an, und in seinem Gesicht steht deutlich geschrieben, dass er gerade überfordert ist.
»Du kannst mitmachen, wenn du eine Mutprobe bestehst, Festus«, erklärt Fränkie deshalb, und schiebt all seine anfänglichen Bedenken endgültig beiseite.
»Au ja«, ruft Festus freudig aus. »Zweifünf?«
»Quatsch. Keine Rechenaufgabe. Eine echte Mutprobe«, übernimmt Fozzie nun wieder. Es scheint, als wolle er seine Idee unbedingt selbst vorbringen. »Also, pass auf, Festus.« Er zeigt nach oben, wo in etwa zehn Metern Höhe das Dach die Halle überspannt. »Dummerweise wird die Halle in ein paar Tagen abgerissen. Wäre doch toll, wenn dann unsere Fahne da oben wehen würde. Also, deine Aufgabe: Klettere auf das Hallendach und stell unsere Fahne auf, dann gehörst du zur Bande.«
Festus schaut nach oben, wobei sein Unterkiefer wieder herunterklappt, und auch die Augen von Manu, Fozzie, Kupfer und Fränkie richten sich in die Höhe.
Auf mächtigen, leicht gebogenen Querbalken, die wie die Wirbelsäule eines platten Monsterfisches aussehen, ruht ein enges Lattengerüst, das die Dachziegel trägt, oder besser: an manchen Stellen einmal getragen hat. Dort klaffen Lücken, durch die man den strahlend blauen Himmel sehen kann. Reste der fehlenden Ziegel und abgebrochene Lattenstücke liegen auf dem schuttübersäten Hallenboden herum. Alles in allem macht das Dach einen recht baufälligen Eindruck, was wohl mit ein Grund dafür ist, dass die Halle abgerissen werden soll.
Festus senkt den Blick und schaut an ihnen vorbei zum Eingang des Hauptquartiers. Dort steckt in einem aufrecht stehenden Rohrstück eine Holzlatte mit ihrer Bandenfahne daran, ein etwa ein Quadratmeter großer weißer Stofffetzen, auf den sie einen Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen darunter gemalt haben. Nach einer Weile schaut er Fozzie traurig an. »Kann ich nicht.«
Fozzie zieht die Stirn kraus. »Wie, das kannst du nicht? Ich dachte, du wolltest wirklich bei uns mitmachen. Jeder von uns würde das sofort tun.«
Fränkie kann das Gefühl, das in diesem Moment in ihm hochsteigt, nicht beschreiben. Erst später wird er wissen, dass es eine tiefe Scham ist, die er empfunden hat.
»Aber … kann nicht.«
Fozzie macht ein bedauerndes Gesicht, nickt langsam und wendet sich an Fränkie. »Siehst du, ich hab dir doch gesagt, wir können Festus nicht mitmachen lassen, weil er keinen Mut hat.«
»Aber … zweifünf«, sagt Festus leise. Er sieht sie nacheinander an, schaut hinüber zur Fahne, hoch zum Dach. Seine Schultern sinken herab, und er wendet sich ab. Laut sagt Fozzie: »Schade, aber Feiglinge können wir nicht aufnehmen.« Festus bleibt noch einmal stehen und betrachtet lange die baufällige Dachkonstruktion über ihren Köpfen. Dann geht er mit gesenktem Kopf weiter und verschwindet Sekunden später durch das glaslose Fenster, das die vier wieder von der Holzplatte befreit haben, die die Feuerwehr nach ihrem Einsatz angebracht hatte. Frank schaut ihm stumm nach.
Es ist das letzte Mal, dass er Festus sieht.