Ein ordentlicher Aufbruch
Sie haben also den Speer geworfen?“, meinte Pimm und passte sich Ellies Schritt an, als sie das Lagerhaus verließen. Die Königin ging natürlich voran, zu ihrer Rechten Ben, den sie sich anscheinend als Leibwächter gewählt hatte. Das behagte Ben offensichtlich gar nicht. In den Händen trug er zwei der schweren Batterien, die sie aus den beiden anderen mysteriösen Maschinen geborgen hatten. Winnie hatte damit wohl noch etwas vor. Sie war die Letzte und schien in Gedanken versunken. Wahrscheinlich entwarf sie im Geiste gerade Geräte, die ein elektrisches Chaos verursachen sollten. „Gut gemacht“, sagte Pimm. „Ich hatte vom ersten Augenblick an das Gefühl, dass Sie herrlich gefährliche Eigenschaften besitzen.“
Nicht zum ersten Mal dachte Ellie, wie ungerecht es war, dass man Erröten nicht unterdrücken konnte. „Winnie beharrte darauf, dass sie entsetzlich schlecht zielen könnte, deshalb habe ich es versucht. Es war keine große Herausforderung, das Geschöpf war so groß wie ein Scheunentor und so nahe ans Licht heran gerutscht, dass ich gut erkennen konnte, wie es dort lauerte.“
„Ich werde dem Drang widerstehen, Sie Queequeg zu nennen“, meinte er.
Hinter ihnen lachte Winnie. „Du weißt wirklich, wie man einem Mädchen Komplimente macht, Pimm!“
Doch Ellies Miene hellte sich bei seiner Bemerkung auf. „Dann haben Sie also Mr. Melvilles ‚Der Wal‘ gelesen?“
Pimm räusperte sich. „Nun ja. Tatsächlich hat Freddy es mitgebracht. Sie liest leidenschaftlich gern Romane, aber ich habe Auszüge davon gelesen, und auch nur aus dem ersten Band. Ich muss gestehen, dass ich gewisse Abschnitte, die sich mit den Einzelheiten des Segelns befassen, kaum weniger ermüdend fand als jene Stellen mit theologischen Überlegungen.“
Ellie nickte. „Ich habe mich in der Kritik, die ich für den Argus geschrieben habe, zur Langatmigkeit des Autors bei diesen Themen geäußert, aber nichtsdestotrotz ist es ein lesenswertes Buch. Es enthält sehr viel Wissenswertes über ungesunde Fixierungen. Man sollte sich niemals die Gelegenheit entgehen lassen, Neues zu lernen, finde ich. Sehen Sie sich die Geschichte doch noch einmal an, dann könnten wir uns darüber unterhalten.“
„Erzählen Sie mir einfach, fängt der verrückte Kapitän jemals seinen großen Fisch?“
„Ich werde Ihre Neugierde nicht stillen. Sie werden es selbst lesen müssen.“
Sie traten alle hinaus ins schwindende Tageslicht und blinzelten in die nebelverhangene Sonne.
„In dieser Gegend eine Droschke zu finden, dürfte schwierig werden“, meinte Pimm.
„Carrington hat uns in einer Kutsche hergebracht“, sagte Winnie. „Dieser grässliche Crippen hat die Pferde irgendwo hingeführt. Oswald ist allein gekommen. Vielleicht ist die Kutsche, die uns befördert hat, noch hier?“
„Ich weiß, wo die Pferde untergebracht sind“, meinte Ben. „Irgendwo dort hinten.“
Sie wanderten um das Lagerhaus herum, bis sie einige schäbige Ställe fanden und auch die armen Pferde, die noch immer vor die Kutsche gespannt waren. Ben sah sich um und befand, dass die Luft rein sei. „Ist Eurer Majestät dieses Gefährt genehm?“, fragte Pimm. „Bedauerlicherweise werden wir alle zusammen fahren müssen.“
„Es wird seinen Zweck erfüllen“, sagte die Königin und rümpfte ein wenig die Nase.
Pimm öffnete die Kutschentür, dann schreckte er plötzlich zurück. „Ben“, flüsterte er, und Ellie trat vor, um in die Kutsche zu spähen.
Darin saß „Crippler“ Crippen. An eine Wand der Kutsche gelehnt schlief er tief und fest, während ein Speichelfaden an seinem Kinn herablief.
„Oh“, meinte Ben. „Gestatten Sie.“ Er legte die Batterien ab, griff in die Kutsche, packte den ehemaligen Preisboxer an den Knöcheln und zog ihn mit einer einzigen Bewegung nach draußen. Crippens Hinterkopf schlug auf dem Sitz auf, dann auf dem Boden der Kutsche, auf dem Trittbrett und schließlich auf der Erde. Der Boxer kreischte und wedelte mit den Armen, bis Pimm seine Pistole spannte und auf ihn hinab zielte.
„Och, Ben“, sagte Crippen, rieb sich den Kopf und sah zu dem Riesen auf, der seine Knöchel festhielt. „Was hat denn das zu bedeuten?“
„Ich habe die Seiten gewechselt, Crip“, meinte Ben. „Leider werde ich dich fesseln müssen. Hast du vor, uns Ärger zu machen?“
Crippen seufzte. „Selbst zu meinen besten Zeiten bin ich nie mehr als einem Mann im Ring begegnet, und niemals einem Bewaffneten.“ Er sah Pimm hoffnungsvoll an. „Darf ich das so verstehen, dass Sie Helfer einstellen, Sir? Sir Bertram bezahlt mich recht gut, aber ich bin für andere Angebote offen.“
„Leider habe ich im Augenblick keine freien Stellen“, sagte Pimm. „Wir werden Sie einfach fesseln und in den Stall legen, in Ordnung?“
„Versprich mir nur, dass du später jemanden vorbeischickst, um mich zu holen, Ben“, sagte Crippen. „In letzter Zeit ist es nachts so fürchterlich kalt.“
Ben warf Pimm einen Blick zu. Dieser nickte. „Ist schon so gut wie erledigt“, meinte Ben und machte sich daran, seinen alten Kumpan mit einem Stück rauem Seil zu fesseln, das über die Wand einer Pferdebox gehängt war.
Ellie zog Pimm beiseite. „Dieser Mann hat mich mit einem Messer angegriffen. Ich verstehe, dass wir weitere Gewalt vermeiden wollen, aber ihn einfach freizulassen …“
Pimm blinzelte. „Aber nein. Ich werde in der Tat jemanden schicken, um ihn zu holen, aber bei diesem Jemand wird es sich um einen Polizisten handeln. Allerdings ist es wahrscheinlich am besten, wenn wir das ihm gegenüber nicht erwähnen.“
Ellie lachte erleichtert. „Ich hätte nie an Ihnen zweifeln sollen.“
„Oh doch. Es ist immer klug, an mir zu zweifeln. Das ist der beste Weg, nicht enttäuscht zu werden.“
* * *
Ellie hätte nie geglaubt, dass sie einmal mit einer Königin in einer Kutsche fahren würde, und die Erfahrung war anders, als sie erwartet hätte. Schließlich war die Königin ein nörglerischer, dicker Mann, wenn auch unbestreitbar majestätisch. Winnie und Ellie saßen Ihrer Majestät gegenüber. Pimm saß auf dem Kutschbock, zusammen mit Ben, der die Pferde durch die Stadt zu Pimms Haus lenkte. Die Eröffnungsfeier der Ausstellung sollte kurz vor Sonnenuntergang im Hyde Park beginnen. Einige Effekte waren im Dunkeln angeblich besonders spektakulär, wie auf den Flugblättern, die das große Ereignis bewarben, versprochen wurde.
Ellie hatte Sorge, dass sie nicht rechtzeitig ankommen würden, ehe Oswald seinen Plan in die Tat umsetzen konnte. Doch Winnie bestand darauf, erst bei ihrem Haus vorbeizufahren. „Es sei denn, ihr wollt Oswald mit einem Gehstock und einer Pistole bekämpfen?“ Als sie ankamen, öffnete Winnie selbst den Kutschenschlag, worüber sich die Königin missbilligend äußerte. Winnie stieg aus, während Pimm schon mit den Batterien auf sie wartete. „Ich werde ein wenig Zeit brauchen, um alles vorzubereiten“, sagte Winnie. „Ihr solltet schon einmal ohne mich zum Park weiterfahren. Haltet nach Maschinen Ausschau, die aus Messing und Kristall bestehen, und schlagt sie kaputt. Wenn ihr nur eine davon zerstört, dürfte das ausreichen, um Oswald daran zu hindern, sein Portal zu öffnen. Mit etwas Glück können wir das Erscheinen der Monster vollständig verhindern. Falls nicht, ich komme schon bald mit den Waffen nach.“
„Noch mehr Harpunen?“, fragte Ellie.
„Oh, ich glaube, mir ist etwas Besseres eingefallen. Erinnerst du dich an diese schreckliche Maschine, die wir gesehen haben, als sie noch im Bau war? Ich werde dort in der Nähe warten. Ich komme, so schnell ich kann.“
„Vielleicht wäre Eure Majestät damit einverstanden, in meinem Haus zu verbleiben?“, fragte Pimm und beugte sich in die Kutsche. „Es besteht kein Anlass, Euch überstürzt einer Gefahr auszusetzen.“
„Wir sollten bei dieser Ausstellung zugegen sein“, sagte die Königin. Ihr Doppelkinn bebte vor unterdrückter Wut. „Wir werden dort sein, und Wir gedenken den Hochstapler, der sich erdreistet, Unseren Platz einnehmen zu wollen, öffentlich zu verurteilen.“
Pimm schloss kurz die Augen, ein Zeichen, dass er versuchte, sich zu beruhigen, wie Ellie wusste. Er öffnete die Augen wieder, lächelte und nickte. „Natürlich, Eure Majestät. Eure Anwesenheit wäre mir eine Ehre.“
„Lasst euch nicht fressen, bevor ich ankomme“, meinte Winnie und tätschelte Pimm die Wange, ehe sie mit den Batterien unterm Arm zur Eingangstür eilte.
„Mal wieder auf ins Gefecht“, sagte Pimm und schloss den Kutschenschlag.
„Ich werde ihn wohl zum Ritter schlagen müssen, falls er überlebt“, murmelte die Königin. Sie schien mit sich selbst zu sprechen, zumindest vermutete Ellie das aufgrund der Tatsache, dass sie „ich“ anstatt „Wir“ sagte.