Äußerst unbefriedigende Dienste

Steampunk_Element_Trenner.psd

Dieses Mal fand das Treffen im Hinterzimmer der Black Dog Tavern in der Nähe der Blackfriars Bridge statt. Es schien eine Art Hauptquartier für Value zu sein, der über einen kleinen Schreibtisch voller Papiere gebeugt saß. Hinter ihm ragte Big Ben in die Höhe, sein Kopf berührte beinahe die Decke. „Guten Morgen, Mr. Value.“ Pimm setzte sich auf einen der klapprigen Holzstühle vor dem Schreibtisch. Er nickte dem Riesen zu. „Ben.“

„Morgen, wirklich?“ Value sah nicht von dem Haufen Papiere auf, die er gerade überflog. „Wohl eher Nachmittag.“

„Ich hatte schon immer ein sehr schlechtes Zeitgefühl“, meinte Pimm freundlich. „Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass Ihr Mörder enttarnt wurde.“

Value sah auf und nahm seinen Zwicker ab. „Ben hat mir von Ihren Abenteuern erzählt“, sagte er. „Zumindest den Teil, den er miterlebt hat. Adams konnte also einen Hinweis auf die Identität des Mörders finden, als er das neue Opfer untersuchte?“

„Das konnte er allerdings. Die Hinweise führten mich direkt zum Mörder.“

„Sind Sie sicher, dass Sie den richtigen Mann gefunden haben?“

„Absolut sicher. Er hat mir die Morde persönlich gestanden. Wie ich vorausgesagt hatte, war es tatsächlich jemand, der an Ihrem Geschäft beteiligt war.“

„Ich brauche seinen Namen.“

„Gewiss doch. Thaddeus Worth.“

Value war sehr geübt darin, seine Gefühle zu verbergen und zeigte im Allgemeinen nicht mehr Ausdruck als eine Eidechse auf einem Stein. Doch nun zuckte er sichtlich zusammen und erblasste. „Das muss ein Irrtum sein“, murmelte er. „Thad … Thad würde niemals …“

Pimm wischte etwas Staub von seinem Hosenbein und ordnete seine Gedanken. Jetzt noch ein wenig Wahrheit unter die Lüge mischen, um sie glaubwürdiger erscheinen zu lassen. „Anscheinend erkrankte seine Frau an Morbus Konstantin und verließ ihn daraufhin. Ich nehme an, dass er das den Prostituierten anlastete, da er sich die Krankheit bei einer von ihnen zugezogen haben muss. Vermutlich war es eine von Ihren Frauen, oder er wusste einfach, wo er Ihre Frauen finden konnte, weil er in diesem Zweig Ihres Geschäfts bereits tätig gewesen war. Ich habe gehört, er sei Zuhälter gewesen. Ich kann nicht mit Gewissheit sagen, warum er die toten Frauen vor Ihren Türen hinterließ. Jedoch nehme ich an, es ist nichts Neues für Sie, dass ein Angestellter einen Groll gegen Sie hegt.“

Value drehte sich auf seinem Stuhl um. „Ben. Ich will, dass du Thad … Mr. Worth … zu mir bringst, hierher, so schnell du …“

„Leider wird das nicht möglich sein“, sagte Pimm. „Mr. Worth befindet sich in Polizeigewahrsam.“

Value starrte ihn an, seine Augen zu Schlitzen zusammengekniffen. „Was?“

„Er hat mir einen Mord gestanden, mehrere Morde sogar, wie ich schon sagte. Angesichts solcher Informationen erschien es mir vernünftig, die Polizei zu rufen.“

Value seufzte. „Wie außerordentlich komisch, Lord Pembroke. Sie wollen ihn vor meiner Vergeltung bewahren? Wie edel. Natürlich wird es keine Beweise für die Verbrechen geben, die er gestanden hat, da meine Leute alle Leichen haben verschwinden lassen, und man wird ihn als Irren abtun. Vor allem wenn einige meiner Leute vortreten und bezeugen, dass er seit dem Verschwinden seiner Frau geistig verwirrt war.“

Pimm räusperte sich. „Tatsächlich gibt es eine Leiche. Haben Sie gehört, dass es letzte Nacht in der Nähe des Flusses einen kleinen Tumult gab? Dass die Polizei dort herumlief? Sie haben Worths neuestes Opfer gefunden, an genau der Stelle, die er ihnen ausgewiesen hatte.“ Pimm spreizte die Hände. „Ich würde sagen, das genügt als Beweis.“

„Ben“, sagte Value mit zusammengebissenen Zähnen. „Du sagtest, ihr hättet die Leiche zu Adams gebracht.“

„Das haben wir auch, Sir. Aber was Lord Pembroke danach getan hat, das weiß ich nicht. Ich habe Ihnen direkt danach Bericht erstattet.“

Value grunzte. „Ich möchte wissen, wie Sie es geschafft haben, die Leiche transportieren zu lassen, Halliday. Ich werde wohl einmal mit Adams reden müssen.“

Pimm zuckte die Achseln. „Alles, was er tat, tat er auf meine Bitte hin. Sie haben ihn angewiesen, mit mir in allem zu kooperieren, daher ergibt es keinen Sinn, ihm die Schuld dafür zu geben.“ Pimm zögerte. „Sie hatten angedroht, den Leuten gewisse Geheimnisse über mich zu erzählen, Value, wenn ich Ihren Mörder nicht fände. Obwohl mir klar ist, dass ich unserer Abmachung nicht exakt gefolgt bin, so hoffe ich doch …“

Value lachte schnaubend. „Ihre Scheinehe interessiert mich nicht, Halliday. Es ist nicht anzunehmen, dass ich Zeit haben werde, Ihren Ruf zu ruinieren. Ich werde viel eher damit beschäftigt sein, um mein Leben zu laufen. Haben Sie auch nur die geringste Vorstellung, was Sie mir angetan haben?“

„Um Ihr Leben laufen? Das ist doch wohl etwas übertrieben, Sir. Ich habe einen Mann in Polizeigewahrsam gebracht, der ihr Geschäft kennt und den brennenden Wunsch hegt, im Austausch gegen sein Leben Informationen preiszugeben. Ja, das wird Ihnen leider einige Unannehmlichkeiten bereiten, doch solange er nicht Sie persönlich des Mordes anklagen kann, stellt das wohl kaum eine Gefahr für Ihr Leben dar.“

Value ließ ein leeres Lachen hören. „Sie Idiot. Wissen Sie, ich dachte mir schon, dass Sie etwas Derartiges tun würden. Die Polizei mit hineinziehen. Ich mache mir keine Sorgen bezüglich meiner Geschäftsinteressen. Es gibt keinen Beweis, dass ich in illegale menschliche Prostitution verstrickt bin, und was ist schon das Wort eines Mörders wert? Aber wenn ich gewusst hätte, dass es Thad … dass es Mr. Worth war, der diese Mädchen umgebracht hat, dann wäre ich damit anders umgegangen.“ Er schüttelte den Kopf. „Verschwinden Sie, Halliday. Ich muss Vorkehrungen treffen. Dringend.“

Pimm runzelte die Stirn. „Was könnte Worth denn schon der Polizei erzählen, das Ihren Tod bedeuten könnte? Ich habe nie geglaubt, dass Sie morden, Sir. Jedenfalls nicht persönlich.“

„Ich töte normalerweise niemanden. Ich habe bessere Methoden, mir Respekt zu verschaffen. Aber Worth kennt andere Geheimnisse, Halliday. Allein die Möglichkeit, dass er sie verrät, bringt mein Leben in Gefahr. In diese Stadt gibt es einige Männer, die weit mächtiger sind als ich. Wenn man mich tot auffindet, dann lassen Sie sich gesagt sein, dass Sie Schuld haben. Aber was interessiert es Sie, was mit irgendeinem alten Schurken geschieht?“

„Mr. Value, ich würde mir nicht wünschen, dass Sie ermordet werden. Natürlich möchte ich, dass Ihre kriminellen Unternehmungen ein Ende haben, aber keinesfalls will ich Ihren Tod. Wenn Sie mächtige Feinde haben, kann die Polizei Sie schützen im Austausch gegen Informationen.“

„Sie haben nicht die leiseste Ahnung, wie falsch Sie da liegen, Lord Pembroke. Bitte, gehen Sie.“

Pimm musste an Ellies rätselhafte Bemerkungen in der vorigen Nacht denken und sagte: „Hat es etwas mit Bertram Oswald zu tun? Ist er der mächtige Mann?“

„Ben!“, bellte Value. „Begleiten Sie den kleinen Lord hinaus. Er scheint nicht zu verstehen, wann er entlassen ist!“

Pimm erhob sich und hob beschwichtigend die Hände, ehe Ben ihn holen kam. „Ich gehe schon. Aber Mr. Value, lassen Sie mich wissen, wenn ich Ihnen helfen kann.“

„Sie haben schon genug geholfen.“

Als Pimm das Wirtshaus verließ und an den traurigen Mittagstrinkern vorbeiging, sehnte er sich mehr denn je nach einem Drink. Er hatte begonnen, Trost im Alkohol zu suchen, nachdem Adelaide gestorben war, um den Schmerz zu betäuben. Seitdem hatte er nicht mehr aufgehört. Whiskey war für ihn das beste Mittel gegen jede seelische Unruhe geworden und machte ihn stets angenehm ausgeglichen. Doch das hier war eine Unruhe, die ihm neu war. Selten oder nie hatte er erlebt, dass er nach der Aufklärung eines Verbrechens noch verwirrter war als zuvor. Diese Erfahrung missfiel ihm. Wovor hatte Value Angst? Welches Geheimnis kannte Worth, das Values Leben in Gefahr bringen konnte? Pimm war nicht gut im Rätseln. Zum Glück kannte er Menschen, die er fragen konnte.

Die Frage war nur, ob sie ihm antworten würden.

Während er lief, fiel ihm ein ungepflegter, schwarzhaariger Mann aus dem Wirtshaus auf, der ihm in unauffälligem Abstand folgte. Pimm bog wie zufällig einige Male in verschiedene Straßen ein und machte sogar kehrt und ging denselben Weg zurück, doch der Mann folgte ihm weiter. Hatte Value ihn geschickt? Oder einer von Values „mächtigen Männern“?

Pimm tauchte in einer Gasse unter und kauerte sich hinter eine kaputte Holzkiste. Wenige Augenblicke später schlich sich sein Verfolger ebenfalls herein. Als er an ihm vorbeiging, rammte Pimm dem Mann seinen Gehstock zwischen die Knöchel, schwenkte ihn nach vorn und riss den Kerl von den Beinen. Mit einem lauten Aufprall ging er zu Boden und stöhnte. Pimm stand vor dem jungen Mann und drückte ihm den metallenen Griff seines Stocks gegen den hervorstehenden Adamsapfel. „Dieser Stock ist elektrisch“, sagte Pimm beinahe im Plauderton. „Ich kann die Batterie an deiner Kehle entladen, aber ich möchte dich ungern töten, ehe du mir ein paar Fragen beantwortet hast. Warum folgst du mir?“

„Ein Mann hat mich dafür bezahlt“, sagte der Bursche und hielt die Hände hoch. „Er hat mir nicht gesagt warum. Meinte nur, ich sollte rausfinden, wo Sie hingehen, und es ihm dann berichten.“

„Welcher Mann?“

„Weiß nich’, wer er ist. Jung, jünger als Sie. Hatte ’nen schönen Anzug an.“

„Mmm“, sagte Pimm. Das klang nicht nach Value oder Oswald, aber es hätte auch einer ihrer Angestellten sein können. Was sinnvoll war, denn keiner von beiden würde persönlich einen Schläger anheuern. „Wo sollst du Bericht erstatten?“

Der Mann nannte ihm ein Wirtshaus, aber es war nicht das Black Dog. Pimm ging im Kopf seine Möglichkeiten durch. Er konnte mit dem Mann zu dem Wirtshaus gehen und die Person, die ihn angeheuert hatte, zur Rede stellen. Doch diese Person war höchstwahrscheinlich nur ein weiterer Schläger, der Befehle ausführte. Selbst wenn dieser Mann ihn zu Oswald führte, was würde das bringen? Er wusste überhaupt nichts über den Mann. Jedenfalls nicht mehr als jeder andere, der gelegentlich die Zeitung las. Ganz gewiss wusste er nichts, das Oswald mit Value in Verbindung brachte. Er brauchte mehr Informationen. Pimm traf eine Entscheidung.

„Es wäre mir sehr recht, wenn du mir nicht weiter folgen würdest“, sagte er. „Wie wäre es mit, sagen wir, zehn Pfund? Wäre das genug? Dann kannst du wieder zurück zu deinem Zahlmeister gehen und ihm sagen, dass ich leider so schlau war, dir durch die Lappen zu gehen. Was hältst du davon?“

„Ich … ich denke, das wäre in Ordnung“, sagte der Mann. Er hörte sich an wie jemand, der einen Tritt erwartet hat und stattdessen entgegen aller Logik einen Kuss bekommt.

„Guter Mann“, sagte Pimm. „Dein Unternehmergeist gefällt mir.“