Lebende, Tote und Andere
Sie gehen jetzt besser, Jenkins“, sagte Lord Pembroke. Sie standen in Worths Eingangshalle, und er half ihr in den geliehenen Mantel. „Ich kann kaum meine eigene Anwesenheit hier begründen, und mir fällt auch keine Begründung ein, die die Polizei fraglos hinnehmen würde. Aber Ihre Anwesenheit würde alles noch schwieriger machen, vor allem, da Ihr Schnurrbart inzwischen doch sehr lose sitzt.“
Ellie gähnte hinter vorgehaltener Hand. „Ich war dabei, als Mr. Worth von einem Tatort floh. Ich könnte als Zeugin dienen.“
„Das ist kaum nötig, da er ja gestehen will. Abgesehen davon gibt es auch keine Tat mehr, weil wir die Leiche fortgeschafft haben. Ich werde mich darum wohl noch kümmern müssen. Ein Verbrechen ohne Opfer ist schwer zu verfolgen. Wie auch immer. Nur weil ich für lange Zeit keinen Schlaf bekommen werde, heißt das nicht, dass Sie ebenfalls wachbleiben müssen.“
„Ich begleite Sie sehr gern.“ Sie unterdrückte ein weiteres Gähnen, diesmal weniger erfolgreich. „Das war ein sehr interessanter Abend.“
„Für mich ebenfalls. Kommen Sie ohne Schwierigkeiten nach Hause?“
„Um diese Uhrzeit? Leider ist die Tür zu meinem Apartmenthaus nachts fest verschlossen, und nur ein Engel des jüngsten Gerichts mit seiner Trompete könnte meine Vermieterin dazu bewegen, nach Mitternacht noch zu öffnen. Aber das macht nichts. Ich habe einen Schlüssel für die Redaktion. Es wäre nicht die erste Nacht, die ich schlafend am Schreibtisch verbringe.“
Lord Pembroke sah entsetzt aus. „Nichts da! Nein, Sie müssen in meinem Haus übernachten. Ich weiß nicht, wann ich heimkomme, aber ich schreibe Ihnen einen Brief an meine Frau.“
„Ich kann doch nicht so aufdringlich sein! Ihre Frau zu wecken …“
„Ha! Winifred ist eine Nachteule, Miss … ähm, Jenkins, und es gibt nichts, das sie lieber hat, als aus ihrer Routine gerissen zu werden. Unsere Wohnung hat ein Gästezimmer, das sicherlich wesentlich bequemer als ihr Schreibtisch ist.“
Ellie suchte nach weiteren Einwänden, obwohl die Vorstellung, Lord Pembrokes Frau kennenzulernen, sie in Wahrheit faszinierte. Sie konnte den Grund dafür nicht genau benennen. Es war jedenfalls nicht nur ihre übliche Neugier. Was konnte das für eine Frau sein, die einen solchen Mann heiratete? „Aber meine Aufmachung …“
„Sie ist ein wenig unpassend“, sagte er. „Aber unser Haus liegt recht abgeschieden, und wir haben derzeit keine Diener. Meinen Kammerdiener, der gleichzeitig auch unser Butler war, hat es in angenehmere Gefilde gezogen, wie Sie ja wissen. Ich denke, Sie können hineinschlüpfen, ohne einen Skandal auszulösen. Wenn jemand Fragen stellt, behaupten Sie einfach, Winifreds Bruder zu sein, der sie besuchen kommt, um zu sehen, wie es ihr im Hafen der Ehe gefällt. Niemand in London kennt ihre Familie.“
Ellie neigte zustimmend den Kopf. „Sie sind zu freundlich, Lord Pembroke.“
„Bitte nennen Sie mich Pimm. Nach allem, was wir heute Nacht durchgemacht haben, wäre ein wenig Ungezwungenheit doch sehr willkommen, meinen Sie nicht auch?“
„Dann nennen Sie mich Ellie.“
„Es wäre mir eine Ehre. Nun lassen Sie mich kurz eine Mitteilung an meine Frau schreiben, damit ich ihr erklären kann, wer Sie sind und dergleichen.“ Während er etwas auf ein Blatt kritzelte, das er auf Worths Schreibtisch gefunden hatte, fragte er: „Warum haben Sie Mr. Worth über Bertram Oswald befragt?“ Seine Stimme klang dabei so beiläufig, dass sie wusste, es interessierte ihn brennend.
„Das ist kompliziert. Ich habe Oswalds Namen vorher nicht erwähnt, weil er mir für die Jagd nach dem Mörder wenig bedeutsam erschien, und den Mörder zu fassen, war sicherlich wichtiger als alles andere. Jedoch habe ich Grund zu der Annahme, dass Oswald irgendeine Verbindung zu Mr. Value hat. Ich bin neugierig, herauszufinden, welcher Art und wie weitreichend diese Verbindung ist.“
Lord Pembroke pfiff durch die Zähne. „Wirklich? Haben Sie die beiden zusammen gesehen?“
„Ich …“ Sie musste lachen. Die bloße Vorstellung, ihm von ihrem Besuch im mechanischen Bordell zu erzählen, war ihr peinlich, aber gleichzeitig auch merkwürdig erregend. Sie nahm sich zusammen. Er war verheiratet, und sie war eine alte Jungfer. Das hier war rein geschäftlich. „Wenn ich sage, dass es kompliziert ist, übertreibe ich nicht. Es würde etwas Zeit in Anspruch nehmen, Ihnen diese Geschichte zu erzählen.“
„Ich würde sie nur zu gern hören“, sagte Lord Pembroke. „Es gibt nicht viele Gründe, weshalb jemand von Sir Bertrams Stand mit jemandem wie Value in Beziehung stehen sollte. Keiner dieser Gründe ist sonderlich sauber. Wenn ich Sie wäre, würde ich die Fakten ganz genau überprüfen, ehe ich einen Artikel schreibe, der zwei so bekannte Persönlichkeiten miteinander in Verbindung bringt. Selbst wenn ich mir sicher wäre, dass die Fakten stimmen, würde ich mir dennoch gut überlegen, ob ich den Zorn eines Mannes auf mich ziehen wollte, der angeblich der Liebhaber der Königin ist. Sicher nicht, nur um einige Zeitungen zu verkaufen.“
„Oh, ich würde ihn nicht unter meinem echten Namen veröffentlichen, keine Sorge.“ Sie lächelte, um die Situation aufzulockern, doch Lord Pembrokes Gesicht blieb ernst.
„Wenn jemand wie Oswald Sie finden will, Ellie, dann wird er das auch. Ein Pseudonym wäre ein unzureichender Schutz gegen seine Angriffe.“
Die Worte erschreckten sie. Crippen hatte sie heute Nacht erkannt, in ihrer männlichen Verkleidung zumindest. Er würde Oswald sicherlich mitteilen, dass Lord Pembroke in Gesellschaft desselben Mannes gesehen worden war, der ihn im Bordell entdeckt hatte. Brachte Ellie auch Lord Pembroke in Gefahr, wenn sie diese Verbindung für sich behielt? „Vielleicht wäre es wirklich das Beste, wenn ich Ihnen die ganze Geschichte erzähle“, sagte sie und gähnte tief.
Lord Pembroke nickte. „Ich würde mich freuen, sie zu hören, wie ich schon sagte. Aber nicht heute Nacht. Ich habe noch viel Arbeit vor mir, und Sie brauchen etwas Schlaf. Wir werden uns morgen unterhalten, einverstanden?“
Zehn Minuten später stieg Ellie in die wartende Droschke. Falls der Kutscher sich fragte, was sie und Lord Pembroke in dem Haus getan hatten oder warum nur Ellie wegfuhr, so zeigte er es nicht. Sie gab ihm Lord Pembrokes Adresse, und er gab dem Pferd die Zügel und ließ es über die Pflastersteine traben.
Trotz der schlimmen Ereignisse, deren Zeugin sie in dieser Nacht geworden war, gestattete Ellie sich unter ihrem wackligen Schnurrbart ein kleines Lächeln. Ihr Leben hatte wirklich eine ungewöhnliche Wendung genommen. In Lord Pembrokes Haus zu übernachten! Sie überlegte, ob sie aus dieser Erfahrung einen Artikel machen konnte. Vielleicht sollte sie auch einfach ein Profil seiner mysteriösen Ehefrau schreiben. Das wäre mit Sicherheit ein Coup.
* * *
Detective Whistler kam stirnrunzelnd aus Worths Arbeitszimmer. „Er hat uns furchtbare Verbrechen gestanden, Pimm. Sind Sie sicher, dass er nicht verrückt ist?“
Pimm saß auf einem Holzstuhl und balancierte eine Tasse Tee, der schon recht kalt geworden war, auf seinem Knie. Er schüttelte den Kopf. „Nein. Einige meiner Kontakte haben mir Gerüchte zugetragen, dass in Alsatia in den letzten Wochen Arbeiterinnen verschwunden sind. Heute Abend bin ich dort umhergestreift, in der Hoffnung, irgendetwas Ungehöriges zu entdecken. Lächeln Sie nicht so, ich meine es ernst. Zufällig traf ich in einer Gasse diesen Mann. Er roch nach Äther, deshalb vermutete ich ein Verbrechen und stellte ihn zur Rede. Er floh, doch es gelang mir, ihm hierher zu folgen, wo ich mir Zugang zu seinem Haus verschaffte und ihn überzeugte, zu gestehen.“
„Ich verstehe.“ Whistlers Stimme klang nachsichtig. „Ich habe das Gefühl, dass Sie in Ihrem Bericht einige wesentliche Einzelheiten ausgelassen haben. Wie etwa die Frage, woher Sie wussten, dass Frauen verschwanden, wie genau es Ihnen gelang, den Mann aufzuspüren, und wie Sie ihn dazu bringen konnten, zu gestehen.“
Pimm seufzte. „Jonathan, ich habe meine Quellen im kriminellen Milieu. Das wissen Sie. Ich wäre dankbar, wenn ich sie nicht namentlich nennen müsste. Sie werden in Zukunft vielleicht nicht mehr so bereitwillig mit mir reden, wenn ich ihre Namen in eure Ermittlungen mit hineinziehe.“
Whistler nahm sich einen Stuhl. „Pimm, das Problem ist, dass ich keinerlei Beweise habe, dass ein Verbrechen stattgefunden hat, nur das Wort dieses Mannes.“
„Sie glauben ihm nicht?“
„Es geht nicht um Glauben. Ich benötige Indizien. Es sind keine Leichen gefunden worden. Gestern hatten wir drüben in Scotland Yard einen Mann sitzen, der behauptete, er habe den Mond getötet, ihn geradewegs aus dem Himmel geschlagen. Er glaubte, dass er die Wahrheit erzählte. Aber dadurch wurde es nicht wahr. Meine Leute durchsuchen gerade das Haus nach Indizien, aber außer einer große Menge Äther haben sie noch nichts gefunden. Ich gebe zu, dass der Äther ein Hinweis sein könnte, aber er stellt keinen Mordbeweis dar. Ich …“
Einer der Beamten erschien in der Tür und hielt eine geschnitzte Holzkiste von etwa einem Fuß Länge in der Hand. „Mr. Whistler, Sir, Sie sollten kommen und sich das ansehen. Mr. Worth sagte, wir sollten in ein Geheimfach in seinem Schreibtisch schauen, falls wir ihm nicht glaubten.“ Er reichte Whistler die Kiste. Whistler öffnete den Deckel und sah lange hinein.
„Was ist das?“, fragte Pimm, obwohl er es genau wusste. Er hatte Mr. Worth schließlich geraten, auf die Kiste und ihren Inhalt hinzuweisen. Er hatte sie ihm sogar selbst gegeben. Nachdem Ellie gegangen war, hatte er Worth noch ausführlich eingebläut, wie er am besten sein Geständnis ablegen sollte. Pimm hatte Ellie nicht verraten wollen, inwieweit er alles geplant hatte, damit sie nicht schlecht von ihm dachte. Doch seit er mit Margarets Gehirn gesprochen hatte, war ihm klar gewesen, dass er Indizien herstellen musste, um den Mörder verdächtig zu machen. Er hatte Schritte unternommen, um einen schlüssigen Beweis für ein Verbrechen zu liefern. Falsche Indizien für einen echten Mord. Nun ja, es war ethisch nicht vollkommen korrekt, aber es würde seinen Zweck erfüllen.
„Hauptsächlich billiger Schmuck“, sagte Whistler. „Ringe, die nach Silber aussehen sollen, Halsketten, die nach Gold aussehen sollen. Ein blutiges Messer, das man in ein Taschentuch gewickelt hat, und eine rotblonde Haarsträhne, die mit einer Schleife zusammengebunden ist. Es scheint auch Blut im Haar zu sein.“
„Ich würde sagen, das ist mehr als ein Hinweis“, sagte Pimm.
„Sobald ich eine Leiche finde, die dieselbe Haarfarbe hat, werde ich ebenfalls der Meinung sein, dass wir möglicherweise einen Mörder gefangen haben. Bis dahin ...“ Er zuckte die Achseln.
„Vielleicht wäre Worth bereit, Sie …“
„Mich an den Ort zu führen, wo sich die Überreste seines letzten Opfers befinden. Ja, Pimm, ich kenne meine Aufgabe. Der Mann hat bereits angeboten, das zu tun. Natürlich werde ich nachforschen müssen, und ich hoffe, dass der Ausflug keine Zeitverschwendung sein wird. Aber irgendetwas an dieser ganzen Geschichte kommt mir merkwürdig vor. Ich spüre, dass Sie mir einiges verheimlichen.“
„Ich fühle mich verpflichtet, meine Informanten zu schützen, aber ich kann Ihnen versichern, dass keiner von ihnen sich ein so schreckliches Verbrechen wie diese Mordserie hat zuschulden kommen lassen.“ Das stimmte nicht ganz. Value hatte sicherlich Schlimmeres getan, aber er war ein Ziel, das Pimm sich für später aufhob.
„Wir müssen dann wohl einen kleinen Ausflug an den Fluss machen. Möchten Sie uns begleiten?“
Pimm überlegte, dann nickte er. Es war am besten, diese Sache zu Ende zu bringen. Wenn Mr. Adams das, worum er ihn gebeten hatte, nicht ausgeführt hatte, würde Pimm improvisieren müssen. Er hasste es, wenn seine Pläne davon abhingen, dass eine unzuverlässige Person ihm einen Gefallen tat. Worth zumindest hatte sich vortrefflich benommen, indem er sein wahrheitsgemäßes Geständnis mit den Erfindungen gewürzt hatte, die Pimm für ihn vorbereitet hatte. Aber Adams war ein rätselhafter Bursche. Wer wusste schon, ob er Pimms Bitte erfüllen würde? Der Wissenschaftler hatte abgelehnt, als Pimm ihm Geld angeboten hatte. Er hätte sich besser gefühlt, wenn er hätte glauben können, dass der Mann käuflich war.
„Dann mal los“, sagte Whistler. „Es gibt nichts, das ich lieber tue, als durch die Slums am Flussufer zu stapfen und Leichen zu suchen.“
„Kommen Sie, Jonathan. Sie lieben doch ein gutes Verbrechen.“
„Nein, ich liebe ein gutes Rätsel, und hier gibt es kein Rätsel mehr. Alles liegt ordentlich ausgebreitet vor meiner Nase. Jetzt ist es nur noch reine Polizeiarbeit. Trotzdem muss es wohl getan werden.“
* * *
Mit Margarets Leiche über der Schulter trottete Adam durch die stinkenden Tunnel unterhalb von Alsatia. Der Gestank störte ihn nicht, denn der Duft der Abwässer in der Nähe brachte auch ein Bild von wirbelndem graugrünem Nebel mit sich, den er schön fand und der faszinierende Muster bildete. Zwar pfiff er nicht im Gehen vor sich hin, doch ihm war danach, denn fast noch nie zuvor war er so glücklich gewesen.
Margarets Gehirn wieder zum Leben zu erwecken, war ein großer Triumph für ihn gewesen. Adams eigener Schöpfer hatte totes Fleisch wiederbeleben können, ja, doch er war nicht in der Lage gewesen, den Verstand, das Gedächtnis und die Persönlichkeit fortbestehen zu lassen. Alle Gedanken, die Adams Gehirn in seinem früheren Leben besessen hatte, waren für immer verloren und vollständig mit seiner neuen Persönlichkeit überschrieben worden. Sein Schöpfer hatte totes Fleisch wiederbelebt, doch Adam hatte es geschafft, einen Menschen zurückzuholen.
Natürlich war dabei ihr Körper zerstört worden, was er Margaret nicht erzählt hatte. Aber er hatte einige Ideen, wie er das wieder in Ordnung bringen konnte. Da er ihre Leiche mit dem zerstörten Schädel nicht allzu dringend brauchte, tat er Lord Pembroke gern den Gefallen, um den dieser ihn ersucht hatte. Der Detektiv hatte ihm eine frisch getötete Frau gebracht, daher schuldete Adam ihm eine Gegenleistung. Zwar verstand er Hallidays Pläne nicht, doch sie interessierten ihn auch nicht besonders. Margaret hatte ihnen den Namen ihres Mörders verraten können, es war ihr früherer Zuhälter Thaddeus Worth. Halliday hatte Adam daraufhin um ein Messer und eine Strähne von Margarets blutgetränktem Haar gebeten, sowie um Schmuck oder persönliche Gegenstände, die er noch von den anderen Frauen hatte. Adam bewahrte die wenigen Dinge, die Values Schläger nicht für sich selbst erbeutet hatten, in einer Kiste im Regal auf. Hauptsächlich, weil er nie irgendetwas wegwarf, das er vielleicht noch einmal brauchen konnte. Die billigen Ringe und Halsketten hatte er Halliday kommentarlos übergeben.
Als Letztes hatte Halliday ihn gebeten, Margarets Leiche an einem bestimmten Ort in der Nähe des Flusses abzulegen. Halliday hatte sich sehr viele Gedanken darüber gemacht, wie Adam dies am besten bewerkstelligen könnte, ohne die Wachen zu alarmieren, und eine Reihe von komplizierten Tricks vorgeschlagen. Schließlich war Adam so gelangweilt gewesen, dass er gesagt hatte: „Keine Sorge, Herr Detektiv. Ich habe meine eigenen Wege, um ungesehen die Stadt zu durchqueren. Es gibt hier Tunnel.“ Halliday hatte sich umgesehen und forschend in die dunkelsten Ecken des Laboratoriums geblickt. Der Gedanke, dass er von geheimen Gängen umgeben war, hatte ihn offensichtlich verunsichert, und warum auch nicht? Es gab unter der Erde so viele Rätsel und Geheimnisse. Adam selbst war noch eines der geringsten.
Er erreichte das Ende des Tunnels und spähte zu einer Luke hinauf, die hinter einer Höhle am Kai unter einem Abfallhaufen verborgen war. Adam legte Margarets Körper mit dem zerstörten Kopf sacht auf dem Boden ab, dann kletterte er die Wand hoch. Dabei setzte er seine Füße in Hohlräume, die jemand in den Stein gemeißelt hatte, lange bevor Adam erschaffen worden war. Oben angekommen stieß er die Luke auf und kroch hinaus, um sich umzusehen und sicherzugehen, dass niemand ihn beobachtete. Er stieg zurück hinab, nahm Margaret, und kletterte wieder hinauf. Es gab vieles, das Adam seinem Schöpfer vorwerfen konnte, doch zumindest hatte dieser ihm gewaltige Körperkraft geschenkt.
Er schloss die Luke, schob mit dem Fuß verrottetes Gemüse und zerbrochene Planken darüber, und humpelte in Richtung Flussufer. Die Böschung war an dieser Stelle befestigt und mit bröckelnden Steinen verstärkt. Er musste über eine kleine Mauer steigen und sich dann vorsichtig einen steilen Abhang hinunter bewegen, um das schlammige, schmutzige Ufer zu erreichen. Als er gerade die Leiche der armen Margaret im Schlamm ablegte, hörte er jemanden nach Luft schnappen.
Als er sich umdrehte, erblickte er hinter sich eines der Geschöpfe, die man Themseweiber nannte. Das waren Frauen in schmutzigen Lumpen, die den Fluss entlang im Abfall nach Dingen suchten, die sie verkaufen konnten, seien es Drähte, leere Flaschen oder Holzstücke. Sie starrte ihn an, und Adam starrte zurück, dann schrie sie auf und rannte davon.
Oder versuchte zu rennen. Adam ignorierte den Schmerz in seinem Bein, preschte nach vorn, so schnell er konnte, und packte sie von hinten. In seinen Händen war sie so zerbrechlich wie ein Zweig, und er drückte ihr die Kehle zu, während sie hilflos gegen seine Brust und sein Gesicht schlug. Endlich erschlaffte sie. Er drückte weiter zu, denn Bewusstlosigkeit trat wesentlich früher ein als der Tod. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Frau tot war, warf er sich ihre Leiche über die Schulter und schleppte sich wieder den Hügel hoch. Eine Schande. Er hatte gehofft, den Weg nach Hause ohne eine Last zurücklegen zu können. Natürlich konnte er sie auch in den Fluss werfen, aber warum hätte er eine einwandfreie Leiche verschwenden sollen? Vielleicht konnte sie eine von Abel Values seelenlosen Huren werden. Falls das nicht gelang, konnte sie sich auch Adams Ehrengarde anschließen oder ihr notfalls als Nahrung dienen. Mittlerweile hatte er mehr als ein Dutzend wilder, wiederbelebter Frauen, jede ein fehlgeschlagenes Experiment, soweit Value wusste. Adam rechnete nicht damit, jemals ihre gewalttätigen Dienste zu benötigen, aber wenn man mit jemand so betrügerischem wie Value zu tun hatte, war es gut, sich schützen zu können. Warum sollte nur Value Leibwächter haben? Die Ehrengarde war jedoch gefräßig, und er musste dafür sorgen, dass sie regelmäßig gefüttert wurde. Wenn nicht, dann würden nicht einmal die magnetischen Geräte, die er ihnen ins Gehirn gesetzt hatte, um ihre Bewegungen zu kontrollieren, ihre natürlichen Triebe zügeln können. Anders als die untoten Huren, die er Value lieferte, hatte er sie nicht komplett gefügig gemacht.
Seine Ehrengarde brauchte Fleisch, und ganz gleich welches, sie würde es fressen.