Treffen mit Value
Letztlich beschlossen sie, doch etwas umsichtiger zu sein, und hängten einen nicht allzu teuren chinesischen Wandteppich vor die beiden Löcher, die sie für die Pistolenläufe gebohrt hatten. Nur ein Loch ließen sie unverdeckt, sodass Freddy hindurchsehen konnte. Der Teppichstoff würde die Pistolenkugeln nicht abfangen. Pimm hoffte von Herzen, dass sich diese Vorbereitungen als unnötig oder sogar paranoid erweisen würden, aber nach allem, was er über Abel Value wusste, waren die Vorkehrungen kluge Maßnahmen. Der Mann war in einer Branche tätig, in der man gelegentlich jemanden töten musste, um die Geschäfte am Laufen zu halten. Zwar rechnete Pimm nicht damit, in seiner eigenen Wohnung ermordet zu werden, doch etwas Vorsicht konnte nie schaden.
Als es schließlich an der Tür klopfte, waren seine Kopfschmerzen fast abgeklungen, und er hatte es sich in dem Sessel bequem gemacht, in dem Freddy am Morgen gefaulenzt hatte. Er wartete einen Augenblick, dann fiel ihm ein, dass ihr Diener diesen Morgen gekündigt hatte, und er blickte verärgert drein. Ein weiteres Klopfen ertönte, diesmal lauter, und er rief: „Kommen Sie rein!“
Die Tür ging auf, doch Value trat nicht als Erster ein. Ein Mann kam herein, der etwa so groß wie ein Raddampfer war. Er musste den Kopf einziehen, damit er nicht gegen den Türrahmen stieß, und sah sich prüfend im Zimmer um. Dann stellte er sich an die Wand neben der Tür, legte die behandschuhten Hände übereinander und blickte Pimm teilnahmslos an.
„Big Ben, nicht wahr?“, fragte Pimm.
Der Mann machte ein finsteres Gesicht. Es gefiel ihm offenbar nicht, dass jemand wie Pimm seinen Namen kannte. „Ja, Sir.“
Abel Value betrat das Zimmer, doch Pimm beachtete ihn nicht, weil er noch mit dem Leibwächter sprach. „Hat man dich nach Benjamin Caunt, dem Preisboxer, benannt? Du bist mindestens so groß wie er. Oder, ha! Nach der Glocke im Uhrenturm?“
„Man nennt mich so, Sir, weil ich sehr groß bin, Sir, und weil mein Name Benjamin ist.“ Er sprach ruhig und deutlich, sein Ton war knochentrocken. Pimm dachte bei sich, wie dumm es war, anzunehmen, dass ein Mann nicht klüger sei als ein Ackergaul, nur weil er ähnlich groß war.
„Das finde ich überaus logisch.“
„Man nennt Sie ‚Pimm‘, nicht wahr, Sir?“, fragte Big Ben. Sein Ton war respektvoll, sein Gesichtsausdruck war es jedoch ganz und gar nicht.
„Manche tun das“, bestätigte er.
„Warum, wenn ich fragen darf, Sir?“
„Ich nehme an, weil mein Vorname Pembroke ist, und weil ich ein berüchtigter Trinker bin, Benjamin. Pimm’s Cup ist nicht mein Lieblingsgetränk, trotzdem ist es ein recht gelungener Scherz, jedenfalls für meine Zechkumpan.“
Pimm wandte seine Aufmerksamkeit Abel Value zu, der entweder der berüchtigtste Verbrecher oder der erfolgreichste Geschäftsmann Londons war – je nachdem, wen man fragte und welche Leute mithörten, wenn man die Frage stellte. Value trug einen Anzug, der mit Sicherheit mehr gekostet hatte als Pimms eigener. Er hatte eisengraues Haar, sein Gesicht war entgegen der aktuellen Mode glattrasiert, und er hatte sich schon mindestens einmal die Nase gebrochen. Er versuchte gar nicht erst, sein Grinsen zu verbergen, und tätschelte seinem Leibwächter den Arm, als er an ihm vorbeiging.
„Guten Tag, Sir“, sagte Pimm. „Was verschafft mir die Ehre?“ Er wies auf den einzigen freien Sessel. Die anderen Sitzgelegenheiten hatte Freddy fortgeschafft, um sicherzustellen, dass Value sich an die richtige Stelle setzte.
„Die Not“, meinte Value, und Ben schloss hinter ihm die Tür. Value betrachtete einen Moment lang den leeren Sessel und schien zu überlegen, ob es sich dabei wohl um eine Falle handelte. Dann setzte er sich hin, schlug die Beine übereinander und faltete die Hände über dem Knie. „Ich muss Sie um Hilfe bitten, Halliday, und Sie müssen mir helfen.“
„Oh“, machte Pimm. „Ich gestehe, dass ich etwas überrascht bin. Ich hatte gedacht, dass Sie mit mir über Mr. Martinson sprechen wollten.“
Abel runzelte die Stirn. „Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen. Es ist natürlich eine schreckliche Tragödie, dass der Schuft nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnte, doch ich habe mit seinem bedauerlichen Ableben nichts zu tun.“
„Ach, wirklich. Ich hatte den Eindruck, dass meine Nachforschungen über seine Geschäfte Ihnen nicht gefallen haben.“
Abel zuckte die Schultern. „Martinson war ein alter Freund von mir. Selbstverständlich wollte ich nicht recht glauben, dass er in ein Verbrechen verwickelt gewesen sein soll. Ich nahm an, dass Sie falsch informiert seien, oder eben in böser Absicht handelten, als Sie ihn bei der Polizei anzeigten. Aber da Martinson sich nun das Leben genommen hat, kann ich nur schlussfolgern, dass er Schuldgefühle hatte. Eine Schande, das Ganze. Er war ein guter Mensch, aber zu schwach.“
Pimm nickte bloß. Martinson war der Direktor einer angesehenen Privatschule gewesen, jedoch hatte er seinen Schülern illegale alchemistische Stimulanzien verkauft, und einige der Kinder waren an einer Überdosis gestorben. Eines von ihnen war der Neffe von Pimms altem Schuldfreund gewesen, sodass dieser ihn gebeten hatte, der Sache auf den Grund zu gehen. Martinsons Schuld hatte sich leicht beweisen lassen. Doch Pimm hatte gehofft, er könne dadurch auch Value belasten, der mit Sicherheit die Drogen geliefert hatte, aber stets unerreichbar schien. Stattdessen – nun ja. Das Gericht hatte entschieden, dass Martinsons Tod Selbstmord gewesen war, lieber tot als ehrlos und so fort. Pimm hatte da so seine Zweifel.
„Ich bin heute hier“, sagte Value, „um Ihre Dienste als Privatdetektiv in Anspruch zu nehmen.“
Pimm war so überrascht, als hätte Value um seine Hand angehalten. „Ich glaube, Sie missverstehen meine, ähm, Situation. Ich habe mich zwar gelegentlich für einige Freunde eingesetzt oder die Polizei unterstützt und kleine Versuche unternommen, ihr bei ihren Ermittlungen behilflich zu sein. Aber ich habe immer vollkommen inoffiziell agiert. Obwohl ich ein gewisses dilettantisches Interesse an Kriminologie habe, kann ich mich kaum einen Detektiv nennen, und ich stelle meine bescheidenen Dienste leider nicht gegen Geld zur Verfügung.“ Er schmunzelte selbstironisch. „Ich fürchte, meine Familie würde es nicht ertragen, wenn ich diesen Beruf ergriffe. Sie würden es wohl kaum als eine vornehme Tätigkeit betrachten.“
„Er braucht verdammt viele Wörter, um nein zu sagen, nicht wahr, Ben?“
„Manche würden sagen, dass man daran den gebildeten Menschen erkennt“, meinte Ben.
„Hören Sie mir zu, Lord Pembroke“, sagte Value und beugte sich vor. „Jemand bringt meine Huren um, und ich muss herausfinden, wer es ist.“