Andere Pläne
Das heißt also ja?“, fragte Pimm.
„Unsere Königin war ihrem Prinzen treu ergeben. Oswald hoffte, ihre Gunst zu erlangen, indem er dabei half, ihrem Mann das Leben zu retten. Aber als ihm das gelungen war, liebte die Königin Albert umso mehr, weil sie erkannt hatte, wie schlimm es wäre, ihn zu verlieren. Sie war Oswald natürlich zugeneigt, doch Oswald kam nicht nahe genug an sie heran, um seine Pläne zu verwirklichen. Daher: Ja, er spritzte dem Prinzen den Virus und nutzte dafür einen jener hinterhältigen kleinen Ringe, die angeblich schon die Borgias in Italien schätzten.“
„Hohl, mit Gift gefüllt und an der Unterseite mit einer winzigen Nadel versehen“, meinte Pimm.
„In der Tat. Ein Händedruck, ein kaum spürbarer Stich, und die Seuche wurde auf den Prinzgemahl selbst übertragen. Der einzige Weg, sich Morbus Konstantin zuzuziehen, ist bekanntermaßen der geschlechtliche Verkehr, also half es nichts, dass der Prinz den Ehebruch leugnete. Alberts Tod wäre Oswald lieber gewesen, solange er an so etwas wie Morbus Konstantin starb und damit auch die Zuneigung der Königin verlor. Aber dass er sich verwandelte und daraufhin eingesperrt wurde, war gut genug. Oswald ergriff die Chance, die Königin in ihrem Kummer und ihrer Entrüstung zu trösten. Er kann recht charmant sein, wenn er es sich vornimmt. Aber für ihn ist es ein mechanischer Akt, sich bei jemandem lieb Kind zu machen, wie er auch alles andere als mechanisch betrachtet.“
Pimm erhob sich und fing an, auf und ab zu gehen. „Nun gut. Aber warum wollte er Prinz Albert vergiften? Will Oswald selbst Prinzgemahl werden? Diese Position beinhaltet nicht gerade viel Macht, und die Königin ist ohnehin nicht geneigt, sich von Albert scheiden zu lassen.“
„Oswald musste in ihre Nähe gelangen“, sagte Adams, „Wie sonst wäre er in der Lage, sie zu ersetzen?“
Pimm blieb stehen und starrte ins Leere. „Augenblick, warten Sie. Nein, ich verstehe es nicht. Erklären Sie sich bitte.“
Adams erhob sich von seinem Hocker und fing an, seine Werkzeuge auf dem Arbeitstisch anzuordnen und einige davon in eine große Ledertasche zu packen. „Sein ursprünglicher Plan war es, lediglich die Kontrolle über die Königin zu erlangen. Ihren Geist zu übernehmen und sie zu zwingen, seinen Wünschen zu folgen. Das war das Ziel meiner Forschungen.“
„Was?“, meinte Pimm.
„Oh ja“, sagte Adams. „Oswald ist recht geschickt darin, winzige Bakterien zu beeinflussen, aber im Umgang mit dem menschlichen Körper kommt er an mein Genie nicht heran.“ Er wies auf das Gehirn, das in seiner Flüssigkeit schwamm. „Sie wissen, dass ich sehr gut mit Gehirnen umgehen kann. Keine Sorge, Margaret hört mich nicht. Ich habe ihren Sinnesapparat abgekoppelt, denn ich will einige Dinge erzählen, die sie lieber nicht mithören soll. Oswald hoffte, ein Gerät zu entwickeln, mit dem er den Geist der Königin beherrschen könnte. Doch leider entsprachen meine Ergebnisse nicht seinen Hoffnungen. Ich konnte Menschen dazu bringen, sich fügsam zu verhalten und Anweisungen zu folgen, doch ohne Lenkung waren sie widerstandslos, beinahe wie Puppen, ohne einen Funken Persönlichkeit. Das war Oswald nicht gut genug. Er fürchtete, dass es Aufmerksamkeit erregen würde, wenn die Königin nicht fähig war, Nahrung zu sich zu nehmen, ohne dass man sie dazu aufforderte. Dabei dachte ich, es sei gerade der Sinn des Königinnendaseins, sich von anderen füttern zu lassen.“
Pimm griff in seine Tasche und berührte eines von Freddys feinen kleinen Geräten. „Wollen Sie damit sagen, Sie haben in Ihren Experimenten die Gedächtnisse von Menschen zerstört?“
Adams winkte ab. „Sparen Sie sich Ihre Entrüstung, Lord Pembroke. Ich habe nur mit den Gehirnen toter Huren experimentiert. Es ist alles sehr technisch. Ich ersetze ihr Blut durch eine spezielle Lösung, die den Anschein von Leben wiederherstellt. Dann führe ich die nötigen Eingriffe in ihrem Gehirn durch und setze ein Gerät ein, das auf den jüngsten magnetischen Neuerungen basiert. Sie würden staunen, wie ein starkes Magnetfeld das Gehirn beeinflussen kann, und dadurch auch das Verhalten. Value brachte die Frauen, die ich wiedererweckt hatte, wieder in ihr altes Leben als Prostituierte zurück, wo mangelnde Entschlusskraft und völlige Gehorsamkeit vortreffliche Eigenschaften sind. Man lässt sie allerdings nicht mehr auf die Straße. Soweit ich weiß, dienen sie in besonders verdorbenen, geheimen Bordellen. Aber seien Sie beruhigt, sie fühlen weder Schmerz noch Traurigkeit oder Verzweiflung.“
Pimm ließ das Gerät wieder los, doch seine Hände zitterten. „Selbst dann ist es eine Schändung, Adams, es ist ungeheuerlich!“
„Ich bin ein Ungeheuer, Sir“, sagte Adams leise. „So hat man mich mein ganzes Leben lang genannt, und ich sehe keinen Grund, es nun abzustreiten.“ Einen Augenblick lang stand er regungslos da. Dann schüttelte er den Kopf und machte sich wieder daran, seine Werkzeuge zu sortieren. „Ich hatte gehofft, bessere Ergebnisse erzielen zu können, wenn ich am Gehirn eines lebenden Menschen arbeiten könnte. Einen Weg zu finden, die Kontrolle zu übernehmen, ohne die Persönlichkeit zu zerstören. Aber Oswald verlor das Interesse an meiner Forschung.“
„Wie ich höre, kommt das öfter vor.“
„Ja. Er liebäugelte immer mehr mit der Vorstellung, die Königin zu ersetzen, statt sie nur zu beherrschen.“
„Wie meinen Sie das, sie ersetzen? Durch wen?“ Pimm musste an gewisse melodramatische Romane denken, in denen Könige auf Bauern trafen, die ihnen aufs Haar glichen, was es den beiden erlaubte, die Plätze zu tauschen.
„Natürlich durch eine mechanische Nachbildung“, sagte Adams. „Wie die Kurtisanen, aber nach dem Bild der Königin gefertigt. Die fortschrittlichste Kreation, die Oswald herstellen kann.“
Pimm stand der Mund offen. Seine Spekulationen hatten ihn niemals so weit geführt. „Guter Gott, Mann, meinen Sie das wirklich ernst?“
„Es kann sein, dass er sie bereits ersetzt hat.“ Adams klang merkwürdig gleichgültig, als betreffe ihn die Situation in keiner Weise. Er hielt ein winziges Zahnrad hoch, betrachtete es prüfend im Licht, grunzte und packte es ein. „In die Einzelheiten des Plans bin ich nicht eingeweiht.“
„Aber was würde aus der echten Königin werden?“
„Oswald hat mir diese Pläne ebenso wenig mitgeteilt, allerdings ließ er durchblicken, dass er sie nicht töten wolle. Gewiss will er nicht riskieren, dass ihre Überreste gefunden werden. Eine Leiche aus der königlichen Residenz zu bringen, ohne Verdacht zu erregen, dürfte sich als schwierig herausstellen. Obwohl es nicht weniger schwierig wäre, sie lebend und am Stück aus dem Palast verschwinden zu lassen. Trotzdem habe ich keine Zweifel, dass Oswalds Intellekt der Herausforderung gewachsen ist.“
„Nun gut“, meinte Pimm nach kurzem Nachdenken. „Angenommen, all das entspricht der Wahrheit. Ich muss noch einmal fragen, zu welchem Zweck? Warum will Oswald die Königin austauschen oder ihren Geist beherrschen? Es ist ja nicht so, als könne sie ihm die Schlüssel zur Staatskasse übergeben. Nach allem, was man hört, fehlt es ihm ohnehin nicht an Geld. Um Macht zu erlangen und neben ihr zu herrschen? Die Könige von England waren einst absolute Herrscher, doch diese Zeiten sind vorbei. Die Königin selbst hat dafür gesorgt.“
„Was sein Endziel angeht, will ich keine Vermutungen anstellen.“ Adams ließ seine Tasche zuschnappen. „Oswald hat angedeutet, dass ihm ein großes Experiment vorschwebt, irgendetwas, das groß angelegte Bau- und Abrissarbeiten in der Innenstadt erfordert. Aber um ehrlich zu sein, seine hochfliegenden Pläne haben mich nie sonderlich interessiert, und ich habe nicht näher nachgefragt. Vielleicht hat er vor, den Premierminister und andere Regierungsbeamte ebenfalls durch Automaten zu ersetzen? Seine mechanische Königin könnte sie sicherlich zu einer Sitzung hinter verschlossenen Türen einberufen. Oswald könnte sie alle mit Gas bewusstlos machen und dann austauschen. Zwar hat er mir nicht gesagt, dass das sein Plan sei, doch es entspricht seiner Denkweise. Die Königin verschafft ihm Zutritt zu den höchsten Korridoren der Macht. Wenn er sich die Gunst irgendeines Ministers gesichert hätte, hätte dieser die Regierung vielleicht verlassen, bevor Oswalds Plan Früchte getragen hätte. Aber die Königin ist ewig.“
„Adams, wenn das, was Sie sagen, stimmt, dann müssen wir ihn aufhalten!“
„Sie müssen ihn aufhalten, Sir. Aus diesem Grund habe ich Sie hergerufen, um Ihnen zu sagen, was ich weiß, und Sie auf Ihre Bahn zu setzen. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Wie ich schon sagte, werde ich nicht mehr lange hier bleiben.“
„Wohin gehen Sie?“
„Ich habe mich noch nicht entschieden“, sagte Adams. „Es gibt so viele wunderbare Orte, wo man seine Flitterwochen verbringen kann, nicht wahr?“
Pimm blinzelte. „Sie heiraten?“
„Ja.“ Adams schien ihn direkt anzusehen, obwohl das wegen der Maske schwer festzustellen war.
„Meine herzlichsten Glückwünsche.“ Die Worte kamen automatisch. „Ich hoffe, Sie beide werden zusammen sehr glücklich sein.“
„Ich bin sicher, das werden wir“, sagte Adams, und seltsamerweise streichelte er dabei das Glas, in dem sich das Gehirn der toten Prostituierten befand. „Vorausgesetzt, wir können London weit, weit hinter uns lassen. Wenn es Ihnen gelingt, Oswald zu entlarven, werde ich sicherlich darüber in der Zeitung lesen, und vielleicht werde ich dann zurückkehren. Aber Oswald hat heute schon einmal versucht, mich zu töten. Ich möchte nicht mehr hier sein, wenn er merkt, dass es ihm nicht gelungen ist.“
„Er kommt mir nicht wie jemand vor, der Dinge nur halb erledigt“, sagte Pimm. „Wie hat er versucht, Sie umzubringen?“
„Er hat mir ins Herz geschossen“, sagte Adams. „Glücklicherweise habe ich noch ein weiteres. Nun, wenn Sie mich entschuldigen würden, Lord Pembroke, ich habe noch einiges zu erledigen, ehe ich die Stadt verlassen kann.“
„Oh.“ Pimm blinzelte und fragte sich, ob er sich verhört hatte. Falls nicht, was hatte der Mann gemeint? „Wenn Sie mir nur einen Ausgang zeigen würden?“
„Gewiss“, meinte Adams, „Zwar sind meine bevorzugten Ausgänge versperrt worden, jedoch stehen einige wenige Tunnel mir noch immer offen, die zu anderen Tunneln führen, und so fort. Wo in der Stadt möchten Sie herauskommen?“
Das, dachte Pimm, war eine sehr gute Frage. „Oswald wird wahrscheinlich leicht zu finden sein. Wenn er nicht zu Hause ist, ist heute Abend immer noch seine Weltausstellung, und dort kann ich ihn finden. Aber wenn ich ihn zur Rede stellte, würde er einfach alles leugnen. Was ich brauche, sind Beweise. Wenn nicht für seinen Hochverrat, dann wenigstens für seine Straftaten, irgendetwas, das ich meinen Partnern bei der Polizei geben kann. Haben Sie irgendetwas Handfestes, das Oswald mit kriminellen Handlungen in Verbindung bringt?“
„Nein. Meine eidesstattliche Aussage würde auch nicht viel nützen, da ich offiziell nicht einmal existiere. Meine Beteiligung würde mehr Fragen aufwerfen als Antworten bringen, und ich bin ohnehin nicht geneigt, noch lange hier zu verweilen.“ Er hielt inne. „Aber Sie könnten mit Mr. Value sprechen. Er ist schließlich ein Geschäftsmann, und in der Regel führen solche Leute Buch. Value kommt mir ganz besonders wie die Sorte Mensch vor, die umsichtig genug ist, immer belastendes Material zur Hand zu haben, falls er sich mit einem seiner Partner überwirft.“
„Value verlässt ebenfalls die Stadt“, sagte Pimm. „Wenn er derartige Sicherheiten besitzt, scheint er dennoch nicht zu glauben, dass sie ausreichen würden, um ihn zu retten. Vielleicht wusste er auch einfach, dass sie ihn selbst ebenfalls belasten würden. Trotzdem, wenn ich ihn finden kann, ehe er aufbricht … Hat irgendeiner Ihrer Tunnel einen Ausgang in der Nähe der Black Dog Tavern an der Blackfriars-Brücke?“
„Mein lieber Lord Pembroke“, meinte Adams, „Meine Tunnel sind mit der Kanalisation verbunden, mit den zerstörten Kellern eingestürzter Häuser und den alten römischen Viadukten aus der Zeit, als diese Stadt noch Londinium hieß. Wenn Sie gewillt sind, weit genug zu laufen, führen meine Tunnel Sie überall hin.“