Einbruch

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Das Frühstück war äußerst unbehaglich, zumindest aus Ellies Sicht. Sie kleidete sich wieder als Mr. Jenkins, nur ohne Schnurrbart. Als Winnie anbot, Ellie eines ihrer Kleider zu leihen, lehnte sie dankend ab. Sie wollte ungern darüber nachdenken, wie Winnies Kleider an ihrer eigenen, weitaus weniger üppigen Gestalt aussehen würden. Wahrscheinlich ähnlich wie ein Bettlaken über einem Kleiderständer. Sie willigte ein, noch etwas zu essen, ehe sie aufbrach, und so klapperte Winnie fröhlich plappernd in der Küche herum. Das Produkt ihrer Bemühungen war eine Pfanne Eier, die gleichzeitig sandig und fade schmeckten. In Anbetracht der Tatsache, dass sie während des Kochens die ganze Zeit über rauchte, konnte Ellie sich glücklich schätzen, dass keine Asche im Essen war. Aus Höflichkeit nahm sie einige Bissen zu sich.

Winnie ließ sich auf den Stuhl Ellie gegenüber fallen und legte die Ellenbogen auf den Küchentisch. „Ich nehme an, Sie möchten Pimm mit Fragen löchern, sobald er aufwacht?“

„Ich bin in der Tat sehr neugierig darauf, zu erfahren, wie es mit Mr. Worth weiterging. Hat er irgendetwas erzählt, als er gestern Nacht heimkam?“

„Oh, ich habe so fest geschlafen, ich bin nicht einmal aufgewacht, als er sich ins Bett legte. Ich bin ebenso neugierig wie Sie.“ Sie warf einen Blick auf die Uhr an der Wand, die halb acht zeigte. „Ich würde nicht damit rechnen, dass er demnächst aufsteht. Pimm ist kein Morgenmensch. Vielleicht wäre es besser, wenn Sie zum Mittagessen wiederkämen.“

„Oh, ich kann mich doch nicht …“

Winnie lachte. „Keine Sorge, ich werde nicht noch einmal kochen. Ich lasse mir im Laden einen Picknickkorb richten. Wir können im Park essen und uns über allerlei Schändlichkeiten unterhalten, ohne Angst vor Lauschern haben zu müssen, wie wäre das?“

Ellie blinzelte. Sie hatte den Eindruck, dass Lady Pembroke nicht oft auf Widerstand stieß. Ellie fühlte sich in ihrer Gegenwart ein wenig unwohl, vor allem weil sie Schuldgefühle hatte, da ihre Gedanken immer wieder zu Winnies Ehemann wanderten. Die Lady besaß aber ohne Zweifel Wärme und eine angenehme Art. „Ich wäre hocherfreut.“

„Wunderbar.“ Winnie tätschelte ihr die Hand. „Dann sehen wir Sie gegen zwölf. Oder sagen wir lieber eins, um sicherzugehen, dass Pimm wach und auf den Beinen ist.“

Wenig später ging Ellie schläfrig und benommen die Haustreppe hinunter zur Straße. Dort schloss sie sich dem Strom ernst aussehender Männer und zugeknöpfter Frauen an, die ihrer Wege eilten und den Geschäften nachgingen, die ihre Tage ausfüllten. Sie wurde Teil der Menschenmenge, nahm einen vorbeifahrenden Omnibus und fuhr ohne Zwischenfälle bis in die Gegend, wo sich ihr Wohnheim befand. Heimlich wie ein Einbrecher näherte sie sich der Vordertür, drehte den Schlüssel im Schloss und huschte in die Eingangshalle und den Flur hinunter, ohne dass sie einer Mitbewohnerin oder der Vermieterin begegnete. Als sie endlich ihr kleines Zimmer erreicht hatte, zog sie den Anzug aus, wickelte sich aus den Bandagen um ihre Brust und wusch sich den Schmutz des Tages über der Waschschüssel ab. Nachdem sie einen sehnsüchtigen Blick auf ihr Bett geworfen hatte, entschied sie, dass sie wahrscheinlich bis zum Abend nicht mehr aufstehen würde, wenn sie sich jetzt hinlegte. Deshalb kleidete sie sich an und wählte eines ihrer besten Tageskleider. Es war aus grüner Seide, mit bauschigen Ärmeln, hochgeschlossenem Mieder und Reifrock. Ellies Korsett hatte sich noch nie so befreiend angefühlt. Sie verstand nicht, wie Männer, die in Frauen verwandelt worden waren und ihren Zustand verbergen wollten, es aushielten, den ganzen Tag in diese engen Bandagen eingewickelt zu sein. Sie befestigte die Haube mit den falschen Locken auf ihrem Kopf, um ihren Männerhaarschnitt zu verbergen; dann war sie bereit, der Welt die Stirn zu bieten.

Sie hatte noch einen Text zu schreiben, ehe sie Lord und Lady Pembroke wiedertraf. Der Artikel über das mechanische Bordell war fertig in ihrem Kopf und musste nur noch zu Papier gebracht werden. Außerdem musste sie ihre Notizen über die Ereignisse des vorigen Tages ordnen. Die Entscheidung, was sie drucken lassen konnte, was sie andeuten durfte und was sie ganz und gar verschweigen musste, würde einiges Nachdenken erfordern. Erneut nahm sie sich vor, Pimm davon zu erzählen, wie sie Bertram Oswald im mechanischen Bordell gesehen hatte. Er hatte Mittel, über die sie nicht verfügte, und wenn sie der Beziehung zwischen Sir Bertram und Abel Value auf den Grund gehen wollte, brauchte sie jede Hilfe, die sie bekommen konnte.

Doch dieses Problem hob sie sich für später auf. Nun musste sie erst einmal in der Redaktion vorbeischauen und sich bei Cooper zurückmelden, damit er ihr den versprochenen Zeilenplatz in der Zeitung gab.

Ellie trat aus ihrem Zimmer und stand vor einem Mann, der im Flur kauerte und ein Messer hochhielt. Es war Crippen, der Preisboxer, der zum Verbrecher geworden war. Die Anwesenheit dieses schmutzigen, gewalttätigen Kerls in Ellies Wohnheim war so beunruhigend wie eine Schlange auf ihrem Kopfkissen. Sie trat einen Schritt zurück, und Crippen lief mit erhobenem Messer auf sie zu, das Gesicht zu einer wütenden Grimasse verzerrt. „Wo ist er?“, zischte Crippen.

Wen meinte er? Pimm? Den Mörder Thaddeus Worth? Ehe Ellie auch nur versuchen konnte, eine stammelnde Antwort zu geben, stach Crippen mit dem Messer vor ihr in die Luft. „Jenkins!“, sagte er. „Wo ist Jenkins? Ich hab ihn hier hereingehen sehen, wo ist er?“

Er suchte Ellie, und er merkte es nicht. „Ich weiß nicht, was Sie meinen. Das hier ist ein Wohnheim für Frauen, Männer haben hier keinen Zutritt. Sie müssen sich irren.“

„Unnütze Kuh“, sagte Crippen, und Ellie wurde es kalt. Sie fragte sich, ob Pimms bemerkenswerter Gehstock, der Stromstöße verabreichen konnte, sich auch zu etwas umbauen ließ, was für ihre Zwecke taugte, vielleicht zu einem Sonnenschirm. Eine solche Waffe wäre nun recht nützlich gewesen.

Plötzlich kam Ellies Vermieterin, die Witwe Mrs. Reynolds, kreischend aus der Küche gerannt. In der Hand hielt sie eine gusseiserne Pfanne hoch erhoben, als sei sie ein Morgenstern. Crippen schrie tatsächlich auf und wich einen Schritt zurück, gerade rechtzeitig, damit die Waffe ihm nicht den Kopf einschlug. Mrs. Reynolds hob mühsam erneut ihre Pfanne, und Crippen schwang mit wildem Blick sein Messer.

Ellie wusste, dass er eher instinktiv als überlegt handelte, doch das änderte nichts an seinen Mordabsichten. Sie ergriff eine Vase mit frischen Blumen, die auf einem Tisch in der Eingangshalle stand. Mrs. Reynolds legte Wert darauf, die Gemeinschaftsbereiche mit Blumen zu verschönern, die man dank Sir Bertrams städtischem Gewächshaus nun sogar im Winter kaufen konnte. Sie zertrümmerte die Vase samt Blumen im Gesicht des Verbrechers. Das Porzellan brach, und Crippens Nase vermutlich auch. Er schrie auf, ließ sein Messer fallen und rannte zur Haustür. Von seinem Kopf tropfte Blumenwasser, und aus seinem Kragen schaute ein keckes Gänseblümchen. Mrs. Reynolds hob ihre Bratpfanne hoch, sah erst zu Ellie, dann auf die Sauerei am Boden, und seufzte. „Ich hole den Wischmopp“, sagte sie. „Sie gehen einen Polizisten suchen.“

Ellie nickte, machte einen Bogen um die Scherben auf dem Boden und trat nach draußen. Dort entdeckte sie, dass sich bereits ein Grüppchen versammelt hatte, das sich lautstark über den blutenden, durchnässten Mann unterhielt, der die Straße entlang geflüchtet war. Ein Polizist mit charakteristischem Helm kam heran, angelockt von der Unruhe wie die Biene von der Blume. Ellie hob die Hand, um ihn herbeizuwinken. Im Kopf übte sie schon einmal die Worte, die sie sagen wollte: Ein Fremder war mit einem Messer ins Wohnheim eingebrochen und hatte Unverständliches gebrüllt. Ihre Vermieterin hatte den Mann vertrieben. Nein, sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen, doch er schien ein übler Charakter zu sein.

Natürlich konnte sie ihn auch namentlich identifizieren, aber würde das nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sie lenken? Crippens Auftraggeber suchten nach einem Mann namens Jenkins, der einen scheußlichen Schnurrbart hatte, und nicht nach einer Frau namens Eleanor Skyler. Ellie nahm sich vor, den Schnurrbart sofort zu entsorgen und Jenkins völlig verschwinden zu lassen. Nach einem Mann, der nicht existierte, konnten Crippen und seine Kumpane lange suchen.

Doch als Ellie den Mann ins Haus geführt hatte, damit er mit ihrer Vermieterin sprechen konnte, erwies sich ihre Geheimhaltung als überflüssig. „Aber ja habe ich ihn erkannt“, sagte Mrs. Reynolds. „Das war Crippler Crippen, in Lebensgröße.“

„Der Preisboxer?“, fragte der Beamte. „Sind Sie sicher?“

„Mein seliger Mann hat so gerne die Boxkämpfe besucht.“ Mrs. Reynolds tupfte sich mit dem Taschentuch die Augen, so wie jedes Mal, wenn sie Mr. Reynolds erwähnte, obwohl sie dabei nie wirklich weinte. Ellie war sich nicht sicher, ob die Augentupferei nur Schau war, eine affektierte Geste oder lediglich eine alte Gewohnheit aus der Zeit, als ihre Witwenschaft wirklich ein Grund zum Weinen gewesen war. „Ich habe Crippler mindestens dreimal kämpfen sehen, und er ist unverwechselbar – die schwarzen Augen, das große, eckige Kinn und diese Nase! Die war schon so oft gebrochen, dass sie aussieht wie eine zerquetschte Pflaume. Unsere gute Miss Skyler hat sie ihm heute Morgen noch einmal gebrochen, möcht’ ich wetten!“ Sie lachte gackernd. Einbrecher zu vertreiben, versetzte sie offenbar in gute Stimmung. „Zu schade, dass Sie nicht im Ring gegen ihn antreten konnten, Miss!“

„Wir werden Nachforschungen anstellen“, sagte der Polizist. „Leider ist es nicht das erste Mal, dass uns Klagen über Crippen zu Ohren kommen. Er scheint in schlechte Gesellschaft geraten zu sein.“

Mrs. Reynolds rümpfte die Nase. „Er ist ein dreckiger Betrüger, wissen Sie. Hat sich in einem Kampf besiegen lassen, den er eigentlich gewonnen hätte, damit reiche Männer Geld bekamen. Hat sich selbst auch noch die Taschen damit gefüllt. Jetzt ist er so tief gesunken, dass er unschuldige Frauen in ihren Häusern bedroht. Finden Sie ihn, Sir, und ich gehe gern vor den Richter und bestätige Ihnen, dass er’s ist.“

Der Polizist sagte, er werde das Gebäude im Auge behalten, versuchte, vor ihnen den Helm zu ziehen, und ging seiner Wege. Mrs. Reynolds musterte Ellie von oben bis unten. „Sie trinken jetzt eine Tasse Tee“, entschied sie.

Ellie zwang sich zu einem Lächeln. „Nein danke, wirklich nicht, ich muss gehen und mich im Büro melden. Ich muss noch einige Notizen zu einem Artikel umschreiben.“

Ihre Vermieterin seufzte. „Mir kommt es einfach nicht richtig vor, dass eine Frau für eine Zeitung arbeitet. Scheint mir nicht der rechte Ort für eine Frau zu sein. Frauen sollten im Haushalt für Ordnung sorgen, das ist ihre Aufgabe.“

Mit großer Mühe hielt Ellie sich davon ab, darauf hinzuweisen, dass Mrs. Reynolds selbst eine völlig unabhängige Frau war, die soeben versucht hatte, einen Mann mit der Bratpfanne niederzuschlagen. Ihre Vermieterin würde sich wahrscheinlich nur in ihrer Meinung bestätigt fühlen. Einen Einbrecher zu vertreiben, bedeutete schließlich auch, im Haus für Ordnung zu sorgen, oder nicht? Ellie wollte nicht mit der Frau streiten, deshalb sagte sie: „Vielleicht kommt ja eines Tages der Richtige, sodass ich die Feder weglegen kann.“

Mrs. Reynolds sah finster drein. „Das habe ich nicht gemeint. Sie können ja wohl trotzdem in Ihrer freien Zeit schreiben, wenn es Sie glücklich macht.“ Geschäftig begab sie sich zurück in die Küche. Wie immer brachten ihre Gespräche mit der Vermieterin Ellie ein wenig aus der Ruhe.

Sie musste nun noch viel dringender mit Pimm sprechen. Sie musste ihn wissen lassen, dass Crippen in ihr Haus eingebrochen war und „Jenkins“ gesucht hatte. Crippen oder auch sein Auftraggeber hatte offensichtlich zwischen Lord Pembrokes Assistenten und dem Mann, der aus dem Bordell geflüchtet war, einen Zusammenhang gesehen. Zweifellos nahmen sie an, auch Pimm wisse Bescheid darüber, dass Bertram Oswald Zeit in Values Bordell verbrachte. Möglicherweise würden sie sogar Maßnahmen ergreifen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Sie konnte Pimm nicht einfach munter dort draußen herumlaufen lassen, ohne dass er sich der Gefahr bewusst war, in die sie ihn gebracht hatte. Sie würde ihn diesen Mittag sehen und ihm dann alles erzählen.

Vorausgesetzt, sie begegnete bis dahin nicht noch einem von Values Schlägern.

* * *

Pimm wachte auf. Das Erste, das er sah, war Freddys Gesicht, das nur wenige Zentimeter über seinem schwebte. Er zuckte so heftig zusammen, als habe jemand eine Schüssel Wasser in sein Bett geschüttet. Mit einem unbekümmerten Lächeln zog Freddy sich zurück. „So viel dazu! Die vielgepriesene Wahrnehmung der Hallidays. Ich habe minutenlang über dir gelauert. Du hast Glück, dass ich kein Schurke bin, der dich erstechen will.“

Pimm stöhnte bloß, bis Freddy die Vorhänge aufzog und einen Strom von Licht hineinließ. Daraufhin schrie Pimm auf und steckte den Kopf unter die Decke. „Freddy, du Schuft! Was musst du mich so quälen! Erst lässt du mich die halbe Nacht auf dem Boden schlafen, und wenn ich dann endlich ins leere Bett gekrochen bin, setzt du mich nur wenige Stunden später der Sonne aus!“ Die Matratze senkte sich, als Freddy sich neben ihn setzte.

„Darf eine Frau ihren Mann etwa nicht zum Frühstück wecken?“

„Ich will schlafen, Freddy. Ich will wie ein vollgesogener Schwamm sein, so voll, dass bei der kleinsten Berührung Wasser hervorquillt. Nur dass ich anstatt mit Wasser mit Schlaf gefüllt sein will.“

„Es ist beinahe Mittag, alter Junge, und ich habe mit der entzückenden Ellie Skyler ausgemacht, dass wir uns um eins zum Mittagessen treffen. Ich dachte mir, dass du vielleicht vorher deinen Mund ausspülen und dein Hemd wechseln willst.“

Pimm schob Zentimeter um Zentimeter seine Decke zurück, in der Hoffnung, sich langsam an das Licht gewöhnen zu können. Sein Kopf fühlte sich an, als sei er voller Trümmer und Glassplitter. „Warum hast du sie zum Mittagessen eingeladen?“

„Weil ich sie außergewöhnlich reizend fand, und weil ich glaube, dass du sie auch ganz reizend fandest.“

„Schon wieder das Thema, Freddy?“

Sie klopfte ihm auf die Schulter. „Du hast mir einen großen Dienst erwiesen, als du mich geheiratet hast, Pimm. Ich weiß, dass es uns damals ideal vorkam. Du konntest deine Familie überzeugen, dass du endlich zur Ruhe kämest, und warst gleichzeitig in der Lage, mir zu helfen. Aber hast du jemals darüber nachgedacht, was du dir selbst damit angetan hast? Dass du dir die Chance verbaut hast, dein wahres Glück zu finden?“

Pimm versuchte, einen fröhlichen Ton anzuschlagen, obwohl er höllische Kopfschmerzen hatte und ihm die Zunge am Gaumen klebte. Er sagte: „Ich wage zu behaupten, dass ich irgendeinem armen Mädchen viel Elend erspart habe.“

Freddy verzog das Gesicht; auf ihrer makellosen Stirn bildete sich eine Falte. „Erzähl keinen Unsinn, Pimm. Wir waren zusammen in der Schule. Ich kenne die Gedichte, die du liest. Ich habe auch Adelaide gekannt und deine Gefühle für sie, ehe sie auf so traurige Weise verstarb. Aber das ist schon lange her, Pimm, zwölf Jahre. Ich glaube, dein Herz ist so weit geheilt, dass die Liebe wieder erblühen kann. So gerne du auch mit Verbrechern und Mördern herumlungerst, weiß ich doch, dass in dir eine zarte Seele steckt. Du hast ein wenig Glück verdient, meinst du nicht auch? Mehr Glück, als dir der Alkohol geben kann, meine ich.“

Pimm schwang die Beine aus dem Bett und richtete sich auf, sodass er Freddy den Rücken zuwandte. „Geht es dir um Ellie Skye? Ich kenne die Frau doch kaum, wirklich, Freddy.“

„Ja, und du wirst sie auch nicht kennen lernen, wenn du weiterhin glaubst, es nicht zu dürfen. Du hast Skrupel, dir eine Geliebte zu nehmen. Nun gut. Es gibt auch andere Möglichkeiten.“

„Was soll denn aus dir werden, wenn ich mit einer anderen … mit einer Frau mein Glück suche, Freddy?“

„Es gibt so etwas wie Scheidung, weißt du. Es ist jetzt sieben Jahre her, dass das Parlament sie für legal erklärt hat.“

Pimm schüttelte den Kopf. „Sollen wir dich dann als Ehebrecherin brandmarken? Oder würdest du lieber vor Gericht aussagen, dass ich ein Ehebrecher bin, der sich in Sodomie und Bigamie versucht? Denn ohne solche Anschuldigungen und Belege ist eine Scheidung für uns unerreichbar. Selbst dann dürfte ich vermutlich nicht wieder heiraten.“

„Im Parlament wird bereits darüber diskutiert, das Schuldprinzip im Ehegesetz ein wenig abzuschwächen. In Anbetracht des Morbus Konstantin und der gesellschaftlichen Veränderungen, die diese Krankheit ausgelöst hat.“

„Oh, ja. Das Gesetz wird wahrscheinlich dahingehend geändert, dass eine Frau sich schon allein wegen Ehebruchs von ihrem Mann scheiden lassen kann, da Ehebruch das Risiko birgt, eine furchtbare Krankheit nach Hause zu bringen. Aber wäre es denn besser, wenn ich nur ein Ehebrecher wäre?“

„Besser als ein Ehebrecher, der sich mit Tieren und seiner zweiten Frau vergnügt? Ich denke doch.“

Pimm schnaubte vor Lachen. „Eine Scheidung steht außer Frage, Freddy. Im Ernst. Stell dir doch einmal die Reaktion meiner Familie vor! Sie würden mich enterben.“

„Na und? Du hast ein privates Einkommen, dafür hat dein Großvater gesorgt. Du bist nicht vom guten Willen deines Bruders oder deiner Mutter abhängig. Tatsächlich würde es dir doch sogar gefallen, von ihren Erwartungen befreit zu sein.“

Pimm runzelte die Stirn. „Seit wann bist du so kaltherzig, Freddy? Mag sein, dass meine Familie mich nicht versteht und ich sie auch nicht, aber sie sind keine schlechten Menschen. Ich liebe sie.“

„Mmm. Ich habe vergessen, dass du es dir leisten kannst, eine gute Meinung von deiner Familie zu haben.“ Sie seufzte. „Notfalls könnten wir wohl auch einfach meinen Tod vortäuschen, und ich würde auf den Kontinent ziehen.“

Pimm blinzelte und wandte sich um, um seine Frau und seinen besten Freund anzusehen. „Das würde doch einige Schwierigkeiten bereiten, oder?“

„Die Liebe ist einige Schwierigkeiten wert, Pimm. Wenn du das nicht weißt …“ Sie schüttelte den Kopf. „Früher hättest du das verstanden. Wenn wir Ellie unsere Abmachung erklären würden, hätte sie vielleicht Verständnis, und wir könnten eine Lösung finden, ohne uns scheiden lassen zu müssen.“ Als sie Pimms Gesichtsausdruck bemerkte, schnaubte sie. „Oh, Pimm, schau nicht so entsetzt. Die Menschen treffen ständig irgendwelche Abmachungen. Das Leben ist nun einmal kompliziert.“

„In Frankreich vielleicht“, sagte Pimm. „Aber wir sind hier in England. Es würde Gerede geben.“

„Du musst wirklich einmal mit zu einem meiner Salons kommen, Pimm. Das würde dir die Augen öffnen. Ohne Gerede wäre das Ganze doch nur halb so spaßig.“

„Erzähl Ellie – Miss Skye – nichts von deinem Zustand“, sagte Pimm. „Bitte. Sie ist Reporterin. Das bedeutet, dass sie gern Geheimnisse erfährt und sie in Zeitungen abdrucken lässt und an alle weitergibt, die lesen können oder jemanden kennen, der ihnen die Leckerbissen vorliest. Sie ist niemand, mit dem du derart vertrauliche Informationen teilen solltest. Wie gesagt, ich kenne sie verflucht noch mal kaum, du spinnst dir da aus nichts eine Liebesaffäre zusammen.“

„Wenn du Ellie nicht für dich willst, soll ich sie dann vielleicht mit einem unserer heiratsfähigen Freunde bekannt machen?“, fragte Freddy. „Ihr etwas mehr Sicherheit in ihrem Leben verschaffen? Ellie und ich haben uns heute Morgen ein wenig unterhalten, und wie ich erfahren habe, stammt sie aus einer soliden Mittelschichtfamilie. Durchaus respektabel, auch wenn ihre Angehörigen alle verstorben sind. Sie ist auch nicht zu alt, obwohl sie sich damit abgefunden zu haben scheint, eine alte Jungfer zu sein. Ich könnte sie mit Reggie Jolley bekannt machen oder mit Edmund Thorpe.“

Pimm öffnete den Mund, um etwas zu sagen, konnte sich aber nicht zu einer Antwort durchringen. Seine gewaltigen Kopfschmerzen kehrten zurück. Sich Ellie mit einem dieser Männer vorzustellen, beleidigte ihn zutiefst auf eine schier unaussprechliche Weise. Schließlich brachte er hervor: „Jolley, dieser Esel, für den ist sie doch viel zu klug, und Thorpe ist solch ein Riesenflegel, ein solches Schicksal würde ich ihr niemals wünschen.“

„Wie ich vermutet habe“, sagte Freddy in einem unerträglich selbstzufriedenen Ton. Doch ehe Pimm sich beklagen konnte, reichte sie ihm ein Glas, und Pimm trank dankbar daraus.

Er hatte Wasser erwartet, und es war Wasser, doch es war auch Whiskey dabei. Als er das merkte, schüttete er das Getränk sogar noch schneller hinunter. Wärme breitete sich in ihm aus und seine Kopfschmerzen gingen zurück.

„Gut“, sagte Freddy. „Ich fülle dich zwar ungern mit Alkohol ab, aber vielleicht siehst du so bis heute Mittag wenigstens ansatzweise menschlich aus. Wenn du dich in Miss Skylers Gesellschaft befindest, ohne gerade auf Mörderjagd zu sein, wirst du vielleicht sehen, wie entzückend sie ist.“

Pimm schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht, Freddy. Wenn ich nicht noch heute Morgen zu Abel Value gehe, um mit ihm zu sprechen, wird er mir jemanden vorbeischicken, und ich möchte seine Leute auf keinen Fall noch einmal in meinem Haus haben. Ich muss ihm einen sorgsam aufbereiteten Bericht darüber geben, was letzte Nacht passiert ist. Er wird ungehalten sein, dass ich den Mörder nicht persönlich zu ihm gebracht habe.“

„Verflucht. Nun, dann werde ich die Verabredung mit Ellie trotzdem einhalten. Ich könnte noch eine Freundin gebrauchen.“

Pimm sah Freddy erschrocken an. „Sag bloß, du hast ein Auge auf sie geworfen?“

„Aber, aber, beruhige dich. Du weißt doch, dass ich ungemein diskret bin, wenn ich derartige Verabredungen treffe. Ich glaube auch nicht, dass Ellie daran überhaupt Interesse hätte. Zwar kann man es bei so kurzer Bekanntschaft nicht immer sagen, doch ich habe nicht das Gefühl, dass sie an diesen rein weiblichen Beschäftigungen interessiert ist. Ohne Zweifel würde der bloße Vorschlag sie jedoch aufs Reizendste erröten lassen. Nein, nein, ich werde mich schon benehmen. Du und ich sollten uns niemals um eine Frau streiten, das wäre unschicklich. Ich fühle ohnehin eher eine brüderliche Zuneigung zu ihr. Vielleicht auch eine schwesterliche, ich kann es wirklich nicht mehr genau sagen. Kannst du zu unserem Picknick stoßen, nachdem du mit Value gesprochen hast? Falls er dich nicht umbringt?“

Der Gedanke, Miss Skye wiederzusehen, verlieh der Aussicht auf einen ansonsten miserablen Tag eine angenehmere Färbung. Ellie hatte auch versprochen, ihm eine Geschichte über Bertram Oswald zu erzählen, die ihn fast ebenso sehr interessierte. „Ich werde mein Bestes tun.“

„Möchtest du zu deinem Treffen eine Pistole mitnehmen? Vielleicht eine der Luftpistolen, die ich umgebaut habe, oder sogar den Revolver?“

Pimm überlegte. Er mochte Schusswaffen nicht besonders, und er hatte seinen elektrifizierten Gehstock. „Ja“, sagte er dann. „Das wäre wohl am besten.“