KAPITEL 81
Krakau, aus der Finsternis herausgemeißelt. Die
Mauern der Stadt waren rissig, ihre Straßen aufgesprungen –
ausgefranste Schals aus Nebel hatten sich um ihre Hochhäuser und
Kirchtürme gewickelt. Alles schien bereit für eine
»Walpurgisnacht«. Auch an Wölfen und Hexen fehlte es nicht. Ich
fuhr in einer neuen Limousine wie in einem Geisterschiff. Noch
immer ein Gefangener dieses merkwürdigen Gefühls einer behaglichen
Gleichgültigkeit.
Der Wagen hielt vor einem
großen dunklen Gebäude, das an einen öffentlichen Park grenzte und
in der Nähe einer Fußgängerzone mit engen Gassen lag. Priester
erwarteten uns. Sie nahmen uns das Gepäck ab und öffneten Türen.
Ihre weißen Kragen tanzten wie Irrlichter durch die Nacht. Ich
folgte ihnen.
Im Innern erkannte ich einen
Hof mit gepflegten Gärten, Säulengängen und schwarzen Gewölben. Wir
stiegen eine Außentreppe auf der rechten Seite hinauf- die
Holzpantoffeln der Priester erzeugten einen regelrechten
Kriegslärm. Man dachte unwillkürlich an eine militärische Festung,
die nächtliche Verstärkung aufnahm.
Man öffnete mir eine Zelle.
Granitwände, mit einem Kruzifix geschmückt. Ein Bett, ein
Schreibtisch und ein Nachttisch, die genauso schwarz waren wie die
Wände. In einer Ecke, hinter einem Jute-Paravent, befand sich eine
kleine Nasszelle, bei deren Anblick es mir kalt über den Rücken
lief.
Meine Begleiter ließen mich
allein. Ich putzte mir die Zähne, wobei ich meinem Spiegelbild
auswich, und schlüpfte dann unter die feuchten Bettlaken. Noch
bevor sich mein Körper erwärmte, fiel ich in einen traumlosen
Schlaf.
Als ich erwachte, erhellte ein
quer einfallender Lichtstrahl das Zimmer. Ich verfolgte ihn zu
seinem Ursprung zurück: einem sonnenbeschienenen kleinen Fenster
mit senkrechten Steinpfosten. Die beiden Fensterflügel, in deren
Scheiben durchscheinende kleine Blasen eingeschlossen waren,
verstärkten diese Helligkeit wie eine Lupe.
Ich sah auf meine Uhr: 11
Uhr.
Ich sprang aus dem Bett und
erstarrte sogleich in der lähmenden Kälte. Die Erinnerungen kehrten
zurück. Das Treffen mit Zamorski. Der Flug im Privatjet. Die
Ankunft in dieser schwarzen Zitadelle, die irgendwo in einer
unbekannten Stadt lag.
Ich hielt den Kopf unter das
eisige Wasser, zog saubere Klamotten an und trat vor die Tür. Ein
Gang mit großen Fußbodenbrettern. Dunkle, goldbraun schimmernde
Schnitzbilder von gemarterten Heiligen und geistesabwesend
blickende Madonnen aus poliertem Marmor. Ich ging bis zu einer
hohen Tür mit in Stein gehauenem Rahmen. Engel breiteten ihre
Flügel aus, Märtyrer, von Pfeilen durchbohrt oder ihren Kopf unter
dem Arm tragend, segneten ihre Henker. Ich dachte an die Höllenpforte von Rodin.
Ich drückte auf die Klinke und
stand im Freien.
Vier Gebäude umschlossen einen
Innenhof mit Rasenflächen und Baumgruppen. Etwas Robustes. Eine
Bastion des Glaubens, die den Bombardements der Nazis und den
Angriffen der Sozialisten die Stirn geboten haben musste. Jeder der
zweistöckigen Blöcke war mit einem Laubengang mit Holzgeländer
verziert. Ich befand mich im hinteren Gebäude, in der ersten Etage.
Ich ging die Galerie entlang, bis ich auf eine Treppe traf.
Laternen und Eisenstangen markierten jedes Gewölbe.
Das Gebäude schien menschenleer
zu sein. Keine Soutane in Sicht. Kaum hatte ich den Fuß auf den
Kiesweg im Hof gesetzt, als die Glocken auch schon zu läuten
anfingen. Ich lächelte und atmete das weiße, kalte Licht ein. Ich
wollte diesen Augenblick der Reinheit, der an ein Wunder grenzte,
tief in mich aufnehmen.
Die Gärten erinnerten mich an
die Renaissance: Gestutzte Sträucher bildeten quadratische und
rechteckige Felder, Tannen scharten sich um einen runden Platz in
der Mitte. Bänke zogen sich an den Säulengängen entlang, und an der
Rückseite der Gewölbe schimmerten Fenster mit Glasmalereien. Ich
ging über den Hof. Ein gedämpftes Stimmengewirr drang an meine
Ohren. Ich bog ab und stieß eine weitere Tür auf.
Das Refektorium war
lichtdurchflutet und von langen Tischen durchzogen. Wasserkrüge
funkelten, Inox-Schüsseln dampften wie Lokomotiven. Die Priester,
die jeweils zu acht an einem Tisch saßen, aßen und tranken. Ihre
makellosen Habits in ihrer kargen schwarz-weißen Schlichtheit
standen im Gegensatz zu ihrem Gelächter und den genüsslichen
Lauten, die sie beim Essen ausstießen. Hier herrschte eine
aufgeräumte, jugendliche, sinnenfrohe Atmosphäre. Es hieß, dass die
polnischen Priester während des Kalten Kriegs die einzigen Polen
waren, die dank ihrer Gemüsegärten gut speisten.
Ein Arm ging in der Menge hoch.
Zamorski, der allein an einem Tisch saß. Ich schlängelte mich durch
die Gruppen hindurch und gesellte mich zu ihm. Die anderen
schenkten mir keine Beachtung.
»Gut geschlafen?«
Der Pole deutete auf den Stuhl
vor sich. Ich nahm Platz und bedauerte, in den Gärten keine
Zigarette geraucht zu haben. Jetzt war es zu spät. Ich sah auf das
Mittagessen. Der Tisch, der für zwei eingedeckt war, war mit einem
Damasttischtuch bezogen, auf dem Kristallgläser und Silberbesteck
funkelten. Ich fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht.
»Es tut mir leid«, sagte ich
verlegen. »Ich wusste nicht, wie spät es ist …«
»Ich bin auch gerade erst
aufgestanden. Wir haben die Messe verpasst. Bedien dich.«
Dass er mich duzte, erschien
mir an diesem Tag ganz passend. Ich wusste nicht, was ich nehmen
sollte. Es war ein slawisches Menü. Marinierte Fische, in dünne
Scheiben geschnitten, zu Kegeln geformter Kaviar, Schwarz- und
Weißbrot, eine Auswahl eingelegter Gürkchen und eine Fülle roter
Früchte: Brombeeren, Blaubeeren, Himbeeren. Ich fragte mich, wo die
Patres in dieser Jahreszeit diese Früchte aufgetrieben
hatten.
»Wodka? Oder ist es dafür zu
früh?«
»Lieber Kaffee.«
Der Nuntius machte eine
Handbewegung. Ein Pater trat an den Tisch und bediente mich mit
gespenstischer Diskretion.
»Wo sind wir?«
»Im Kloster Scholastyka, in der
Altstadt. Es wird von Benediktinerinnen geführt.«
»Benediktinerinnen?«
Zamorski neigte sich nach vorn.
Seine schmale Nase blitzte in der Sonne.
»Es ist Zeit für die Sext«,
sagte er in vertraulichem Ton. »Während die Schwestern in der
Kapelle beten, essen wir zu Mittag.«
»Sie teilen sich das
Kloster?«
Er öffnete ein weichgekochtes
Ei mit dem Löffel.
»Wir leben zwar unter einem
Dach zusammen, gehen aber allen Aktivitäten getrennt nach.«
»Das ist nicht sehr …
orthodox.«
Er hob das Eiweiß aus der
Schale, die er zwischen den Fingern hielt.
»Eben. Wer würde Kleriker,
zumal unserer Sorte, in einem Benediktinerinnen-Kloster
suchen?«
»Von was für einer Sorte sind
Sie denn?«
»Iss. Was uns nicht umbringt,
macht uns stärker, wie man bei uns sagt.«
»Was für eine Sorte?«
Der Nuntius seufzte:
»Du bist wahrlich ein
Jansenist. Du kannst das Leben nicht genießen.«
Er leerte sein Ei mit wenigen
Löffeln und schob dann seinen Stuhl zurück.
»Nimm deine Tasse. Du kannst
später essen.«
Ich zog es vor, meinen Kaffee
in einem Zug auszutrinken. Der glühend heiße Kaffee verbrannte mir
den Rachen. Während ich noch mit den Schmerzen rang, befand sich
Zamorski schon an der Tür.
In der Galerie malten die
Sonnenstrahlen und die Schatten der Pfeiler ein Gemälde in Schwarz
und Weiß. Die Kälte verstärkte diese Zweifarbigkeit auf
geheimnisvolle Weise. Unter einem Portalvorbau bog der Kirchenmann
ab und stieg eine Treppe hinunter, die direkt ins Mittelalter zu
führen schien.
»Wir haben unsere Büros im
Untergeschoss eingerichtet.«
Ein Tunnel öffnete sich, der
gleichmäßig beleuchtet war, ohne dass eine Lichtquelle sichtbar
war. Die Steinmauern hatten im Lauf der Jahrhunderte Patina
angesetzt. Dennoch herrschte eine Atmosphäre moderner Technologie
vor. Als Zamorski seinen Zeigefinger auf einen Fingerprintsensor
legte, hatte ich keinen Zweifel mehr. Ich hatte einen Blick auf die
Außenseite der Festung geworfen, jetzt sollte ich ihr Inneres
entdecken.
Eine Eisenwand öffnete sich zu
einem großen Raum mit Gewölbedecke, der dem Redaktionssaal einer
Zeitung glich. Computerbildschirme flimmerten; Drucker surrten am
Fuß der Säulen; Telefone, Fax-Geräte, Fernschreiber läuteten,
rasselten und vibrierten allenthalben. Patres in Hemdsärmeln eilten
geschäftig hin und her. Ich dachte spontan an eine Filiale des
Osservatore romano, des offiziellen Organs
des Kirchenstaates, doch hier herrschte eine militärische
Atmosphäre höchster Geheimhaltung.
»Der Überwachungssaal!«,
erklärte Zamorski.
»Was wird hier
überwacht?«
»Unsere Welt. Die katholische
Welt wird fortwährend angegriffen. Wir halten die Augen auf und
reagieren.«
Der Geistliche bog in den
Mittelgang ein. Man spürte die Hitze der Rechner und den Luftstrom
der Belüftungssysteme. Männer in weißem Kragen sprachen am Telefon
Arabisch. Zamorski erklärte:
»Unser Glaube wird von allen
möglichen Feinden bedroht. Es ist nicht immer möglich, die Probleme
durch Gebete oder Diplomatie zu lösen.«
»Bitte werden Sie
deutlicher!«
»Diese Priester zum Beispiel
stehen in ständiger Verbindung mit den Rebellentruppen im Sudan.
Animisten, die, wie ich hoffe, auch ein wenig christlich sind. Wir
gehen ihnen zur Hand. Und nicht nur mit Reissäcken.« Er richtete
den Zeigefinger zur Decke. »Den Islam zurückdrängen, das allein
zählt!«
»Das ist eine recht einseitige
Sicht der Dinge!«
»Wir befinden uns im Krieg. Und
im Krieg sieht man die Welt einseitig.«
Der Nuntius sprach ohne
Schärfe, gut gelaunt. Der Kampf, von dem er sprach, war für ihn
eine Selbstverständlichkeit. Er war Teil der natürlichen Ordnung
der Dinge. Zu unserer Rechten unterhielten sich vier Patres auf
Spanisch:
»Die da kümmern sich um jene
Gebiete Südamerikas, in denen man mit viel Fingerspitzgefühl
vorgehen muss. Dort können wir keine offene Auseinandersetzung mit
jenen suchen, die das Sagen haben, im Drogen- und Waffenhandel oder
im Bereich Korruption. Wir müssen verhandeln, Zeit gewinnen und uns
manchmal sogar mit den schlimmsten Schurken verbünden. Ad Maiorem Dei
Gloriam!«
Er näherte sich einer weiteren
Gruppe, die Zeitungen in slawischen Sprachen las:
»Ein noch schmutzigeres
Geschäft, in Kroatien. Folterknechte, Henker, Kriegsverbrecher
beschützen. Sie sind Christen, und sie haben sich an uns gewandt.
Der Herr hat niemals seine Hilfe verweigert, oder?«
Ich erinnerte mich wieder an
Zeitungsausschnitte. Die Richter des Internationalen
Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien verdächtigten den
Vatikan und die katholische Kirche Kroatiens, in
Franziskanerklöstern Generäle zu verstecken, denen Verbrechen gegen
die Menschlichkeit vorgeworfen wurden. Es war also alles wahr.
Zamorski versuchte zu beschwichtigen:
»Mach nicht so ein Gesicht.
Schließlich machen wir beide die gleiche Arbeit, jeder nach seinen
Möglichkeiten. Du bist nicht der Einzige, der sich die Hände
schmutzig macht.«
»Wer hat Ihnen gesagt, dass ich
schmutzige Hände haben soll?«
»Dein Freund Luc hat mir eure
kleine Theorie über den Beruf des Polizisten erläutert.«
»Es ist nur eine
Theorie.«
»Nun, ich schließe mich diesem
Standpunkt an. Einige müssen die Schmutzarbeit erledigen, damit die
anderen – alle anderen – mit reinem Gewissen leben können.«
»Darf ich rauchen?«
»Dann lass uns
rausgehen.«
Wir setzten uns unter die
schwarzen Gewölbe, ein paar Steinwürfe von den Gärten entfernt.
Düfte von Harz, von feuchtem Laub, von Kieselsteinen, die von der
Sonne erwärmt wurden. Ich zog an meiner Camel und blies den Rauch
genüsslich aus. Die erste Zigarette des Tages … Eine Wiedergeburt,
die immer funktionierte.
»Gestern«, fuhr ich fort,
»haben Sie mir von der K.U.K. erzählt. Sie haben mir gesagt, dass
Sie einer Spezialeinheit angehören. Wie heißt sie?«
»Sie hat keinen Namen. Ein
Geheimnis hütet man am besten dadurch, dass es kein Geheimnis gibt.
Wir sind Mönchsritter, die Nachfahren der milites Christi, die das Heilige Land beschützten,
aber wir haben keine festgelegte Ordnung.«
Wieder tauchten Bilder auf.
Klosterburgen im Spanien der Reconquista im 12. Jahrhundert,
Festungen, die in den Wüsten Palästinas errichtet wurden und in
denen Kreuzritter nach der Klosterregel lebten. Das Kloster, in dem
ich mich befand, gehörte zu dieser Gruppe.
»Sie haben sich also auch mit
den Problemen des Satanismus befasst?«
»Unsere Feinde sind zahlreich,
Mathieu, aber der größte, der gefährlichste, der … dauerhafteste
Feind ist der, dem es gelungen ist, uns in dem Glauben zu wiegen,
es gäbe ihn nicht mehr.«
Ich ging nicht darauf ein. Das
ewige Zitat von Charles Baudelaire aus seinem »Spleen de Paris«:
»Die schönste List Satans besteht darin, uns
glauben zu machen, dass es ihn nicht gibt.« Doch Zamorski
zitierte einen anderen Text:
»›Das Böse ist nicht mehr nur
ein Mangel, es ist eine wirksame Macht, ein lebendiges, geistiges
Wesen, verderbt und verderbend. Eine schreckliche Realität,
geheimnisvoll und beängstigend.‹ Weißt du, wer das gesagt
hat?«
»Paul VI. bei seiner
Generalaudienz am 15. November 1972. Diese Passage hat damals für
großes Aufsehen gesorgt.«
»Genau. Der Vatikan nahm den
Teufel auch damals schon ernst, aber mit dem Beginn des Pontifikats
von Johannes Paul II. ist unsere Position weiter gestärkt worden.
Du weißt, dass Karol Wojtyla selbst Teufelsaustreibungen
vorgenommen hat.« Er lächelte kurz. »Alles, was du im Keller
gesehen hast, wurde von ihm finanziert. Und das Gros unserer Mittel
fließt in den Kampf gegen den Teufel. Denn das ist im Grunde der
entscheidende Kampf. Das Auge des Zyklons.«
Ich setzte mich auf den Rand
des Säulengangs, mit dem Rücken zur Sonne. Zamorski setzte sich auf
einen von Flechten getüpfelten Stein. Seitdem ich mich in diesem
Bunker aufhielt, ließ mir eine Frage keine Ruhe:
»Ist Luc Soubeyras
hierhergekommen?«
»Ein Mal.«
»Es hat ihm hier bestimmt
gefallen.«
»Luc war ein wahrer Soldat.
Aber ich sage es dir noch einmal: Es fehlte ihm an geistiger
Strenge und Zucht. Er glaubte so sehr an den Teufel, dass er ihn
nicht wirksam bekämpfen konnte.«
Ich dachte an die
satanistischen Gegenstände, die Laure gefunden hatte. Der Kleriker
fuhr fort:
»Um gegen Satan zu kämpfen,
muss man ihn auf Distanz halten können, ihm niemals glauben und ihm
niemals zuhören. Es ist paradox, aber um ihm in seiner ganzen
Realität entgegenzutreten, muss man ihn wie eine Chimäre, ein
Trugbild behandeln.«
Ich drückte meine Zigarette an
dem Stein aus und steckte die Kippe in meine Tasche. Zamorski
lehnte sich aufrecht gegen eine Säule. Seine breiten Schultern,
sein weißer Kragen, sein graues Bürstenhaar: Seine ganze
Erscheinung strahlte Klarheit und kämpferische Stärke aus. Eine
geheimnisvolle Faszination ging von ihm aus. Und ein merkwürdiges
Gefühl der Sicherheit. Ich fragte:
»Und Sie, glauben Sie an den
Teufel? An seine physische und spirituelle Wirklichkeit?«
Er lachte laut auf:
»Es würde den ganzen Tag dauern
und vielleicht auch noch die ganze Nacht, um deine Frage zu
beantworten. Hast du Lohn der Angst
gelesen?«
»Vor langer Zeit.«
»Erinnerst du dich an das als
Motto vorangestellte Zitat?«
»Nein.«
»Georges Arnaud schreibt:
›Geografische Genauigkeit ist immer eine Illusion: Guatemala zum
Beispiel existiert nicht. Ich weiß es, denn ich habe dort gelebt.‹
Ich könnte dir das Gleiche über den Teufel sagen. ›Das Böse
existiert nicht. Ich weiß es, denn ich bekämpfe es seit vierzig
Jahren.‹«
»Das sind
Wortspielereien.«
Zamorski stand auf und atmete
mit einem langen Schnaufer aus, der seinen Überdruss
signalisierte:
»Der Teufel ist allgegenwärtig,
Mathieu … In all diesen Sekten, in denen verderbte Männer und
Frauen den schlimmsten Lastern frönen. In psychiatrischen Kliniken,
in denen Schizophrene überzeugt davon sind, besessen zu sein. Aber
vor allem in jedem von uns, jedes Mal, wenn unsere Seele auf Abwege
gerät, wenn das Verlangen, der Wille und das Unbewusste den Abgrund
wählen. Kann man daraus nicht folgern, dass eine reale magnetische Kraft, eine Art schwarzes Loch in
uns selbst, unseren Geist anzieht?«
»Sie glauben also an eine
Urgestalt des Bösen, die schon vor der Erschaffung der Welt
existierte? Eine nicht erschaffene, transzendente Macht, die das
Böse in die Welt gebracht hat?«
Zamorksi lächelte diskret,
flüchtig, wie zu sich selbst gewandt. Er machte ein paar Schritte
und kam zu mir zurück:
»Ich glaube vor allem, dass wir
alle Hände voll zu tun haben. Komm.« Er sah auf seine Uhr. »Du hast
gleich eine Verabredung.«
»Was für eine
Verabredung?«
»Um 17 Uhr erwartet dich Manon
hier, in den Gärten. Auf der Bank, die du dort unten siehst.«