Letzigraben
Mit Brecht auf der Baustelle. Ich habe ihn, da er das Telefon während der Arbeitszeit nicht abnimmt, vom Schreibtisch holen müssen, seinem Wunsch gemäß. Wie immer, wenn er sich eine sachliche Belehrung verspricht, ist er sofort bereit. Mitten aus einer Szene heraus, die er in der Schreibmaschine hat, zieht er die Schuhe an; auf dem Bett liegen Bühnenbilder für Berlin, Entwürfe, die mich interessieren. Er will aber auf den Bau; über Theater kann man auch bei schlechtem Wetter sprechen. Von allen, die ich bisher durch die Bauten geführt habe, ist Brecht der weitaus dankbarste, wißbegierig, ein Könner im Fragen. Fachleute vergessen leicht die großen, die grundsätzlichen Fragen; Laien hören zu, nehmen Lösungen entgegen, wo sich ihnen nie eine Frage gestellt hat, und besonders unergiebig finde ich die Literaten, die allem Sachlichen, bevor sie es erfassen, durch Meditation entfliehen, Stimmungsfritzen, Schaumschläger ihres Witzes oder ihrer Innerlichkeit. Brecht hat einen erstaunlichen Blick, Intelligenz als Magnet, der die Probleme anzieht, so, daß sie auch hinter den vorhandenen Lösungen hervorkommen. Ihm zu erläutern, wie etwa ein Sprungturm geworden ist, wie die architektonische Form sich aus der statischen Aufgabe entwickelt, aber nicht nur entwickelt, wie es der Form obliegt, jene Aufgabe nicht nur zu lösen, sondern sie dem Auge darzustellen, solche Erläuterungen werden zu einem wahren Vergnügen, einem gemeinsamen. Über zwei Stunden stapfen wir umher, hinauf und hinunter, hinein und hinaus, rundherum; hinzu kommt, was den Schaffenden unterscheidet vom Kenner, unweigerlich – das Brüderliche, das aus Erfahrung lebendige Bewußtsein: Zuerst ist nichts! … Die Kenner, wenn sie etwa eine Zeichnung sehen, gehen von Dürer oder Rembrandt oder von Picasso aus; der Schaffende, gleichviel wo er selber wirkt, weiß um das leere Papier.