Am Strand

Jeden Morgen, wenn wir an den Strand gehen, kommen wir an den Arbeitern vorbei, die den Mörtel mischen oder die Ziegel tragen; sie haben rote Kopftücher, vom Staub in ein blasses Rosa verwandelt. Ein Kind, das den Eimer kaum über den Boden heben kann mit seinen kurzen Armen, bringt ihnen das nötige Wasser. Es geht um die Mole, die von zwei oder drei Bomben zerstört ist; nicht um die Arbeit als Tugend und Lebenszweck. Sie kommen sich nicht besser vor als die andern, die unter den Bögen stehen und schwatzen. Es ist nicht der letzte Sinn ihres Tages, was sie da machen, und sie machen es vortrefflich, aber immer so, wie man vielleicht eine Sonnenblume bindet oder einen Gartensessel flickt, immer im Hinblick auf das Leben, das man sich einrichtet und schmückt, ein Leben, das sich lohnt. Nicht einen Augenblick bringen wir es auf das verwegene Gefühl, daß wir, weil wir gerade Ferien machen, freier wären als diese Leute, reicher an Leben, glücklicher als irgendeiner, der an uns vorbeigeht, barfuß-lautlos, zerlumpt, aufrecht und gelassen, ein Mensch, herrlich und gegenwärtig, ein König an Zeit –.

 

Manches erklären vielleicht schon die Früchte, die schwarzen Oliven, die auf der Erde liegen, die letzten Feigen, überreif und violett. Man hat den Eindruck, hier reifen die Früchte nicht als Lohn, sondern als Geschenk, und es verwundert nicht, daß hier der Mensch entstanden ist. Hier lebt er nicht aus Trotz gegen eine Schöpfung, die er täglich überlisten muß, damit sie ihn nicht vertilgt; er lebt nicht aus Mut, nicht aus der schalen Freude an täglicher Überwindung, nicht aus Tugend, sondern aus Freude am Dasein, harmloser und heiter. Das Geschenk, das hierzulande an den Bäumen wächst: die Erlösung von der Angst, die Zuversicht für morgen, die Erlaubnis zur Muße.

 

Das Meer ist warm, aber es geht schon ein frischer Wind, man sucht die Sonne, wenn man geschwommen ist. Auch der Sand, wenn man sich eingraben möchte, erinnert an Herbst; er bleibt an der Haut, kühl und feucht, und die Luft ist so, daß man plötzlich, wenn man mit geschlossenen Augen liegt, an unsere braunen und roten Wälder denkt. Bereits sind sie dabei, die bunten Kabinen abzubrechen, und die Barken sind auf den Sand gezogen. Jeder Tag kann der letzte sein. Nur zwei fremde Mädchen sind noch da. Ich weiß nicht einmal, welche Sprache sie reden. So mächtig lärmt das Meer, wenn es seine Wogen mit rollendem Donner auf den Strand wirft. Stundenlang schaue ich auf ihr zischelndes Verkräuseln, jedesmal spiegelt der Sand, blinkend vor Nässe, die langsam wie ein Löschblatt vermattet, und wieder bleiben die leeren Muscheln zurück, meistens andere, sie sickern in den Sand, es bilden sich die kleinen Grübchen, bis die nächste Woge kommt, sich aufbäumt und höhlt, so daß die Sonne sie durchleuchtet, und mit gischtender Krone zusammenbricht, stampfend, klatschend, kichernd. Und draußen liegt noch ein ganzes Meer voll solcher Wogen, die unter der Sonne tanzen. Einmal kriecht ein schwarzer Frachter über den Horizont; seinen Rauch sieht man einen halben Morgen lang.

Tagebuch 1946-1949
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