Zu Marion
Einmal geht Marion durch eine Ausstellung, betrachtet die Bilder eines Malers, den er kennt, und kaum hat er die kleine Galerie verlassen, will es der Zufall, daß er eben diesem Maler begegnet. Es ist jener Mann, den sie den Scharlatan nennen. Er fordert Marion zu einem schwarzen Kaffee, und so sitzen sie denn unter den vertrauten Bögen, rauchen vor sich hin und plaudern allerlei, dieweil die Leute vorübergehen. Es ist später Nachmittag, die letzte Sonne; das lichte Glühen der Ziegel, der Duft von frischem Kaffee, das alles wäre sehr schön, sehr lebenswert. Der Maler aber weiß, daß Marion gerade aus der Galerie kommt, weiß, daß Marion seine neuen Arbeiten betrachtet hat, und das Peinliche besteht darin, daß die Dinge, die man mit Vorsicht beschweigt, immer lauter werden. Es läßt sich nicht aufhalten. Ob sie trinken und über die braune Tasse hinaus auf die Gasse blicken, ob sie abermals rauchen oder lachen oder von einem ernsthaften Geschwür sprechen, im Grunde tun sie nur eines:
Sie schweigen über die Ausstellung.
Der Scharlatan vermutet natürlich, daß Marion seine neuen Arbeiten nicht mag, und das Schweigen geht ihm nachgerade auf die Nerven, was Marion durchaus spürt, sogar versteht, zumal er manchmal auch die andere Rolle spielt, und zwar an diesem selben Tischlein, wenn man seine Puppen beschweigt. Man denkt: So rede doch schon! Es ist nicht angenehm, eine Verneinung auszusprechen. Man fürchtet, daß man dem anderen weh tut; in gewissem Grad wird es auch so sein, und dennoch wäre es unumgänglich, denkt Marion, und sogar ausführbar, sofern wir zu seiner Arbeit auch nur einmal ein bejahendes Verhältnis hatten, irgendwo. Fast nicht anzubringen ist es natürlich, wenn man alles, was der Scharlatan macht, ablehnen muß; sogar seine Bemühungen, seine Ziele. So aber, wie Marion sich früher über die Aquarelle äußerte, gäbe es viele Wege, die augenblickliche Verneinung auf eine annehmbare Weise auszusprechen.
»Übrigens«, so könnte Marion sagen: »habe ich eben Ihre neuen Arbeiten gesehen –.«
Und er könnte dazu eine Zigarette anbieten.
»Für meine Person, ich muß es gestehen, habe ich Ihre kleinen Aquarelle lieber. Ich weiß nicht, wie Sie sich selber dazu stellen? Vor allem erinnere ich mich an ein Blatt –.«
Das ließe sich anhören. Wenn auch nicht wie Engelsharfen … Aber Marion bietet nur die Zigarette an, und was sich kaum anhören läßt, ist das vollkommene Schweigen, es ist nicht selbstverständlich, es ist ein Krampf, jedenfalls, und das Quälende besteht für den Scharlatan letztlich nicht darin, daß man Furcht hat vor dem bekannten Schmerz, den jede Verneinung verursacht, vor allem natürlich die treffende; das eigentlich Quälende kommt daher, daß Marion ihre menschliche Beziehung für eine so schwache Brücke hält, die mit keinem Schmerzchen belastet werden könnte; für eine Beziehung, die nur am Spalier des Lobes gedeiht, und einmal mehr ist es der plötzliche Schrecken, daß einer sich einsamer sieht, als er eben noch meinte; diesmal der Scharlatan.
Unterdessen ist auch die Sonne verschwunden – Marion erzählt von der Trebor. Wozu! Nur damit er sein Schweigen nicht hört, sein eigenes; denn je länger dieses Schweigen nun dauert, um so unentrinnbarer wird der weitere Verdacht, daß Marion die eben betrachtete Arbeit nicht offenherzig verneinen kann, weil auch das Ja, das er einmal zu früheren und anderen Arbeiten gab, plötzlich nicht stimmt. Es gibt jenes kleine Blatt nicht, das ihm lieber wäre. Obschon er es damals lobte. Er erinnert sich sehr deutlich daran; aber es war eine Lüge, die ihm vielleicht jetzt erst bewußt wird, jetzt, wo er darauf bauen sollte, und es gibt offenbar nichts zwischen ihnen, worauf man bauen könnte, nichts ohne Lüge –
Dann aber:
Wozu reden sie über alles andere, über Gott und die Welt, indem sie einander Zigaretten anbieten; wozu urteilen sie zusammen über andere Menschen?
Und noch eins! Auch das Schweigen, ob wir wollen oder nicht, wird zu einer Aussage, die im Grunde von erstaunlicher Anmaßung ist; man verschweigt sein Urteil, weil man es platterdings für ein Todesurteil hält, unbedingt und gültig in einer Weise, die dem armen Scharlatan, dessen Bilder uns mißfallen, keine Hoffnung mehr läßt auf ein höheres Gericht. Nimmt man seine Meinung nicht zu wichtig? Auf jeden Fall, denkt Marion, wäre es besser gewesen, man hätte gesprochen.
Aber wie?