Letzigraben

Imbiß in der Kantine, Rippli und Wein, dazu ein besonders köstliches Brot – Gespräch mit einem verbitterten Eisenleger, der im Stundenlohn alle andern übertrifft, er schimpft über seinen Stundenlohn, aber im Grunde ist es nicht das; seine Arbeit, die ich oft genug verfolgt habe, ist wirklich von jener Art, die an Galeere erinnert und immer eine peinliche Empfindung erzeugt: man ist froh, daß man selber nicht dazu verdammt ist, froh um die Kunde, daß die Eisenleger einen guten Stundenlohn haben und also zufrieden sein sollen. Dagegen wirken die Gärtner wie spielende Kinder, selbst wenn sie mit violetten Händen schwere Platten tragen. Überhaupt die merklichen Unterschiede je nach Arbeitsart! Eigentlich bin ich nie mit einem Erdarbeiter ins Gespräch gekommen, obschon sie fast ein Jahr lang auf dem Platz gewesen sind; eine spürbare Kluft: sie waten mit lehmigen Stiefeln in einem Graben, ich stehe oben mit Ledermappe, ich zeichne, und sie haben den Dreck. Nicht einmal das Skelett eines Hingerichteten, das eines Tages zum Vorschein kam, hat uns ins Gespräch gebracht. Anders schon die Maurer; ihre Arbeit fordert nicht Kraft allein, sondern Geschick, es gibt schlechtes und sauberes Mauerwerk, Könner und Pfuscher; wer den Unterschied sieht, ist wert befunden, daß sie mit ihm reden. Überall die aufblühende Selbstachtung, sobald die Arbeit einen persönlichen Spielraum gewährt; am meisten bei den Gärtnern, die immer wieder mit Vorschlägen kommen, was ihnen noch besser gefiele; aber auch der Vorarbeiter, der jetzt den zehn Meter hohen Sprungturm schalt, ist emsig-selig. Arbeit als Fron oder Arbeit als Selbstverwirklichung. Ich bin mir im klaren, daß der Bau zu den freundlichsten Arbeitsstätten gehört, die unser Zeitalter zu vergeben hat; nicht zu vergleichen mit der Fabrik. Als Inbegriff des Handwerkers, im Gegensatz zum Arbeiter, erscheint mir immer wieder der Schreiner; der natürliche Rohstoff, das Holz, das nicht aus einer Fabrik kommt, und dann vor allem der Umstand, daß der Schreiner nicht Teile herstellt, die weitergehen, sondern ein Ganzes, ein Fertiges, ein Werk, das er im wesentlichen durchaus als das seine ansprechen kann. Anders die Leute, die mit Metall arbeiten; auch ihre Arbeit, die Montage, hat durchaus noch das Erfreuliche, daß sie das Ergebnis eines langen Arbeitsganges erleben, auch das Ingeniöse, das Unterhaltende, daß sich ihre Aufgabe in jedem Bau etwas anders stellt, das Anreizende, daß man Ideen haben kann, und doch ist das Wesen aller, die mit Metall arbeiten, schon aschenhafter. Was sie in die Hand bekommen, sind immer schon Fabrikate. Und das Ergebnis: die Wasserspülung geht, ihre Arbeit ist wichtig, sonst würde sie ja nicht bezahlt, aber sie hat nie die Gloriole eines eignen Werkes. Der Arbeiter sagt: Im Hallenbad habe ich auch gearbeitet. Der Handwerker sagt: Im Hallenbad habe ich die Geländer gemacht. Der Unterschied auch in der Art, wie sie dem Architekten gegenüber stehen; der Handwerker fühlt sich durchaus als Kollege, und unser Gespräch ist meistens ersprießlich; der Arbeiter gehorcht – willig oder unwillig – im Grunde meistens ahnungslos, was der Architekt eigentlich arbeitet. Pläne, ja, aber die läßt er ja auch von anderen zeichnen! Wenn ich ihm erläutere, daß der Entwurf nicht vom lieben Gott kommt, und wenn ich ihm auf einem Zettel zeige, wie verschieden man entwerfen kann, wieviel Fehler zu meiden und wieviel Erfordernisse zu lösen sind, bevor er sein Parkett verlegen kann, ist er aufrichtig verblüfft:

»Ja, das ist eigentlich wahr«, sagt er: »daran habe ich noch nie so gedacht –.«

Dabei hat er graues Haar.

»Wissen Sie«, sagt er: »auch ich habe eigentlich etwas ganz anderes werden wollen –«

»Nämlich?«

»Kunstmaler.«

Tagebuch 1946-1949
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