Café Odeon
C. F. Ramuz, der Dichter unsrer französischen Schweiz, kürzlich verstorben, steckt bereits, wie ich heute sehe, in unserem vaterländischen Knopfloch: Gotthelf, Keller, Meyer, Spitteler, Ramuz … Eh bien! Dagegen ist nur zu sagen: vor wenigen Monaten, als Ramuz vor der letzten Operation stand, mußte er den Schriftstellerverein anfragen, ob man ihm zweitausend Franken für diese Operation geben könnte –
Die Stellung des Schriftstellers in der Schweiz, selbst eines einmaligen wie Ramuz, überhaupt die Stellung der Künstler, der Intellektuellen, sofern ihre intellektuelle Leistung nicht gerade der Industrie dient, ist eine erbärmliche, erbärmlich mindestens im Vergleich zum durchschnittlichen Wohlstand unsres Landes. Dennoch wäre es dumm, daraus eine Verbitterung zu machen. Zwar hätten unsere Zeitungen, da sie ja im Wirtschaftlichen wurzeln, durchaus die Möglichkeit, anständig zu sein, Honorare zu zahlen, wie man sie auch einem Arzt oder einem Ingenieur zahlen muß. Davon sind sie weit entfernt; die allgemeine Geringschätzung einer Arbeit, die einen geringen Lohn bringt, wäre eine Schnurre für sich! Was unsere Zeitungen anlangt, sehe ich sie als Nutznießer einer Notlage, die sie nichts angeht, jenes Umstandes nämlich, daß unsere Verleger wirklich nicht zahlen können. In der Tat, solange die Schweiz auf sich verwiesen bleibt, ist es so, daß unsere Verleger nicht leben können, wenn auch der Schriftsteller leben will; der Schriftsteller hat aber ein Interesse daran, daß sein Verleger lebt, und also muß er halt in Gottesnamen, nicht immer zu seinem Schaden, einen Beruf ausüben, wenn er schon schreiben will. Das hat viel für sich. Immerhin sollte ein Ramuz nicht betteln müssen, bevor er ins Spital fährt, um in Ehren zu sterben. Verkehrt aber schiene mir jede Verbitterung, die sich gegen unsere Landsleute richtet, gegen ihre geringe Lesefreude oder so. Wir sind zwei und eine halbe Million von Deutschsprechenden, davon viele Bauern, wenig Städter. Nehmen wir Deutschland mit sechzig Millionen. Bei gleicher Leserdichte, und die deutsche Leserdichte wird besonders gerühmt, würde das heißen: Fünfhundert Gedichtbände, verkauft in der Schweiz, entsprechen einem deutschen Absatz von zwölftausend. Wie oft kommt das vor? Ein Schauspiel, das hier in zweitausend Stück verkauft wird, müßte in Deutschland, bei gleicher Nachfrage, eine Auflage von achtundvierzigtausend erreichen. Wie oft kommt das vor? Unsre Leserdichte ist nicht schlecht, auch verglichen mit dem literarischen Frankreich, wo die Bücher eines Dramatikers, der in aller Munde ist, nicht über das fünfte Tausend gelangen. So kann sich der schweizerische Schriftsteller, meine ich, jederzeit auf einer Zigarettenschachtel ausrechnen, daß er unmöglich leben kann – und dennoch keinen Grund hat, deswegen bitter zu sein.