Café Odeon

Das Wort, womit man zur Zeit am meisten Unfug treiben kann, heißt Nihilismus – man muß nur unsere Zeitungen blättern, und schon haben sie wieder einen! Sartre ist einer, Wilder ist einer, Jünger ist einer, Brecht ist einer … Wahrlich, ein verbindendes Wort! Ich sehe sie förmlich, unsere Rezensenten zweiten Ranges, sie stöbern wie mit einer Flitspritze umher, und kaum erschreckt sie etwas Lebendiges, spritzen sie mit geschlossenen Augen:

»Nihilismus, Nihilismus –«

Nihilist in diesem Sinn, wie unsere Presse es meint, ist auch der Arzt, der mich heute geröntgt hat, statt daß er meine Wange schminkt; denn was zum Vorschein kommt, wenn er röntgt, wird nicht schön sein –.

Was sie positiv nennen:

Die Angst vor dem Negativen.

 

(Selbstverständlich ist es nicht entscheidend, ob man Ja oder Nein sagt, sondern wozu man es sagt, und der Glaube, der sich in einem Nein ausdrückt, ist nicht immer der geringere, meistens sogar der keuschere.)

Ihr Ja: als ein Ja zur Lüge.

 

Was Brecht betrifft, um den es in diesem Aufsatz geht, frage ich mich, ob ein Nihilist, ein wirklicher, imstande wäre, eine Veränderung zu wollen. Brecht aber, das weiß auch dieser Kritiker, will durchaus eine Veränderung, eine ganz bekannte, genau beschreibbare. Wer keine Veränderung will, weil der herrschende Zustand zu seinem Vorteil gereicht, oder wer eine andere will, kann ihn als Gegner bezeichnen, keinesfalls als Nihilist. Wer den Bürger verneint, verneint noch nicht den Menschen, und wer den Körper durchleuchtet, verneint nicht den Geist – sondern er wendet ihn an.

 

Ferner: unser Verhältnis zum Häßlichen, und warum sie dem Künstler, wenn er das Häßliche zeigt, meistens die Künstlerschaft absprechen –

Der Bürger sagt:

»Die Kunst beschäftige sich mit dem Schönen.«

(Damit sie sich nicht mit ihm beschäftige?)

Goethe sagt:

»Die Kunst beschäftigt sich mit dem Schweren und Guten.« (Maximen und Reflexionen.)

 

Nur wer das Schöne selber vermag, scheint es, erträgt auch den Anblick des Häßlichen, und zwar so, daß er es darstellen kann.

Woran verrät sich der Dilettant?

Seine Gegenstände sind immer schön.

Tagebuch 1946-1949
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