30. 8. 1948
Allein in der Stadt. –
Der Eindruck trostloser Vernichtung, der die ersten beiden Tage bestimmt hat, verwandelt sich mehr und mehr. Bei einem vorzüglichen Kaffee, den ich eben trinke, habe ich das Gefühl, daß man hier durchaus leben und arbeiten könnte. Die Menschen kommen mir nicht mehr, wie beim ersten Schock, als Verdammte vor, im Gegenteil, ihre Gesichter sind fröhlich und wach, viel fröhlicher als in meiner Vaterstadt. Die früheren Hauptstraßen wirken lebendig und bunt, obschon die Häuser, die eigentlich die Straße bilden sollten, nicht vorhanden sind, überhaupt nicht oder als Ruinen höchsten Grades; aber was über unsrer Augenhöhe ist, scheint für den Eindruck weniger bestimmend, man sieht die Schaufenster, das Gewimmel der Fußgänger, die Straßenbahn, die meistens älteren Wagen, die Stände mit Früchten und Blumen. Vor allem aber: auf Schritt und Tritt sieht man, daß begonnen wird, eine Riesenarbeit ist schon vollbracht, Flächen ohne Schutt, die Luft ist voll Lärm der Arbeit und voll Staub, aber auch voll Zukunft, sobald das Vergangene einmal als vergangen begriffen ist.
Warschau hatte Einwohner: eine Million und dreihunderttausend. Heute leben hier sechshunderttausend; also weniger als die Hälfte. Die Wohnnot ist die bitterste.
Abendessen mit einem jüngeren Polen, dessen Adresse wir hatten, und mit seiner Schwester. Dazu tanzen. Das Lokal ist unterirdisch. Ein jüngerer Mann, etwas betrunken, erkennt uns als Ausländer, kommt herüber. Ich verstehe natürlich kein Wort; er wütet und schimpft, doch nicht gegen uns. Gebärde des Schießens, Gebärde des Aufhängens. Seine Freunde packen ihn mit Gewalt, bringen ihn hinaus, damit er nicht weiterredet, wenn die Musik aufhört –
»Was hat er denn gesagt?«
»Pas maintenant«, sagt unser Pole.
»Please!« sagt die Schwester: »Come –.«
Nämlich zum Tanzen; durch den kleinen Zwischenfall genötigt, siehe da, geht es tadellos, und wir tanzen noch stundenlang.