Schauspieler
Entscheidend scheint mir, daß der Schauspieler, im Gegensatz zu jedem anderen Künstler, kein andres Instrument hat als sich selbst, seine eigene leibliche Person … Ein Maler, ein Bildhauer, ein Schriftsteller, ein Musiker, ich möchte nicht behaupten, daß sie minder besessen sind von sich selbst. Eitel sind wir alle! Aber wenn sie in einer Gesellschaft sitzen, kommen sie nicht als Maler, Schriftsteller, Musiker, sondern als Leute; sie kommen ohne Pinsel, ohne Meißel, ohne Schreibmaschine, ohne Klavier. Sie kommen ohne ihr Instrument. Der Schauspieler, ob er will oder nicht, kann sein Instrument nicht zu Hause lassen. Ein Bildhauer erzählt, was er vom Fliegen hält oder von der Liebe; wir hören ihm zu. Wenn aber ein Schauspieler das nämliche erzählt, schauen wir. Und er ist sich bewußt, daß wir schauen. Wenn ein Schriftsteller dasitzt und sich als Stammler erweist, besagt das nichts über seine Schriftstellerei; einem Schauspieler dagegen, der sich nicht bewegen und die Anekdote, die er zum besten gibt, nicht darstellen könnte, wie sollen wir ihm den Darsteller glauben? So kommt der Schauspieler, wenn nicht gerade ein Haus einstürzt, nie ganz aus seiner Begabung heraus; das ist sein Fluch, sein Gehäuse, seine besondere Wirkung, die verblüfft und später langweilt, je mehr er nämlich, kraft seiner immer gegenwärtigen Mittel, die Gesellschaft dominiert. Auch der Musiker, wenn er sein Orchester mitbrächte, würde uns dominieren.
Schauspieler, sagt man, können nur vom Theater sprechen. Das ist richtig: vom Theater, nicht über Theater. Meistens reden sie von Personen, die sie lieben oder hassen, oder von Rollen, wie Frauen etwa von einem neuen Mantel sprechen. Im Grunde, und das ist wohl das Rasch-Verbindende und das Langsam-Abstoßende ihres Umgangs, sprechen sie stets von der eignen Person; das Theater ist ein immer neuer Mantel dieser Person.
Es ist kein Zufall, daß ich vom Schauspieler rede, nicht von der Schauspielerin – kein Zufall, daß die schauspielerische Eitelkeit auf die eigene leibliche Person besonders am männlichen Vertreter auffällt. Das Weib ist schauspielerisch von Natur. Kommt eine Begabung hinzu, die sogar einen Beruf daraus werden läßt, wird das Weib dadurch nicht fragwürdig, nur weiblicher. Oder anders gesagt: je weiblicher sie ist, um so voller glaube ich ihr die Schauspielerin. Das Theater, man weiß es, ist etwas durch und durch Erotisches, aber weiblich erotisch, und daß die Männer, die diesen Raum betreten, so häufig der geschlechtlichen Verkehrung verfallen sind oder ihr verfallen müssen, um ihn mit besondrer Leichtigkeit zu betreten, ist ebenfalls bekannt und nicht zufällig, sondern wesentlich. Woher kommt es, daß der Schauspieler, der männliche, wenn er nicht ein überragender ist und somit schon unverhältnismäßig, mit einem gewissen Alter immer peinlich wird? Ein Handwerker, ein alter, wird vielleicht langsam und unbeholfen, aber niemals peinlich. Der Schauspieler tut uns leid. Er merkt es übrigens selber, es drängt ihn, sich als Spielleiter zu versuchen, und er ist erleichtert, wenn es irgendwo Kinder gibt, Zeugen seiner Männlichkeit; hin und wieder, halb im Scherz, träumt er von einem bürgerlichen Beruf; er liebt es, nur im schwarzen Anzug auf die Bühne zu treten und Gedichte vorzulesen, eine Matinee über Goethe oder Büchner, und mehr und mehr zieht er es vor, auch im Rundfunk zu sprechen – wo er ebenfalls kein Kostüm tragen muß.
Das Widermännliche: das scheinbar Uneigene des Weibes, das sich formen läßt von jedem, der da kommt, das Widerstandlose, Uferlose, Weiche und Willige, das die Formen, die der Mann ihm gibt, im Grunde niemals ernst nimmt und immer fähig ist, sich anders formen zu lassen: das ist es, was der Mann als das Hurenhafte bezeichnet, ein Grundzug weiblichen Wesens, das Weiblich-Eigene, dem er niemals beikommt. Man könnte es auch das Schauspielerische nennen. Das Spiel der Verwandlung, das Spiel der Verkleidung. Der Mann, wenn er sich in Kostüme hüllt, hat er nicht immer einen Stich ins Verkehrte, ins Weibische, ins Widermännliche?
Ohne Eros keine Kunst. Erotisch im weiten Sinn ist der Drang, da zu sein, und der Drang, sein Dasein darzustellen. Das Schauspielerische und das Tänzerische, also die Darstellung durch die eigene leibliche Person, sind wohl das unmittelbarste Gestalten, am wenigsten übersetzt, am nächsten bei der naturhaften Erotik, die ebenfalls mit dem eignen Leib und mit der eignen Stimme spielt und wirkt. Andere Künstler, die dem nämlichen Drang gehorchen, Dasein darzustellen, tun es mittelbarer: sie tun es auf Papier oder Leinwand oder Stein; sie müssen es übersetzen in einem Grad, der die verfängliche Vermischung von künstlerischem und naturhaftem Drang zwar auch nicht verhindert, aber wesentlich erschwert; sie verlegen es außerhalb ihrer leiblichen Person; sie entrücken es – weil sie neben dem erotischen Drang, ihr Dasein darzustellen, noch ein andrer Drang gleichwertig beherrscht: der intellektuelle, der Drang, zu erkennen.
Ein Schauspieler kann vielleicht dumm und groß sein; ein Dichter, fürchte ich, kann beides nicht vereinen.
In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, daß der intellektuelle Drang unter den Schauspielern nicht nur eine geringe Rolle spielt, sondern geradezu verpönt ist. Das Schlimmste, was sie etwa von einem Spielleiter sagen können: daß er literarisch sei. Und das heißt: blutlos, unkünstlerisch. Und die Verachtung, die sie damit aussprechen, hat oft einen Geschmack von Haß und ist erbarmungslos, wie nur Gekränkte es sein können. Was ist geschehen? Oft hat ein Spielleiter nur den Fehler begangen, daß er sich nicht in sie verliebte; ein wirklicher Fehler. Was will man von einem Schauspieler, den man nicht durch persönliche Sympathie erreicht? Erörterungen sachlicher Art, mag sein, sie werden angehört, sogar verstanden; aber sie werden nie überzeugen. Schauspieler sind keine Schreiner. Was nichts gegen die Schreiner sagt! Schauspieler lassen sich nur führen, wenn du in ihnen das Bedürfnis erwecken kannst, dir persönlich zu gefallen. Das erotische Bedürfnis. Das ist meistens die einzige Antenne, die sie haben, eine wunderbare, gewiß, eine lebendige und äußerst empfindsame, gewiß, aber immer mit einer Erdung im Privaten – weswegen auch die Luft, die sie bei der Arbeit umgibt, selten die kühle und sachliche Luft einer Werkstatt ist; es bleibt die Luft eines Boudoirs.
Man muß sich in sie verlieben!
Sonst sind sie nicht auszuhalten.
Ein Schauspieler, kaum hat er sich abgeschminkt, wartet er auf unser Lob – lobe ihn auf jeden Fall, spare deine Kritik auf übermorgen! Im Augenblick, wo einer von der Bühne kommt, ist sie nur grausam. Der Schauspieler, anders als andere Künstler, ist eins mit seinem Werk, und zwar auf eine leibliche Weise. Was ihm mißlingt, kann er nicht herausreißen, verknüllen und wegwerfen; es klebt an ihm, gelungen oder mißlungen. Nichts ist begreiflicher als seine Gier, sofort zu hören, wie er heute abend gewesen sei. Er kann sein Werk nicht selber sehen. Das ist etwas Ungeheuerliches. Angewiesen auf uns, die es gesehen haben, trifft ihn unser Schweigen wie eine Vernichtung. Der Schauspieler hat etwas von einem Maler, der blind wäre. Noch wenn es gelungen ist und wir sitzen nach einer Vorstellung zusammen, wirklich begeistert, spüre ich stets eine Melancholie; der Rausch verrauscht, und sein Werk ist nur in unser Gedächtnis geschrieben. Das ist ein weiches Wachs; er selber kann es schon in einem Monat wieder verwischen. Einiges bleibt haften über Jahre, über Jahrzehnte; aber wo? Er kann es nicht aus einer Mappe nehmen oder in einer Galerie wiederfinden. Seine Galerie sind die Leute; seine rührende Freude, alte Bekannte wiederzusehen, Kollegen oder Zuschauer, zu hören, wo die Sowieso ist und was der Dingsda macht, zu erzählen, wie es in dem Theater zuging, wo er zum erstenmal seinen Mortimer gespielt hat, zu vernehmen, daß eine frühere Partnerin sich zum fünftenmal verheiratet hat – all diese Gespräche, die wir als Klatsch empfinden, die auf die Dauer so langweilig sind – es ist alles so begreiflich, wenn man es so begreift: er sucht die Spuren seines Werkes, Leute, die es gesehen haben …
Warum gibt es so oft eine große Schauspielerin, so selten eine große Dichterin?… Der erotische Drang, Quelle jeder Künstlerschaft, hat eine weibliche und eine männliche Spielart. Weiblich ist der Drang, zu sein; männlich ist der Drang, zu tun. Die interpretierende Kunst ist immer näher beim Weiblichen.
Ein Schauspieler, der eines Tages nicht mehr auftritt, macht den Eindruck eines Gescheiterten – durchaus nicht die Frau, die eines Tages genug hat und sich ihren Kindern widmet. Für den Mann war es Beruf; sie spricht von ihren Rollen wie von Hochzeitsreisen …
Die gesellschaftliche Geringschätzung des Schauspielers sogar in Jahrhunderten größten Theaters: mindestens teilweise begründet in einem instinktiven Unbehagen gegenüber dem Widermännlichen jeder Schauspielerei, verschärft durch den Umstand, daß die Männer auch noch die weiblichen Rollen haben übernehmen müssen – zu untersuchen wäre, wieweit es der Schauspielerin zu verdanken ist, daß jener Bann zwar nicht verschwunden, aber sehr vermindert ist. Daß ein Unterschied empfunden wird zwischen Schauspieler und Schauspielerin, zeigt sich an jedem Briefträger, jeder Zimmervermieterin, jedem Gaseinzüger, der Schauspieler bleibt ihnen doch zweitrangig, bevor er sie durch längere Bekanntschaft vielleicht eines andern belehrt oder durch Ruhm, durch ein Bild in der Zeitung von vornherein bezwingt. Ein Schauspieler, aber ein feiner Kerl! Eine Schauspielerin, selbst wenn sie ein Luder sein sollte, ist ihnen selbstverständlicher.
Die Sorge, daß das Theater eingehe zugunsten des Films, kann ich aus manchen Gründen nicht teilen; einer davon ist das Wesen des Schauspielers, das Erotische daran, das im Film nie seine ganze Erfüllung findet; der erotische Drang, da zu sein und sich darzustellen, wird immer auch die leibliche Gegenwart der Zuschauer verlangen. Der Schauspieler, der gefilmt wird – und irgendwann einmal, wenn er vielleicht im Bett liegt, sehen wir sein Bild – das kann seine Börse und seinen Ruhm vergrößern, aber den Augenblick nicht ersetzen, wo er auf der Bühne spielt und zugleich gesehen wird. Weder für ihn noch für uns. Wenn das Theater eingeht, ist auch der Eros eingegangen.