30
Donnerstag, 1. 8., ca. 17 Uhr
Die griechische Sonne brannte so heiß, dass man sich nur im Schatten aufhalten konnte. Mona döste auf einem Liegestuhl unter einem Bastschirm. Vor ihr das Meer, glatt wie ein Spiegel. Hinter ihr die Anlage eines Fünf-Sterne-Hotels. Ein Geräusch weckte sie. »Ich dachte, das interessiert dich«, sagte Anton. Er legte ihr jene Zeitung auf die nackten Beine, die man in jedem Urlaubsort bekam.
Brutaler Serienmörder sagt:
Ich war’s nicht
Mona setzte sich auf und las den dazugehörigen Artikel.
»Und?«, fragte Anton, der sich neben sie gesetzt hatte.
»Sie haben Serienmörder geschrieben, statt mutmaßlicher Serienmörder. Das gibt bestimmt Ärger.«
»Das meine ich nicht«, sagte Anton ungeduldig.
»Weiß ich schon. Aber seit wann interessierst du dich für meinen Job?«
»Wieso? Ist doch spannend.«
Mona sah ihn von der Seite an. »Na ja, hier steht’s doch. Janosch K. hat sein Geständnis zurückgenommen. »
»Wieso?«
»Ich darf nicht darüber sprechen. Weißt du doch.« Mona stand auf. »Komm«, sagte sie. »Lass uns schwimmen gehen.«
 
Als sie zwei Stunden später ihre Zimmerschlüssel holten, gab ihr der Rezeptionist einen Zettel mit einer Telefonnummer, die sie nicht kannte. Daneben stand der Name Bergamar.
»He wants you to call him back«, sagte der Rezeptionist.
»Okay. Ich komm nach«, sagte Mona und sah Anton an. Anton zuckte die Schultern und nahm Lukas mit an die Poolbar, wo Lukas eine Cola und Anton ein Bier trinken würden. Mona fuhr mit dem Lift nach oben, ging in ihr Zimmer und rief die Nummer an, die auf dem Zettel stand. Schon nach dem zweiten Läuten hob Berghammer ab. Seine Stimme klang noch nicht wie die eines gesunden Mannes, aber es schien ihm schon erheblich besser zu gehen.
»Du hörst dich gut an«, sagte Mona. Sie legte sich aufs Bett, den Hörer am Ohr. Die frische Bettwäsche roch gut, das Zimmer war angenehm klimatisiert, nicht zu warm, nicht zu kühl. Luxus hatte eine Menge für sich.
»Geht so«, sagte Berghammer in ihr Ohr. »Die haben mich auf Diät gesetzt.«
»Du Armer.«
»Hör zu Mona, ich will’s von dir hören.«
»Was?«, fragte Mona, obwohl sie genau wusste, was er meinte.
»Janosch Kleiber. Ich will’s von dir hören. Die anderen wollen mich immer nur schonen, du bist die Einzige...«
»Ist ja schon gut. Was willst du wissen?«
»Die Staatsanwaltschaft stellt sich stur, die sagen mir einfach nichts, und dann erfahre ich die Scheiße aus der Zeitung!«
»Na schön«, sagte Mona.
»Was ist schief gelaufen? Ich versteh’s nicht.«
»Ich hab’s mir gedacht«, sagte Mona.
»Was? Was gedacht?«
»Schon als wir Kleiber am Flughafen festgenommen und seinen falschen Pass, mit dem er eingecheckt ist, nirgendwo gefunden haben. Er hat ihn wahrscheinlich irgendeiner Ausländerin ins Gepäck gestopft. Nein, schon früher.«
»Was schon früher?«
»Ich hab’s mir schon früher gedacht. Dass er alle Spuren vernichten würde, wie ein Vollprofi. Wir waren ja vorher in seiner Wohnung. Und da war nichts mehr. Keine Pläne, keine Indizien, nichts.
»Und die Tatortleute?«
»Nichts, Martin. Tabula rasa.«
»Die Wohnung war leer?«
»Eben nicht. Die Möbel waren da, Klamotten hingen in seinem Schrank, alles wie bei jemandem, der nur mal kurz wegfährt. Ganz spontan, einfach so. So hat er’s uns auch verkauft. Aber ansonsten hat er alles vernichtet. Jeden Hinweis. Kein Fitzelchen Papier mehr da. Keine Drogen. Nichts.«
»Das gibt’s doch nicht.«
»Wie gesagt, ein Vollprofi.«
»Was war mit diesem Griechen? Gerusonstwas?«
»Laut Gerulaitis’ Aussage hat Kleiber per Video ein Geständnis abgelegt.«
»Ja und?«
»Das Geständnis Kleibers war demnach auf einem Video, wahrscheinlich zusammen mit der Geschichte, mit der Kleiber Fabian Plessen erpresst hat. Das Video ist beim Schusswechsel im Keller von Susanna Kleibers Haus zerstört worden. Kleibers Komplizin Sabine Frost wurde..., ist...«
»Patrick hat sie erschossen«, half ihr Berghammer.
»Ja. Es war Notwehr.«
»Ja, ja. Was ist mit der Aussage von diesem Gerulaitis? Die kann man doch verwenden.«
»Wie man’s nimmt, Martin. Gerulaitis hat sich beurlauben lassen, wegen Stress. Er ist nicht sicher, ob er seinen Job weitermachen will. Und das gönne ich ihm, aber so was macht sich vor Gericht nicht gut, das weißt du selber. Ein guter Anwalt stellt Gerulaitis als psychischen Problemfall hin, und damit wird seine Aussage, na ja, nicht unglaubwürdig, aber...«
»Scheiße.«
»Kleiber ist wirklich gut. Er hat einfach gar nichts gesagt. Die Staatsanwaltschaft hat trotzdem drauf bestanden, mit ihm als Täter an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie haben U-Haft verhängt, obwohl der Fall nur auf Indizien beruht. Es gibt keinen einzigen Beweis. Wir hatten eine Superzeugin, die Haushälterin Plessens, eine Russin, die die Morde in Plessens Haus zum Teil beobachtet hat. Aber sie hat Kleiber nicht wiedererkannt. Zumindest hat sie das behauptet. Sie ist Russin und...«
»Russin?«
»Ja. Sie ist illegal hier.«
»Dann hatte sie Angst«, sagte Berghammer mit resignierter Stimme. »Die Russen haben alle eine Scheißangst, wenn’s um Mord geht.«
»Sie wollte mir einfach nicht glauben, dass Kleiber Einzeltäter ist. Sie dachte wahrscheinlich an Mafia oder so. Jedenfalls hat sie ihn bei der Gegenüberstellung nicht identifiziert. Und das bricht der Klage das Genick, würde ich sagen. Ein guter Anwalt haut Kleiber da leicht wieder raus.«
»Und du?«
»Ich hab mich offiziell distanziert. Ich wusste, Kleiber würde nichts zugeben, niemals. Der ist so. Der lässt sich nicht einschüchtern. Der ist innerlich so kalt...«
»Verstehe.«
»Jetzt ist die Staatsanwaltschaft dran, Martin. Selber schuld, wenn die sich so aus dem Fenster hängen. Mir ist das egal.«
Eine Pause entstand. Sie hörte Berghammer am anderen Ende der Leitung atmen. Er glaubte ihr nicht, und sie sich selber auch nicht. Das offene Ende des Falls war ihr alles andere als egal. Es nagte sehr wohl an ihr. Sie war trotzdem in Urlaub gefahren, weil Lukas wichtiger war – wichtiger sein musste – als ihr Job. Ohne Lukas hätte sie verbissen weiter-, immer weiterermittelt und wahrscheinlich doch irgendwann aufgeben müssen. Ohne Lukas und auch ohne Anton, das sah sie plötzlich ganz klar, würde sie zu den Leuten gehören, die nichts hatten außer ihren Beruf. Sie sah sich selbst vor sich ohne ihre Familie – alt und allein.
Es war die richtige Entscheidung gewesen.
»Ich habe eine Familie«, sagte sie, womit sie nicht nur Lukas meinte, aber das brauchte sie Berghammer ja nicht auf die Nase zu binden. »Die braucht mich. Und ich sie auch.«
»Mir musst du das nicht erzählen. Ich liege hier, weil ich das vergessen hatte. Das wird jetzt anders.«
»Ach, Martin. Ich bin froh, dass es dir besser geht.«
»Mach’s gut, Mona. Hab einen schönen Urlaub. Gönn dir richtig was, dir und deinem – äh – Sohn?«
Mona lächelte. »Ja.«
»Wie...«
»Er heißt Lukas.«
»Wenn du wieder da bist, sehen wir weiter.«
»Ja. Danke, Martin. Und gute Besserung!« Mona legte auf. Sie blieb noch ein paar Minuten ganz ruhig auf dem Bett liegen. Außer dem Summen der Klimaanlage war nichts zu hören.
Sabine Frost war tot, Plessen war es nach der Operation kurzzeitig besser gegangen, doch dann fiel er Stunden später in ein Koma, aus dem er vielleicht nie wieder erwachen würde. Plessens Haushälterin Olga Virmakova hatte den Verdächtigen nicht erkennen wollen, und Gerulaitis, selbst psychisch angeschlagen, hatte seine Informationen von einem Video, das nicht mehr existierte, und von einer Frau, die von ihrer eigenen Familie als schwer gestört erachtet wurde. Warum also sollte ein Vollprofi wie Janosch Kleiber nicht auf unschuldig plädieren? Was konnte ihm denn schon nachgewiesen werden?
Gut, es gab Indizien. Es hatte mehrere ähnliche Taten in der Gegend gegeben, aus der er herkam; Kern hatte das herausgefunden. Aber diese Taten lagen viele Jahre zurück, sie waren unter einem anderen Regime passiert, Beweismittel waren kaum noch vorhanden und verwertbare DNS-Spuren schon gar nicht. Bevor Plessen ins Koma gefallen war, hatte sie noch einmal kurz mit ihm sprechen können, sehr kurz. Eine halbe Million hatte er nach eigener Aussage auf ein namenloses ausländisches Nummernkonto überwiesen, das wahrscheinlich Sabine Frost eingerichtet hatte – nach dem Mord an Sonja Martinez, vor dem Mord an Plessens Stiefsohn. Sie hatten das Konto mit der Summe ausfindig gemacht, aber da es auf keinen Namen lief, half ihnen das nicht weiter. Und da der Brief Helga Kaysers an ihren Sohn verschwunden war, würden sie wahrscheinlich nie erfahren, welcher Vorfall in der Vergangenheit Plessen so viel Angst gemacht hatte, dass er auch dann noch geschwiegen hatte, als der Zusammenhang zwischen Erpressung und Mord offensichtlich war.
Kleiber wäre nicht der erste Mörder, der aus Mangel an Beweisen davonkam. Damit musste man leben: Die totale, lückenlose Gerechtigkeit war eine Illusion. Kleiber würde, glaubte man Kerns Analyse, weitermorden, weil er gar nicht anders konnte. Töten verschaffte ihm Lust, und er würde es auf lange Sicht nicht lassen können. Irgendwann würde man ihn drankriegen, aber dann würde es für die Opfer zu spät sein.
So war die Welt. Hart und ungerecht.
Aber jetzt hatte Mona Urlaub. Sie hatte ihn sich wahrlich verdient, und sie brauchte ihn. Wenn sie zurückkehrte, würde sie sich weiter mit dem Fall Janosch Kleiber befassen. Jetzt nicht. Jetzt würde sie ihr Leben genießen, denn darauf hatte sie lange genug gewartet. Mona stand auf, duschte, zog sich um, schminkte sich und fuhr mit dem Lift nach unten. Zu ihrer Familie.
Damals warst du still
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