23
Mittwoch, 16. 7., 22.33 Uhr
Es war stockdunkel, als Mona und Bauer endlich wieder ins Auto stiegen. Auch diesmal versuchten die Fernsehteams und Zeitungsjournalisten ihnen den Weg zu versperren – erfolglos. Mona fuhr vorsichtig den holprigen Weg entlang, die Scheinwerfer tasteten sich durch das Wäldchen, das das Haus der Plessens von der Landstraße abschirmte. Als wollten sie sich verstecken, dachte Mona. Aber vor wem und warum?
»Was hat sie gesagt?«, fragte Mona.
»Ich weiß nicht«, sagte Bauer zögernd. Sie sah ihn kurz von der Seite an; sein junges Gesicht wirkte zum ersten Mal seit Wochen bei aller Müdigkeit relativ entspannt. Das Gespräch mit Frau Plessen schien ihm gut getan zu haben. Was nicht ganz der Zweck einer Vernehmung war, aber vielleicht in diesem Fall ein positiver Nebeneffekt. Falls etwas dabei herausgekommen war.
»Ich weiß nicht«, wiederholte Bauer.
Also nicht, dachte Mona.
»Sie ist irgendwie...«
»Ja?«
»Unglücklich. Glaube ich.«
Unglücklich. Tja, das war kein Wunder. Wenn das das ganze Ergebnis war. »Na ja«, sagte Mona vorsichtig, »das liegt ja auf der Hand. Dass es ihr nicht gerade gut geht, meine ich.«
»Nein, nein. Sie ist generell unglücklich. Das war sie schon, bevor das mit ihrem Sohn passiert ist.«
»Du meinst, die Ehe und all das?« Sie ließen das Wäldchen hinter sich und hatten vor sich eine weite, flache, mondbeschienene Landschaft. So weiß und starr wie Eis. Mona bremste. Bauer sah erstaunt zu ihr herüber, als sie die Zündung ausschaltete, die Wagentür öffnete und ausstieg. Schließlich machte er es ihr nach und stieg ebenfalls aus.
Tiefe Stille lag über der Landschaft. Ganz entfernt hörten sie das Röhren eines hochgetunten Autos, sonst gab es kein Geräusch. »Wahnsinn«, sagte Bauer mit atemloser Stimme. Mona sah zum Himmel hinauf, auf dem ein schartig aussehender Vollmond alles überstrahlte, selbst das Licht der Sterne. Zu Hause warteten Anton und Lukas, aber Mona machte sich keine Sorgen. Lukas schlief wahrscheinlich längst. Er war vierzehn Jahre, er brauchte seine Mutter nicht mehr so sehr, wie noch vor zwei Jahren. Und er hatte einen guten Vater.
Auch wenn gewisse Behörden …
Sie hörte auf, daran zu denken. Einfach so, ganz mühelos. Alles schien plötzlich sehr weit weg zu sein. Mona lehnte sich an die warme Kühlerhaube, zündete sich eine Zigarette an und hielt Bauer die Schachtel hin. Er lehnte sich neben sie und nahm eine Zigarette. Schweigend rauchten sie nebeneinander in dieser unwirklichen Atmosphäre, die dazu verführte, alles Gewohnte zu vergessen. Scheinbar unverbrüchliche Überzeugungen mündeten in neue Fragen, Wege schienen sich aufzutun, von deren Existenz sie nichts geahnt hatte.
Ich bin wie auf Droge, dachte Mona plötzlich. Sie warf die Zigarette auf den staubtrockenen Boden, und trat sie sorgfältig aus.
»Lass uns weiterfahren«, sagte sie zu Bauer, der nickte und gehorsam auf der Beifahrerseite einstieg. Langsam fuhren sie auf die Landstraße zu, die sie zurückbringen würde in ihren Alltag.
»Ihr habt euch ganz gut verstanden, oder?«, fragte Mona in beiläufigem Ton.
»Ja«, sagte Bauer. Mona bog auf die Landstraße und gab Gas.
»Du hast gesagt, sie ist unglücklich. Ganz allgemein. Warum?«
»Sie hat gesagt, sie fühlt sich einsam hier draußen.«
»Einsam?«
»Ja. Sam – also der Sohn -, der hatte sein eigenes Auto und seine Freunde und war immer unterwegs.«
»Aber ihr Mann ist doch immer hier. Seine Seminare, oder wie man das nennt, die finden doch hier statt.«
»Ja, die finden in einem anderen Trakt im Haus statt. Aber davon ist er völlig in Anspruch genommen. Und sie hat eben nichts zu tun. Für den Haushalt haben sie eine Putzfrau und eine Köchin.«
»Sie langweilt sich.«
»Ja. Sie sagt, hier gibt’s ja auch nichts, um sich abzulenken. Sie sagt, Gersting ist total, na ja, tot. Hübsch, aber tot.«
»Patrick, hat sie irgendwas über den Mord gesagt? Beziehungsweise über beide Morde? Irgendwas?«
Sie fuhren durch Gersting, diesen unheimlichen, tatsächlich leblosen Ort. Mona sah nirgendwo ein Licht brennen, dabei war es doch noch nicht spät. Vielleicht gingen Bauern tatsächlich so früh ins Bett, wie es das Sprichwort von ihnen behauptete.
»Sie weiß nicht mehr als das, was sie uns schon gesagt hat. Sagt sie. Die Martinez kennt sie nicht mal vom Sehen. Sie hat nichts zu tun mit seinen Patienten.«
»Verdammt«, sagte Mona. »Ich kann mir nur vorstellen, dass es einer von denen war. Einer von seinen, na, den Teilnehmern seiner Seminare. Aber da gibt’s so viele, da ermitteln wir uns tot.«
»Einer wie Sonja Martinez? Einer der wegen irgendwas sauer war, was Plessen gesagt hat?«
»Ja. Er hat ziemlich komische Ansichten. Da könnte durchaus einer was falsch verstanden haben.«
»Und der rächt sich jetzt?«
»Scheint mir logisch zu sein. Und weißt du, was das Schlimmste ist? Wir müssen richtig schnell sein. Denn der hat noch einiges vor.«
Damals warst du still
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